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2.1 Warum prüfen?

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Am Schluss einer Ausbildung oder einer Ausbildungssequenz gibt es eine Prüfung. Dabei zeigen die Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie die verlangten Handlungskompetenzen in genügendem Maße erfüllen.

Dieses Verständnis von beruflicher Qualifikation und Lernstandbeurteilung ist weit verbreitet und in diesem Sinne im schweizerischen Berufsbildungsgesetz (BBG) verankert. So dürfen zum Beispiel nur Inhaberinnen und Inhaber eines Abschlusses festgelegte Titel tragen (Art. 36 BBG2). Und um titelrelevante Abschlüsse zu erhalten, sind entsprechende Fachprüfungen oder Qualifikationsverfahren zu bestehen (z.B. Art. 433 und 444 BBG). Diese bilden in der Regel den formalen Abschluss einer Ausbildung, die häufig schwerpunktmäßig in Schulen stattfindet. In der höheren Berufsbildung können eidgenössische Prüfungen ohne Besuch von entsprechenden Vorbereitungskursen an Schulen abgelegt werden. Wer die Zulassungsbedingungen erfüllt, kann die Prüfung absolvieren. In der Praxis besuchen allerdings die meisten Kandidatinnen und Kandidaten Vorbereitungskurse für eidgenössische Prüfungen in der höheren Berufsbildung an spezialisierten Ausbildungsinstitutionen.

In der beruflichen Grundbildung und in den Lernorten Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse führen die Verantwortlichen je nach Ausrichtung und Aufgabe regelmäßig Prüfungen durch. Diese bilden in der Regel den Abschluss eines Themas, eines Ausbildungsschwerpunktes oder eines Fachkurses.

Es ist somit grundlegendes Element der Berufsbildung, den Lernstand zu definierten Prüfungszeitpunkten auf seinen Erfüllungsgrad hin zu überprüfen und zu beurteilen. Diese Zeitpunkte sind häufig in relativ starren Bildungs- und Lehrplänen definiert, die wenig Spielraum für die Ausbildenden offenlassen. Nicht berücksichtigt sind bei solchen schulisch orientierten Lehrgängen, die häufig an festgelegten Präsenztagen stattfinden, individuelle Wege der Handlungskompetenzentwicklung sowie die personenspezifische Geschwindigkeit des Lernens. So werden leistungsstarke Kandidatinnen und Kandidaten oder solche mit viel Erfahrung und Vorwissen gleichzeitig mit solchen geprüft, für die der angeleitete Lernprozess länger als formal definiert dauern sollte.

Eine Prüfung kann im besten Fall eine Messung des aktuellen Handlungskompetenzstands sein. Sie misst die Performanz zu einem bestimmten und für alle Kandidatinnen und Kandidaten eines Ausbildungsgangs zum gleichen, oftmals lange im Voraus definierten Zeitpunkt. Dies steht im Widerspruch zum Verständnis und der Berücksichtigung von individuellen Lernprozessen, die in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und auf unterschiedliche Art ablaufen. Passender wären Handlungskompetenzmessungen, die sich am individuellen Lernprozess orientieren und zu flexiblen Zeitpunkten erfolgen. Auf dieses Lern- und Prüfungsverständnis ist die aktuelle formale Ausbildungslandschaft nicht ausgerichtet. Häufig stehen rechtliche, organisatorische und ökonomische Argumente dieser vorwiegend pädagogischen Betrachtung entgegen. Was spricht denn für Prüfungen? Walzik (2012) führt folgende Gründe auf:

 Feedback für Lernende

 Feedback für Ausbildende

 Lernen fördern

 Leistungsbestätigung

 Vorbereitung auf Stress

 Vergleichbarkeit, Selektion und Qualitätssicherung

 Motivation

Daraus lassen sich drei Funktionen von Prüfungen ableiten (vgl. AfH Uni ZH 2006): Diagnose, Prognose und Eignung (Selektion).

Prüfungen können Hinweise zur Entwicklung von Lernenden geben. Diese Erwartung verbindet sich beispielsweise mit Aufnahmeprüfungen an weiterführenden Schulen, die eine Prognose liefern sollen, ob jemand die Ausbildung, zum Beispiel das Gymnasium, erfolgreich absolvieren wird. Dabei dienen sie als Instrument zur Auswahl beziehungsweise als Grenzwert zwischen «genügt den Anforderungen» und «genügt den Anforderungen nicht» [Selektion]. Neben diesen prognostischen und selektiven Komponenten schaffen Prüfungen idealerweise Vergleichsmöglichkeiten und überprüfen den (verlangten) Stand der Handlungskompetenzentwicklung [Diagnose]. Sie geben Lernenden und Ausbildenden Hinweise zum Stand des individuellen Lernprozesses. Zudem können sie sowohl motivierend und lernfördernd als auch gegenteilig wirken. So übernehmen Prüfungen häufig die Rolle einer Lebensschule. Kandidatinnen und Kandidaten lernen, hartnäckig, ausdauernd, fleißig, fokussiert und zielstrebig zu sein. Sie halten Druck aus und bereiten sich so auf spätere Anforderungen und Situationen vor, in denen sie sich beweisen oder unter Zeitdruck hohe Erwartungen erfüllen müssen.

Handlungskompetenzen prüfen (E-Book)

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