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Erwartungen

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Erwartung kann eine sehr belastende Hürde sein, wenn einem selbst bewusst ist, was andere von einem erwarten. Mir war als kleinem Mädchen sehr bald klar, dass die ganze Familie mich in allem und jedem mit meinem im Krieg gefallenen Vater verglich. Das begann mit meinem Aussehen und ging weiter über meine Leistungen und meinen Werdegang. Meine Groß- und Urgroßeltern erwarteten von mir, dass ich tadellos durch die Schule kam. Es war für alle selbstverständlich, dass ich Abitur machen und dann studieren würde. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich in meiner Jugend Formulierungen wie: „Das hätte dein Vater jetzt nicht, oder anders oder besser gemacht, gesagt oder getan“ gehört habe. Ich hörte aber auch: „Das hätte deinen Vater aber gefreut“ oder auch „traurig gemacht.“

Das war ein Kapitel, das mich oft sehr belastete, so dass ich mich in vielen Situationen selbst zu fragen begann: „Was hätte dein Vater jetzt wohl dazu gesagt?“ Erst sehr viel später, als ich schon erwachsen wurde, wurde mir klar, dass man im Vergleich mit einem Toten nur geringe Chancen hat, selbst zu bestehen.


Gerdas leiblicher Vater

Mit zunehmendem Alter allerdings wurde es für mich leichter. Ich war eben kein Junge und es ließ sich nicht alles vergleichen – weil ich nun mal ein Mädchen war. Außerdem absolvierte ich ja problemlos die Schule, und meinen Freiheitsdrang mit beginnender Pubertät badete in erster Linie meine Mutter aus, ohne dass der Rest unserer großen Familie so viel davon mitbekam – jedenfalls glaube ich das.

Es hat mir unendlich geholfen und war mein größtes Glück, dass ich einen zweiten Vater bekam, dass ich zwei Brüder bekam, die mich alle so liebten, wie ich war, die keine Vergleichsmöglichkeiten hatten und daher auch keine Erwartungen in mich setzten, die mich unter Druck gesetzt hätten.

An der Erwartungshaltung der Familie insgesamt aber änderte sich bis heute nicht sehr viel – man erwartete schlicht, dass ich mich so verhielt, wie es sich gehörte. Ich durchlief die Schule, die Universität, den Beruf, bekam die Kinder und zog sie groß – und da ich das alles bis heute mache und also die Erwartungen aller erfülle, ist die Welt in Ordnung – solange ich nicht auf die absurde Idee verfalle, Weihnachten ohne die ganze Familie oder meinen Geburtstag in der Schreibgruppe, statt zu Hause feiern zu wollen.

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