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3 Fluidität und Hybridität

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Sobald der normative Ansatz des Weißen europäischen und nordamerikanischen Feminismus anfängt zusammenzubrechen, eröffnet sich eine Vielfalt an weiten, komplexen, liminalen Räumen. Binarität oder dualistisches Denken löst sich hier in fluideren Ideen von Identität auf. Dieser Begriff der »Hybridität« wurde von Homi Bhabha in den 1990ern erforscht. 2015 schreibt er in seinem Vorwort zur critique influence change edition des 1997 erschienenen Buches Debating Cultural Hybridity Folgendes: »Hybridität ist eine Form der beginnenden Kritik; sie kommt nicht als eine Kraft von ›außen‹ […], [sondern] arbeitet mit und in der kulturellen Gestaltung der Gegenwart, um unser Verständnis umzugestalten.« Es geht um »die Erlangung von Handlungsmacht«.37

Melanie Harris erkennt ein Modell dafür in Alice Walkers offener und fluider Spiritualität, die sich auf ihr Cherokee und afroamerikanisches Erbe, durch ihre Urgroßmutter mütterlicherseits, stützt. Gleichzeitig wird auch die gewalttätige sexuelle Ausbeutung, nämlich das Einzige, was sie von ihrem anglo-irischen Urgroßvater väterlicherseits weiß, thematisiert:38 »Das womanistische religiöse Denken verändert sich. Wir können nicht länger an den alten Kategorien festhalten, die darüber entscheiden, wer dazu gehört und wer nicht. Wenn wir uns gegenseitig zum Schweigen bringen, bringen wir uns selbst zum Schweigen.«39

Wir leben in einer Welt, in der sich Bevölkerungsgruppen über die Jahrhunderte hinweg bewegt und transformiert haben und dies auch weiterhin tun; oft werden diese Prozesse von globalen Kräften wie Armut, politischen Unruhen, Deportation, Sklaverei oder Kolonisation angetrieben. Viele Menschen sind Flüchtlinge gewesen oder haben in mehr als einer Kultur oder mit komplexen Identitäten, welche dominante kulturelle Normen infrage stellen und aufbrechen, gelebt. Andere werden in der Landschaft, die sie und ihre Vorfahren seit Jahrtausenden bewohnen, marginalisiert, während Kolonialmächte ihnen neue Lebens- und Ausdrucksweisen aufzwingen. Sie leben in »glitschigen« Räumen, in denen sie zwischen Identitäten, Idiomen oder Sprachen verhandeln müssen.

Gleichzeitig hat eine Kommunikationsrevolution stattgefunden, die es verschiedenen Bevölkerungsgruppen ermöglicht, direkt miteinander zu sprechen und dabei Kontrollmechanismen in gewissem Maße zu umgehen, insbesondere mit dem Aufstieg der sozialen Netzwerke, dem eine »globale Interaktion zwischen Leuten, die sich früher fremd waren«40 zu verdanken ist. Diese Interaktion auf globaler Ebene gestattet den Austausch neuer Ideen, und virtuelle Gemeinschaften »können auch zum Handeln mobilisieren«.41

Innerhalb dieser sich wandelnden Landschaft ist die Position, die Frauen zugeteilt oder von ihnen eingenommen wird, nicht immer befreiend. Nira Yuval-Davis bemerkt die Tendenz kultureller Minderheiten, einheitliche Stimmen – oder Gruppenstimmen – zu konstruieren, die wiederum eine unterdrückende Funktion einnehmen können. Frauen werden oft mit der Rolle der Hüterinnen von Kultur besetzt. Von ihnen wird erwartet, dass sie die Gruppenstimme aufrechterhalten, und dies kann dazu führen »unbeabsichtigt mit autoritären oder fundamentalistischen Führern zusammen zu arbeiten, die behaupten, das wahre ›Wesen‹ der Kultur und Religion ihres Kollektivs zu repräsentieren, und die die Kontrolle über Frauen und deren Verhalten ganz oben auf ihrer Tagesordnung haben«.42

Es besteht auch eine Tendenz, Frauen als »Gruppe« mit geteilten Unterdrückungserfahrungen und einer gemeinsamen Kultur zu behandeln, ohne die Struktur der Kulturen, denen sie angehören, zu berücksichtigen. Dies wird durch die hegemoniale Auffassung des westlichen Feminismus verschärft, wonach die Unterdrückung von Frauen »eine fixe Realität ist, die entdeckt und dann verändert werden muss, und nicht eine Realität, die durch Praxis und Diskurs geschaffen und neu geschaffen wird«.43

Das Modell der Hybridität hinterfragt ständig die Grenzen, die dazu neigen, sich zu transformieren und neu zu formen, indem sie sich mit der Intersektionalität zwischen Erfahrung und Identität in der gelebten Erfahrung von Frauen befasst. Dadurch erhalten Frauen die Entscheidungsmacht für Veränderungen, anstatt als universelle Opfer betrachtet zu werden, die der Errettung bedürfen.

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