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2. Zur Begriffs- und Problemgeschichte

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Gleichheit gilt von der Antike an11 als ein konstitutives Merkmal der Gerechtigkeit. Wenn zwei Personen in mindestens einer relevanten Hinsicht als gleich gelten, müssen diese Personen in der Hinsicht gleich behandelt werden. Ansonsten wird eine ungerecht behandelt. Dies ist das allgemein akzeptierte formale Gleichheitsprinzip, das Aristoteles in Rückgriff auf Plato formulierte: Gleiche(s) gleich behandeln.12 Einige sehen dieses formale Prinzip der Gleichheit als eine spezifische Anwendung einer Rationalitätsregel (Rationalität). Es sei irrational, weil inkonsistent, ohne hinreichenden Grund gleiche Fälle ungleich zu behandeln.13 Statt dessen betonen die meisten, dass es sich hier um ein moralisches Prinzip der Gerechtigkeit handelt, das im wesentlichen der Universalisierbarkeit moralischer Urteile entspricht. Das formale Postulat bleibt allerdings solange leer, wie unklar ist, was hier ‚gleiche Fälle‘ und was ‚gleich behandeln‘ meint. Alle Debatten über die richtige Auffassung von Gerechtigkeit, d.h. darüber, wem was zukommt – so bemerkte schon Aristoteles –, können als Kontroversen über die Frage aufgefasst werden, welche Fälle gleich und welche ungleich sind.14 Jeder normative Disput kann als Widerstreit einer vorgeschlagenen Norm mit einer anderen dargestellt werden, d.h. als Widerstreit zwischen einer Konzeption von Gleichheit mit einer anderen. Deshalb ist es richtig, wenn Gleichheitstheoretiker15 betonen, dass es fast nie um die Frage geht, ob überhaupt Gleichheit, sondern (nur) um die Frage, welche Art von Gleichheit. Eigentlich jede normative Theorie stellt sich als eine Gleichheitsposition dar. Egalitaristen müssen also, um ihre Position zu skizzieren, eine spezifischere (egalitärere) Konzeption von Gleichheit in Anschlag bringen.

Platon und Aristoteles vertreten ein Prinzip proportionaler Gleichheit:16 Wenn Faktoren für eine Ungleichverteilung sprechen, weil die Personen in relevanten Hinsichten ungleich sind, ist diejenige Verteilung gerecht, die proportional zu diesen Faktoren ist. Ungleiche Verteilungsansprüche müssen proportional berücksichtigt werden; das ist die Voraussetzung dafür, dass die Personen gleich berücksichtigt werden. Beide verstehen gleiche Berücksichtigung (noch) im Sinne der Formel des Ulpian: „Suum ciuque tribure“, also: „Gerecht ist eine Handlung, wenn sie jedem das gibt, was ihm zukommt.“17 Diese Definition ist ganz formal, den offen ist noch, wem was zukommt. Ungleiche Berücksichtigung der Rechte verschiedener Personen heißt demnach, dass nicht jedem zugeteilt wird, was ihm zusteht. Die zugrundeliegenden vorausgesetzten Rechte können dabei aber ungleich sein – und sind es für Platon und Aristoteles auch.

Gegen Plato und Aristoteles hat die Ulpianische Formel im Laufe der Geschichte den inhaltlich egalitären Sinn angenommen, dass jedem die gleiche Würde (Menschenwürde) und jedem gleiche Achtung gebührt. Diese Formulierung findet sich auch im 1. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (10. Dezember 1948): „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“18 Diese ist die heute weitgehend geteilte Auffassung substanzieller universalistischer Gleichheit. Sie entwickelte sich in der Stoa, die die natürliche Gleichheit aller rationalen Wesen betonte, und im frühen Christentum des Neuen Testaments, das die Gleichheit der Menschen vor Gott zum Prinzip erhob, das die christliche Kirche später allerdings nicht immer konsequent vertrat. In der Neuzeit, vom 17. Jh. an, wurde die Idee natürlicher Gleichheit in der Tradition des Naturrechts und der Vertragstheorie (Gesellschaftsvertrag) dominant. Thomas Hobbes ging davon aus, dass die Menschen im Naturzustand gleiche Rechte haben, weil sie über die Zeit hinweg die gleiche Fähigkeit haben, einander zu schaden.19 John Locke vertrat die Auffassung, dass alle Menschen gleiche natürliche Rechte auf Freiheit und Eigentum besitzen.20 Jean-Jacques Rousseau erklärte soziale Ungleichheit (Ungleichheit) durch einen nahezu urgeschichtlichen Verfall der Menschengattung von einer natürlichen Gleichheit im harmonischen Naturzustand, hervorgerufen durch den Drang der Menschen zur Vervollkommnung, wodurch Eigentum und Besitz wirkmächtig wurden. Die dadurch entstandene Ungleichheit und Herrschaft der Gewalt kann nur durch die Einbindung der freigesetzten Subjektivität in einer gemeinsamen Bürgerexistenz und Volkssouveränität (Souveränität) überwunden werden.21

In Imanuel Kants Moralphilosophie formuliert der kategorische Imperativ das Gleichheitspostulat der gleichen universellen Achtung.22 Die transzendentalphilosophische Reflexion des Gedankens der Autonomie und Selbstgesetzgebung führt zur Anerkennung der gleichen Freiheit aller Vernunftwesen, die Kant auch zum einzigen Rechtsprinzip erklärt. „Also ist das allgemeine Rechtsgesetz: handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne, zwar ein Gesetz, welches mir eine Verbindlichkeit auferlegt, aber ganz und gar nicht erwartet, noch weniger fordert, daß ich ganz um dieser Verbindlichkeit willen meine Freiheit auf jene Bedingungen selbst einschränken solle, sondern die Vernunft sagt nur, daß sie in ihrer Idee darauf eingeschränkt sei und von andern auch thätlich eingeschränkt werden dürfe; und dieses sagt sie als ein Postulat, welches gar keines Beweises weiter fähig ist.“23

Die aufklärerischen Ideen stimulierten die großen sozialen Bewegungen und Revolutionen und schlugen sich in den modernen Verfassungen und Menschenrechtserklärungen nieder. Neben Freiheit und Brüderlichkeit wurde Gleichheit in der Französischen Revolution Grundlage der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1789.24 Das Prinzip der gleichen Würde und Achtung25, das heute von allen Hauptströmungen der modernen westlichen Kultur als Minimalstandard akzeptiert wird26, schreibt in einer üblichen Unterscheidung vor, Personen als Gleiche zu behandeln (treating persons as equals), nicht aber das in vielen Fällen unplausible Prinzip, Personen genau gleich zu behandeln (treating persons equally).27 Seit dem 19. Jh. liegt der politische und philosophische Schwerpunkt neben der Sicherung gleicher Freiheitsrechte und gleicher politischer Partizipationsrechte (Partizipation) verstärkt in der Auseinandersetzung um ökonomische und soziale Ungleichheit.28 Dabei ist die Idee der Gleichheit seitens sozialistischer und marxistischer Kreise durchaus kritisiert worden. So lehnt Karl Marx den Gedanken der Rechtsgleichheit ab, weil sie sich (i) ungleich auswirkt, da sie nur eine begrenzte Zahl moralisch relevanter Gesichtspunkte heranziehe und andere vernachlässige; (ii) konzentrierten sich Theorien der Gerechtigkeit zu sehr auf die Verteilung statt auf die grundlegenden Fragen der Produktion; drittens brauche die kommunistische Gesellschaft kein Recht und keine Gerechtigkeit, weil in ihr die gesellschaftlichen Konflikte aufgelöst sein würden. „Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche Recht stets noch mit einer bürgerlichen Schranke behaftet. […] Dies gleiche Recht ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. Es erkennt keine Klassenunterschiede an, weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; aber es erkennt stillschweigend die ungleiche individuelle Begabung und daher Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natürliche Privilegien an. Es ist daher ein Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt nach, wie alles Recht. Das Recht kann seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehn; aber die ungleichen Individuen (und sie wären nicht verschiedene Individuen, wenn sie nicht ungleiche wären) sind nur an gleichem Maßstab meßbar, soweit man sie unter einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sie nur von einer bestimmten Seite faßt, z.B. im gegebnen Fall sie nur als Arbeiter betrachtet und weiter nichts in ihnen sieht, von allem andern absieht. […] Um alle diese Mißstände zu vermeiden, müßte das Recht, statt gleich, vielmehr ungleich sein.“29

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