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1. Eine Theorie der Anerkennung

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Es gibt nicht die geeinte Theorie der Anerkennung, sondern unterschiedliche Ausdeutungen der Einsicht, dass Anerkennung in modernen Gesellschaften, in sozialen und politischen Praktiken, für das Verstehen und Erklären von Welt und für die Entwicklung evaluativer und präskriptiver Theorien von großer Bedeutung ist. Eine Theorie der Anerkennung kann deshalb sowohl empirisch und deskriptiv sein, womit sie eher in den Bereich der Sozialwissenschaften gehört, aber auch explizit normative Ansprüche erheben, also in den Bereichen der Ethik, der politischen Philosophie und Sozialphilosophie angesiedelt werden.5 In der Variante, wie ich sie hier diskutieren möchte, wird eine Theorie der Anerkennung vornehmlich als normative Theorie, also als Theorie darüber, was als gut und gerecht, was als moralisch verwerflich und ungerecht anzusehen ist und nach welchen Maßstäben und Prinzipien die Gesellschaft und ihre Institutionen eingerichtet werden sollten.6 Dabei lassen sich vier Bereiche unterscheiden, die den Kern einer Theorie der Anerkennung ausmachen: (1) Anerkennung und Missachtung sind ihrer Form nach anthropologisch universal, ihrem Inhalt nach historisch und sozial relativ. (2) Anerkennung und Missachtung besitzen einen intrinsischen normativen Wert und sind darüber hinaus wertvoll, weil und insofern sie Autonomie und Selbstverwirklichung ermöglichen. (3) Die Aufgabe einer normativen Theorie der Anerkennung besteht dann darin, Formen der Missachtung, insbesondere jene, die in einer Gesellschaft weit verbreitet sind, zu kritisieren, also ihre Ursachen und Auswirkungen zu rekonstruieren und schließlich (4) Vorschläge zur Einrichtung und zum Erhalt solcher sozialer Strukturen, in denen gelungene Anerkennung möglich ist, zu entwickeln, also darüber nachzudenken, wie eine Gesellschaft sozial gerecht eingerichtet werden kann.

Anerkennung ist dabei deshalb von so großer Bedeutung, weil sie eine anthropologische und daraus folgend eine eminente soziale und normative Funktion besitzt. Anerkennung ist ein Bedürfnis des Menschen, wobei diese auf unterschiedliche Dimensionen des Menschseins reagiert. Dabei sind drei grundlegende Formen von Anerkennung unterscheidbar: Anerkennung in der Form der Liebe und der personalen Zuwendung, die sich auf den Menschen als einzigartiges Individuum bezieht. Anerkennung in der Form der Achtung, die den Menschen als autonomes Wesen, welches mit gleicher Würde ausgestattet ist, sieht. Und schließlich Anerkennung in Form der sozialen Wertschätzung, welche sich auf den Menschen als besonderer Teil eines größeren Ganzen, einer Gemeinschaft und Gesellschaft, bezieht. Diese drei Anerkennungsformen umschreiben damit auch Dimensionen der Verletzbarkeit, die dem menschlichen Leben als Möglichkeit inne wohnen. Jeder Mensch kann physisch, psychisch und sozial verletzt werden, sei es durch Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit, soziale Ausgrenzung oder Entrechtung. Wenn wir uns gegenseitig anerkennen, so ist dies also nicht nur eine adäquate Reaktion auf spezifische Seins- und Verhaltensweisen, sondern schützt auch vor solchen Verletzungen. Solche Verletzungen, die als moralisch verwerflich angesehen werden können, stellen die negativen Gegenstücke zu den drei Formen der Anerkennung dar und lassen sich in drei Formen der Missachtung beschreiben: Missachtung als Verletzung der physischen und psychischen Integrität, Missachtung als Verletzung der Autonomie, und schließlich Missachtung als Verletzung des sozialen Status. Die Erfahrung wechselseitiger Anerkennung und der Schutz vor Missachtung bilden dann den intersubjektiven Rahmen und die sozialen Bedingungen dafür ein gelungenes Leben führen zu können, also eigene Ziele, für die man gute Gründe hat, sie zu schätzen, anzustreben und zu verwirklichen. Anerkennung besitzt einen intrinsischen Wert als auch einen Wert, indem es die Möglichkeitsbedingungen abbildet, die für die Gestaltung eines gelungen Lebens nötig sind.

Doch beschreiben diese drei Formen von Anerkennung und Missachtung, ebenso wie der Terminus des gelungenen Lebens7 noch nicht deren konkrete Inhalte und wie sie für den Einzelnen und in unterschiedlichen sozialen Kontexten realisiert werden. Die Dichotomie von Form und Inhalt lässt hier einen weiten Gestaltungsspielraum, der sich in weiterer Folge als das Spannungsverhältnis zwischen einer kontext-sensitiven und einer kontext-übergreifenden Bedeutung von Anerkennung beschreiben lässt. Liebe und personale Zuwendung können ebenso auf vielfältige Art und Weise realisiert werden, wie auch Achtung und der Bereich des Rechts ausdifferenziert sind und soziale Wertschätzung sich innerhalb und zwischen Gemeinschaften und Gesellschaften unterscheidet. Die empirische Forschung hat hier eine Vielzahl an Erkenntnissen zusammengetragen, die sich jedoch nicht so ohne weiteres verallgemeinern lassen. Eine grundlegende Tendenz in vielen modernen Gesellschaften ist es jedoch, dass die materielle Grundversorgung durch den Staat abgesichert wird und dass dies eine verrechtlichte Anerkennung kontext-sensitiver Bedürfnisse darstellt. Die Versorgung in Notlagen, bei Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter wird in Wohlfahrtsstaaten, dem Prinzip nach zumindest, als Recht, welches der Würde des Menschen entspringt, angesehen und für alle gleichermaßen, wenn auch in sich nach bestimmten Kriterien differenziert, sichergestellt. Eine weitere Eigenschaft, die in fast allen modernen Gesellschaften anzutreffen ist, ist die Ausweitung der Bedeutung von Erwerbsarbeit als universalem Inklusionsmechanismus und Anerkennungsquelle. Insbesondere soziale Wertschätzung wird zu einem erheblichen Anteil, sicherlich nicht ausschließlich, über und in Erwerbsarbeit vermittelt.8 Gleiches gilt auch für Formen der Missachtung: Arbeitslosigkeit, Armut als Versagen am Arbeitsmarkt, prekäre Jobs usw. sind die sozialen Pathologien in einer auf Erwerbsarbeit konzentrierten Gesellschaft.9 Hier findet Demütigung, Entwürdigung, Scham, Rückzug statt. Erwerbsarbeit und Wohlfahrtsstaat als die beiden großen Anerkennungsstrukturen hängen offensichtlich zusammen, wobei sie sich wechselseitig verstärken aber auch Räume des Konflikts öffnen.10 In beiden wird ebenso Anerkennung vermittelt, wie sie auch Kontexte der Missachtung darstellen.

Von diesem Grundriss her eröffnet sich eine anerkennungstheoretische Konzeption sozialer Gerechtigkeit. Eine jede Theorie der sozialen Gerechtigkeit hat zumindest drei Fragen zu klären: Welche Güter, Vorteile und Nachteile oder Fähigkeiten sollen gerecht verteilt werden? In welchem sozialen Kontext sollen diese gerecht verteilt werden? Nach welchen Prinzipien sollen diese verteilt werden? Daraus ergibt sich die Grundform sozialer Gerechtigkeit als die gerechte Verteilung der Güter g im Kontext k gemäß der Prinzipien p. Eine Theorie der Anerkennung gibt hierauf folgende Antwort, die wiederum in zwei Hinsichten spezifiziert werden kann. Einmal kann Anerkennung selbst als zu verteilendes Gut verstanden werden, dann lautet die Grundform, dass ein sozialer Kontext jeweils dann gerecht ist, wenn all seine Mitglieder über ein adäquates Maß an Anerkennungserfahrungen verfügen. Andererseits kann Anerkennung als Prinzip der Verteilung verstanden werden, also so, dass ein sozialer Kontext dann gerecht ist, wenn die Güter gemäß der Formen der Anerkennung von Liebe, Achtung und sozialer Wertschätzung verteilt werden. Beide Hinsichten sind zutreffend und decken unterschiedliche Dimensionen einer Theorie der Anerkennung ab. Die erste, also jene, der es um die gerechte Verteilung von Anerkennung geht, impliziert, dass Anerkennung sich in unterschiedlichen Gütern, Vor- und Nachteilen manifestiert, ja materialisieren kann. Einkommen kann dann ebenso eine Form der Anerkennung sein, wie auch Möglichkeiten der politischer Partizipation oder Zugang zu Gesundheitsversorgung. In der anderen Hinsicht wird in den drei Formen der Anerkennung eines bzw. ein jeweils spezifisches Verteilungsprinzip ausgemacht: Diese können unter Rückgriff auf die Theorie von David Miller als die Prinzipien des Bedarfs (implizit in der Anerkennungsform der Liebe), des Verdienstes (implizit in der Anerkennungsform der sozialen Wertschätzung) und der Gleichheit (implizit in der Anerkennungsform der Achtung) verstanden werden.11 Dann gilt es zu klären, welche Güter oder Anerkennungsformen nun mit Hilfe welchen Prinzips verteilt werden sollten. Offensichtlich ist hier mit Unschärfen zu rechnen. Man denke nur an das Gut Geld. Dieses kann offensichtlich Anerkennung ausdrücken, und dies in ganz unterschiedlichen Kontexten und Formen tun. Geld kann als Arbeitseinkommen eine Form der sozialen Wertschätzung sein, die jemand für seine produktive Arbeit von seinem Arbeitgeber erhält. Geld kann jedoch auch in Form einer staatlichen Unterstützungsleistung, etwa bei einem Pflegebedarf, sein, die eher als Form der Achtung verstanden werden sollte und durch den Wohlfahrtsstaat rechtlich gesichert ist, ohne dass hierfür besondere Leistungen erbracht werden müssen. Weiters kann Geld aber auch ein Ausdruck der Liebe und der personalen Zuwendung sein, etwa in Form eines Geschenkes oder auch Ausdruck einer Partnerschaft, wenn nur eine Person Einkommen bezieht, dieses jedoch gemeinsam genutzt wird. Die Verteilung von Geld findet in unterschiedlichen Kontexten, verstanden als unterschiedliche Anerkennungsformen und gemäß unterschiedlicher Prinzipien, statt und es lässt sich, ohne eine nähere Prüfung, nicht abschließend klären, welche dieser Verteilungen gerecht ist. Einmal kann es die Verteilung gemäß Bedarf sein, einmal die gleiche Verteilung und einmal die Verteilung gemäß eines vorher definierten Verdienstmaßstabes. Damit ist weiters angesprochen, dass die Frage welche Güter denn zu verteilen sind, aus anerkennungstheoretischer Perspektive nicht so einfach zu beantworten ist, da diese einerseits kontextsensitiv, andererseits kontext-übergreifend bestimmt werden können. Vielmehr ist eine Theorie der Anerkennung hier auf andere Theorien verwiesen, die bestimmen helfen, ob hier der Fokus auf Grundgüter, Fähigkeiten oder Lebenschancen, um nur eine kleine Auswahl an Möglichkeiten zu nennen, gelegt werden sollte, wobei wahrscheinlich keine für alle Kontexte und Fragestellungen verbindliche Antwort möglich ist. Was nun die Eingrenzung des sozialen Kontextes angeht, auch hier gibt es keine fixe anerkennungs-theoretische Perspektive, sondern vielmehr eine thematische Breite und Tiefe. Es können sowohl kleinere Kontexte wie Familien und Kommunen aber auch größere Kontexte wie Gesellschaften oder der globale Kontext relevante Rahmen für die Bestimmung sozialer Gerechtigkeit und die Schaffung von adäquaten Anerkennungsverhältnissen sein. Ausschlaggebend für die anerkennungstheoretische Perspektive ist vielmehr der Zielhorizont, also das Ergebnis sozialer Gerechtigkeit, als die Schaffung solcher sozialer Bedingungen, in denen die Erfahrung unverzerrter Formen der Anerkennung für alle Gesellschaftsmitglieder möglich ist und sie vor illegitimen Erfahrungen der Missachtung, seien diese individuell oder institutionell, geschützt werden.

In diesem Beitrag möchte ich mich vor allem auf zwei Bereiche konzentrieren, nämlich das Verhältnis von Wohlfahrtsstaat und Erwerbsarbeit und die Verteilung von Einkommen durch diese beiden und in diesen beiden Kontexten, wobei jener der Erwerbsarbeit Teil des Wohlfahrtsstaates ist. Der Wohlfahrtsstaat ist somit sowohl Rahmen für sich selbst bzw. seine Institutionen, die Einkommen verteilen als auch für den Kontext der Erwerbsarbeit. Als hypothetische Formulierung lautet das Ziel dann, dass die Einkommen im Wohlfahrtsstaat so zu verteilen sind, dass sie die Inklusion und die Erfahrung von Anerkennung ermöglichen (Einkommen als Mittel für weitere Anerkennung) aber auch die Verteilung selbst nicht als missachtend, sondern als anerkennend erfahren wird (Einkommen als Zweck und Form der Anerkennung). Erst beide geben die sozialen Bedingungen ab, dass Menschen ihre eigenen Ziele verfolgend und verwirklichen können, wobei auch hier wiederum Einkommen als Mittel und als Zweck dienen kann. Obwohl ich mich im nächsten Abschnitt also auf Einkommen beschränken werde, ist damit zumindest implizit eine ganze Reihe weiterer Vor- und Nachteile angesprochen. Einkommen ist untrennbar mit sozialem Status, Bildung, politischer Partizipation, Gesundheit, Konsum und Lebenschancen verknüpft.12 Anerkennung in der Form von Einkommen wird daher immer auch Auswirkungen auf andere wichtige Bereiche haben, in denen eigentlich andere Verteilungsprinzipien wirken sollten bzw. in denen andere Anerkennungsverhältnisse erwünscht wären. So kann es ein Ergebnis sein, dass Einkommen primär nach Verdienst verteilt werden sollte, dies jedoch insoweit eingeschränkt werden darf, als Einkommen eine ungleiche Verteilung von Gesundheit verursachen, obwohl doch Gesundheit allen Menschen gleichermaßen zukommen sollte. Solche Zielkonflikte werden mich im Folgenden ebenfalls interessieren, da genau hierin der Wert der Gleichheit problematisch wird.

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