Читать книгу Caesar, Attila und Co. - Группа авторов - Страница 10

2.

Оглавление

Ich wohne in der Nähe einer kleinen, stark von der Zivilisation des alten Rom geprägten Stadt, namentlich der Stadt Fano (Fanum Fortunae), und seit jeher unterlag ich ihrem Reiz, der Schönheit ihres gemauerten Befestigungsgürtels und ihres Stadttores, dem Arco d’Augusto aus dem Jahre 9 n. Chr., oder dem an die Überreste der Basilika des Architekten Vitruvius gebundenen Geheimnis [Abb. 2]. Aber der Antrieb, die Arbeit an einer Graphic Novel, die in der Zeit des Zweiten Punischen Krieges spielt, zu beginnen, erwuchs aus Erinnerungen an die Zeit, als ich noch ein Kind war. Erinnerungen, verbunden mit zwei bestimmten Orten: dem nahe gelegenen Wald und dem Fluss Metauro, der nur wenige hundert Meter von meinem damaligen Wohnort entlangfließt. Dort verbrachte ich oft ganze Nachmittage im Spiel und in erfundenen Abenteuern, schlug mir den Bauch voll mit gesammelten Kirschen, Nüssen und Weintrauben von den angrenzenden Feldern, während ich dem Fließen des Wassers zuschaute. Diese Orte übten einen großen Reiz auf uns Kinder aus, und die Tatsache, alleine dort zu sein, ließ uns davon träumen, größer zu sein. Nebenbei ließ mich der häufige Besuch jenes Waldes voller Mysterien und für uns unsichtbarer Kräfte in mancher Weise nach und nach ein immer tieferes Ruhen in mir selbst wahrnehmen. Denn die Seele eines Ortes muss ebenso langsam wie die Seele einer Person entdeckt werden, die ebenfalls nicht sofort, sondern erst nach langer Zeit und vereinzelten oder wahrscheinlich wiederholten Begegnungen enthüllt wird. In dieser Hinsicht steht der Genius Loci auch für unser gutes Gewissen, unseren Sinn für die Harmonie mit der Schöpfung und die Entdeckung der Heiligkeit der Orte.

Als ich größer wurde, erlangte ich in der Schule Wissen über die Punischen Kriege und die Schlacht von Metaurus, einem antiken Feldgefecht zwischen Römern und Karthagern, das 207 v. Chr. an diesem Ort stattfand [Abb. 3]. Ich war ein kleiner Junge und die Geschichte erweckte in mir neue Wissbegier, doch auch eine neuartige Beunruhigung bezüglich des Flusses, aber es hinderte mich nicht, ihn weiterhin zusammen mit meinem kleinen Bruder und meinen Freunden aufzusuchen.

In der Zwischenzeit nahm die Verschmutzung des Flusses stetig zu und der Wald zerfiel, bis schließlich ein Badeverbot erlassen wurde und eine benachbarte Ölmühle eine Straße baute, die große Teile der Vegetation zerstörte.

Machen wir einen weiteren Zeitsprung. Ich bin 30 Jahre alt, wohne in Fano und gestalte Comics. Aber es kommt häufig vor, dass ich an meine Kindheit denke, an das Kiesbett des Flusses und an die Elefanten, die es zertrampelten. Ich vertiefe mich in die Geschichten über den eindringenden karthagischen Feldherrn Hasdrubal Barkas, Bruder des berühmten Hannibal. Ich lese einige Bücher, in denen über die Schlacht, deren Stätte nicht genau lokalisiert ist, gesprochen wird. Die antiken Schlachten haben keine signifikanten Zeichen hinterlassen und die Gestalt der Orte hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Indes hatten sich die Historiker der Zeit der Beschreibung des Gefechtsortes angenähert, jedoch blieb die exakte Verortung der Schlacht ein seit Jahrhunderten von Historikern und Archäologen untersuchtes Mysterium.


3 | Michele Petrucci, Metauro, Rückseite.


4 | Michele Petrucci, Metauro, S. 103.

An diesem Punkt entdecke ich eine eigenartige Verbindung. Ich lese, dass unter den verschiedenen Theorien, den verschiedenen Hypothesen, die vom rechten Ufer zum linken wechseln, von der Mündung bis fast ins hohe Tal des historischen Flusses, eine der plausibelsten Theorien jene bezüglich der doppelten Flussbiegung ist, gerade dem Ort benachbart, wo ich damals spielte und schwamm. Ich lese von der Aufstellung der Elefanten (ca. zehn) und des Heeres, dem Wüten der Schlacht an den Flussufern und erinnere mich an Schilf, an Kaulquappen und an Frösche, an steinerne Deiche, die ich an Sommernachmittagen baute [Abb. 4]. Ich leugne nicht, dass diese Faszination der endgültige Antrieb gewesen ist, der mich dazu brachte, Metauro zu schreiben und zu zeichnen.

Während der Ausarbeitung des Sujets dachte ich jedoch ständig an meine Kindheit zurück und an die Schutzgeister des Flusses und des Waldes. Es schien mir, dass jene persönlichen Erinnerungen, jene von Insekten, Fröschen und Vögeln, von Pappeln und Brombeeren so lebendig gemachte, aber zugleich uns Menschen, unseren Sorgen und Hoffnungen so entfernte und verschiedene Natur, den Comic abrundeten. Dem Fluss und seinen Gewässern gegenüber empfand ich Bewunderung, aber gleichzeitig auch Angst. Ich hörte die Geschichten des Sterbens, die mir die Erwachsenen erzählten, des Ertrinkens der in die Strudel geratenen Menschen, der Selbstmorde. Ich sah den Fluss, braun und wütend, anschwellen und in regenreichen Wintern über die Ufer treten.

Ich erinnerte mich an die Nymphen. Die Menschen der Antike hielten sie für gefährlich, da sie dachten, dass derjenige, dessen sie gewahr würden, Opfer eines nympholeptischen Enthusiasmus und Deliriums würde. Daher empfahl es sich nicht, sich zur Mittagsstunde den Quellen, Brunnen, Wasserläufen oder Schatten bestimmter Bäume zu nähern. In diesem Glauben bleibt ein ambivalentes Gefühl von Anziehung und Angst in Richtung der Gewässer bestehen, die zugleich Leben vernichten wie auch tragen.

Ich wusste nicht, wie die beiden Ebenen, die Begebenheiten meiner Kindheit und meine persönlichen Gefühle zusammen mit jenen mehr als 2000 Jahre zurückliegenden Ereignissen, in diese Erzählung integriert werden könnten. An diesem toten Punkt kam glücklicherweise ein Freund auf die Idee, einen Erzähler der Ereignisse in der Vergangenheit zu entwickeln, der diese beiden zeitlichen Ebenen zusammenführt. Ein Greis auf dem Grat zwischen Realität und Traum erzählt Michele, meinem erstaunten Alter Ego, er sei der Lehrer Hasdrubals, habe jene berühmte Schlacht überlebt und sei seitdem auf der Flucht vor den Römern. Dieser Alte wird zum weisen (oder verrückten) Silenius, der, scheinbar durch Zufall, Michele an vielen unterschiedlichen Orten der Stadt erscheint. Dieser Notbehelf erlaubte mir, die Geschichte aus einer sehr persönlichen und weniger unbeteiligten, in mancher Hinsicht sogar sehr intimen Perspektive zu erzählen, und Metauro wurde eine sonderbare Erzählung. Ein Comic zwischen Autobiographie, historischem und fantastischem Roman.

Caesar, Attila und Co.

Подняться наверх