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Einleitende Gedanken

Es steht heute außer Frage, dass sich Schule und Unterricht nur dann weiterentwickeln können, wenn auch Lehrer/innen (und nicht nur externe Wissenschaftler/innen) systematisch die Qualität des Lehrens und Lernens an ihrer Schule und die Bedingungen, unter denen Lehrende und Lernende arbeiten, immer wieder einer eingehenden Reflexion unterziehen und permanent zu verbessern versuchen. Dazu gehört es, sowohl Probleme des Alltags (der Praxis) aufzuzeigen, zu analysieren und zu bewältigen, als auch innovative Akzente zu setzen.

„Forschung bildet, indem sie begründet zu zweifeln lehrt.“ Mit dieser These leitet Hubert Markl (2009, S. 154) seinen Beitrag in einem Sammelband ein, der sich im Allgemeinen mit der Frage „Was ist Bildung?“ und im Speziellen mit dem Verhältnis zwischen Bildung und Forschung beschäftigt. Folgt man dem Autor, dann muss jede/r, die/der forschen will, zunächst einmal befähigt werden, (tradierte) Theorien und Erkenntnisse anzuzweifeln. Wer sich in die Welt der Forschung begibt, muss zunächst lernen, Fragen zu stellen. Oder, um es in den Worten von Lotte Ingrisch (1986, S. 10) zu sagen: „Antworten schließen die Welt, Fragen öffnen sie. Nicht von Antwort zu Antwort wachsen wir, sondern von Frage zu Frage.“

Das Positive an Forschung ist, dass sie Mutmaßungen und Behauptungen in Frage stellt, indem sie fundierte Belege verlangt (Erkenntnisse müssen evidenzbasiert sein). Aber auch bei Forschungsbefunden ist ein kritisch-wacher Blick notwendig. Theorien und Erkenntnisse können zu einem gewissen Teil nämlich eminenzbasiert sein, d. h. der/die Forscher/in bekräftigt dank ihrer/seiner Autorität eine an sich fragwürdige Erkenntnis oder setzt eine wenig datenbasierte Lehrmeinung durch.

Die Probleme der heutigen Zeit sind viel zu komplex und vielschichtig, als dass es die „einfache“ Lösung gäbe. Diese wird allzu oft von modernen „Rattenfängern“ propagiert, ist öfters falsch oder nur in Teilaspekten richtig, in manchen Fällen sogar gefährlich. Gerade Sätze wie „Das ist richtig, das haben wir schon immer so gemacht“ sind in einer Zeit des Wandels mit Vorsicht zu genießen. Sehr oft verbergen sich dahinter Angst vor Veränderung, aber auch Bequemlichkeit oder Unsicherheit. „Forschung bildet am nachhaltigsten, indem sie anstelle von Vorurteilen und bloßen Mutmaßungen nachweisliche Belege verlangt, Befunde aus Experimenten genauso wie logische Schlussfolgerungen daraus. Dadurch lehrt sie, unbegründeter Wissensanmaßung mit guten Gründen zu widersprechen“ (Markl, 2009, S. 162).

Wilhelm von Humboldt weist zu Beginn des 19. Jahrhunderts darauf hin, dass Forschung auch bildet. Für angehende Lehrer/innen ist es wichtig, Forschungserfahrung zu sammeln, damit sie zum einen lernen, „Tatsachen“ – dazu zählen auch Forschungsbefunde, die also solche dargestellt werden – nicht als gegeben anzunehmen, sondern kritisch zu reflektieren und abzuwägen, und zum anderen im Beruf methodisch an Schul- und Unterrichtsentwicklung heranzugehen.

Aus-, Fort- und Weiterbildungsziel von (angehenden) Lehrpersonen muss es sein, eine Haltung Grund zu legen, die sie dazu befähigt und motiviert, aktuelle Forschungserkenntnisse in den Unterricht mit einzubeziehen bzw. sich selbst als forschende Lehrende und Lernende zu verstehen. Letzteres ist vor allem dann entscheidend, wenn Qualitätssicherung und -entwicklung am Schulstandort nicht nur Schlagworte bleiben sollen. Jede Lehrperson soll befähigt werden, im eigenen Unterricht sowie gemeinsam mit Kolleginnen/Kollegen an der Schule Erhebungen nach grundlegenden Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens durchzuführen (z. B. systematisches Einholen von Schüler/innen/feedback, vergleichende Leistungsmessungen von Schülerinnen/Schülern eines Jahrgangs etc.).

Dieses Buch soll neben dem erfolgreichen Hinführen zur Abschluss-/Qualifizierungsarbeit dazu beitragen, (zukünftige) Lehrer/innen mit einem grundlegenden Methoden-Repertoire auszustatten, damit sie selbst untersuchend und gestaltend dort ansetzen können, wo sie in ihrer Profession etwas verbessern möchten: im Unterricht, in der Beziehung zu den Schülerinnen/Schülern, Kolleginnen/Kollegen, Eltern, schulexternen Anspruchsberechtigtengruppen etc.

Dies schließt mit ein, angehende und im Beruf stehende Lehrer/innen zu ermutigen, ihre eigenen Sichtweisen und Entscheidungen einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Es ist ein Zeichen professionell handelnder Lehrpersonen, eigenes Handeln zu reflektieren und weiterzuentwickeln. „Dieses Konzept von Professionalität im Lehrberuf erfordert eine neue Balance von Aktion und Reflexion und von individueller Autonomie und kollegialer und schüler/innenbezogener Zusammenarbeit“ (Posch, 2001, S. 29). Das oft zitierte „ICH und MEINE Klasse“ umschreibt diese alte Sichtweise von Schule und Unterricht. Innovative Schulen fühlen sich verpflichtet, eine zeitgemäße Kultur des Lernens und Lehrens zu etablieren. Sie agieren dynamisch und nicht träge, treiben den Wandel voran ohne auf Bewährtes zu verzichten und leben den Leitsatz „WIR und UNSERE Schule“. Für Hentig (2003, S. 244) muss die Veränderung von der Basis, also von den Schulen ausgehen, „sonst verfehlt sie ihren Anlass und Zweck. Die Schulen müssen die Veränderung wollen, und sie müssen sie sich zutrauen.“

Reformbedarf besteht nicht erst seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studien (z. B. Haider & Reiter, 2004). Für Luhmann (1996, S. 22) liefern vor allem die Paradoxien im Erziehungssystem „einen Daueranlass für Kritik und Reform, also für die Selbstbeschäftigung des pädagogischen Establishments.“ Unser Bildungssystem muss sich regelmäßig mit Reformen auf allen Systemebenen und in verschiedenen pädagogischen Feldern auseinandersetzen: Schulverwaltung, Schulaufsicht, Lehrer/innenbildung, binnendifferenzierter Unterricht, Teamteaching, Frühförderung, Begabtenförderung, Sprachdefizite, Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Leistungsbeurteilung, Tagesbetreuung etc. sind nur einige Schlagworte, die Bereiche aufzeigen, in denen Änderungs-/Entwicklungsbedarf besteht.

Die vom kanadischen Erziehungswissenschafter Michael Fullan getätigte Aussage „Schools change slower than churches“ (Fullan, 2001, S. 14) spielt auf die Resistenz des Bildungssystems gegenüber Veränderungen an. Das System Schule agiert traditionellerweise in einem geschützten Raum, weshalb es nur träge auf Herausforderungen und Bildungsansprüche der Systeme seiner Umwelt reagiert (Luhmann, 1996, S. 14). Es scheint, dass ein Wandel des Bildungssystems immer nur dann stattfindet, wenn die investierte „Energie in die Verhinderung“ nicht mehr ausreicht oder der Anpassungsdruck, der von den Umweltsystemen ausgeht, und „damit der Preis, der am Ende bezahlt werden muss“ (Doppler & Lauterburg, 2019, S. 75), zu groß wird.

Vor diesem Hintergrund geht es nicht mehr um die Frage,

„ob die Bildungsinstitutionen die Aufgaben und die Ziele, die ihnen gestellt sind, erreichen, sondern in einem grundsätzlicheren Sinne darum, … dass im gesamten Feld von Sozialisation und Erziehung, Bildung und Ausbildung die herkömmlichen inhaltlichen, personellen und institutionellen Formen den Entwicklungstendenzen moderner Gesellschaften womöglich nicht mehr entsprechen.“ (Mayr & Terhart, 2003, S. 4–5)

Hartmut von Hentig (2003, S. 178) stellt daher auch die Forderung, dass die Schule neu gedacht werden müsste: „Die Aufforderung ‚Die Schule neu denken‘ ist zwar nicht als Absage an ‚Die Schule neu machen‘ gedacht, aber sie enthält den entschiedenen Zweifel, man könne sie ernstlich neu machen, wenn man sie vorher nicht ernstlich neu gedacht habe“. „Die Schule neu denken“ geht über die Anpassung an neue Verhältnisse hinaus, es wird der Sinn von Schule überdacht und ihre zugrunde liegenden Ideen werden zu einer neuen Denkfigur zusammengefügt.

Schulen haben unserer Ansicht nach zwei Optionen: Entweder sie lassen sich bei ihrer Weiterentwicklung von den Bildungsreformen treiben oder sie lassen sich im Rahmen der bestehenden gesetzlichen und strukturellen Möglichkeiten von ihrer eigenen Reformagenda leiten. Im Zentrum standortbezogener Schulentwicklung soll die Unterrichtsqualität stehen, denn „der Bildungseffekt von Schule beruht wesentlich auf dem Gelingen von Lehren und Lernen, den Hauptaufgaben von Lehrern/innen bzw. Schülern/innen“ (Schratz et al., 2000, S. 36). Zukünftige Lehrpersonen können mit ihrer Forschungskompetenz, vor allem aber mit ihrer Aufgeschlossenheit wesentlich dazu beitragen, Bestehendes kritisch zu reflektieren, Strukturen aufzubrechen, Neues zu wagen und sich und anderen etwas zuzutrauen, und damit den Prozess von Schulentwicklung voranzubringen.

Leitfaden zur Bachelor- und Masterarbeit

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