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Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann

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Das

unglaublich

unglaubwürdige

Leben des Hannemann




Hans-Dieter Heun











Das

unglaublich

unglaubwürdige

Leben

des

Hannemann

zwischen

Töpfen

Flaschen

und

Frauen


















Alle Rechte

Hans-Dieter Heun

Egglham, Niederbayern

heun-holzbauer@t-online.de


Cover: Michael Weiler / Muhhh-Tv

michael@muhhh.com


Layout: René Kanzler

www.rene-kanzler.com








„Nimm dich in Acht vor ihren roten Haaren, vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt. Wenn sie damit den armen Mann erlangt, so lässt sie ihn sobald nicht wieder fahren.“


Alle Frauen sind Lilith, Lilith ist in jeder Frau. Und der Rausch – Satans Morgengabe bei der Erschaffung der Welt – treibt den willenlosen Mann in ihre Arme.












Der Koch kam aus seiner Küche. Er hatte Zucchini-Blüten mit Schafskäse gefüllt, danach zweihundertvierundsechzig Knoblauchzehen geschält und jeweils dreiunddreißig Kloben – heilige Zahl – der saftstrotzenden Stinkerzwiebeln in acht, ehemals auf grüner Wiese Krabbelkäfer und Ringelwürmer pickende glückliche Hühner gefüllt. Anschließend die Flattertiere auf Drehspieße gesteckt und für die Männergesellschaft über offenem Feuer gebraten. Er hatte weiterhin saftig gebratene Filets vom Drachenfisch in frisch gehackten Kräutern gewälzt und auf eine Thymian-Tomaten-Butter gesetzt. Er hatte zwei köstliche Marillen-Mohn-Strudel gebacken, Stücke davon an ein Kompott aus in Wodka geschmorten Klaräpfeln gelegt und dazu ein selbst gerührtes Bourbon-Vanilleeis gereicht. Danach war seine Männerklientel zu Mokka nebst ein paar Gläschen sündig-exklusiven Irgendetwas übergegangen, und er hatte die Zeit bis zum allgemeinen angeheiterten Aufbruch genutzt, um für den kommenden Tag sieben Wildenten zu rupfen und auszunehmen. Sogleich hatte seine Küche ein dermaßen übler Gestank nach vergärendem Vogelfutter erfüllt, nach übelster Wildentenscheiße, dass er den Schalter der Abluft auf die höchste Stufe stellen musste und selbst zwei Fernet Branca brauchte, um sein Kotzen zu verhindern.

Endlich waren die Arschgeigen verschwunden, seine verehrten, ihm blind in seiner Küchenphilosophie folgenden männlichen Gäste. Er kochte nur für Männer, die Herren der Schöpfung. Der Koch hielt sich an das selbstgesetzte eiserne Gesetz: Sein weithin berühmter Fresstempel blieb für Weiber, ja selbst für die selten gewordenen Damen verschlossen. – Weiber verstehen nichts vom Essen und schon gar nichts vom Kochen. Sie schaufeln überirdische Kochkunstwerke allein als unbedingt notwendige Nahrung in sich hinein, haben noch dazu unsinnige Änderungswünsche. Weiber vermögen nicht sinnlich zu speisen, sie täuschen allenfalls den Lippenorgasmus vor. Möglicherweise bekommen sie ihren Höhepunkt bei Torten, den aufgemotzten Sahnefettmachern. Männer sind da anders, verstehen, verfolgen seine Kunst, sind selbst kreativ am Herd. Männer sind eben Männer.

Feierabend, alle Gäste, leicht benebelt, verschwunden. Alle bis auf einen, Schmiernippel auf seinem Stammplatz am Tresen mit Blick in die Küche hockend. Feuerwasserabend, das Saufen konnte beginnen. Der Koch nahm den Platz am Zapfhahn hinter der Bar ein, zwei bis drei Männerarmlängen von Schmiernippel entfernt. „Was trinken wir?“

„Wo bist du denn gerade?“, Schmiernippel, feinsinniger Saufkumpan und hoch vergeistigter Narr, saß vor einem halb getrunkenen Pils.

„Wildenten, ich bin bei Fernet und Bier.“

„Dann bleiben wir auch vorerst dabei.“ Schmiernippel trug mit Stolz diesen Ehrennamen, weil er jeden Abend, an dem der Koch den Laden öffnete, seinen Gaumen, Rachenraumnippel, hinreichend mit geeigneten Getränken schmierte. Der Koch zapfte zwei frische Pils, schenkte zwei Fernet ein – Magen- und Seelenputzer eines scharfäugigen Adlers –, ließ ein Pärchen mit gekonntem Schwung über die Theke bis zu seinem Jünger rutschen, hob sein Schnapsglas der Decke entgegen und sprach die weihevollen Worte: „Mögen die Göttinnen uns für würdig befinden.“ Und Schmiernippel mit nämlichen Anstand: „Mögen sie uns für diese Nacht gewogen sein.“ Sie schluckten gleichzeitig die schwarzbraune Medizin und kühlten die geforderten Gaumen mit blondem Pils.

„Los, an die Arbeit.“ Die Kumpane rückten schwere Tische an die polierten Holzwände, zogen die Leinenwäsche ab – benutzte befleckte, lose geknuddelt, in den Schmutzwäschekorb, nicht gebrauchte blütenreine Tischdecken, sorgsam gefaltet und gestapelt, für den nächsten Abend auf den Serviertisch. Sie ketteten Hängelampen aus Porzellan fünf Kettenglieder höher und stellten die Stühle auf die Tische, schufen derart Platz zum Tanzen, Träumen und möglicherweise auch wieder einmal zum Schweben. „Wer war es denn das letzte Mal?“

„Astarte, die nackte Fruchtbarkeitsgöttin.“ Schmiernippel wischte mit dem Handrücken Bierschaum von seinem buschigen Oberlippenbart. „Astarte erschien als junge Ziege und knabberte urplötzlich erblühende Rosenknospen von deinen Holzwänden. Da hinten in der Nische sind noch die Spuren ihrer kleinen Hufe.“ Der Nippel machte einen Ausfallschritt und deklamierte trunken: „Oh meine Göttin, wildes Zicklein von ungezügelter Leidenschaft. Du kamst in unsere Unterwelt, um mich als deinen Geliebten zu suchen. Du schürtest alsbald mein Verlangen und brachtest mich zum Schweben.“

„Schmiernippel, du spinnst.“ Der Koch war noch relativ nüchtern. „Welche Musik?“

„Es war aber so“, der Schmierer im Trotz, „und selbstverständlich die Möwe. Lass Neil Diamond singen, klingen und schwingen. Er wird uns gleich dem Himmel näher bringen.“

„Selbstredend, die Möwe, was auch sonst?“ Der Koch legte den „Jonathan Livingstone Seagull“ auf, servierte dazu die ihnen angenehme Droge, hochgeistige Birne, die er mit wilder Vanille und erotisierendem Safran verfeinert hatte. Sie setzten sich wieder auf ihre angestammten Plätze und warteten auf den Beginn des Präludiums der Pauken, Bläser und Geigen. Sie mussten nicht lange warten: Der erste dunkle Gitarrenakkord, die Pauken dröhnten mit Macht und das Thema „Diiii, da da dii da da di da da da“ füllte den Raum. Sie kannten es auswendig, harrten nun auf den Einsatz von Neils Stimme. Schmiernippel wagte den Frevel, die heilige Musik zu unterbrechen: „Erzähl mir etwas, bis Neilie singt.“

„Was soll ich dir denn noch groß erzählen? Du weißt doch sowieso schon alles über mich.“ Er, der Koch war, diese Nacht nicht so gut drauf.

„Warum keine Weiber?“

Das war eine bittere Frage, nicht gut für die Euphorie, einen Zustand gehobenen Wohlbefindens nach ausgiebigem Genuss von Rauschmitteln wie verfeinerten Birnenbrand, den beide zum Schweben brauchten. Der Koch überlegte: Er wurde nicht jünger, und Schmiernippel war nun mal sein Gewissen. Vor seinem Gewissen wollte er jedoch keine Lügen mehr ausbreiten, also raus mit der Wahrheit. Oder mit einer Meinung, die er momentan für eine Wahrheit hielt: „Der ganze Quatsch am Ofen hat mit meinem eigentlichen Leben nichts mehr zu schaffen. Da ist etwas anderes, ich kann die Weiber nicht mehr sehen.“ Er schluckte weiche Birne. „Und warum? Es tut mir schlichtweg weh, für Weiber zu kochen, weil, ja weil ich sie nicht mehr haben kann.“ Traurig schluckende Pause. „Ich bin zu alt, ein uralter Trottel, der immer noch in seiner Küche steht und kocht. Sie dagegen wachsen jeden Tag nach, werden immer schöner, aufreizender, begehrenswerter, aber ich komme nicht mehr an sie ran.“ Der Koch schrie fast in der Notenfolge des Begleitorchesters: „Da da da, da dii da da, mein Zug ist abgefahren! Ich bin ein Relikt, ein Überbleibsel wie eine vollgestopfte Abfalltüte neben den Bahngleisen zu neuen verlockenden Zielen, die ich nicht mehr begreifen, betatschen und spüren darf. Darum, einzig und allein deswegen will ich sie, die jungen Weiber, auch nicht mehr in meinem antiquierten Reich sehen, in dem sich nur noch Männer meiner erinnern. Kannst du das nicht verstehen?“

Schmiernippel interessierte Klage des Kochs nicht im Mindesten, vielmehr hob er gebieterisch die Hand. „Ruhe jetzt, Neilie singt!“ Die samten-dunkle, geile, streichelnde, schmeichelnde Stimme des Möwen-Barden löste sich aus der elektronischen Gefangenschaft einer silbernen Scheibe, und der Nippel sang mit. Seine Arme formten Wellen. Wie ein Hund, ein Schnauzer, hob er das birnenfeuchte Maul zu Decke, heulte Neils Text auf Deutsch: „Verloren, völlig verloren an einem gemalten Himmel, an dem für des Dichters Auge Wolken hängen, könntest du sie finden. Wenn du sie zu finden vermagst. Wir tänzeln, tanzen zu einer flüsternden Stimme, von deiner Seele überhört, von deinem Herzen unterdrückt, die du kennen könntest. Wenn du sie zu finden vermagst. Dort, an einem weit entfernten Strand, durch ein offenes Tor von den Flügeln deiner Träume getragen, könntest du sie finden. Wenn du sie zu finden vermagst.“ Schmiernippel holte tief Luft. „Sein, nur sein wie eine leere Seite, die sich sehnt nach dem Wort, das ein ewiges Thema anspricht und …“

„Schmiernippel, ich finde, das reicht jetzt! Ich erkläre dir groß und breit meine Nöte, und du singst diesen Schwachsinn mit.“

„Es ist die Stimme des Meisters“, sein Alter Ego hauchte vor Ehrfurcht, während Geigen sanft in der Brandung verklangen. „Er lockt die Göttinnen, hörst du das nicht? Was kümmern mich da deine Weibergeschichten?“ Sein geistiger Zwilling leckte sich den Hundeschnauzbart. „Kann ich noch eine weiche Birne haben?“

„Du hast jetzt schon eine weiche Birne. Aber meinetwegen, da bitte.“ Der Koch war irgendwie sauer. „Kapierst du das denn nicht? Mein ganzes Leben lang war ich auf der Suche nach der einen Frau, immer nur nach einer einzigen, und die vielleicht rothaarig mit grünen Augen und Sommersprossen auf weißer Haut.“ Er stutzte. „Na ja, meinetwegen hätte es durchaus auch eine zärtliche Brünette oder eine verständnisvolle Schwarze werden können, Hauptsache nicht blond. Aber wie soll ich denn die Einzigartige finden, ohne zuvor alle anderen ausprobiert zu haben? Verstehe doch, mein Nippel, ich bin traurig, habe Angst, dass ich die Richtige nicht mehr spüren werde, eine Unberührte einfach übersehen könnte.“ Geschluckte betrübte Einsicht. „Ich bin aus dem Rennen, das sitzt tief in mir drin. Ich bin schlichtweg zu alt, und deshalb, genau deswegen will ich keine Weiber mehr in meiner Kneipe sehen.“

„Ach darum die Göttinnen als Ersatz? In Ordnung, ist ja schon gut, ich wollte doch nur, dass du mir etwas erzählst, aber nicht gleich die dunklen Abgründe deiner Seele öffnest.“ Schmiernippel besaß keine Lebensängste, war keineswegs traurig. Er stand vielmehr auf, tanzte ein paar gezierte Schritte zur Probe und lauschte dem erwarteten Zwischenspiel. „Hörst du, wie die Zeit vergeht? Tamm tamm tamm tamm tamm tamm tamm, ein paar Perlen Klavier, dann die Bläser, die Geigen und das war es schon, das Leben, aus und vorbei. Aber gleich wird der Meister von seinen, von unseren Träumen singen: We dream! Oh große Erdmutter, we dream! Kannst du mich da nicht mit deinen idiotischen Weibergeschichten verschonen?“ Er brüllte: „Wir träumen! Eine Göttin, meine Göttin wird mir erscheinen!“

„Nippel, du bist ein ganz schönes Arschloch. Komm, wir trinken noch eine Birne.“ Er, der Koch, fühlte sich für eine Göttin noch zu nüchtern. Also tranken sie, Neil sang „Lonely sky, lonely looking sky“, und Schmiernippel tanzte den Flug der Möwe zu den Sternen – allerdings nicht das ruhige, dennoch kraftvolle Schweben ausgebreiteter starker Schwingen, welche die Macht des Windes und der Wolken nützen, sondern mehr den unkontrollierten Taumel eines von Tollwut behafteten, besoffenen Vogels mit Birnenschaum vor seinem Schnabel. „Glory looking day, gleich kommt seine Hymne, seine Anbetung. Er fleht die Göttinnen herbei!“ Er, ein echter Schmiernippel, taumelte, fasste ihn, den Koch, an seiner weißen Jacke – zwei schwarze Kugelköpfe kullerten zu Boden -, schmierte ab, fand sich auf Knien wieder, formte beide Hände zu einem Kelch und sprach mit Neil das Gebet: „Sanctus … Kyrie … erbarme dich … Sanctus, Kyrie, Gloria, du Ruhmreiche, wer auch immer du bist … Kyrie Glorreiche, heilig, heilig, Gloria.“

Das Cembalo setzte ein Zeichen: Die Zimmerdecke sprang auf, und der Klang einer schluchzenden Violine – Stimmen unsichtbarer Engel jubilierten das „Holy holly“ – befahl dem alten Holz, sich in lichte Kronen lebendig junger Birken zu wandeln, durch deren hellgrüne Blätter ein aus dem Jenseits strahlendes Licht goldene Sonnenflecken auf ein Moos der Heiterkeit warf. Es herrschte Brunft. Zarte Elfen mit nackten mädchenhaften Brüsten streuten bunte Blütenblätter. Bockige Kobolde bolzten mit ihren Bollen. Weiße Hirsche schleckten sich verzückt den Hintern und rosa Drachen schnoben psychedelischen Weihrauch mit einem Hauch von Birne. Und siehe, die Göttin, ewige Jungfrau, erschien im Strahlenkranz ihrer blühenden Jugend. „Hallo Schmiernippel, und ich grüße auch dich, Koch, also was liegt an Jungs? Übrigens, ihr könntet mich ebenfalls mit einer weichen Birne ehren.“

Sie war rot, eindeutig rot, und der Koch fühlte die ganze Wehmut seiner unerfüllten Wünsche. Er bettelte: „Göttin, zeig mir die Meine! Nein, zeig mir lieber das Deine! Nur ein einziges Mal und erlöse mich dann von allen bösen Weibern dieser Welt. Bitte, ich flehe Dich an, zeig mir dein Geschlecht, wie Du es früher den Göttern gezeigt hast und schenke mir dann meinen Frieden.“

Schmiernippel war ganz anderer, war rasender Meinung. Er riss einen Birkenzweig von einem der lichten Bäume, peitschte damit den Koch und brüllte aus Leibeskräften: „Ich hingegen, Göttin, lebe! Bring mich zum Schweben, ich liebe das Leben, ich liebe die Reben, ich will …“

Das Chaos brach los. Er, der Koch, stürzte in das heitere Moos herrschender Brunft, er, der schmierige Nippel, peitschend hinterher. Schmiernippel strampelte wild mit den Beinen, kam endlich auf ihm, Gott in Weiß, zu liegen, schlug ihn weiter mit dem Birkengrün. Die Göttin, nach vielen Jahrtausenden sich des Makels ihrer Jungfernschaft wohlbewusst, fuhr dazwischen, grapschte nach dem Hosenstall des Kochs, wollte endlich diesen fehlerhaften Zustand beenden, wollte rote Mutter werden. Und Neil, der Barde, hauchte dazu sein “Look at the way I glide, caugt on the wind`s lazy tide, sweetly how it sings.”

Ein später Spaziergänger, seine rotfellige Dogge namens Lilith an der Leine, trat zu einem Bekannten, der seit geraumer Zeit durch die Frontscheiben das Geschehen in dem berühmten Restaurant beobachtete. „Und, was macht er diese Nacht?“

„Wie immer das gleiche alte Lied, Neil Diamond und diese Möwe Jonathan. Der Koch kommt aus seiner Küche, hört sich diese Hippie-Musik an und säuft sich dabei langsam zu Tode.“

„Ja, es ist sein Kreuz.“

„Er redet mit sich selbst, tanzt dann wild herum, reißt sich die Kleider vom Leib und irgendwann kracht er dann vollbesoffen zu Boden und schläft seinen Rausch aus.“

„Dem fehlt eine Frau. Ich sage dir, der braucht ganz dringend eine Frau.“ Die beiden Nachtwandler starrten sich an, erkannten die Wahrheit, der Schnauzer knurrte, und der Hundegassigeher seufzte resigniert: „Na ja, wer in unserem Alter braucht schon noch eine Frau.“

„Was?“

„Ich meine körperlich und so.“

„Ach so, körperlich. So meinst du das also. Tja, wirst schon recht damit haben. Vorbei, wohl endgültig vorbei. Der Koch schläft allerdings ziemlich unruhig, wovon er wohl träumt?“

„Ich glaube, er träumt sein Leben.“


Das unglaublich unglaubwürdige Leben des Hannemann

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