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Clemens Schröder

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Das Ende des Weltkrieges im Frühjahr 1945

Zerstörung Dorstens durch 3 schwere Angriffe- Besetzung Dorstens durch die Amerikaner (Tagebuchaufzeichnungen, Mai 1945)

Im Jahre 1945 standen wir bereits im sechsten Kriegsjahre. Schon im Anfang dieses Jahres nahm für uns das Kriegsgeschehen einen ungünstigen Verlauf; als es unseren Feinden gelang, an der französischen Küste Truppen zu landen. Es hat nicht lange gedauert, dass es dort gelang, festen Fuß zu fassen und in verhältnismäßig kurzer Zeit weiter in Frankreich vorzudringen und auch nach Holland und in Deutschland vorzustoßen. Während nun der Russe zu gleicher Zeit unsere östlichen Provinzen erobern konnte, machten die Amerikaner und Engländer bald auch im Westen so gewaltige Fortschritte, dass sie schon nach einigen Monaten ohne großen Widerstand das Gebiet des Niederrheins besetzen konnten. Als der Feind im Monat März die Orte Kleve, Emmerich, Xanten und Geldern und zuletzt auch Wesel besetzt hatte, war er in unmittelbare Nähe gekommen, die genannten Städte waren von den Feinden schon vor ihrer Besetzung durch gewaltige Luftangriffe fast vollständig vernichtet worden.

Diese Tatsache erfüllte auch die Bewohner von Dorsten und Umgebung mit Furcht und Sorge. Die Luftangriffe nahmen für uns im Monat März mit jedem Tage an Zahl und Heftigkeit zu. Tiefflieger bombardierten und beschossen zu jeder Tageszeit unsere Eisenbahnzüge wie auch andere Ziele. Aus diesen Gründen verließen vorsichtige Leute von Dorsten die Stadt, wenigstens bei Tage. Manche Leute fuhren auch zu Bekannten oder Verwandten in Westfalen und Rheinland oder nach Lippe-Detmold.

Wir waren der Meinung, dass es für uns nicht gut sein würde, unser Haus zu verlassen. Wir hatten schon seit einigen Wochen mit allen Mann im Keller geschlafen. Auch haben wir unsere Rucksäcke bereitgelegt, falls uns keine Kellerwohnung mehr zur Verfügung stünde und wir somit zur Flucht gezwungen würden. Am 9. März fand ein Luftangriff auf Dorsten statt, der schweren Schaden in der Stadt anrichtete. In erster Linie wurden hierdurch das Franziskanerkloster nebst Kirche und die Zeche Fürst Leopold in Hergest.-Dorsten getroffen. Leider mussten hierdurch viele Menschen wie auch Fürst Leopold ihr Leben lassen. Besonders beklagen wir den Tod von Herrn Wilhelm Hoffrogge am Eingang des Franziskanerklosters, von Herrn Pater Reinhold und Herrn Busjan (im Dienste auf Fürst Leopold). Das Franziskanerkloster wurde durch diesen Angriff noch schwerer als bei dem bereits vor einem halben Jahr auf das Kloster erfolgen Angriff getroffen, daher konnte die Franziskanerkirche vorläufig nicht benutzt werden. Am 12.3., montags, folgten wiederum zwei schwere Angriffe, in denen Bombenteppiche auf Dorsten abgeworfen wurden. Durch den ersten an diesem Tage gegen 12 Uhr erfolgten Luftangriff wurde besonders die Feldhauserstraße schwer getroffen. Sehr viele Häuser wurden durch diese Angriffe vernichtet, darunter auch die Schule, die durch drei Treffer schwere Schäden erlitt. Am Nachmittag dieses Tages fand gegen 17 Uhr ein zweiter Angriff statt, durch den besonders viele Häuser an der Grenzstraße furchtbar zerstört wurden. Leider ist bei diesem Luftangriff der liebe Herr Duwenbeck, mit dem ich morgens noch in dem Pastorat Geld gezählt hatte, zu Tode gekommen. Er war bei Beginn der Bombenwürfe mit seinem Schwiegersohn aus dem Hause gelaufen, wo er mit diesem umgekommen ist, während seine Tochter und Schwieger-tochter im Keller am Leben geblieben sind.

Die Luftangriffe haben natürlich allgemein und besonders auch auf der Körnerstraße ihre Wirkung nicht verfehlt. Wir waren bei allen Angriffen in unserem Keller, der noch in letzter Zeit durch sechs neue Stützen von Nachbarschulte in Ordnung gebracht worden war. Unser Dach hatte großen Schaden erlitten, auch sind sehr viele Fensterscheiben zertrümmert. Leider ist auch unsere Bleivergasung zum größten Teil ein Opfer des Angriffs geworden. Viele Türschlösser funktionieren seit dieser Zeit nicht mehr. Außerdem haben die Decken unseres Schlafzimmers und des Bades sehr gelitten. Die bis dahin durch die geschilderten Angriffe auf Dorsten entstandenen Schäden und Zerstörungen waren schlimm, aber immerhin noch ein Kinderspiel im Vergleich zu dem schweren Luftangriff, der am 22.3. gegen 15 Uhr auf Dorsten stattgefunden hat.

Mich ergreift Grauen und Entsetzen, wenn ich nach Kriegsende Näheres hierüber berichte.

Noch gerade rechtzeitig hatten wir unseren Luftschutzraum erreicht, als ein furchtbarer Luftangriff auf Dorsten erfolgte, in dem Bombenteppich auf Bombenteppich auf die Stadt abgeworfen wurden. In diesen nun folgenden 17 Minuten hat man dann die ganze Altstadt Dorstens mit seinen Kirchen und Klöstern zerstört. Auch hat man es nicht unterlassen, Brandbomben und Phosphor auf die Stadt zu werfen. Wir trauten unseren Augen nicht, als die ganze Stadt brannte. Wir sahen nur Rauch und Trümmer. Die schöne alte Stadt Dorsten ein Trümmerhaufen, ein Flammenmeer. Von Turm und Kirche der ehrwürdigen Pfarrkirche sind nur noch Ruinen übrig geblieben. Auch sind das Ursulinenkloster wie auch die Kirche und das Kloster der Franziskaner vollständig ausgebrannt. Am schlimmsten sind die Essener- und die Lippe Straße betroffen worden. Die Häuser an den Gräben sind wie Kartenhäuser zusammengestürzt.

Nur noch einzelne Häuser der Altstadt werden in Zukunft wieder bewohnbar gemacht werden können. Die Zerstörung der Altstadt war derartig, dass selbst nach vielen Wochen nach dem Angriff kaum die Hauptstraße der Stadt wieder passiert werden konnte. Es hat Monate gedauert bis das Wegräumen des Schuttes in der Altstadt soweit unter Mithilfe der Anwohner erfolgt war, dass die Straßen der Stadt wieder passiert werden konnten. Wie viele Leute durch diesen Angriff obdachlos und arm geworden sind, kann ich nicht angeben. Das konnte bis heute noch nicht endgültig festgestellt werden. Auch haben Hoffrogge, Kuhlenbäumer und Allekotte ihr Haus verloren. Allekotte wohnt zurzeit bei Teupe, der froh war, dass er Hilfe bekommen hat, während seine Familie von Lembeck inzwischen nach Dorsten zurückgekehrt ist. Frau Hoffrogge und Frau Lettmathe wohnen beim Schwager Bauer Hoffrogge in Hervest-Dorsten. Kuhlbäumer sind bei ihren Verwandten in Lüdinghausen. Herr Storek ist am Herzschlag gestorben. August Kuhlenbäumer bewohnt jetzt deren Wohnung. Fräulein Lehrerin Witte und ihre Schwester sind beim vorletzten Luftangriff bei Schmied Albers ums Leben gekommen. Familie Meibaum ist bei diesem Angriff noch lebend aus dem Schutzbunker gekommen.

Sie sind, nachdem sie dann in der Feldmark bei Schlüter einen weiteren schweren Bombenangriff erlitten hatten, zu Ostern 1945 bei uns untergekommen. Die Küche ist in unserem Erkerkeller eingerichtet worden. Russen haben nach dem vorletzten Angriff unser Dach wieder repariert. Die entstandenen Dachschäden sind auch inzwischen fast ganz behoben, von den Scheiben konnten bislang erst nur ein Teil wieder eingesetzt werden. Dies ist aber bei der augenblicklich guten Luft und Wärme verhältnismäßig erträglich. Leider haben wir noch keinen Strom und kein Gas. Gott sei Dank aber haben wir seit gut 8 Tagen wieder Wasser. Das Wasser Schlange stehen vor der nächsten Pumpe war lästig und zeitraubend. Trotz der Zerstörung unserer Kirchen und Kloster ist es gelungen, für unsere kirchliche Betreuung gut zu sorgen.

Ich gehe in den nachfolgenden Zeilen auf die Besetzung Dorstens durch die Amerikaner ein. Während der letzten schweren Luftangriffe auf Dorsten am Donnerstag nach dem Passionssonntag hat die Besetzung von Dorsten an dem folgenden Donnerstag, dem 29.3. in der Karwoche, stattgefunden. Der Artilleriebeschuss aus Richtung Wesel hatte in diesen Wochen mit jedem Tag zugenommen. Wegen der damit verbundenen Gefahren haben wir es für besser gehalten, möglichst zu Hause zu bleiben. Wir sind nur an dem auf den schweren Angriff folgenden Freitag, am 23.3., bei Baukholt gewesen und abends wieder nach Hause gegangen. Am folgenden Samstag aber war der Artilleriebeschuss bereits so stark, dass wir nicht mehr wagten, fort zu gehen. Auch in der Nacht hielt das Schießen an. Am nächsten Mittwoch in der Karwoche wurde erzählt, der Feind sei bereits bis Ridderbusch auf der Hard vorgedrungen, wohin wir uns absetzen wollten.

Am Gründonnerstag früh hörten wir von der Goethestraße Rufe: „Hurra, hurra“. Nach wenigen Minuten kam ein Amerikaner in unsere Wohnung und sagte zu uns: „Kommen sie heraus!“ Wir standen dann am Eingang unseres Hauses. Der Amerikaner ging hierauf weg, kam aber nicht wieder. Erst nachmittags um eineinhalb Uhr erschienen fünf Amerikaner an unserer Tür und forderten uns mit dem Revolver in der Hand auf, mit ihnen zu kommen. Wir wurden dann wie eine Herde weiter getrieben bis zum Keller von Schelle an der Uhlandstraße. Es war uns verboten worden, Taschen und anderes mitzunehmen. Im Keller von Schelle waren schon mindestens hundert Leute versammelt. Hier wurden wir als dann - Männer und Frauen gesondert - verhört. Die Männer wurden insbesondere danach gefragt, ob sie Mitglieder der Partei seien. Kurz darauf wurde Herr Artmann zum Bürgermeister gewählt. Er hat den Posten ungern angenommen. Nach einigen Wochen ist es ihm aber geglückt, diesen Posten wieder los zu werden, den nunmehr Herr Weber angenommen hat. Als die Amerikaner den Keller verließen, sagten sie, wir müssten dort bleiben, bis sie zurückkommen würden. Wir warteten bis zum Abend, aber kein Amerikaner ließ sich sehen. Im Keller, der überfüllt war, herrschten missliche Verhältnisse. Ich musste mit Mutter einen Stuhl teilen. Dabei waren wir dauerndem Artilleriebeschuss ausgesetzt. Unter diesen Verhältnissen wurde es dunkel und Nacht, in der an Essen und Schlaf nicht zu denken war. Ich habe dort Frauen getroffen, die seit dem frühen Morgen kein Stück Brot gegessen hatten. Endlich war die lange Nacht vorbei, doch unsere Hoffnung, bei Tageslicht erlöst zu werden, ging zu Nichte. Erst um 10 Uhr konnte ich mit Magda zum Wasserholen nach Hause gehen. Wir mussten leider feststellen, dass vor jedem Haus auf der Körnerstraße ein amerikanischer Wagen stand. In unserem Hause hatten die Amerikaner wie die Wandalen gehaust. Sie hatten in allen Räumen alles losgerissen und durcheinander geworfen. Magda und ich gingen zum Keller von Schelle zurück. Nach kurzer Zeit konnten dann alle, die im Keller von Schelle eingesperrt waren, wieder nach Hause gehen. Zu Hause war es zunächst unsere Aufgabe, alles wieder in Ordnung zu bringen und festzustellen, was der Feind mitgenommen hatte. An Lebensmitteln und Kleidungsstücken hatte man sich nicht vergriffen, aber an Gold und Silber ist allerlei mitgenommen worden, besonders Uhren, Broschen und alte Münzen. Magdas Fotoapparat war auch verschwunden, es fehlten auch verschiedene Schlüssel. Auch hat ein Amerikaner Vergnügen daran gehabt, das amtliche Prüfungszeugnis von Paul, ausgestellt von der Universität Bonn, mitzunehmen. Gott sei Dank habe ich noch eine amtliche Bescheinigung, dass Paul diese Prüfung bestanden hat. Auch hat es ein Amerikaner für angebracht gehalten, meine langen Ehrensäbel und die mir von Maria geschenkte aus Tepliz stammende lange Pfeife mitzunehmen. So schmerzlich es auch sein mag, die angegebenen Sachen zu verlieren, so haben wir trotzdem allen Grund, zufrieden zu sein, besonders wenn man erfahren muss, was man anderen Leuten weggenommen hat. Es ist nun schon eine Zeit vergangen, seitdem die Amerikaner bei uns sind. Viele Wagen der Amerikaner fahren täglich durch die Straßen unserer Stadt. Sie besetzen Häuser, wenn sie es für nötig halten und wenn sie ihnen gefallen. Die Bauern in der Umgebung von Dorsten haben sehr unter dem Plündern der Russen zu leiden. Man hört darüber fast täglich neue Klagen. Es vergeht kaum eine Nacht, in der nicht ein Bauer von Russen heimgesucht worden ist. Bei Frerick, Goethestraße, ist ein Bürgeramt eingerichtet worden. Es ist später nach Kamp, Alter Postweg, verlegt worden. Inzwischen ist der größte Teil der fünf Ämter wieder nach Hervest-Dorsten verlegt worden. Nachdem sich Maibaum drei Wochen an unseren Tisch gesetzt haben, haben sie nunmehr eine eigene Küche in unserem Erkerkeller. Herr Weber hat Fräulein Glassmeier widerrechtlich gekündigt. Sie wohnt nunmehr bei uns und teilt jetzt mit Regina ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Aus Kuhlenbäumers Wohnung ist viel gerettet worden, wozu auch wir beigetragen haben. Frau Teupe senior und ihre Tochter Lisbeth mit Kind waren lange Zeit in Langenhorst und sind von dort wieder heimgekehrt Sie waren bange, dass sie in Dorsten ihre Wohnung verlieren würden. Wie erzählt wird, soll nun Friede sein. Der Priester kann wieder ein freies Wort sprechen, und der Aufbau kann wieder beginnen. In einem stehen gebliebenen Flügel des Ursulinenklosters ist ein großer Saal, in dem täglich heilige Messen gelesen werden. Auch haben die Franziskaner schon wieder auf dem Hof von Franz Brei eine Kapelle hergerichtet. Ferner werden bei Maas-Timpert an Sonntagen und Werktagen je eine heilige Messe gelesen. Wir können in dieser Beziehung im Vergleich mit anderen Orten sehr zufrieden sein. Man will jetzt daran gehen, die Trümmer der Stadt wegzuräumen, leider sollen die meisten Leute sich nicht daran beteiligen. Einige Straßen sind bereits gut aufgeräumt. Es sollen noch Leichen und Kadaver unter den Trümmern liegen. Wegen der großen Seuchengefahr, besonders beim Ursulinenkloster, ist die Bevölkerung zu energischem Eingreifen aufgerufen worden. Hoffentlich wird es gelingen, die Gefahr zu bannen und dadurch eine Evakuierung der Bevölkerung zu vermeiden. Man weiß noch nicht, ob es möglich sein wird, die Stadt wieder aufzubauen. Ich bedaure es sehr, wenn demnächst die Kinder nach Hause kommen und die Stadt nicht wieder finden können. Wer hätte das gedacht, dass dem lieben Dorsten mit seinen ehrwürdigen Klöstern dies passieren musste. Wahrscheinlich ist der „Brückenkopf Dorsten“ daran schuld oder man hat in Dorsten viele Soldaten vermutet. Ich bin dem lieben Gott sehr dankbar, dass ich so viel Glück gehabt habe, indem ich mein Haus behalten konnte. Die nächsten Bomben sind gefallen hinter unserer Mauer im Garten auf Schuhs Grundstück, ferner auf die Goethe- und Uhlandstraße. Seit einigen Tagen liegt auf unserer Straße kein Schutt mehr. (Gronovers, Tüshaus, Hollmeier sind noch nicht wieder zurück, ihre Wohnungen sind natürlich besetzt. Man sagt, dass Herr Ridder in den nächsten Tagen von Brochterbeck zurückkommen werde. Er wird sich wundern, wenn er sieht, dass in seinem Hause ein Lebensmittelgeschäft eingerichtet worden ist. Die Franziskaner haben ihre Wohnung bei Holtkamp bezogen.

Wer den Bericht liest, bekommt immerhin wenigstens eine kleine Vorstellung, von dem, was sich hier in letzter Zeit ereignet hat. Die Besatzungszeit von Dorsten und Umgebung scheint bald zu Ende zu gehen. Nur noch wenige Wagen fahren täglich durch die hiesige Gegend. Wie man sagt, werden wir bald eine dauernde englische Besatzung bekommen. Zum Schluss will ich noch bemerken, dass sich Dorsten etwa 8 Tage lang bis zum Einrücken des Feindes bei Tag und Nacht unter Artilleriebeschuss befunden hat. Die Granaten der Artillerie haben in der Stadt nicht unbedeutenden Schaden angerichtet. Ich war an einem dieser Tage zum Hause unseres Nachbarn Bernhard Weber herüber gegangen, um dort die zurzeit wohnende Familie Buchholz zu besuchen. In dem Moment schlugen dort zwei Granaten ein, die das Haus erheblich beschädigten. (Clemens Schröder, geb. 18.8.1870)

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