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Franz Schuknecht

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Imeza, die Stifterin Dorstens


Seitdem es eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte Dorstens gibt, d.h. seit 1851, als der gebürtige Dorstener Julius Evelt (*1823), Professor für Kirchen-geschichte in Paderborn, die Dorstener Geschichte untersuchte, ist die Frage umstritten: Wie kommt Dorsten in den Besitz des Stiftes Xanten? Evelt vermutete, eine Gräfin Reinmod habe Dorsten übertragen, denn sie ist als Stifterin von Kirchen und Kapellen in der Zeit um 1030 im Bistum Münster nachgewiesen. Um 1900 bestreitet der Dortmunder Archivar Karl Rübel eine solche Schenkung, denn wie sollte wohl ein Reichshof in den Besitz dieser Frau gekommen sein? Die Frage ist allerdings auch in der Xantener Überlieferung seit 1300 verworren.

Alle die verschlungenen Wege und Vermutungen von 800 Jahren hier einzeln aufzulösen, würde zu verwirrend sein. Ich trage mein Ergebnis vor. Dabei habe ich die bisherige Fragestellung zum Namen und zum Todesjahr der Frau erweitert auf ihr persönliches Schicksal und den Zeitgeist des 11. Jahrhunderts.

Im 11. Jahrhundert, sicher vor 1075, wahrscheinlich vor 1044, hat Imeza, die letzte Edelfrau von Dorsten, ihren Hof mit allen seinen Rechten und Besitzungen an das Stift Xanten vermacht. Der Name Imeza, geschrieben mit z, gesprochen aber mit stimmlosem S, ist altniederdeutsch, er wird mittelniederdeutsch zu Emese. Als sie diese Schenkung machte, war sie Witwe, und ihr Sohn war als kleines Kind gestorben. Erbenlos suchte sie Trost im geistlichen Leben.

Sie erhielt eine dotierte Planstelle im Stift, eine von 48 Präbenden oder Pfründen. Sie hatte allerdings im Konvent kein Stimmrecht. Eine solche Schenkung und rechtliche Stellung in einem geistlichen Institut ist zwar selten, aber nicht beispiellos. In ihrem Testament setzte sie den Pfarrer von Xanten als Erben ihrer Stelle im Stift ein, allerdings bekam er weder Stimmrecht noch Einkünfte. Die Einkünfte vermachte Imeza an die Gemeinschaft zu gleichmäßigen Anteilen für alle Kanoniker. Das Stift akzeptierte dieses Testament. Das Grab Imezas liegt an einer höchst ehrenhaften Stelle in der Stiftskirche: auf dem Hochchor, zwischen dem Chorgestühl und vor dem mittleren Lesepult, in der Nähe der Märtyrergräber. Die Grabplatte ist 1640 anlässlich der neuen Bedeckung des Bodens entfernt worden. Bei der Ausgrabung im Dom im Jahre 1934 wurde der große Steinsarkophag wieder entdeckt. Zu allen Hochfesten des Kirchenjahres wurde in der Messe der Stifter und Stifterinnen gedacht. Einen persönlichen Gedenktag hatte Imeza am 13. November, dieser wurde auf das feierlichste begangen, denn Imeza galt als die größte Stifterin und Wohltäterin Xantens. Allerdings endete das ewige Gebet mit der Säkularisation des Stiftes im Jahre 1802.

Worin liegt die Ursache der Zweifel und die Unkenntnis vom genauen Todesjahr? Der Brand im Jahre 1109 hatte den gesamten Urkundenbestand des Stiftes vernichtet, darunter auch das Totenbuch, in dem der Todestag Imezas verzeichnet war. Jedenfalls muss dies gefolgert werden aus dem Umstand, dass im Totenbuch von St. Gereon der 16. November als Gedenktag für die Witwe Imeza verzeichnet ist. Vorlage kann nicht das erhalten gebliebene Totenbuch sein, das nach 1044 neu angelegt wurde. Eine leere Seite dieses Buches benutzten um 1100, wohl um 1109, zwei Schreiber um die folgende Geschichte aufzuschreiben: Über das Mahl der Frau Imeza und das Mahl des Erzbischofs Anno. Wir schreiben über dieses Mahl, weil meistens und fast jährlich die beiden Mähler nicht getrennt, sondern zusammen gefeiert wurden, so dass darüber Beschwerden geführt wurden. Es ist deshalb zwischen den Kanonikern und dem Dekan eine Übereinkunft getroffen worden, indem für das Mahl des Anno wie für das Mahl der Imeza eine bestimmte Menge an Lebensmitteln und Getränken festgesetzt wurde, während früher die Mengen unbegrenzt waren. Es werden dann die Sonderzuteilungen zur Feier des Gedenktages genannt, die in ihrer Menge, z.B. von 10 Fleischgängen, überraschen mögen. Aber diese festlichste Gedenkfeier begann mit der Vigil und dauerte den 1. und 2., wahrscheinlich auch 3. Feiertag. Nach dem Vorbild des Totenmahls der Imeza stiftete Erzbischof Anno von Köln sein Gedächtnismahl. Da des Erzbischofs Todestag und -jahr 1075 bekannt ist, liegt das Todesjahr der Imeza früher. Später ist an die Stelle des Mahls die Geldzahlung getreten. Im späten 12. Jahrhundert hat man an die Geschichte vom Mahl der Imeza die Notiz angeschlossen: Der Oberhof Dorsten zahlt an die Xantener Kirche jährlich 15 punt Roggen und (Lücke) Malter außer den Roggenfudern. Dies ist eine Menge von 115 Maltern Roggen und etwa 22 weiteren Maltern. Diese Eintragung geschah, als man in Xanten hinter die Stifter die Erträge aus ihren Stiftungen einsetzte. Hier ist also das älteste Zeugnis über den Zusammenhang von Imeza und ihrer Stiftung Dorsten. Diese Schenkung setzt voraus, dass Imeza Eigentümerin des Hofes Dorsten, nicht nur Inhaberin eines Lehens war. Hier erinnern wir uns, dass bereits um 900 die Grundherrschaft des Abbo und der Athalgard bestand. Gut 100 Jahre später war Imeza Inhabern dieser Grundherrschaft.

Es hat also in Dorsten ein edelfreies Geschlecht der Edelherren von Dorsten geherrscht, das mit Imeza als letzter Edelfrau von Dorsten endete. - Die auch in den Xantener Totenbüchern genannte Frau Reginmuod war dagegen eine Frau von Ulfte, die nach Imeza (nach 1075 und vor 1100) gestorben ist. Diese Reginmuod ist als Stifterin der Xantener Höfe in den Herrlichkeiten Raesfeld und Lembeck in Betracht zu ziehen.

Dorsten kommt durch die Schenkung der Edelfrau Imeza im 11. Jahrhundert in den Besitz des Kanoniker Stiftes zum hl. Viktor in Xanten. Dieses Dorsten besteht aus einem adeligen Hof und zugehörigen Unterhöfen entlang von Schölzbach und Barloer Bach, ferner aus Zehntrechten an zahlreichen Höfen im Vest Recklinghausen. Diese Villikation des Oberhofes Dorsten ist die bedeutendste im Vest Recklinghausen und die Schenkung der Imeza ist die größte für das reiche Stift am Niederrhein. Für Imeza war nach der persönlichen Katastrophe des Verlustes ihres Mannes und dem frühen Tod ihres kleinen Sohnes und Erben die Übersiedlung in das Stift religiöser Trost. Aus dem Oberhof Dorsten und seinem Hofverband kommen dem Stift große Einkünfte an Naturalien und Geld zu, die der Kellner als Wirtschaftsverwalter einzieht. Die Xantener Totenbücher, Güter- und Einkünfte Verzeichnisse gehören zu den wichtigen Überlieferungen für die Dorstener Geschichte. Sie sind die wichtigsten historischen Quellen für den Zeitraum vom 11. bis 13. Jahrhundert und weit darüber hinaus für den kirchlichen und agraren Bereich. Das Stift Xanten als Träger der Pfarre ist organisatorisch und geistig die wichtigste Institution im Mittelalter bis zur Reformation. Auf das Stift Xanten geht die Gründung des Kirchdorfes Dorsten zurück, das 1251 zur Stadt erhoben wurde. Dem Stift Xanten verdankt die Stadt Dorsten die Aufbewahrung der Gründungsurkunde vom 1.6.1251. Für den ländlichen Dorstener und vestischen Raum enden erst mit der Säkularisation 1802 die Reste der Xantener Grundherrschaft.

Diese Geschichte ist eine Brücke über lange Zeiten. Sie zeigt uns Entwicklungen auf, die für Jahrhunderte den Menschen das Leben ermöglichten. Die Bindung Dorstens an das Stift war zugleich die Bindung an den Niederrhein mit seiner höheren Entwicklungsstufe. Das Stift hat wirtschaftlich und kulturell Dorsten gefördert. Andererseits haben die Einkünfte des Stiftes aus der großen Schenkung der Dorstener Frau Imeza das Stift bereichert, wozu sicher auch ein Beitrag zu den materiellen Voraussetzungen für den Bau des Xantener Domes zu rechnen ist. Dieser Dom bleibt das sichtbare Zeichen der Verbundenheit. Dies ist er insbesondere auch durch die höchst ehrenvolle Begräbnisstätte der bedeutendsten Frau in der Dorstener Geschichte, nämlich der Edelfrau Imeza. Sie hat eine persönliche Katastrophe erlebt, aber ihre Entscheidung zum religiösen Leben im Stift hat für Dorsten große Folgen gehabt.


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