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Die Nachahmung

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Die natürlichen Rachegefühle der Deutschen hätten seit dem Sturz ihres Feindes befriedigt sein können. Indessen, das befreite Vaterland bekam als wesentlichen Inhalt eine Knechtschaft, hoffnungslos, unvergleichlich zäher, als wäre die Eroberung des Bodens nie gerächt worden. Unlogisch, aber menschlich, wuchs, anstatt des vergeblichen Bestrebens frei zu sein, eine unbemessene Rache sinnlos weiter. Zum »Erbfeind« wurde Frankreich ernannt. (Napoleon hatte nicht nur für Frankreich gehandelt, um das Reich Karls des Großen ging es ihm.) Der Rhein war nie so deutsch gewesen wie nunmehr ohne Straßburg. »Nous l'avons eu votre Rhin allemand«, antwortete Musset.

Eine Rache, die nicht gekühlt ist, erhält sich aus eigener Kraft, das Andenken des Beleidigers wurde endlich unentbehrlich. Man vertauscht es mit den eigenen frommen Wünschen. Wäre das Frankreich des Kaisers das Deutschland – wessen? – gewesen! Gleich wird aus dem verhaßten Abenteuer ein hoher Beruf. So geht es, wenn Rache sich in Nachahmung umsetzt.

Die Rache war nicht auf einmal zu stillen. Hundertdreißig Jahre einer immer mehr ausschweifenden Nachahmung des Eroberers haben zum Schluß auch niemandem wohlgetan. Die deutschen Heere stehen seither das vierte Mal in Frankreich, das dritte Mal in Paris. Nach dem zertrümmerten Deutschland werden sie heimkehren. Wenn dies ein Trost wäre: Europa ist vorläufig aufgelöst, anstatt geordnet und verbündet.

Der Veranstalter eines universalen Debakel ist Deutschland, mit seinen mißverstandenen napoleonischen Kriegen – ohne Napoleon, ohne Revolution, ohne das Gewissen einer echten Revolution. Mit nichts als Menschenhaß angreifen, siegen, sich schlagen lassen, sich anklammern und inmitten des eigenen Zusammenbruchs zäh und krampfhaft schaden, noch immer schaden, aber gegen sich selbst den Haß bis über die Wolken häufen, als genügte es nicht, daß er schon hoch wie die Alpen war: das ist der letzte Zustand des letzten deutschen Krieges. Der Führer der Deutschen entrüstet sich nun, daß man wage Deutschland »einzukreisen«, – Deutschland, das die Hoffnung Europas »war«. Eine Hoffnung, die nie bestand, ist gestrichen.

Hier wird zusammengefaßt und ohne Schwanken behauptet: Von den Lehren des Phänomens Napoleon war nur die kriegerische für Unfreie brauchbar. Konnte er so viele Armeen schlagen, alle die Länder unterwerfen, dann auch wir, dann wir erst recht! Aber mehr. Nöppel (der Name des preußischen Hofes für seinen Gast, die Lippen der zarten Königin Luise sprachen ihn hinter seinem Rücken so aus; ihm ins Gesicht hieß er Sire und mon cousin) – Nöppel hat es fertiggebracht, zwanzig Jahre sich überall herumzuschlagen, und allein sein Frankreich blieb bis kurz vor dem Ende vom Krieg unberührt.

Das hat er gut gemacht, das wird festgehalten. Kein Patriot, der nicht wenigstens diese einzige Erfahrung aufbewahrt und überliefert hätte: Die Entscheidungsschlachten des Weltbeherrschers haben deutschen Boden zerstampft und gerötet. Seine Laufbahn war Deutschland, seine Siege und zuletzt noch seine Niederlage sind bezahlt mit deutschen Städten, Feldern, Menschen. Nie wieder! Dieses Niewieder ist unbedingt, ohne den Schatten eines Zweifels ist es die Hinterlassenschaft der »Franzosenzeit« in Deutschland.

Daraus ergibt sich, daß man angreifen muß, im Recht oder Unrecht. Noch zu besonnenen Zwecken wie Bismarck, oder schon getrieben von uneingestandener Verzweiflung wie Hitler – muß man angreifen. Der Angreifer trägt den Krieg auf fremden Boden, seine Sache, seine einzige Sache, ihn dort zu erhalten. Der Krieg wäre verloren, wenn er das eigene Land ergriffe: Glaubenssatz, gilt nur für Deutschland. Napoleon hat sich nicht verlorengegeben 1814, beim Feldzug in Frankreich, er soll sein kunstreichster gewesen sein. Die Battle of Britain 1940 hat aus Großbritannien gemacht, was es nunmehr ist und sonst nicht war, die kriegerische Größe. Die Russen bekämpfen mit Leidenschaft, unweigerlich bis zum Sieg den eingedrungenen Feind, – Karl XII., Napoleon, Hitler.

Die Deutschen allein erfaßt Grausen und Abscheu, wenn der Krieg sich ihren Grenzen nähert. Für das einzig Unerträgliche halten sie den Krieg im Lande – noch zu einem Zeitpunkt, da elf ihrer Städte in Trümmern liegen und Berlin gezeichnet ist. Aber das waren Bomben aus der Luft, ein Unglücksfall. Man begegnet ihm mit dem Verzicht auf Schlaf, mit Evakuationen, einem ruhelosen Hin und Her der Bevölkerung. Es ist allerdings ein Leben des beständigen Grausens, welches andere könnte schlimmer sein? Doch. Die Deutschen sind überzeugt, das Äußerste träte ein mit Schlachten auf deutschem Boden.

Der fanatische Widerstand der letzten deutschen Armeen, in der Sowjetunion, in Italien wird damit erklärt, daß sie nicht mehr für Deutschland fechten, nur für sich. (Sie haben auch früher nicht für Deutschland gefochten, wie konnten sie, ihr Führer hat an Deutschland nie gedacht.) Die Truppen wollen vermeiden, so wird erklärt, daß sie als Besiegte betroffen werden in denselben fremden Ländern, wo sie Massen überflüssigen Unheils angerichtet haben.

Sie hoffen der Rache der gequälten Völker zu entgehen. Ihre Rückzugsgefechte nach Deutschland dienen ihrer eigenen Rettung. Überdies wäre eine Wendung des Kriegsglücks immer denkbar, solange sie Reste fremden Bodens halten. Es wird bezweifelt, daß sie Deutschland mit derselben Ausdauer verteidigen werden wie ihre Eroberungen. Dies sind psychologische Spekulationen. Ich weiß nur eins.

Ich sehe und weiß, daß die Zusammenhänge weit zurückführen. Die Nachahmung Napoleons, hervorgegangen aus dem deutschen Bedürfnis nach Rache für erlittene Nachteile, die übrigens bestreitbar sind, hatte Selbstzweck erlangt, sie erlangte die Kraft der Besessenheit. Preußische Tradition? Sie erforderte von dem Geschehenen nichts – ungeachtet gewisser Worte Friedrichs des Großen, als hätte er seine Preußen, die er aber herzlich verachtete, wie Römer der Zukunft geträumt.

Der Anzettler und Führer des letzten Rückfalles der Deutschen in ihre Angriffskriege ist kein Preuße und ist undeutsch – weniger durch den Ort der Geburt als in Anbetracht seiner Instinktlosigkeit für Deutschland. Er hat begriffen, daß Deutschland nach neuerem Herkommen Angriffskriege führt, sonst nichts. Was ein Deutscher wahrscheinlich doch unterlassen hätte, er hat den vorigen Angriffskrieg überboten mit einem zweiten, der nichts mehr zu beweisen hatte. Bewiesen war, daß Deutschland nicht siegen kann. Wer Ohren hatte, hörte die Warnung der ewigen Gerechtigkeit, es dürfe nicht siegen!

In dem trostlosen Bewußtsein, daß er, um es mit Europa aufzunehmen, weder der Stärkere noch der Berufene sei, hat Hitler oder das Kollektiv von Militärs und Doktrinären, das so heißt, zu der Auskunft der Verzweiflung gegriffen. Blitzkrieg – ist das Eingeständnis, man könnte nur mit einem Tag Vorsprung an das Ziel kommen, dann nie wieder. Totaler Krieg – heißt deutlich, daß die lebenden Nationen niemals wirklich besiegt sind: man muß sie umbringen.

Verzweifelte Betrüger allein gehen sogar in einen Krieg, der eine äußerste Erprobung ihres Volkes sein soll, mit lauter Lügen. Aber Herrenvolk, Lebensraum, Geopolitik und jeder andere Schwindel sind verspätete Antworten auf das eine machtvolle Wort, das Europa einst wirklich erobert hat: Freiheit. Alles ist, wie je, die Nachahmung Napoleons, eine Nachahmung tiefer von Stufe zu Stufe, nunmehr angelangt bei der Hefe.

Welch ein Unglück, in die neuere Geschichte falsch eingetreten zu sein! Welch ein Unglück – und welch eine Schuld!

Das Lebensgefühl hatte in Deutschland seinen niedrigsten Stand gehabt sogleich nach dem Sturz des Kaisers Napoleon. Es steht niedriger als damals seit diesem Krieg, seit seinem Anfang, seit den Siegen. Mit Recht. Solange Hitler siegte, unterlag Deutschland.

Ein Zeitalter wird besichtig

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