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‚Geheult wie ein Schlosshund‘ – der Trennungsschock (1936)

Er habe geheult wie ein Schlosshund, erzählt 25 Jahre später Vater Rudi dem 10jährigen Heribert, dem Erstgeborenen. Der hat gerade eine ‚Fünf‘ in Englisch verbockt, und der Sextaner braucht Trost und Zuspruch. Mutterseelenallein, fern der Heimat, sei ihm eine enge, kalte Kammer zugewiesen worden auf dem großen Schiff. Genau um 14:43 Uhr hatte er den D-Zug auf dem Kölner Hauptbahnhof bestiegen. Eltern und sein fünf Jahre jüngerer Bruder begleiten ihn bis auf den Bahnsteig, winken dem Zug nach Bremerhaven hinterher. Auch jetzt schon ein tränenreicher Abschied. Diese genaue Uhrzeit trägt Rudi in den kleinen grünen Taschenkalender ein, den er jetzt, da er sein Elternhaus verlassen, sich zu führen vorgenommen hat. Es ist ein Sonntagnachmittag – der 5. Januar 1936. Unmittelbar hinter der Hohenzollernbrücke, die den Rhein in Höhe des Doms überquert, überfällt ihn schon die erste Welle von Heimweh.

In den letzten Wochen war er noch voller Zuversicht gewesen, hatte wie jeden Morgen ab 7 Uhr Fisch ausgefahren, Bekannte besucht und war auch – na ja – am letzten Freitag um 8.30 Uhr zum Sturmappell bei der SA angetreten. Das soll jetzt alles vorbei sein? Ein lachendes und ein weinendes Auge. Die Fahrerei, das Chauffieren, das Asten im Lager, das muss jetzt ein Ende haben. Das bietet ihm überhaupt keine Perspektive! Zwei Jahre schon, und immer noch nicht weiter. Er fühlt, wie die Zeit verrinnt. Das mag ja Ende 1933, als die Arbeitslosigkeit noch hoch und die Stellen rar waren, in Ordnung gewesen sein. Ein Unterschlupf bei der ‚Transitus‘-Speditionsgesellschaft als Automechaniker und Fahrer. Eine Sackgasse, nagt es an ihm.

Dabei hat er doch die ‚Mittlere Reife‘ am Realgymnasium in der Kreuzgasse erlangt. Dass es nicht das Abitur war, das wurmt ihn noch immer. Halt die Zeiten! 1930 hatte die Wirtschaftskrise mit voller Wucht das Land erfasst. Gut, dass er bei der ‚Berlin –Anhaltischen Maschinenbau AG‘, Niederlassung Köln, eine Schlosserlehre antreten darf. Die väterlichen Beziehungen halfen. Aber auch das bitter genug. Wochenlang Klötzchen feilen neben zwei Jahre jüngeren Volksschülern. Eine raue Fortsetzung der Schulzeit. Sozusagen Rudis gymnasiale Oberstufe, nur diesmal im Blaumann. Ohne Schülermütze des altehrwürdigen Traditionsgymnasiums.

Die Gesellenprüfung schafft er mit der Gesamtnote ‚fast gut‘ drei Jahre später im Mai 1933. Da sind die Nazis schon an der Macht und haben den langjährigen Oberbürgermeister Konrad Adenauer aus dem Kölner Rathaus vertrieben. Sogar bleiben darf er, Rudi, noch ein halbes Jahr bei der Firma auf väterliche Intervention hin. Dann ist endgültig Schluss. „Wir wünschen Herrn Treiß, der heute infolge der schlechten Wirtschaftslage aus unseren Diensten scheidet, für die Zukunft das Beste“, schreibt die Maschinenbau-AG in ihrem Lehrzeugnis vom 4. November 1933.

Vater Josef hatte wie so oft die rettende Idee, um der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. Rudi machte den Führerschein und trat in die Spedition ein, in der auch der Vater arbeitete. Vorübergehend, versteht sich. Bis die mauen Zeiten sich zum Besseren wenden mögen. Rudi und sein Vater halten Ausschau. Köln und das heimische Umland die erste Wahl, aber wenn sich nichts bewegt? Dann darf es auch Bremen und Bremerhaven sein, und dort trifft Rudi dann um 21 Uhr am 5. Januar 1936 ein, um jene besagte Kammer, eng und kalt, angewiesen zu bekommen.

Am nächsten Morgen, die Tränen getrocknet, mustert er dann offiziell auf dem Dampfer ‚GENERAL VON STEUBEN‘ an.


Dampfer ‚GENERAL VON STEUBEN‘

Der Norddeutsche Lloyd expandiert in jenen Jahren, nachdem das wirtschaftliche Tal durchschritten ist und die Rüstungsindustrie mächtig gefördert wird. Während der vorangegangenen Wirtschaftskrise hatte der Lloyd Tausende von Stellen abgebaut. Nun suchen die Herren Reeder dringend Ersatz. Da nehmen sie auch Binnenländer, gar Kölner, die das Meer das erste Mal zu Gesicht bekommen.

Rudi wird, da er eine abgeschlossene Maschinenbaulehre und auch Praxis vorweisen kann, als Ingenieur-Assistent eingestellt. Gleich darf er in das Innere der ‚STEUBEN‘ eintauchen und die ganze Woche lang Kondensatorrohre dichten. Arbeit gibt es zu Hauf. Da es reichlich zu essen gibt, schon zum Frühstück Graupensuppe, Brot und Brötchen, Spiegel- und gekochte Eier und das in großen Mengen, scheint der Hänfling, der ‚Rögel‘, wie man in Köln sagt, über den ersten Kummer, das Heimweh, hinweg getröstet zu sein. Aufgekratzt berichtet er den Eltern in einem der zahlreichen Briefe: „Gestern hatten wir zum Beispiel Fleischsuppe, Weißkohl und Frikadellen.“ Etwas ganz Besonderes in Zeiten wie diesen. 70 Reichsmark, vielleicht auch 100 mit Überstunden, netto wird er im Monat verdienen (Brief 1/36). Das müsse eisern gespart werden, denn das Ziel sei ja klar: Nach den drei Jahren geforderter Fahrenszeit will er unbedingt die Ingenieur-Schule in Bremen besuchen. Im Augenblick müsse er sich nur einkleiden – eine blaue und eine weiße Uniform und natürlich auch die passenden Mützen. Das koste erst mal. Der Rest, die Decken, Kissen, aber auch die Arbeitsanzüge, sollen ihm die Eltern mit einem Expresspaket schicken. Dieses trifft auch pünktlich am Samstagmorgen mit der Post ein (Brief 1a/36). Der Bootskurs ist dann für die nächste Woche angesetzt.

Da kommt Rudi dann dem Salzwasser noch näher, wenn es auch nur das Hafenbecken ist. ‚Fieren‘ und ‚pullen‘ sind die beiden Königsdisziplinen des Bootfahrens. „Dann werden wir fies getriezt, wenn was Besonderes los ist, heißt es immer: der Kölner ran. Dann wühle ich, dass die Funken fliegen.“ (Brief 2/36). Donnerstags gibt es dann schon 20 Mark Vorschuss und samstags die Schlussprüfung im Bootskursus. Wohlgelaunt vermerkt er im Tagebüchlein am 18. 01.: „Gut bestanden.“ Und abends gibt es als Dreingabe einen „Flottenabend“. Die ‚BREMEN‘ liegt gleich nebenan. Da sind die ersten beiden Wochen auch schon um, und er zieht, vom Trennungsschock erholt, eine erste Bilanz: „Ich habe mich bald an alles gewöhnt. Es sind ganz nette Leute hier. Der 1. und der 2. Ingenieuroffizier sind ganz ruhige Leute. Mit denen kann man ganz gut auskommen.“ (Brief 1/36).

Jetzt packt ihn die Abenteuerlust, und er möchte endlich auf Fahrt gehen, die Welt besichtigen: „Wenn ich hier auf der STEUBEN bleibe, werde ich viel Schönes zu sehen bekommen.“ (Brief 2/36). Ach ja – da war doch noch ein Problem zu erledigen. Er bittet die Eltern: „In der SA nehmt mir bitte noch einen Monat Urlaub. Alles andere später.“ (Brief 1/36)


Rudis Weltenfahrten 1936 – 1948

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