Читать книгу Giftmord statt Goldschatz - Holger Rudolph - Страница 12

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Seit gut einem halben Jahr verdient Mandy Schönknecht ihren Lebensunterhalt als Bedienung im kleinen Rheinsberger Café „Pusteblume“. Es ist nicht ihr Traumjob. Doch für eine gewisse Zeit lässt es sich auf diese Weise ganz gut leben. Sie lernt viele Leute kennen. Später will die junge Frau wieder in ihrem Beruf als Grafikerin arbeiten. Nachdem sie ihre Stelle bei einer Berliner Werbeagentur verloren hatte, suchte sie anderthalb Jahre vergebens nach einem neuen Job. Es kriselt in der Branche.

Rheinsberg kannte sie noch aus ihrer Kindheit. Mit ihren Eltern hatte sie mehrfach die Ferien in einer seenahen Pension verbracht. Das war schön und viel ruhiger als das Leben in der Großstadt. Auch heute gefällt ihr die Stadt. Nicht wegen der Prinzen, schon eher wegen Kurt Tucholskys Bilderbuch für Verliebte, das im Städtchen handelt. Sie kann gut nachvollziehen, dass es dem jungen Paar aus der Großstadt bereits vor hundert Jahren in Rheinsberg gefiel. Sie liebt die Seen und Wälder und die Tatsache, dass der Ort auf eine sehr angenehme Weise entschleunigt wirkt. Dass das 21. Jahrhundert auch hier stattfindet, daran erinnern sie allenfalls die Jugendlichen, wenn sie in der Nähe der Schule nach dem Unterricht auf den Bus warten. Statt miteinander zu sprechen, tippen sie auf ihren Smartphones herum, grinsen Löcher in die Luft oder schauen beleidigt drein. Irgendeiner von den hunderten bis tausenden Freunden im einen oder anderen Sozialen Netzwerk hat wahrscheinlich gerade etwas überaus Nichtiges mitgeteilt, das die jungen User aber für absolut überlebenswichtig halten. Zum Beispiel, dass die Gina aus der Soap Sowieso heute wieder mal voll scheiße aussieht oder, dass man sich für die Proll-Tusse Tanja aus der Klasse x mit ihren hyper-outen Klamotten nur schämen kann.

Viel lieber als die zweifelhaften Vorzüge moderner Technik ist Mandy die Ruhe, die von den Droschken und Wagen vor dem Schlosspark ausgeht. Die Kutscher warten mit ihren Pferden darauf, dass Touristen bei ihnen eine Stadtrundfahrt kaufen. Kaufen, da ist sie dann doch wieder, die gewinnorientierte Gegenwart. Trotzdem kommt es ihr manchmal vor, als ob die Männer in ihren historischen Kostümen mit den geputzten Kutschen eigentlich im 19. Jahrhundert leben und es sie nur durch eine Krümmung im Raum-Zeit-Continuum in das Rheinsberg der Gegenwart verschlagen haben kann.

Bislang hat Mandy die Arbeit im Café vor allem Angenehmes gebracht. Die meisten Leute sind freundlich, weil sie hier Urlaub machen. Der Stress der Werbeagentur liegt längst weit hinter ihr. Künftig, in vielleicht einem Jahr oder später, darf es wieder anstrengender werden. Doch zurzeit genießt sie die märkische Gelassenheit. Nur heute ist sie alles andere als ruhig, denn sie hat gestern Abend etwas beobachtet, das ihr keine Ruhe lässt. An einem der kleinen runden Tische im Café saßen kurz vor der Geisterstunde zwei Männer mittleren Alters. Es war nicht Bernd Bergner, über den sie sich wunderte. Der sah wie immer aus, wenn er wieder einmal wegen einer seiner vielen Funktionen im Märkischen Anzeiger abgebildet war. Der Andere, ein fetter Typ mit Glatze, verhielt sich sonderbar. Dass der Mann eigentlich eine Platte hat, weiß sie nur, weil er schon etliche Male zuvor im Café gesessen hatte, stets in unterschiedlicher Begleitung, männlich wie weiblich. An diesem Abend aber hatte er sich eine Weißhaar-Perücke aufgesetzt und einen Schnurrbart angeklebt. Der ganze Mann wirkte dadurch höchst verunstaltet. Sonderbar war auch, dass er in der Kaffeetasse seines Gegenübers herumrührte, als dieser mal kurz auf dem Klo war.

Als sie heute Mittag durch einen Gast davon hörte, dass Bergner nicht mehr lebt, stand für sie fest, dass sie ihre Beobachtungen der Polizei mitteilen wird.

Giftmord statt Goldschatz

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