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Enttäuschung

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Fritz Quarz erwartet seinen Vereinskumpel Bernd Bergner bereits in der weit geöffneten Haustür. Der hatte es am Telefon spannend gemacht. Er werde ihm etwas zeigen, das seit Jahrhunderten im Verborgenen gelegen habe, etwas ganz Besonderes. Und Quarz werde zu schweigen haben über alles, was mit dieser Angelegenheit zusammenhängt. Nach kurzem Zögern hatte der vollbärtige Endfünfziger die erbetene Verschwiegenheit zugesichert. Nun steht er auf der obersten Stufe der Treppe zu seinem Siedlungshaus, ganz in Erwartung des versprochenen Unbekannten, das ihn zum Mittwisser machen würde. Geheimnisse sind für ihn an sich alltäglich. Als Kundenberater der örtlichen Filiale einer Großbank hat er über die finanziellen Verhältnisse der Anlieger Stillschweigen zu bewahren.

Quarz sammelt leidenschaftlich gern Münzen: Preußen, Sachsen, das Kaiserreich, die DDR, außerdem die nur in geringer Auflage erscheinenden Prägungen diverser Kleinstaaten. Wie Bergner ist auch er begeisterter Karnevalist und Mitglied im örtlichen Narrenverein „Die Prinzenstädter Prächtigen“. Jahr für Jahr nehmen sie vom Sessionsstart am 11. November bis zum Aschermittwoch vor allem die lokale Politik mit ihren oft derben, vor allem aber lustigen Späßen aufs Korn. Die Karnevalstradition ist in der Stadt vergleichsweise jung. Im etwa 15 Kilometer vom Zentrum der Kommune entfernt gelegenen einzigen Atomkraftwerk der DDR, das auch heute noch offiziell nur Kernkraftwerk genannt wird, entstand seinerzeit der närrische Verein. Wie in vielen anderen Großbetrieben auch durften die Arbeiter und Ingenieure in Faschingsclubs Missstände auf's Korn nehmen. Hauptsache, sie uferten nicht in echte Proteste aus. Zu offen darüber reden, was er gerade denkt, wird Quarz besser nicht im Städtchen. Vor allem den Begriff Atomkraftwerk hören manche früheren Mitarbeiter, von denen einige im Karnevalsverein sind, gar nicht gern. Nur zu oft hat er sich anhören müssen, dass die Rheinsberger auch in Jahrzehnten noch stolz darauf sein dürfen, dass es in ihrer Stadt das einzige ostdeutsche Kernkraftwerk, eine ingenieurtechnische Meisterleistung mit sowjetischer Unterstützung, gab. Immer wieder mal hatte er von kleineren Störfällen gehört, die zu DDR-Zeiten totgeschwiegen worden seien. Nach dem Rückbau des Kraftwerks soll auf dem Gelände ein Ökologie-Forschungszentrum entstehen. Doch nun möchte die Leitung des Naturparks, in dem sich das Werk befindet, dass später auch dort nur noch Natur ist, wo einst das Vorzeigeobjekt stand. Quarz fände diese Lösung am besten, nicht zuletzt, weil der Mensch nicht mit den Gaben Gottes experimentieren sollte.

Auch das Interesse an lokaler Geschichte verbindet die beiden Männer. Einmal pro Woche treffen sie sich im Historischen Verein. Quarz wartet noch immer. Bergner hat sich etwas verspätet. Wie so oft dauerte es auf der Baustelle länger. Kumpel Quarz hatte längst zwei Prinzenstädter Pils kaltgestellt. Doch Bergner möchte heute keinen Alkohol trinken, nicht mal ein kleines Bierchen. Er holt die Schatulle aus seiner Arbeitstasche und legt sie auf den Tisch in der Veranda. Der Sammler ist sehr erstaunt, als er die Münzen sieht. Zumindest eines kann er seinem guten Bekannten sehr schnell sagen: „Der Mann auf den Geldstücken ist Friedrichs Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorf. Briefe belegen, dass ihn und den Preußenkönig eine sehr enge Freundschaft verband. Der Sohn eines Stadtmusikanten aus dem pommerschen Garz hatte es bis an die Spitze des preußischen Hofes geschafft. Einige Historiker vermuten, dass die beiden Männer eine homoerotische Beziehung hatten. Sicher ist, dass Fredersdorf 1744 in Rheinsberg den Prinzlichen Keller am Marktplatz, eine Brauerei an der Mühlenstraße und das Gut Zernikow von Friedrich geschenkt bekam.“ Einiges davon kommt Bergner durchaus bekannt vor. Im Geschichtsverein hatten sie mehrfach über Fredersdorf geredet. Auf den Münzen erkannte er dessen Gesicht trotzdem nicht gleich. Wie der Mann auf Abbildungen aussah, darauf hatte er aber nie besonders geachtet.

Fritz Quarz ist für seine Gründlichkeit bekannt. Sein Ordnungssinn grenzt an Pedanterie. Es bereitet ihm fast schon körperlichen Schmerz, wenn sich einer seiner närrischen Mitstreiter in der Bütt verspricht. Dann presst er energisch, doch so, dass es kaum jemand sehen soll, beide Daumen gegen die Hand-Innenflächen. Dies und ein gedachtes Stoßgebet helfen ein wenig gegen den Verdruss. Auch seine Wohnung widerspiegelt die ihm eigene Genauigkeit. In seinem Häuschen sind die Scheiben der Vitrinen aufs Feinste gewienert. Auch bei der Bewertung der Münzen möchte Quarz genau sein und die Wahrheit sagen. Daher befindet er sich jetzt in einer sehr unangenehmen Situation. So gern er sich mit seinem Kumpel über dessen anscheinend unglaublich wertvollen Fund gefreut hätte, stellte sich doch, gleich als er den ersten Blick auf die Münzen warf, ein Schmerz in der Magengegend ein. Sofort war ihm aufgefallen, dass das Fredersdorf-Porträt durchaus die Arbeit eines Meisters sein könnte. Die Abbildung des Schlosses aber wirkt auf ihn wie das Werk eines Dilettanten. Die Perspektive stimmt nicht. Außerdem ist alles viel zu schlicht gestaltet. Auch die Linien sind viel zu dick. Niemals hätte Friedrich II. derart grässliche Münzen prägen lassen, erst recht nicht als Geschenk an seinen Vertrauten Fredersdorf, das der Schatz zu sein vorgibt. Einen anderen Zweck kann er sich dafür nicht vorstellen. Nein, den Begriff Schatz hat diese plumpe und höchstwahrscheinlich neuzeitliche Fälschung nicht verdient. Sind die Münzen doch auch viel zu leicht, um gänzlich aus Gold gearbeitet zu sein. Mehr als eine dünne Auflage des Edelmetalls gibt es bestimmt nicht.

Seinem Freund gegenüber verheimlicht Quarz unter massivem Magengrimmen und mit angepressten Daumen alle Bedenken. Er bittet ihn stattdessen: „Kannst Du mir eine Münze hier lassen? Ich werde versuchen, mehr darüber heraus zu bekommen.“ Doch von dieser Idee hält Bernd Bergner nichts. Das Vertrauen in den Freund ist nicht groß genug, um dieses Risiko einzugehen.

Setzkästen hängen an der Wand der Veranda. In den Fächern stehen Miniaturen jener Rheinsberger Gebäude, die zu besichtigen für jeden auch nur halbwegs interessierten Touristen Pflicht ist. Da gibt es die stolze evangelische St. Laurentiuskirche und das Schloss. Auch Theater und Bahnhof hat Bastler Quarz maßstabgetreu aus Papier, Pappe und Metallfolie nachgebaut. Auf dem Bahnhofsdach liegen ein paar Staubkörnchen. Schnell entfernt Quarz den Unrat mit einem winzigen Pinsel. Die beiden Männer trinken nun doch noch, allerdings schweigend, ihr Rheinsberger Bier.

Beim wöchentlichen Treffen der Historiker werden sie sich in ein paar Tagen wiedersehen. Über die seines Erachtens noch immer viel versprechende Fundsache will Bernd Bergner nun mit niemandem mehr im Städtchen reden. Er hat sich, enttäuscht vom Verlauf des Abends, vorgenommen, seinen Fund stattdessen einem wahren Kenner zu zeigen, der ihm die heiße Ware für einen möglichst hohen Preis abkaufen soll. Am ehesten würde sich so ein Spezialist wahrscheinlich doch noch über das Internet finden lassen.

In der Brückenstraße rennt eine Katze von links auf die Straße. Wie am Morgen kann Bergner auch diesmal gerade noch rechtzeitig stoppen. Das übergewichtige Haustier steht im hellen Lichtkegel der Scheinwerfer. Fast am ganzen Körper ist die Katze rabenschwarz, lediglich ein Bein ist schneeweiß. Drohend faucht sie ihn an.

Giftmord statt Goldschatz

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