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4. Säkularisierung und Moderne

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Säkularisierung als Verweltlichung

Die Säkularisierung gilt gemeinhin als zentrales Moment der Religionsentwicklung in der Moderne. Es wird angenommen, dass sie sich durch einen auf die Aufklärung zurückgehenden Prozess der Verweltlichung und Entchristlichung, durch die Autonomie der Vernunft, den Siegeszug allgemeiner Bildung und die Ausprägung eines individuellen Rechtsdenkens kennzeichnet. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt habe nicht nur eine Steigerung der Wirtschaftsproduktion und die von Landflucht begleitete Entstehung städtischer Industriezentren bewirkt, sondern auch zu neuen gesellschaftlichen Strukturen und einer neuen sozialen Differenzierung geführt.

Sosehr diese Kennzeichnung des neuzeitlichen Nationalstaats für das 1871 gegründete deutsche Kaiserreich zutrifft, gilt es dabei jedoch zu berücksichtigen, dass es sich beim Topos der säkularen Moderne nicht um eine geschichtlich vorgegebene oder auf ein festgelegtes Ziel hin ausgerichtete Entwicklung handelt. Das Wesen der Moderne kann weder über ein teleologisches Schema des gesellschaftlichen Fortschritts erfasst noch so ohne weiteres von einer angenommenen Vormoderne als ihrem überwundenen Gegenstück abgegrenzt werden. Das gilt auch für die Religionsgeschichte, bei der sich progressive und retardierende Momente gegenseitig durchdringen. Weder ist die Religion in der Moderne zum Absterben verurteilt noch hat sie eine Garantie, ihre traditionelle Gestalt bewahren zu können.

Kategoriale Begriffe wie Moderne und Säkularisierung sind heuristische Annahmen, die zu analytischen Zwecken formuliert werden. Sie erhalten ihre Bestätigung erst durch die empirischen Befunde, die mit ihrer Hilfe gewonnen werden.

Säkularisierung als Metanarrativ

Je mehr sich die Säkularisierungsdebatte von konkreten religionsgeschichtlichen Fragestellungen entfernte und in ein übergreifendes Metanarrativ einmündete, desto geringer wurde ihr Erkenntnisgewinn. Mittlerweile sinkt sie oftmals zu einem Podium für ideenpolitische Gemeinplätze herab und beflügelt weniger den wissenschaftlichen Diskurs als den weltanschaulichen Streit. Das trifft allerdings auch auf die religionsapologetische „Widerlegung“ des Säkularisierungsparadigmas zu. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung einer Rückkehr „der“ Religion bleibt dem Säkularisierungsdenken insoweit verhaftet, als sie eine zeitweilige Abwesenheit von Religion voraussetzt, die nun aber zu einem Ende gekommen sei. Eine Welt ohne Religion scheint für manche so wenig denkbar, wie eine Welt mit ihr bei anderen Ängste auslöst.

Hier kann es nützlich sein, sich den alten Streit um den Liberalismus in Erinnerung zu rufen, der ebenfalls zwischen der Furcht vor zu viel bzw. zu wenig Religion stattfand. Fast alles, was gegenwärtig der Säkularisierung zugeschrieben wird, wurde im 19. Jahrhundert unter dem Oberbegriff des Liberalismus diskutiert. Mit Ausnahme einiger religiöser Fundamentalisten wüsste heute aber niemand mehr zu sagen, inwiefern der Liberalismus eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder den Fortbestand des Staates sein könnte. Man hat gelernt zu differenzieren und unterscheidet Aspekte liberalen Denkens, die sich in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedlich auswirken können.

Auf einen Blick

Mit ihrem Leitbild der Gleichbehandlung aller Religionen nahm die Religionswissenschaft am Ende des 19. Jahrhunderts eine Position vorweg, die nach Abschaffung des Staatskirchentums in das demokratische Verfassungsrecht der Weimarer Republik übernommen wurde. Indem sich die allgemeine Religionsgeschichte vom partikularen Standpunkt des Christentums distanzierte, entwickelte sie eine eigenständige, auf den religionsgeschichtlichen Vergleich ausgerichtete Systematik und ein interdisziplinäres Spektrum religionswissenschaftlicher Theorien und Methoden. Durch die Aufgabe der religiösen Binnenperspektive verlagerte sich ihr Erkenntnisinteresse von Problemen des richtigen Glaubens auf das Verhältnis der Religion zu ihrer nichtreligiösen Umwelt.

Historisch betrachtet ist die Religionswissenschaft eine Spätfolge der neuzeitlichen Herauslösung der Wissenschaft aus dem Einflussbereich des Christentums. Beanspruchte dieses früher, ein universales Welterklärungsmodell zu sein, wird es nun selbst zu einem erklärungsbedürftigen Teil der Welt. Die Religionsgeschichte der Moderne ist auch auf dem Gebiet der Religion durch einen Prozess der quantitativen und qualitativen Ausdifferenzierung charakterisiert. Einerseits nimmt die Zahl der Religionen in der Breite zu. Andererseits führt der Druck weltlicher Erklärungsalternativen zur Fragmentierung der Religion und zu ihrer Anpassung an nichtreligiöse Weltanschauungselemente. Daraus ergibt sich ein ebenso vielschichtiges wie dynamisches Spektrum an Religionsbildungen, die von der Religionswissenschaft interdisziplinär erforscht werden.

Religionsgeschichte Deutschlands in der Moderne

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