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Die Weltseele

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In der frühen vedischen Epoche begegnen wir den ersten Wurzeln eines Phänomens, das zu einem grundlegenden Konzept im indischen Denken werden sollte. Es gab schon immer eine Menge Gottheiten, sowohl unter den Ārya als auch bei der einheimischen Bevölkerung, aber dies war nicht zu jedermanns Zufriedenheit. Manche Seher suchten nach einem vereinigenden Prinzip. Hier begegnen wir Prajāpati, Puruṣa und, etwas später, dem Konzept vom Ātman (Gonda 1960, 180-198). Prajāpati trat zunächst als Schöpfergott in Erscheinung. Der Ṛg Veda liefert mehrere verschiedene Schöpfungsberichte, ohne große Begeisterung und in seinem reichlich chaotischen letzten Buch, da in der frühen vedischen Epoche Schöpfungsmythen nicht viel zählten. Die Hauptsache war die richtige Durchführung der vielen verschiedenen Opferriten. Prajāpati beginnt als ein Gott, der mit Schöpfung, Fruchtbarkeit und den Genitalien in Verbindung gebracht wird. Er wird der Gott der Nachkommen und aller Geschöpfe genannt und angerufen, um Kinder zu gewähren. Dies war etwas zu simpel, also arbeiteten spätere Seher das Thema aus. Hier kommen wir in die Zeit der Brāhmaṇas, die ihn fast als höchste Gottheit feierten. In der Zeit vor dem Anfang war Prajāpati körperloses Bewusstsein. Er fühlte sich einsam und begehrte (kāma), sich zu vervielfältigen. Dies machte den Gott Kāma zu einem der ersten bekannten Götter. Es ist vor allem der Wunsch, der die Schöpfung motiviert. Prajāpati nahm Form an und erschuf die Welt aus sich selbst durch Sprache. Die Fähigkeit, Dinge zu benennen, brachte diese ins Dasein. Dieses Werk war der Göttin Vāc/Vāk (Stimme, Sprache) zu verdanken, die seine Gefährtin und Śakti ist. Das ist jedenfalls eine der Variationen, die in den frühen Quellen zu finden sind. Die Geschichte von Prajāpati wurde viele Male nacherzählt und umgewandelt. Üblicherweise ist Prajāpati der Schöpfer, der die Dinge aus sich selbst hervorbringt. Diese Emanationen schließen die Sonne und den Mond ein, die Sterne, die Erde, die Ur-Ozeane, die Götter, die Asuras, die Menschen, die Brahmanen und selbst die Rituale und metrischen Formen. Die Ordnung der Jahreszeiten, die Tageszeiten, das ganze rituelle Jahr sind der Körper von Prajāpati. Wie alle großen Künstler erschafft Prajāpati nicht nur, sondern er praktiziert auch Tapas, um Kraft zu erlangen, und leidet nach der Schöpfung an schweren Erschöpfungsanfällen. Er ‘sah’ das Soma-Opfer und vollzog es, wodurch er es erschuf. Danach fühlte er sich erschöpft. Also sah er den Sautrāmaṇī-Ritus, der seine Gesundheit wieder herstellte. Prajāpati machte nicht von Anfang an alles richtig. Gelegentlich unterliefen ihm Fehler. Die ersten Geschöpfe, die er außerhalb seiner selbst erschuf, fraßen einander auf. Ich sollte hinzufügen, dass das Wirken von Prajāpati nichts Vages und Obskures war, das am Anfang der Zeit geschah. Im indischen Denken ist die Schöpfung niemals beendet. Alles Neue, was erscheint, ist wirkende Schöpfung. Und Prajāpati ist der Opfernde und das Opfer. Ein Mythos erzählt uns, dass sein Kopf zum Himmel wurde, seine Füße die Erde und seine Brust die Atmosphäre. Wie im realen Leben sind die Schöpfung und ihr Schöpfer niemals völlig voneinander getrennt.

Prajāpati war jedoch nicht der einzige Anwärter für eine allumfassende Gottheit. Es gibt noch eine Gestalt mit einer ähnlichen Funktion: Puruṣa. Diese Gottheit ist ein enger Verwandter des Urriesen Ymir, der in den Eddas zu finden ist, des Urwesens Pan Gu und der Schöpferin Nü Wa des frühen chinesischen Mythos und einiger ähnlicher eurasischer Proto-Gottheiten. Wir befinden uns auf der Spur von etwas wirklich Altem. Puruṣa ist üblicherweise ein gewaltiger Riese, der manchmal einfach der Mensch, Menschheit, Person, Geist oder der Mann genannt wird. ‘Mann’ klingt menschlich, ist es aber nicht unbedingt. ṚV 10.90 erzählt, dass Puruṣa sich über die ganze Erde erstreckte. Er hatte tausend Augen, Köpfe und Füße. Er war alles, was war und alles, was sein würde. Die Götter erwählten Puruṣa zum Ersten Opfer. Sie zerlegten die ursprüngliche Einheit und erschufen die Jahreszeiten daraus. Sein Fett wurde zu den Tieren im Wald, in der Luft und im Dorf. Sein Körper wurde zu den poetischen Versmaßen, den Strophen und Gesängen. Der Mond wurde aus seinem Geist gemacht, die Sonne aus seinem Auge, der Wind aus seinem lebendigen Atem, während sein Mund Indra und Agni hervorbrachte. Der Kopf wurde der Himmel, der Nabel das mittlere Reich, die Füße verwandelten sich in die Erde, die Ohren unterteilten die Viertel des Raumes. Die Glieder wurden aufgeteilt, um die Klassen (Varṇas) der Gesellschaft zu unterteilen. Ein guter Beleg dafür, dass wir es mit einer recht späten Hymne zu tun haben: In der frühesten vedischen Epoche sind vier Klassen noch unbekannt. Die Brāhmaṇa (Priester, Lehrer, Gelehrte) wurden aus dem Mund erschaffen; sie rezitieren die heiligen Texte und wahren eine Tradition des Lernens und der Rituals. Die Arme wurden die Kṣatriya (Krieger, Adlige, oft Könige), deren Aufgabe es ist, zu kämpfen, zu schützen, Recht zu wahren und zu regieren. Die Hüften wurden Vaiśya (Bauern, Kaufleute, Händler, Geldverleiher), d.h. jene, die Nahrung erzeugen und sie verteilen. Im Gegensatz zu den zwei erstgenannten Klassen galten die Vaiśyas als Abhängige, welche ohne das Wohlwollen der oberen Klassen kein Existenzrecht hatten. Die Füße wurden die Śūdrās (Handwerker, Diener, Künstler, Dienstboten, Hilfsarbeiter), die sich buchstäblich am Boden des gesellschaftlichen Systems befinden. Ihre wichtigste Aufgabe wurde es, den drei oberen Klassen ohne Widerspruch zu dienen. Alle anderen, wie Ausländer, Stammesvolk, Ureinwohner und solche, die mit unreinen Materialien zu tun haben, tauchen in diesem Modell nicht einmal auf. Puruṣa, obwohl zerschnitten und zerteilt, starb nicht. Die opfernden Götter brachten das Opfer dar: Dies waren die frühesten heiligen Bestimmungen (ṚV 10, 90, 16). Puruṣa wurde der Ursprung, aber auch die Gesamtheit der spätvedischen Welt. Der Geist von Puruṣa war die alles durchdringende Wahrnehmung, die Essenz von allem, was existiert.

Dies ist nicht der einzige Schöpfungsmythos des ṚV; es gibt auch andere, die alles einem goldenen Embryo zuschreiben (10, 121), der kosmischen Hitze (10, 190), einem Allmächtigen (10, 81-82) und der kosmischen Kuh und Schöpfungsgöttin Aditi: Im ersten Zeitalter der Götter wurde die Existenz aus der Nichtexistenz geboren. Danach wurden die Viertel des Himmels geboren von ihr, die mir gespreizten Beinen hockt. (10, 72, 3, nach Doniger O’Flaherty). Aditi brachte Dakṣa hervor, Dakṣa brachte Aditi hervor, die acht Söhne gebar, und die Götter ließen die Welt anschwellen.

Ein drittes Konzept ist Ātman. Ursprünglich ist der Ātman das Prinzip des Selbst, des Bewusstseins hinter den Sinnen, und der Geist. Im ṚV bedeutet das Wort Atem, Vitalität, Leben. Der Ātman wohnt allen Lebewesen inne, verschwindet aber beim Tod in den Wind, also in den allumfassenden, uneingeschränkten Atem. Spätere Perioden wandelten dieses einfache Konzept um. In den Upaniṣaden wird der Ātman zu einer unsterblichen, ewigen ‘Seele’. Er ist die Essenz hinter allem Bewusstsein, aber er wohnt in der ursprünglichen Leere des tiefen, traumlosen Schlafes. Man kann ihn die subtile Essenz von allem, was lebt und atmet, nennen. Nicht lange danach statteten die Upaniṣaden jedes Wesen mit der essentiellen Qualität des Ātman aus. Es ist nur ein kleiner Schritt zum Konzept des Ātman als Weltseele und dem Allbewusstsein. Die BāUp setzt den Ātman mit Brahman gleich und erklärt, dass die Betrachtung des Ātman die Vereinigung mit ihm ist.

Damit haben wir drei Versuche vor uns, so etwas wie ein kosmisches, allumfassendes, formloses Selbst darzustellen. Puruṣa und Prajāpati sind nicht besonders gut definiert, da ihre primäre Funktion darin besteht, alles andere zu erzeugen. Diese Rolle wurde in den Brāhmaṇas entwickelt, aber zur Zeit der frühen Upaniṣaden (ca. 8. Jh. v.u.Z.) verblasste sie. An ihrer Stelle entstand das Konzept des Brahman (Ausdehnung) als All-Selbst, der Weltseele, und eines namenlosen, formlosen, undefinierbaren, alles einschließenden Bewusstseins als Ursprung der Götter, Dämonen, Menschen, Tiere, Pflanzen und der Elemente sowie von allem, was sonst noch existiert. Brahman ist unfassbar, der nicht-begreifbare, ewige, unveränderliche Urgrund des Seins, die Absolute Realität, aus der alle spezifischen Realitäten und Dinge hervorgehen.

Im Gegensatz zu allem, was existiert, wurde das Brahman als vollkommen passiv empfunden. Und im Gegensatz zu aller Existenz, die kommt, sich verändert und wieder vergeht, ist Brahman unendlich und ewig. Mit dieser Erkenntnis hat das indische Denken einen ungeheuren Höhepunkt erreicht. Hier ging es nicht mehr um irgendwelche Götter, die Opfer verlangen, um gute Dienste zu leisten. Brahman ist nicht Gott und auch nicht ein höchster Gott, sondern das reine Bewusstsein, welches Götter, Menschen, Tiere und alle anderen Wesen und Dinge erst möglich macht. Dieses Konzept blieb bis zum heutigen Tag populär und ist eine der Grundlagen der hinduistischen Philosophie. Genau deshalb, weil alle Wesen ihre Bewusstheit von Brahman erhalten, können Götter zu Menschen und Menschen zu Göttern werden, verändern Wesen ihre Gestalt und Bewusstheit und ist die Erlangung kosmischen Bewusstseins möglich. Und mit dieser Einsicht verlor das gute alte vedische Weltbild, in dem es vor allem auf Opfer, Lobpreisungen, Askese und gute Beziehungen zu Göttern ankam, immer mehr an Bedeutung.

Wer sich eins mit Brahman wusste, konnte auf die meisten Opfer und Rituale verzichten. Doch diese Entwicklung brauchte ihre Zeit. Zunächst wurden solche Ideen nur von vereinzelten Gruppen von Asketen entwickelt, die im Wald und am Rande der Gesellschaft lebten, während die offizielle Priesterschaft noch die Opferriten pflegte. Und auch die früheren Allselbst-Konzepte gerieten nicht in Vergessenheit, sondern wurden einfach umgedeutet. Prajāpati erscheint im frühen Hinduismus in einer stark eingeschränkten Rolle: er hat sich in Dakṣa verwandelt, darf aber immerhin noch der eifersüchtige Vater von Satī sein. Puruṣa wurde nicht völlig vergessen, sondern eine Metapher für Geist und Bewusstsein; in manchen Tantras werden Śiva oder Viṣṇu als Puruṣa bezeichnet, gelegentlich meint der Begriff auch einfach ‘das Selbst’. Brahman wurde von manchen personifiziert und in eine Gottheit namens Brahmā umgewandelt. Da das frühere Brahman als wichtiges Konzept bestehen blieb, wurde es durch den personifizierten Brahmā nicht ersetzt. Tatsächlich erscheint Brahmā immer als ein relativ kleiner Gott. In der westlichen Literatur wird Brahmā gerne als ‚der Schöpfungsgott‘ mit Viṣṇu (dem Erhalter) und Śiva (dem Zerstörer) auf eine Stufe gesetzt. Die wenigsten Hindus würden hier zustimmen. Denn erstens ist diese Einteilung von Hochgöttern zu Funktionen stark umstritten, und zweitens hat Brahmā als Schöpfungsgott herzlich wenig zu melden. In den Epen hört man Brahmā sagen: ‘Aber ich bin der Schöpfer!’ Und Viṣṇu erwidert: ‘Sicher, und ich habe dich gemacht.’ Einmal, als Brahmā zu sehr prahlte, schnitt ihm Śiva einen seiner Köpfe mit einer Bewegung seines Fingernagels ab. Dies war nicht besonders höflich, und Śiva musste für die Tat Buße tun, aber immerhin hatte Brahmā einen Kopf verloren und erhielt ihn nie zurück. Stattdessen nutzte Śiva ihn als Opferschale. Wenn man das Unpersonifizierbare personifiziert, geht eine Menge verloren.

Kālī Kaula

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