Читать книгу Eisblumen im Blaubeerwald - J.C. Caissen - Страница 11

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Das Telefon klingelt. Corinna meldet sich. Ihr ehemaliger Chef aus Deutschland ist am Apparat. „Du, ich wollte dir nur sagen, daß mich heute die schwedische Botschaft in der Firma angerufen hat. Die haben versucht, dich zu erreichen. Ich habe gesagt, du rufst zurück.“ Corinnas Herz fing an heftig zu schlagen. Als sie sich bedankt und das Gespräch beendet ist, will sie sich erst einmal setzen, ist aber plötzlich viel zu nervös dazu. Seit sie sich vor acht Monaten entschlossen hat, nach Schweden auszuwandern, liegt ein Antrag bei der Botschaft, der jetzt wohl bearbeitet worden ist. Corinna kennt die Bestimmungen. Hat man einen Antrag gestellt, muß man in Deutschland warten, bis dieser genehmigt ist. Unter keinen Umständen darf man während der Antragszeit bereits nach Schweden einreisen, auch nicht als Tourist. Sie war jetzt schon seit drei Monaten in Schweden, arbeitete sogar schon dort, Dennis ging dort zur Deutschen Schule. Jetzt müßte sie wohl Farbe bekennen. Würde ihr Antrag dann noch genehmigt werden? Oder ging es auch anders? Sie könnte einfach so tun, als sei sie immer noch in Deutschland. Sie atmet mehrfach tief durch, nimmt den Hörer ab und wählt die Nummer der Schwedischen Botschaft in Bonn. Sie läßt sich mit der Dame verbinden, die sie heute Vormittag versuchte zu erreichen. Sie hofft, daß ihre Stimme ruhig klingt, als die Dame ihr mitteilt, sie könne morgen die Einreisegenehmigung abholen. „Morgen habe ich bereits einen anderen Termin, aber übermorgen, geht das?“ fragt Corinna. „Ja, das geht. Ich erwarte sie dann um 10 Uhr.“ Corinna legt auf und bereut sofort, daß sie nicht versucht hat, noch einen weiteren Tag an Zeit zu gewinnen, aber sie darf auf keinen Fall auffällig wirken. Abends bespricht sie den Anruf mit André. Sie beschließen, daß aus Gründen der Sicherheit, Dennis nicht mit nach Deutschland reisen darf. Was, wenn man sie dann zusammen doch festhalten würde? Dann wäre alles umsonst gewesen. Nein, das Risiko war zu groß. Corinna telefoniert noch am selben Abend mit Anjas Mutter und wie erwartet, ist es überhaupt kein Problem, daß Dennis die paar Tage bei ihnen wohnt. Am nächsten Vormittag fahren André und Corinna hastig nach Deutschland. Übermüdet kommen sie nach der langen Fahrt dort an, nehmen schnell ein Frühstück bei Freunden, machen sich frisch, dann parken sie vor der Botschaft. Corinna geht pünktlich allein in das Gebäude. Sie meint, die Sachbearbeiterin schaue sie ein wenig zu durchdringend an, aber das ist wahrscheinlich nur weil sie so gespannt ist. „Ja, hier haben wir jetzt die Papiere. Alles ist so weit klar. Sie müssen dann hier unterschreiben. Wann haben Sie vor, nach Schweden einzureisen?“ „Ja, ich dachte so schnell wie möglich“. Corinna grinst jetzt wohl ein wenig zu verschmitzt und selbstsicher, denn nun mustert sie die Dame mit kritischem Blick. „Ihre Firma konnte mir nicht sagen, wo ich sie erreichen konnte. Bei Ihnen daheim bekam ich keinen Anschluß. Sie waren doch wohl nicht zwischenzeitlich schon in Schweden? Sie wissen, daß das nicht erlaubt ist während der Prüfungsperiode.“ „Aber woher, das ist mir doch bekannt. Nein, nein, ich war nur gerade ein paar Tage bei meinen Eltern.“ Corinna unterschreibt die Papiere, bekommt ihren Pass ausgehändigt und verläßt das Gebäude so schnell wie möglich. Draußen, in Andrés Wagen, pustet sie erst einmal richtig aus. „Irgendwie hat die schon etwas geahnt. Na, die kennen wohl ihre Pappenheimer. Jetzt ist jedenfalls alles klar“. „Na, wunderbar, dann können wir ja nun Deine Möbel aufgeben“. André hat am Vortag schnell noch mit einem Freund gesprochen. Der hat eine Spedition und transportiert jede Woche Produkte vom Zentrallager von Andrés Firma, das sich in der Nähe von Frankfurt befindet, nach Stockholm zur Niederlassung. Er sieht eine Möglichkeit, Corinnas wenige Möbel und Kartons zu einem geringen Preis einem solchen Transport beizuladen. Die Sachen müssen nur rechtzeitig am Abhollager bereitstehen. Corinnas Freundin Alice hat sich gottseidank sofort angeboten, das ganze Hab und Gut in Kartons zu verpacken, was sie einige Tage und einige Hin- und Herfahrten gekostet hat. Sie wohnt schließlich nicht gerade um die Ecke, sondern in einer entfernten Stadt. Ein Anruf bei ihr am Vortage brachte die freudige Überraschung, daß Alice bereits mit allem fertig war. Corinna war ihr unheimlich dankbar dafür. Und so stehen Möbel und Kartons abholbereit in Corinnas Wohnung, für die sie noch bis zum Monatsende Miete bezahlte hat.

Nun fahren André und Corinna mit einem kleinen Lastwagen vom Hof eines Autoverleihs, hinüber zu Corinnas Wohnung, lasten alles ein, um dann zweihundert Kilometer zum Abhollager zu fahren, wobei sie gut hundert Kilometer davon in dickstem Schneesturm voran kriechen. Die Uhr tickt, das Lager schließt die Tore in einer Stunde. Sie müssen es einfach schaffen, dann den Transporter wieder zurückbringen, schnell wieder die lange Fahrt nach Schweden und am nächsten Tag direkt wieder zur Arbeit. Sie kommen rechtzeitig auf den Hof und können die Ladung einlagern. Die passende Tour nach Schweden steht noch nicht fest. Das kann dauern. Man muß eine Lieferung abwarten, die nicht den ganzen Lastwagen in Anspruch nimmt, so daß noch Platz ist für Corinnas Möbel. Es sollte tatsächlich vier Wochen dauern, bis Corinna und André die Fracht dann endlich im Stockholmer Lager abholen konnten. Jetzt fahren sie erst einmal die zweihundert Kilometer zurück, wieder im Schneesturm, währenddessen André dann vor Müdigkeit auf dem Beifahrersitz zusammensackt, aber sogleich wieder hellwach wird, als sie auf den Hof der Autovermietung fahren. Corinna beschwert sich noch im netten Ton bei dem Angestellten. “Irgendwas muß kaputt sein. Immer bei hundertzehn Stundenkilometern leuchtete eine kleine rote Lampe auf. Keine Ahnung, was das sein kann.“ „So so. Gute Frau, diese Lampe hat ihnen nur immer wieder angezeigt, daß sie das Tempolimit für diesen Wagentyp überschritten haben.“ „Ach du liebe Güte, ich hatte keine Ahnung.“ Na ja, sie haben es ja auch eilig gehabt.

Sie steigen um in Andrés Auto und weiter geht es wieder in Richtung Schweden. Der Wagen ist vollgepackt bis unter das Dach, darunter auch endlich einige Spielsachen, die sie aus Walters Wohnung abholen duften. Walter selbst wollte nicht zu Hause sein, wenn sie kommen, die Sachen zu holen. Allerdings sollten sie auch noch ein verpacktes Fahrrad mitnehmen, ein verspätetes Weihnachtsgeschenk von Walter an Dennis. Darüber wird Dennis sich sicher freuen.

Die lange Strecke zieht sich. Obwohl sie sich jede Stunde ablösen, werden ihnen die Augen immer schwerer und irgendwann wird es einfach zu gefährlich noch weiterzufahren. Sie müssen unbedingt eine Pause machen. Als sie in Puttgarden als erste in der Autoschlange zur Fähre einparken, lesen sie, daß die nächste Fähre erst in einer Stunde geht. Hinter ihnen füllt sich schnell die Reihe mit Autos, die auf die Fähre wollen. Sie verriegeln die Türen und lehnen sich in die mitgebrachten Kissen zur Mitte hin, mit den Köpfen aneinander, und schlafen sofort erschöpft ein. „Das gibt’s doch nicht. Du, wir haben verschlafen“. Corinna ist mit einem Ruck hellwach. Der Blick auf die Uhr zeigt, daß sie eine viertel Stunde zu lange geschlafen haben. Vor ihnen die Fähre ist weg, hinter ihnen steht nicht ein einziges Auto mehr. Alle sind schön artig an ihnen vorbeigefahren. Nicht einer hat gehupt oder sie aufmerksam gemacht. Überhaupt nicht nett.

Mit der nächsten Fähre kommen sie weiter. Während der Überfahrt können sie noch einmal kurz einnicken, und auf der Fähre von Dänemark nach Schweden dann auch noch einmal. Diese kurzen Ruhepausen ersetzen natürlich nicht den gesunden Tiefschlaf. Als sie schon eine Weile durch Schweden fahren, geht die Sonne auf und das Weiterfahren im Hellen wird etwas einfacher. Gegen Mittag erreichen sie wieder ihr Zuhause, nach der Schule nachmittags holen sie Dennis ab. „Nochmals vielen Dank“. „Ist doch kein Problem“. Nur schnell wieder heim und dann ab ins Bett. Dennis ist glücklich über das Fahrrad und über seine anderen Spielsachen und endlich, endlich hat er jetzt auch wieder seine heißgeliebten Bücher. Er verschwindet in sein Zimmer, und André und Corinna fallen erst mal in tiefen Schlaf. Erst zum Abendessen sitzen sie dann wieder gemeinsam im Eßzimmer bei einer schnellen Fertigpizza, bevor sich alle drei wieder in die Betten verkriechen.

Alles ist gut gelaufen, obwohl es eine anstrengende Tour war. Es ist schon erstaunlich, wie alle einzelnen Puzzleteilchen so reibungslos ineinander gehakt haben. Die fertigen Papiere, die gepackten Kartons und Möbel, der gekündigte Mietvertrag für die Wohnung, der Möbeltransport, alles hätte ja auch ganz, ganz anders laufen können. Es ist wirklich wichtig und wohltuend, wenn man richtige Freunde hat, und manchmal braucht man einfach auch ein wenig Glück.

Ein Vierteljahr später findet Corinna einen Brief im Briefkasten. Sie liest die Androhung eines Zahlungsbefehls von einem Versandhaus, wenn nicht innerhalb der angegebenen Frist das auf Rechnung gekaufte Fahrrad bezahlt würde. Sie versucht, Walter telefonisch zu erreichen, der aber meldet sich tagelang nicht. Sie setzt sich sofort hin und verfaßt ein Antwortschreiben, in dem sie erklärt, daß das Fahrrad ein Geschenk von Walter sei, der den Kauf getätigt hätte. Vorsichtshalber bittet sie die Firma, ihr den angeblich von ihr selbst unterschriebenen Kaufvertrag zuzuschicken. Im äußersten Fall, so schreibt sie, stehe das Fahrrad zur Abholung bereit.

Damit war die Rechtslage eindeutig. Die Firma meldete sich nie wieder.

Eisblumen im Blaubeerwald

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