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Nach den Feiertagen beginnt der Alltag. Dennis wird in der Deutschen Schule in Stockholm angemeldet. Einfach unvorstellbar für Corinna, daß die Anmeldung so einfach und ganz ohne schwedische Aufenthaltserlaubnis von statten geht. So etwas wäre in Deutschland gar nicht möglich, und gottseidank hat sie sich darüber vor dem Umzug auch keine Gedanken gemacht.

Corinna spricht mit dem Schulleiter. Sie erklärt ihm die heimische Situation, denn sie hat Angst, daß Walter, Dennis' Vater, so clever sein könnte, seinen Sohn einfach von der Schule abzuholen und ihn wieder zurück nach Deutschland holen könnte. Sie jedenfalls würde sofort auf diese Idee kommen, ganz sicher. „Niemand darf mein Kind abholen. Niemand, außer mir selbst“, instruiert sie den Schulleiter eindringlich.

Corinna nimmt am ersten Schultag teil. Die Lektionen werden in verschiedenen Sprachen abgehalten. Einige Fächer werden in schwedischer Sprache unterrichtet, andere wiederum in Deutsch. Die Lehrerin stellt Dennis der Klasse vor und fragt sofort, wer in der Nähe von Dennis' Adresse wohnt. Die kleine, dicke Anja hebt die Hand hoch. „Prima, dann fährst du von morgen an zusammen mit Dennis zur Schule und zeigst ihm den Weg mit Bus und Bahn und wie alles geht.“ Sollte das wirklich so einfach sein? Corinna ist völlig überrascht und merkt sich Anjas Gesicht, um mit ihr nach dem Unterricht alles besprechen zu können. Die allerdings springt nach der Stunde bereits munter und freundlich zu Dennis und vereinbart mit ihm, wie und wo sie sich morgen treffen werden, um dann gemeinsam in Richtung Schule zu fahren. Ein Schulweg von immerhin etwa 25 km.

„Bis morgen dann, und sei pünktlich, tschüss“. Als Corinna Dennis erreicht, ist sie schon wieder durch die Tür und verschwunden. „Du, die Anja ist richtig nett“, meint Dennis zufrieden. Tags drauf begibt sich Corinna mit Dennis zum Vorstadtbahnhof. Dort wartet bereits Anja auf Dennis. Die zwei beginnen sofort ein munteres Gespräch. Corinna hält sich zurück und versucht nur, sich die nun folgende Strecke einzuprägen. Erst mit der S-Bahn, dann umsteigen in die U-Bahn, später noch in den Bus, und das letzte Stück bis zur Schule geht es zu Fuß. Das kann sie sich wirklich nicht alles merken. Anja aber plaudert los und erklärt Dennis genau, welche Haltestellen, Bahnsteige, Linien und Wege er sich merken muß, und Dennis scheint nicht beunruhigt, er scheint darin keinerlei Schwierigkeiten zu sehen.

Schon am dritten Tag sieht Corinna keinen Grund mehr, das Kindermädchen zu spielen. Im Gegenteil, sie fühlt sich eher fehl am Platz, wenn Anja und Dennis Arm in Arm, ihre Rucksäcke auf den Rücken, laut diskutierend und lachend mehr vor- als neben ihr herlaufen. Jetzt kann sie sich auf andere Dinge konzentrieren. Anjas Eltern hat sie auch bereits kennengelernt. Nach der Schule geht nun Dennis noch oft und gern mit zu Anja. Die Eltern sind auch Deutsche, der Haushalt allerdings ist so gar nicht typisch deutsch. Alles etwas unordentlich, überall liegen Jacken und Schuhe im Flur. Es gibt alte Schränke mit vielen Schubladen, in denen jede Menge Bastelkram untergebracht ist, und sehr oft gibt Anja Dennis Spielzeug mit nach Hause, das sie 'wirklich nicht mehr brauche'. Corinna hat für Dennis kein Spielzeug von Deutschland mitnehmen können, ja, sein ganzes Kinderzimmer steht ja noch unberührt daheim bei Walter. Irgendwann, hoffentlich bald, würden sie nach Deutschland fahren und einen Möbeltransport organisieren können. Aber, bis Walter sich beruhigt hatte, müssen sie sich behelfen.

Corinna ist froh, daß es Anja und ihre netten Eltern gibt, und als sie wieder mal bei ihnen in der Ikea-Couch sitzt und mit der Mutter bei Kaffee und selbstgebackenen Zimtschnecken redet, flitzt mehrmals ein Kaninchen durchs Zimmer, verfolgt von einer dicken schwarzen Katze. Corinna blickt auf, aber kein anderer notiert die Tiere, die laufen wohl immer frei im Haus herum.

Völlig unwichtig, daß es hier nicht deutsch ordentlich ist, denn hier ist man immer herzlich willkommen und kann sich so richtig wohlfühlen. Anjas Mutter ist eine Tagesmutter und ständig wuseln irgendwelche Tages- und auch Pflegekinder verschiedener Altersgruppen im Haus herum. Anja ist es also gewohnt, Spielzeug mit anderen zu teilen, daher die Großzügigkeit. Corinna gefällt diese Familie, und Dennis hat eine Freundin im fremden Land gefunden. Was für ein unsagbar großes Glück sie doch haben.

André geht nach den Weihnachtsfeiertagen auch wieder seiner Bürotätigkeit nach und Corinna versucht, die Stellenausschreibungen in der Zeitung zu entziffern, was ihr nicht im geringsten gelingt. Diese Sprache ist einfach zu kompliziert. Sie ist angewiesen auf Andrés sprachliche Hilfe. Sie macht sich ernsthafte Gedanken. Nun hat sie der Alltag eingeholt. Wie hat sie sich das nur ausgemalt? Wie soll sie nur eine Stelle finden, so ganz ohne schwedische Sprachkenntnisse? Eine Arbeit braucht sie aber dringend. Von Andrés Gehalt allein können sie nicht existieren. Das Leben in Schweden ist teuer, viel teurer als sie sich das vorstellen konnte, sehr teuer.

André ist da viel zuversichtlicher, oder ist er einfach romantisch verträumt? Er sieht keine großartigen Probleme, alles wird sich schon irgendwie regeln lassen. Und sie wird auch sicher bald eine Arbeitsstelle bekommen. Corinna aber entdeckt, daß der Käse zu Ende geht und sie kein Geld in ihrem Portemonnaie hat, um neuen zu kaufen. Gemeinsam fahren sie zur Tankstelle. André greift ins Regal, wählt den passenden Käse aus und bezahlt mit seiner Kreditkarte. Corinna sieht den Tankwart an, der komischerweise keine Miene verzieht. „Darf es noch was anderes sein?“ fragt er höflich nach. „Ja, ich habe getankt, auf der Nummer 4“. Zwei Minuten später sind sie wieder draußen. „Was war das denn? Du kannst doch nicht ein simples Stück Käse mit Deiner Kreditkarte bezahlen? Wie peinlich. Ich habe mich ja so geschämt.“ André hält inne und sieht sie verdutzt an. „Wieso das denn, du kannst hier alles mit Kreditkarte bezahlen. Das ist doch besser, als ständig Bargeld herumzuschleppen, oder? Hier brauchst du dich dafür nicht zu schämen. Scheinbar sind wir in Schweden moderner als in Deutschland. Das hätte ich nicht gedacht“. Er lacht Corinna an, zieht ihr Gesicht heran und küßt sie auf den Mund. Sie liebt seine sanften Augen und seine warmen Lippen. Jetzt geht es ihr auch schon gleich viel besser. Mit André zusammen wird sie es schaffen.

Ein paar Tage später kommt er abends schon früh nach Hause. Er stürmt in die Wohnung, nimmt sie in die Arme und wirbelt sie herum „Hallo da. Du hast einen Vorstellungstermin, mein Liebling.“ Ihr wird schwindelig. „Was? Wo denn? Wie hast du das denn so schnell hingekriegt?“ „In der Produktionseinheit unserer Firma. Die Personalchefin ist unsere Nachbarin, ich meine natürlich, sie wohnt in dem Haus neben meiner Exfrau. Ich habe sie heute einfach mal angerufen“. „Um Himmels Willen, dann kriege ich den Job ja nie, wenn sie deine Exfrau kennt“. Corinna verläßt schon wieder der Mut. Was, wenn die Nachbarin nun zu Eva, Andrés Exfrau, ein gutes Verhältnis hat und vielleicht sogar Mitleid mit der verlassenen Eva hat? Ja, dann würde sie wahrscheinlich nur mal 'die Neue' neugierig kennenlernen wollen, dann aber absagen und stattdessen jemand anderen nehmen. „Nein, das glaube ich nicht. Laß doch nicht immer gleich den Kopf hängen. Du gehst da hin und machst einen guten Eindruck, wirst schon sehen.“ André ist, wie immer, so fröhlich und positiv. Er lacht, und dann gehen sie gemeinsam durch, was Corinna denn bei dem Vorstellungsgespräch sagen soll und was lieber nicht. André weiß auch nicht, um welche Tätigkeit es sich handelt, es gibt da wohl verschiedene Möglichkeiten. Corinna ist ganz aufgeregt, abends kann sie kaum einschlafen. Sie rechnet wirklich nicht damit, daß alles reibungslos ablaufen wird. Die Nachbarin ist wahrscheinlich nur einfach neugierig. Sie würde sie aushorchen wollen, über die 'Affäre' ihres ehemaligen Nachbarn und dann tschüss.

Corinna ist pünktlich. Nicht zu früh und keine Minute zu spät. Die Personalchefin ist eine drahtige Ziege, hat weißblondes, kinnlanges Haar, harte Züge, Eisaugen und eine kalte, schnarrende Stimme. Corinna läuft es eiskalt den Rücken herunter. Was für eine unangenehme Stimme. Sie fixiert aber ihr Gegenüber mit aktiven, freundlichen Augen und streckt ihr entschlossen die rechte Hand zum Gruß entgegen. Dabei achtet sie darauf, daß ihr Händedruck fest, aber nicht zu hart wirkt. Sie ergreift eine knochige, fast kalte Hand. Sie setzen sich beide, wobei Corinna vor dem Schreibtisch Platz nimmt. „Erzählen sie doch mal,“ wie selbstverständlich spricht die Personalchefin englisch mit ihr, „wie haben sie und André sich denn kennengelernt?“ Genauso hatte sie es sich vorgestellt. Jetzt beginnt das Verhör, das Aushorchen. Corinna läßt sich nichts anmerken. Sie erzählt in freundlichem Ton positiv von ihrem Mann in Deutschland, ihrem Sohn und daß es sie wie ein Blitz vom heiteren Himmel getroffen hatte, als sie auf André traf. Und ganz bewußt erwähnt sie natürlich, daß es André genauso ergangen sei. Keiner von beiden sei auf der Suche nach einem Abenteuer gewesen. Hier war ein wenig Taktik gefragt, aber eigentlich hatte sich alles ja auch genau so abgespielt.

Corinna meint, einen Anflug von Neid in der Stimme ihrer Gesprächspartnerin zu erkennen. Sie fragt und fragt und hört dann wiederum höchst interessiert zu.

Corinna geht zur Sache: „Ich hatte gedacht, ich könnte vielleicht in der Fabrik am Fließband arbeiten. Das müßte doch gehen ohne Schwedischkenntnisse?“ Die Personalchefin schaut sie erstaunt an. „Ach, woher. Bei ihrem Background? Da müssen wir doch etwas Besseres finden. Schließlich hatten sie doch die Verantwortung für eine große Abteilung in Deutschland.“ Jetzt lieber etwas zurückhaltender sein. Corinna wirft ein „Ja, aber, ohne Schwedisch zu sprechen?“ „Aber sie wissen doch genau wie ich, daß unsere Konzernsprache schließlich Englisch ist. Eine Position als Manager kann ich ihnen nun nicht gerade anbieten, aber, ich glaube, die Tätigkeit eines Systemanalytikers würde ihnen liegen. Was meinen sie?“. Was immer sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt, Corinna will die Herausforderung annehmen. Sie antwortet schnell und überlegt, aber nicht hastig und voreilig. Die Personalchefin erklärt ihr die Hintergründe, Corinna stellt viele Fragen und zeigt positives Interesse. Das hört sich alles gut an. Sie würde alles abends mit André diskutieren, aber jetzt sagt sie erst einmal sofort zu. Eine Festanstellung kann es leider momentan nicht werden, aber Corinna kann die Vertretung für eine Kollegin im Mutterschutz übernehmen.

Endlich, endlich ist das Gespräch zu Ende, der Vertrag ist unterzeichnet. Corinna kann es nicht erwarten, aus dem Gebäude zu kommen. Sie reißt sich zusammen, sonst wäre sie wahrscheinlich wie eine Zehnjährige über den Parkplatz gehüpft. Es ist später Nachmittag und André und Dennis könnten bereits zu Hause sein. Sie fährt gutgelaunt heim und fällt André direkt in die Arme, der ihr die Tür öffnet. „Ich habe einen Job. Ich habe wirklich einen Job“, ruft sie sofort. „Na, was habe ich dir gesagt. Alles wird gut. Das müssen wir erst einmal feiern. Rein zufällig habe ich hier noch eine Flasche Sekt im Kühlschrank. Dennis, hol mal drei Gläser. Zur Feier des Tages bekommst du auch einen klitzekleinen Schluck“.

André hat es gewußt, von Anfang an hat er daran geglaubt. Er hat einfach auf Corinnas Fähigkeiten und ihre Art, sich gut zu verkaufen, vertraut. Corinna muß zwar kräftige finanzielle Abstriche machen, aber ihr ist nur wichtig, überhaupt wieder in die Firma hineinzukommen, dann würde sie schon zeigen, was sie leisten kann. Überhaupt hat Corinna noch nie Gehaltserhöhungen diskutiert. Ihre Einstellung ist immer gewesen 'entweder sieht mein Management, was ich wert bin oder ich habe das falsche Management'. Damit ist sie bisher immer gut gefahren, und Gehaltserhöhungen ließen wirklich nicht auf sich warten. Jetzt will sie sich so anstrengen, daß man sie auch nach dem Mutterschaftsurlaub der Kollegin weiterhin beschäftigen will.

Eisblumen im Blaubeerwald

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