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Der Traumwächter

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„Das ist ja wohl der älteste Trick der Welt, um abzuhauen“, lachte Herr Fleischmann und drehte seinen Kopf kurz zur Seite.

„Wenn ich das nicht schon in einem Dutzend alter Westernfilme gesehen hätte. Man dreht sich um und schon hat der andere Zeit, seinen Revolver zu ziehen.“

Sein Lachen erstarb. Hinter Herrn Adamek leuchtete ein grelles, weißes Licht, das sich ihm näherte. Je näher es kam, desto deutlicher war ein Gesicht, ein Hals, ein Körper zu sehen, auch wenn man keine festen Konturen erkennen konnte. Es war, als schaute man durch eine Butterbrottüte auf eine erleuchtete Glühbirne mit Menschengestalt.

„Endlich, nach langer Zeit ein Wiedersehen“, hauchte eine hohe, zitternde Stimme, die während des kurzen Satzes zwei Oktaven nach oben und wieder hinunter wanderte. „Schön, dass die Türe offenstand. Schon so oft war ich in den alten Hallen dort unten und habe auf Dich gewartet“, säuselte sie weiter. Aber Du hattest Dich gut versteckt. Nun sogar auf Euch alle drei zu treffen, ist auch für mich eine Überraschung, eine sehr schöne dazu.“

Mit dem rechten Arm, der einem breiten, weißen Lichtstrahl glich, umfasste der Traumwächter Herrn Adameks Hals, der die Pistole vor Schreck fallen ließ. Sie hätte ihm ohnehin nicht genutzt, denn die Kugel wäre durch den Lichtkörper hindurch gesaust, ohne ihn auch nur für einen Bruchteil einer Sekunde von seiner Aufgabe abhalten zu können. Der zweite Lichtstrahl umfasste Frau Bugletts Arm. Herr Adamek zerrte, riss und wackelte, doch der Arm des Traumwächters hielt seinen Hals, als wäre das Licht aus Stahl geschmiedet. Frau Buglett hingegen blieb ganz ruhig. Es war weniger, als hätte sie das Unabwendbare erwartet, als dass sie erleichtert schien, dass die Jagd endlich ein Ende hatte.

„Alles hat seine Zeit“, sagte sie. „Ich bin sehr dankbar darüber, mit Euch einen Teil meines Lebens in der anderen Welt verbracht zu haben, Kinder. Vielleicht sehen wir uns einmal in einem Traum. Ich weiß nicht, was für mich besser sein wird, Euch wiederzuerkennen oder Euch nicht wiederzuerkennen.“

Ihre Stimme versagte kurz, sie schluckte, dann fuhr sie fort.

„Einer von Euch wird der Hüter der Träume. Geht Euren Weg gemeinsam und haltet zusammen.“

Diesen Augenblick nutzte Herr Fleischmann und rannte, so schnell er konnte, an dem Wächter vorbei in den hinteren Raum, der zur Therme führte. Seine Angst war stärker als der Schmerz in seinem Bein, er humpelte nicht einmal. Seine Schritte wurden auf der Treppe leiser, dann verstummten sie.

„Ich habe nur zwei Arme“, sang der Wächter. „Aber ich werde ihn finden, vielleicht morgen schon, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zehn Jahren. Es ist noch niemand auf Dauer entkommen.“

Inzwischen hatte der unnachgiebige Arm des Wächters Herrn Adameks Widerstand gebrochen, der sich nun von der schwebenden Gestalt ohne Gegenwehr in die Therme führen ließ.

Als Frau Buglett an den Kindern vorbeiging, verabschiedete sie sich und sagte:

„Kinder, es tut mir so leid, dass ich Euch auf Eurem Weg nicht begleiten kann. Ich hätte Euch so gerne gelehrt, was ich weiß.“

Der Traumwächter drehte sich um und warf aus seinen weißen Augen einen kurzen Blick auf die Kinder. Dann zog er seine beiden Gefangenen weiter, bis die Kinder sie nicht mehr sehen konnten.

„Jule“, schluchzte Luca, „Jule, was können wir tun? Das ist so gemein.“

„Ich weiß. Aber sie gehören einfach nicht in unsere Welt.“

Auch Jule liefen Tränen über die Wangen.

„Und Herr Fleischmann?“

„Der wird sicher auch über kurz oder lang gefunden.“

Die Kinder standen von ihren Stühlen auf und Jule umarmte ihren jüngeren Bruder.

„Schau mal, da liegt das Buch. Das sollten wir wohl mitnehmen, oder?“

„Das müsst Ihr sogar mitnehmen“, hörten sie eine Stimme, die von der Treppe her zu kommen schien, „und Hektor auch, soll der denn hier verhungern?“

„Frau Buglett“, brüllte Luca vor Freunde und sprang von seinem Stuhl auf.

„Was ist passiert, warum sind Sie noch hier?“

„Mein Kind, ich weiß es nicht. Als wir in der Therme waren, hat mich der Traumwächter plötzlich losgelassen. Er schaute mich an und sagte:

„Du hast noch Deine Aufgabe zu erfüllen. Wenn Du fertig bist, komme ich zurück.“


Jule und Luca - Der Schwarze Fürst

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