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Trauer und Verliebtheit im selben Haus

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Ich habe eine jahrelange konfliktvolle Partnerschaft hinter mir, in der wir immer wieder um eine funktionierende Beziehung gekämpft haben. Ich kann wirklich sagen, dass wir nichts unversucht ließen, aber als auch die letzte Paartherapie keine Lösung brachte, habe ich mir vor gut einem Jahr endlich ein Herz genommen und meine Frau verlassen. Unsere achtjährige Tochter wohnt nun im wöchentlichen Wechsel eine Woche bei ihrer Mutter und eine Woche bei mir – eine Regelung, die von Anfang an funktioniert hat, da meine Exfrau und ich gut miteinander kommunizieren.

Ich muss zugeben, dass ich mich seit der Scheidung »wie neugeboren« fühle, voller Energie und Lebensfreude. Nun habe ich mich vor wenigen Monaten auch noch in eine Frau verliebt, mit der ich mir vorstellen könnte, irgendwann zusammenzuziehen, was mich sehr glücklich macht. Doch inzwischen ist meine Freude getrübt. Meine Tochter, die oft gesagt hat, dass es ihr viel besser geht, nachdem ihre Mutter und ich uns getrennt haben, ist nun sehr zornig auf mich und meine neue Freundin. Sie zeigt uns das auch deutlich, indem Sie besonders meine Freundin schlecht behandelt. Meine Freundin mag meine Tochter sehr gern, ist durch ihr ablehnendes Verhalten aber auch verletzt.

Inzwischen ist es so weit gekommen, dass mein Kind nicht mehr in jeder zweiten Woche bei mir wohnen will, was für alle Beteiligten ein Problem ist. Ich hänge sehr an meiner Tochter, kann ihr schlechtes Benehmen aber nicht akzeptieren und möchte mir von ihr auch nicht vorschreiben lassen, mit wem ich zusammen sein darf. Jetzt brauche ich Ihren Rat, wie ich am besten mit ihrer Eifersucht umgehen soll.

Ein Vater, der glücklich und traurig zugleich ist


Antwort von Jesper Juul:

Jeder, der geschieden wird, fragt sich, was wohl das Beste für die Kinder ist oder inwieweit die Scheidung sie belastet. Sollten wir der Kinder wegen zusammenbleiben?, lautet eine der vielen Fragen, die vom Fragesteller meist umgehend mit der Feststellung beantwortet wird, dass es dem Wohl der Kinder nicht dienen kann, wenn ihre Eltern an einer unglücklichen Beziehung festhalten.

Die Situation im Umfeld einer Scheidung ist so komplex, dass es keine einfachen Antworten gibt. In jedem einzelnen Fall muss man die involvierten Seiten kennen, und selbst dann können die wechselseitigen Beziehungen noch Monate oder Jahre später unvorhersehbare Entwicklungen nehmen.

In Ihrer Familie war die Scheidung eine Erleichterung für die Erwachsenen, und Ihre Tochter war zunächst offenbar genauso erleichtert. Vielleicht nicht über die Scheidung an sich, doch in jedem Fall darüber, dass es ihren Eltern besser ging.

Diese Loyalität ihren Eltern gegenüber hat ihre eigene Trauer über den Verlust ihrer Familie überlagert – eine Trauer, die alle Kinder erleben, unabhängig davon, wie es den Erwachsenen geht. Das bedeutet, dass Kinder noch lange Zeit nach einer Scheidung Eltern brauchen, die ihnen nahe sind und ihren Finger sozusagen am Puls ihrer Kinder haben; die ihre Stimmungen wahrnehmen, ihre Körpersprache beachten und aufmerksam dem zuhören, was sie zu sagen haben. Bei den meisten Kindern, die über eineinhalb bis zwei Jahre alt sind, dauert es circa drei Jahre, bis sie die Trennung ihrer Eltern akzeptieren können.

Kinder brauchen Zeit, bis sie über den Verlust der Familie, der Sicherheit und der Vorstellung, diese würde ewig andauern, hinweggekommen sind.

Wenn man sich verliebt, wird man im buchstäblichen Sinn »egozentrisch«. So muss es auch sein, wenn man richtig verliebt ist, und jeder sollte sich hüten, darüber ein moralisches Urteil zu fällen. Das schließt natürlich mit ein, dass der Verliebte für andere weniger zur Verfügung steht. In Ihrem Fall ist in Ihrem Bewusstsein ein bisschen weniger Raum für Ihre Tochter, Sie sind weniger gegenwärtig als früher und außerdem so glücklich, dass Ihre Tochter, wenn es ihr möglich wäre, alles dafür tun würde, um ihr eigenes Unglück zu verbergen.

Doch es ist ihr eben nicht möglich. Sie braucht ihren Vater und ihre Mutter in dieser schweren Zeit. Die wenigsten 8-jährigen Töchter richten ihren Zorn gegen den geliebten Vater. Deshalb richtet auch Ihr Kind seine Wut lieber auf Ihre Auserkorene, also auf diejenige, die den Platz in Ihrem Bewusstsein eingenommen hat, den Ihre Tochter so nötig braucht.

Nun fragen Sie sich wahrscheinlich, ob man als Vater denn kein Recht darauf hat, verliebt zu sein? Doch, natürlich hat man das, aber in diesem Fall müssen Sie eben einen gewissen Preis dafür zahlen. Was Sie Ihrer Freundin geben, müssen Sie vom Konto Ihrer Tochter abziehen, obwohl es sich um zwei völlig verschiedene Formen der Liebe handelt. Hätten Sie mir schon vor ein paar Monaten geschrieben, dann hätte ich Ihnen sicherlich geraten, mit Ihrer neuen Liebe äußerst diskret umzugehen. Ich kann Ihnen auch jetzt nur empfehlen, zurückhaltend zu sein, wenn es darum geht, Zeit zu dritt zu verbringen. Führen Sie vor allen Dingen einige gründliche Gespräche mit Ihrer Tochter über ihre Bedürfnisse und ihre Einstellung der neuen Familie gegenüber. Was nicht bedeutet, dass Sie ein Leben zu den Prämissen Ihrer Tochter führen sollen, doch müssen Sie ihre Bedürfnisse, Grenzen und Gefühle in Ihre Planungen mit einbeziehen.

Ich schlage vor, dass Sie das Gespräch mit Ihrer Tochter suchen und einräumen, ein wenig zu schnell gewesen und fälschlicherweise davon ausgegangen zu sein, dass Ihr eigenes Glück auch ihr Glück bedeuten würde. Sagen Sie ihr, wie viel sie Ihnen bedeutet und dass Sie sich vorgenommen haben, Ihre Lust, eine neue Dreierfamilie zu gründen, ein wenig zu zügeln. Außerdem können Sie Ihre Tochter einladen, ihren Zorn gegen Sie statt gegen Ihre Freundin zu richten. Erklären Sie ihr, dass Ihre eigene Erleichterung über die Scheidung so groß war, dass Sie Schwierigkeiten gehabt hätten, sich in ihre Trauer hineinzuversetzen, dass Sie dies aber nun versuchen wollen.

Ihr »ablehnendes Verhalten« dürfen Sie ihr nicht vorwerfen, denn es handelt sich nur um den Versuch eines Kindes, seinen Schmerz mit Ihnen zu teilen.

Gibt es hierzu eine Alternative? Ja, Sie können ihr auch erzählen, dass Sie ihren Bedürfnissen leider nicht entgegenkommen können, weil Ihnen die neue Partnerschaft so wichtig ist. Das macht Sie zwar nicht zu einem schlechten Menschen, doch zu einem ungenügenden Vater, der schließlich die Konsequenzen für die Wahl seiner Priorität tragen muss. Die Folge wird vermutlich ein langer Abnutzungskampf sein, in dem Ihre beiden »Frauen« das Gefühl verlieren, wertvoll für Sie zu sein, wodurch auch Sie all das Gute einbüßen, das sie Ihnen geben könnten.

Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen

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