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1. Gloria im Fuchsbau

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Winter 1964/65

Alles fing an, als Ricky - siebzehn Jahre alt, durchschnittliche Größe, unauffälliges Aussehen - zufällig Peter auf der Straße wiedertraf. Die beiden waren eine Zeitlang Klassenkameraden gewesen, aber Peter hatte das Gymnasium nach der zehnten Klasse verlassen. Beide verband eine Leidenschaft für die Musik. Während ihrer gemeinsamen Schulzeit hatten sie zusammen in einer Skiffle Band gespielt, den Skiffle Foxes. Peter war damals der Einzige in der Gruppe, der ein richtiges Instrument hatte. Er spielte Gitarre. Ricky sang und war außerdem Kazoo-Spieler, eine Art Kammbläser. Außerdem gab es noch ein Waschbrett und einen Teekistenbass.

Die Skiffle Foxes brachten es auf insgesamt zwei öffentliche Auftritte. Den ersten hatten sie beim Geburtstag einer Mitschülerin. Das zweite und finale Gastspiel der Foxes erfolgte bei der Vorrunde des Berliner Skiffle Band-Wettbewerbs um das Goldene Waschbrett. Jede Gruppe hatte zehn Minuten Spielzeit; das reichte gerade für drei Stücke. Die Skiffle Foxes waren als zehnte Band an der Reihe. Der Ansager verkündete:

»Wir machen dann weiter mit den Skiffle Foxes, wenn sie nicht inzwischen im Hühnerstall verschwunden sind. Ah, da kommen sie ja schon!«

Die vier Füchse stiegen mit ihren Instrumenten auf die Bühne und stellten sich im Halbkreis um das Mikrofon. Das erste Stück spielten sie vor lauter Aufregung viel zu schnell. Das zweite Stück, Ice Cream, klappte dann besser. Das Publikum spendete freundlichen Applaus. Ricky hatte sich inzwischen an die hellen Scheinwerfer gewöhnt. Er war jetzt viel entspannter. Zum Abschluss sollte er, als Höhepunkt des Auftritts, seine Imitation von Louis Armstrongs Reibeisenstimme darbieten. Ricky presste seine Stimmbänder zusammen, um den gutturalen Klang von Satchmos Stimme nachzuahmen. Heute gelang es ihm richtig gut. Immer mehr steigerte er sich in den Gesang hinein. Dann, kurz vor Ende der zweiten Strophe von When the Saints go marchin‘ in, merkte er, dass er keinen Ton mehr herausbrachte. Offensichtlich hatte er seine Stimmbänder überanstrengt. Ricky deutete auf seinen Hals und gestikulierte wild. Seine Bandkollegen begriffen nicht was los war. Ratlos spielten die Foxes noch eine Weile weiter, dann hörten sie auf. Ricky wollte etwas sagen, hatte aber keine Stimme mehr.

»Danke an die Skiffle Foxes, dass sie sich so kurz gefasst haben«, verabschiedete sie der Ansager. »Vielleicht hat ja jemand im Publikum einen Salbeibonbon für unseren Satchmo von der Spree. Kopf hoch, Jungs, es kann nur noch besser werden!«

Bei den Skiffle Foxes lief nach dem missglückten Auftritt nicht mehr viel zusammen. Die eine Hälfte der Band wollte deutsche Schlager ins Programm aufnehmen, zum Beispiel Da sprach der alte Häuptling der Indianer oder Der Mann im Mond von Gus Backus. Die Lieder würden Stimmung bringen, da könnten alle mitsingen. Ricky und Peter lehnten das ab. Deutsche Schlager hatten nichts mehr mit Skiffle zu tun. Die Fronten waren verhärtet. Bei Prinzipienfragen gab es keine Kompromisse. Jedes Nachgeben wäre ehrloser Verrat an der eigenen musikalischen Überzeugung. Peter und Ricky packten ihre Sachen und verließen den Übungsraum und die Skiffle Foxes.

Als Ricky und Peter sich jetzt wiederbegegneten, lag das Ende der Foxes bereits zwei Jahre zurück. Niemand interessierte sich noch für Skiffle. Beatmusik war angesagt.

»Hey, Ricky, altes Haus, gut dich zu sehen!«, rief Peter. »Hast du etwas Zeit? Ich muss unbedingt etwas mit dir besprechen.«

»Klar, leg los.«

»Ich habe ein paar Leute getroffen. Wir wollen eine Beatband aufmachen. Was uns jetzt noch fehlt ist ein Sänger. Da habe ich gleich an dich gedacht. Hast du Lust? Wir proben am Donnerstag.«

Ricky wollte natürlich dabei sein und sagte sogleich zu. Am Probentag trafen sich Ricky und Peter am U-Bahnhof Leopoldplatz. Von dort gingen sie zu Fuß zum Übungsraum.

»Jürgen würde die Rhythmusgitarre übernehmen«, erklärte Peter unterwegs. »Ich spiele Sologitarre. Einen Drummer haben wir auch schon, der hat von seinem älteren Bruder die Schießbude übernommen. Dann ist da noch Kurt, der will Bass spielen. Er ist zwar ein Anfänger und kein großer Musiker, aber wir können im Lagerraum des Ladens seiner Eltern proben. Er hat sich bereits einen E-Bass gekauft und übt fleißig. Das wird schon werden.«

»Beim Bass kommt es ja auch nicht so drauf an«, pflichtete Ricky bei. »Die Beatles hatten ja am Anfang auch diesen Stuart Sutcliffe, der zwar gut aussah, aber nicht richtig spielen konnte.«

Im Keller unter der Bäckerei von Kurts Familie roch es abgestanden. In einer Ecke lagerten irgendwelche Vorräte, aber sonst gab es genug Platz. Sogar ein Stromanschluss war vorhanden. Der Anfang war mühsam, aber nach einigen Monaten im muffigen Bäckereikeller hatte sich die Band ein kleines Repertoire erarbeitet. Meist waren es einfache, eingängige Songs mit wenigen Harmonien und durchgängiger Akkordfolge. Stücke, die auch viele andere Bands in anderen Kellern probten.

Songs mit ständig wiederholter Akkordfolge hatten den Vorteil, dass sie sich bei Bedarf beliebig strecken ließen. So konnte man auch mit wenigen Stücken über die Zeit kommen. Ricky fand außerdem, dass beispielsweise Louie, Louie oder Gloria eigentlich erst nach fünf Minuten anfingen richtig Spaß zu machen. Dann entfalteten die ewigen Wiederholungen eine gewisse hypnotische Wirkung.

Jetzt fehlte der Band noch der Name. Nachdem naheliegende Bezeichnungen wie The Baker Boys oder The Basement Five keine Zustimmung fanden, einigte man sich nach langer Diskussion zunächst darauf, dass das Wort Beat im Bandnamen präsent sein sollte. Zur Diskussion standen dann Beat Bakers, Beat Shakers und Beat Kings. Als schließlich niemand mehr Lust hatte, noch mehr Zeit mit der Namensfindung zu vertrödeln, einigten sich die Jungens schließlich auf The Beat Masters. Der Name gefiel zwar eigentlich niemandem, aber es gab auch keine Einwände.

Ein erster Auftritt war bereits geplant. Für den Tanzabend in einem Jugendheim in Reinickendorf wurden noch zwei Bands zur Ergänzung der Hausband gesucht. Eine Gage gab es nicht, jedoch immerhin zwei Freigetränke für jeden Musiker und freien Eintritt für eine Begleitperson. Außerdem stellten die Veranstalter Schlagzeug und Gesangsanlage. Ricky sah die Chance, endlich einmal über eine vernünftige Anlage singen zu können. Im Übungsraum hatte er sein Mikrofon immer nur an einen Gitarrenverstärker angeschlossen. Dadurch klang seine Stimme blechern und verzerrt. Durch das bereitgestellte Schlagzeug erledigte sich auch das Transportproblem. Niemand in der Band besaß ein Auto. Nur Kurt hatte einen Führerschein.

Das Equipment, das sie für den Auftritt brauchten, konnten sie einfach mit in die Bahn nehmen. Peter hatte sich einen kleinen Handwagen für seinen Verstärker besorgt. Ein paar Freunde halfen beim Tragen. Als Bühnenkleidung einigten sich die Beat Masters auf weiße Nyltesthemden und Lederschlipse. Eigentlich hasste Ricky die Kunstfaserhemden. Sobald man schwitzte, roch man darin immer wie ein Iltis.

Das Haus der Jugend Fuchsbau war ein langgestreckter Flachbau aus der Vorkriegszeit. Den Namen fand Ricky sehr passend, denn das Gebäude hatte etwas Gedrungenes. Als sie in den Veranstaltungsraum kamen, war bereits eine Band dabei ihre Verstärker aufzubauen. Es waren die Sound Men. Auch sie trugen weiße Nyltesthemden. Jemand sprach Ricky von hinten an.

»Seid ihr die Beat Mothers?«

»Wir sind die Beat Masters«, verbesserte Ricky.

»Auch gut, dann sollten wir das auf dem Plakat noch ändern, da steht nämlich Beat Mothers. Ich bin Helmut von den Five Classics. Wir sind hier die Hausband. Ich bin für die Technik zuständig. Die Sound Men spielen zuerst, dann ihr, und wir kommen zum Schluss.«

»Wie funktioniert denn die Gesangsanlage«, fragte Ricky beiläufig.

»Das muss dich nicht interessieren. Die Anlage ist eingestellt. Wenn etwas verändert werden muss, dann regele ich das. Dreht nicht selbst an dem Eminent herum, sonst macht ihr noch was kaputt.«

Ricky war von der Anlage beeindruckt: Ein nagelneuer Dynacord Eminent Gesangsverstärker mit zwei S45 Boxen - vom Feinsten! Das war bestimmt nicht billig. So eine Anlage konnte er sich nicht leisten. Dabei würde er bestimmt einen besseren Sound aus den Boxen rausholen als dieser eingebildete Fatzke von den Five Classics.

Der Saal füllte sich langsam. Die Jungen standen in einer Ecke, die Mädchen, die deutlich in der Überzahl waren, in der anderen. Kurt, der als Schwerenöter galt, winkte ab:

»Ich steh‘ nicht auf Teenies. Die können in ein paar Jahren wiederkommen oder ihre großen Schwestern vorbeischicken.«

Im Jugendheim wurde kein Alkohol ausgeschenkt, aber Peter hatte sich einen Flachmann mit Jacobi 1880 eingesteckt und verlängerte damit seine Cola. Ein Mädchen im Faltenrock sprach Ricky an.

»Was macht ’n ihr für Musik? Spielt ihr was von Drafi Deutscher oder Cliff Richard oder Loco-Motion von Little Eva?«

»Wir machen Beatmusik und Rock ‘n‘ Roll. Schlager spielen wir nicht«, erklärte Ricky trocken.

»Habt ihr denn auch was, wo man mitsingen kann?«

»Na klar, wir spielen zum Beispiel Do Wah Diddy Diddy oder Gloria. Da kann man den Refrain gut mitsingen.«

»Also Gloria solltet ihr nicht spielen«, mischte sich Helmut von der Hausband ein. »Das ist unser Starstück. Das wollen die Fans von uns hören. Die Sound Men wollten auch Gloria spielen, aber jetzt lassen sie es sein. Das solltet ihr auch tun.«

»Ich weiß nicht, was du willst«, entgegnete Ricky. »Ist doch ein guter Song, den kann doch spielen, wer will. Wir haben da eine ganz eigene Version, die hört sich bestimmt anders an als das, was ihr macht.«

»Das ist unser Song! Ich kann euch nur raten, es sein zu lassen«, sagte Helmut mit drohendem Unterton. Dann verschwand er. Ricky ärgerte sich noch über die Belehrung, als Peter ihm auf die Schulter tippte.

»Du, Ricky, das ist Bommi, ein alter Kumpel. Er spielt gut Mundharmonika. Er würde gerne einsteigen, wenn wir Gloria spielen.«

Bommi hieß eigentlich Michael Baumann, aber alle nannten ihn Bommi - nach seinem Lieblingsgetränk Bommerlunder. Er war einen halben Kopf größer als Ricky, trug eine blaue Jeansjacke, kam aus dem Märkischen Viertel und sah nicht aus wie jemand, der Jugendheime besucht.

»Ich bin nur wegen euch in diesen Jugendschuppen gekommen«, sagte er. »Wär‘ schön, wenn ich ein wenig mitspielen dürfte.«

Ricky hatte nichts dagegen. Inzwischen war der Saal gut gefüllt. Die Sound Men hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen und waren spielbereit. Bevor es losging, gab es vom Leiter des Hauses noch ein paar Begrüßungsworte:

»Willkommen im Fuchsbau, liebe Beatfreunde. Wir haben heute ein volles und tolles Programm für euch. Drei Gruppen stehen bereit, um euch zu unterhalten. Jede Band spielt 45 Minuten. Für den Durst haben wir Cola und Limonade. Rauchen ist hier im Saal übrigens nicht gestattet. Haltet euch bitte daran. Dann haut mal rein, Jungs!«

Die Sound Men spielten hauptsächlich langsamere Stücke. Ricky fand sie langweilig. Vor diesen Trauerklößen brauchten sich die Beat Masters jedenfalls nicht zu verstecken. Nach einer guten halben Stunde hatten die Sound Men ihr Repertoire erschöpft. Sie fingen an Stücke zu wiederholen. Die Ansage des Sängers wiederholte sich auch:

»Auf besonderen Wunsch spielen wir jetzt noch einmal….«

Wahrscheinlich hat die Lusche die Wünsche an sich selbst adressiert, dachte Ricky. Danach waren die Beat Masters an der Reihe. Der Umbau ging rasch vonstatten. Es mussten ja nur die Gitarrenverstärker ausgetauscht werden. Ricky schaute sich den Eminent Gesangsverstärker etwas genauer an. Er wollte zumindest bei den Bässen etwas nachregeln, da der Gesang recht flach geklungen hatte. Da hörte er hinter sich Helmuts Stimme.

»Finger weg von der Anlage! Du verdrehst noch alles.«

»Aber der Gesang klang nicht gut, da waren zu wenige Tiefen in der Stimme.«

»Das lag am Sänger. Seine Stimme ist eben so mittig. Die Einstellung ist ok und bleibt, wie sie ist.«

»Aber du kannst das Mikro doch wenigstens etwas lauter machen, oder?«

»Nein, das geht nicht sonst fängt es vielleicht an zu pfeifen, wegen der Rückkopplung.«

Ricky war sauer, er wollte aber jetzt keinen Ärger machen. Die anderen warteten bereits ungeduldig darauf, dass es losgehen konnte. Sie fingen mit Louie, Louie an. Da konnte man nicht viel falsch machen. Das Schwierigste an dem Stück war, gemeinsam aufzuhören. Als sie später Do Wah Diddy Diddy spielten, kam im Saal Stimmung auf. Viele kannten das Lied aus dem Radio und sangen den Refrain mit. Jetzt war das Eis gebrochen, die Tanzfläche füllte sich. Nach einer Dreiviertelstunde verabschiedeten sich die Beat Masters mit Twist and Shout. Bevor sie die Bühne verlassen konnten, forderte das Publikum eine Zugabe.

»Danke«, rief Ricky ins Mikrofon. »Ein Stück haben wir noch für euch. Das nennt sich Gloria

Peter schaute Ricky zweifelnd an, der nickte nur und sagte: »Das ist unsere Show! Wir ziehen das jetzt durch!«

Dann gab er Bommi ein Zeichen, auf die Bühne zu kommen. Ricky legte sich ins Zeug. Er sang »G-L-O-R-I-A« und das Publikum antwortete »Glo-ri-a«.

Als er nach der zweiten Strophe wieder zum Refrain ansetzen wollte, war plötzlich seine Stimme weg. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte er schon wieder seine Stimmbänder überstrapaziert wie bei der Satchmoimitation? Zweifelnd fasste er sich an die Kehle. Dann merkte er was los war. Am Verstärker war die Beleuchtung ausgegangen.

»Da muss wohl jemand über das Stromkabel gestolpert sein, und er hat dabei aus Versehen den Stecker aus der Dose gezogen. Tja, das war wohl Pech«, sagte Helmut hämisch. Damit war der Auftritt beendet.

Ricky wollte ihm die passende Antwort geben. Am liebsten hätte er ihm das Mikrofon in seine grinsende Fresse geschoben. Bommi hielt ihn jedoch zurück und flüsterte: »Das hat jetzt keinen Sinn. Wir regeln das anders.«

Ricky war immer noch geladen, als er mit seinen Bandkollegen zusammen am Tisch saß. Die Five Classics hatten inzwischen begonnen. Die Gesangsanlage hörte sich jetzt viel besser an, mit mehr Tiefen und mehr Hall. Lauter war der Gesang auch. Helmut hatte wohl nachgeregelt. Trotzdem fand Ricky, dass die Five Classics nicht annähernd so gut waren wie seine Beat Masters. Dem Publikum schien die Darbietung aber zu gefallen. Man wollte jetzt tanzen, dazu passte die Musik.

»Die Gesangsanlage ist eigentlich viel zu schade für diese Musik-Kasper«, sagte Bommi.

»So ein Eminent Verstärker würde mir schon gefallen, schönes Teil, aber den können wir uns nicht leisten«, erwiderte Ricky.

»Die haben mir mein Mundharmonikasolo versaut. Dafür sollen sie bezahlen. Ich finde, eine gute Band wie ihr hat auch das Recht auf eine gute Anlage«, meinte Bommi.

»Tja, aber die werden sie uns wohl kaum schenken, und stehlen können wir sie ja wohl nicht.«

»Wer redet denn von stehlen. Aber ein Fundstück, das irgendwo herumsteht, einer vernünftigen Nutzung zuzuführen, das fände ich ok«, erklärte Bommi. »Weißt du was, wir bleiben bis zum Schluss und schauen uns das Ganze mal in Ruhe an. Als hilfsbereite Kollegen können wir den Five Classics ja beim Abbauen helfen. Mal sehen, wo sie die Geräte abstellen.«

Ricky ließ sich auf das Gedankenspiel ein.

»Nehmen wir mal an, der Verstärker würde hier einfach irgendwo verloren rumstehen. Schön und gut, aber wie kommen wir an ihn ran, wenn das Haus verschlossen ist?«

Bommi deutete diskret auf die große, verglaste Flügeltür, die zur Terrasse führte.

»Wenn man die Verriegelung unten an der Flügeltür löst, müsste man die beiden Flügel ziemlich einfach nach innen drücken können. Wir sollten uns an den Nachbartisch direkt vor die Tür setzen und etwas zusammenrücken, da könnte ich den Riegel schon mal hochziehen.«

Bommi und Ricky setzten sich um. Bommi entriegelte unauffällig die Flügeltür. Dann warteten sie das Ende des Tanzabends ab und boten ihre Hilfe beim Abbauen der Anlage an.

»Wenn ihr helfen wollt, könnt ihr gerne die S45 tragen«, sagte Helmut. Er hatte den Eminent Verstärker im Arm.

Bommi und Ricky schnappten sich eine Box und folgten ihm. Es ging eine kleine Treppe hinab in das Untergeschoss. Rechts standen ein paar Kisten am Treppenabsatz. Nach links führte ein Gang an mehreren Türen vorbei. Die erste Tür war geöffnet, am Schloss hing noch der Schlüsselbund. Helmut stellte den Eminent in ein Regal.

»Stellt die Box vor das Regal«, sagte Helmut. Die große Box verstellte den Blick auf den Verstärker fast vollständig.

Plötzlich hatte es Bommi eilig. »Komm Ricky, wir holen schnell noch die andere Box.«

Als sie wieder in den Saal kamen, mühte sich gerade der Sänger der Five Classics mit der zweiten S45 ab.

»Lass mal stehen«, sagte Bommi freundlich. »Wir machen das zu zweit. Sonst hebst du dir noch ‘nen Bruch.«

Schnell trugen sie die Box in den Keller. Jetzt waren sie allein im Untergeschoss. Helmut legte oben Kabel zusammen.

»Pass auf, ob die Luft rein ist«, flüsterte Bommi. Dann holte er den Verstärker aus dem Regalfach und platzierte beide Boxen so, dass man nicht mehr sehen konnte, dass der Verstärker nicht an seinem Platz war. Schnell trug er das Gerät zum Treppenabsatz und stellte es in die Ecke. Ricky stapelte ein paar leere Kisten als Sichtschutz davor. Sie waren gerade fertig, als Helmut im Keller erschien.

»Oben ist nichts mehr«, sagte Helmut. »Danke für die Hilfe und nichts für ungut. Ich schließ‘ dann ab.«

Ricky und Bommi verabschiedeten sich. Rasch verließen sie das Jugendheim. Sie fuhren zunächst zu Bommi ins Märkische Viertel. Er holte eine große Tragetasche vom Schrank und legte eine Decke hinein. Dann machten sich auf den Weg zurück zum Fuchsbau.

Es war gegen Mitternacht, als sie wieder dort ankamen. Die Nacht war sternenklar. Im Gebäude brannte kein Licht mehr. Sie stiegen über den Zaun, der das Gartengrundstück begrenzte, und versteckten sich im Gebüsch. Von hier hatte man freien Blick auf das Gebäude. Nichts regte sich. Nach fünf Minuten waren sie sicher, dass niemand mehr im Haus war. In geduckter Haltung überquerten sie die Rasenfläche und erreichten die Terrasse des Fuchsbaus. Bommi ging zur Flügeltür, deren Verriegelung er gelöst hatte. Vorsichtig drückte er in der Mitte. Sie müsste sich eigentlich leicht öffnen lassen, aber nichts bewegte sich. Er drückte nochmal kräftig mit der Schulter.

»Scheiße, die Tür geht nicht auf. Was sollen wir jetzt machen, die Scheibe einschmeißen?«

»Nein, das macht zu viel Krach. Ist es auch die richtige Tür?«

»Na klar, hältst du mich für blöd?«

»Ok, ok, vielleicht muss man einfach tiefer ansetzen.«

Ricky ging in die Hocke und drückte weiter unten. Es knirschte, dann verbog sich das Schließblech und begann sich zu lockern. Endlich gab es den Schlossriegel frei. Die Tür war offen. Geräuschlos war die Aktion jedoch nicht abgelaufen. Ricky und Bommi hielten einen Augenblick ängstlich inne. Hatte sie wirklich niemand gehört? Als sich nichts rührte, fassten sie neuen Mut und betraten das Haus. Sie waren jetzt im großen Saal, wo sie noch vor wenigen Stunden auf der Bühne gestanden hatten. Vorsichtig gingen sie zur Tür, die zum Flur führte. Bommi drückte die Klinke. Nichts tat sich, die Tür war abgeschlossen.

»So ein Mist! Wir können doch jetzt nicht alle Türen im Haus aufbrechen.«

»Warte mal. Ich glaube, es geht auch anders.«

Ricky erinnerte sich an eine Tür im hinteren Bereich der Bühne, die zu einem Requisitenraum führte. Von dort gab es ein Durchgang zum Korridor. Die Bühnentür war nicht abgeschlossen. Bommi leuchtete mit der Taschenlampe ins Dunkel des fensterlosen Raumes. Auch die Tür zum Korridor ließ sich öffnen. Bommi klopfte Ricky anerkennend auf die Schulter. Der Rest war ein Kinderspiel. Der Eminent lag noch hinter dem Stapel leerer Kisten. Sie wickelten den Verstärker in die Decke und stellten ihn in die Tragetasche.

»Was machen wir, wenn die Polizei unsere Fingerabdrücke findet?«, fragte Ricky.

»Die Polente hat anderes zu tun als sich um einen verschwunden Verstärker für ein paar hundert Mark zu kümmern. Außerdem waren wir ja abends im Haus. Wir haben sogar beim Abräumen geholfen. Da sind unsere Fingerabdrücke natürlich überall. Den Schaden regelt die Versicherung, das war es dann.«

Jetzt brauchen wir nur noch ein paar anständige Boxen, dachte sich Ricky. Dann kann es richtig losgehen.

Auf dem Rückweg schlossen sie die Terrassentür so gut es ging. Dann verschwanden sie in der sternenklaren Nacht.

Abschied von der Wielandstraße

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