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4. Johnny, der Manager

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November 1966

Der Applaus wollte nicht enden. Erst nach zwei Zugaben ließ man die Beat Masters von der Bühne der Dachluke. Rickys Band hatten bereits öfter in dem Jugendclub am Mehringdamm gespielt. Heute war die Resonanz jedoch besonders gut. Zufrieden stieg Ricky von der Bühne und ging zur Bar, um sich etwas zu trinken zu holen. Er schwitzte und hatte Durst. Gerade wollte er ein Bier bestellen, da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Als er sich umdrehte, schaute er in das lächelnde Gesichte eines mittelgroßen Anzugträgers. Der Mann war um die dreißig, mit adrett geschnittenem, kurzem Haar. Er machte nicht den Eindruck, Stammgast in der Dachluke zu sein.

»Ihr spielt echt toll, Jungs. Große Klasse, great music! Darf ich dir einen ausgeben? Ihr seid mindestens so gut wie die Hound Dogs. Wieso spielt ihr eigentlich für ‘nen Appel und ein Ei in so einem Senatsschuppen, wenn ich fragen darf?«

»Man nimmt eben, was man kriegen kann«, sagte Ricky und nahm einen Schluck aus der Flasche. »In Berlin ist die Konkurrenz groß.«

»Was ihr braucht, ist ein Manager. Jemand, der euch die Türen ins große Geschäft öffnet. Ich könnte das für euch übernehmen. Ich kenn‘ mich im Showbusiness aus. Ich bin Dietrich Reiser, meine Freunde nennen mich Johnny.« Der Mann reichte Ricky seine Geschäftskarte. Dort stand Künstleragentur Astra. Inhaber: D. Reiser. »Ich denke, man müsste nur ein bisschen was an eurem Erscheinungsbild ändern. Etwas modischer könntet ihr schon aussehen. Ihr macht den Eindruck, als wärt ihr geradewegs von der Straße auf die Bühne marschiert. Ein wenig Styling wirkt da Wunder. Das hat auch den Boots geholfen. Die werden auch von mir gemanagt. Jetzt touren sie für 3 000 Mark Minimum am Abend in Westdeutschland. Ihr wirkt auf der Bühne auch noch etwas zu provinziell, nicht groovy genug, if you know what I mean. Aber sonst, ganz tolle Musik! Da lässt sich was draus machen. Ich hätte da auch schon ein paar Ideen: erst eine Tournee im Bundesgebiet und dann die erste Single, im nächsten Jahr dann ein Plattenvertrag und eine Langspielplatte. Das wär‘ doch was, oder? Meldet euch, wenn ihr Interesse habt. Du hast ja meine Karte.«

Natürlich war Ricky misstrauisch. Solche Ansagen hatte er schon öfter gehört. Wichtigtuer gab es in der Musikszene mehr als genug. Ricky bedankte sich für das Bier und vergaß die Angelegenheit.

Er war überrascht, als seine Mutter ein paar Tage später zu ihm ins Zimmer kam und sagte:

»Hier ist ein Herr Reiser für dich am Telefon. Es geht irgendwie um deine Musik. Ihr habt doch nichts ausgefressen?«

Der Name Reiser sagte Ricky nichts. Er hatte keine Ahnung, wer ihn da sprechen wollte. Hoffentlich ging es nicht um die alte Geschichte mit dem Eminent Verstärker, den sie sich im Jugendheim ausgeborgt hatten. Unsicher nahm Ricky den Hörer in die Hand. Die Stimme, die sich am Telefon meldete, kam ihm bekannt vor.

»Hallo, Ricky, hier ist Johnny. Wir haben uns letzte Woche bei eurem Auftritt in der Dachluke getroffen. Nächste Woche spielen bei mir im Liverpool Hoop die Shamrocks aus England. Tolle Band, die kennst du doch, oder? Ich bräuchte da noch eine Vorgruppe. Ich habe an euch gedacht. Habt ihr Zeit? Eine Gage ist nicht drin. Dafür nehme ich auch keine Vermittlungsgebühr. Sonst kriege ich immer 20 Prozent. Es kommen viele Leute von der Presse - große Sache. Das wäre eine echte Chance für euch, um bekannt zu werden. Ich brauche aber eine rasche Zusage, sonst nehme ich eine andere Gruppe.«

Ricky brauchte einen Augenblick, um sich zu erinnern, dass er Johnny seine Telefonnummer gegeben hatte. Die Sache hörte sich gut an. Der Donnerstag, an dem das Konzert stattfinden sollte, war ohnehin der Probentag der Band. Innerhalb von zwei Stunden hatte er die Zustimmung der anderen Bandmitglieder eingeholt.

Eigentlich fand Johnny die Beat Masters nicht besser oder schlechter als andere Bands. Beatmusik klang in seinen Ohren ohnehin meistens gleich. Jedoch registrierte er genau, wie eine Band beim Publikum ankam. Die Beat Masters hatten Ausstrahlung, ein gewisses Etwas. Vor allem Ricky, der Sänger, hatte ihn beeindruckt. Er bewegte sich gut. Den Mädchen schien er jedenfalls zu gefallen. Das war es, was zählte.

Im Grunde verstand Johnny nicht viel von Musik. Er war auch nicht musikalisch. Was er gut konnte, war reden. Da hatte er echtes Talent und konnte überzeugen. Mit Beatles und Rolling Stones hatte Johnny privat nicht viel am Hut. Wenn er überhaupt Musik hörte, dann Schlager: Catharina Valente oder Frank Sinatra. Er hielt dieses Desinteresse aber eher für einen Vorteil. Im Geschäft war es immer nützlich, nüchtern an die Sache heranzugehen. Wichtig war zu erkennen, was der Kunde wollte, wofür er bereit war Geld auszugeben. Persönliche Vorlieben trübten da nur den Blick. Die geschäftlichen Möglichkeiten, die sich aus der Beatbegeisterung der Jugend ergaben, hatte Johnny jedenfalls sofort erkannt. Die Teenager hatten Geld und wollten ihre Musik hören und ihre Stars sehen. Hier lag das Geld auf der Straße, man musste nur wissen, wie man es aufhob. Johnny hatte in seinem Leben bereits mit vielem gehandelt. Warum nicht auch mit Beatmusik? Letztlich war das auch nur eine Ware wie jede andere. Das Entscheidende war doch, dass es eine kaufkräftige Nachfrage gab. Diese Nachfrage musste man mit passenden Angeboten bedienen. Dann war man im Geschäft.

Dietrich Johnny Reiser war in der Ackerstraße im Wedding aufgewachsen, im Hinterhof einer Mietskaserne. Die Schule hatte er mit mäßigem Interesse und noch mäßigerem Erfolg besucht. Nach der neunten Klasse war Schluss für ihn. Danach begann er als Verkäufer bei Hosen-Heinze, einem Herrenausstatter in der Badstraße. In die grenznahe Straße im Westberliner Bezirk Wedding kamen in den 50er Jahren viele Ostberliner zum Einkaufen. Die Geschäfte liefen gut, bis die Kundschaft von drüben nach dem Mauerbau zwangsbedingt wegblieb. Hosen-Heinze musste schließen, so wie viele Geschäfte in Grenznähe.

Johnny bewarb sich daraufhin bei einem großen Radio- und Fernsehgeschäft in Spandau. Der Ladenbesitzer erkannte sein Talent und stellte ihn zur Probe ein. Er wurde nicht enttäuscht. Johnny wurde sein erfolgreichster Verkäufer. Rasch stieg er zum stellvertretenden Geschäftsführer auf. Dass er von Technik nur wenig verstand, war kein Nachteil, denn die Kunden waren ja auch keine Fachleute. Niemand wollte von ihm das Prinzip der Braunschen Röhre erklärt bekommen. Johnny konnte die Fantasie der Kunden anregen, sie zum Träumen bringen. Das war es, was zählte.

»Besonders empfehlen kann ich Ihnen den Fernsehschrank Zauberspiegel von Grundig. Very elegant, wie die Engländer sagen würden. Der ist eine echte Zierde für jedes kultivierte Wohnzimmer. Das Edelholzgehäuse mit echtem Nussbaum-Furnier ist hochglanzpoliert. Wenn Sie die Flügeltüren schließen, haben Sie ein edles Möbelstück. Oder, wenn Sie noch etwas mehr anlegen möchten, hätte ich noch etwas ganz Gediegenes: den Zauberspiegel Falkenstein mit 59 Zentimeter-Bildröhre, Stereo Röhrenradio und Plattenwechsler. Ein Fernsehmusikschrank im altdeutschen Stil. Der verleiht Ihrer guten Stube Glanz bei harmonischen Familienabenden vor dem Fernseher. Heute ist Ihr Glückstag! Wir haben gerade noch ein Gerät zum Sonderpreis vorrätig, Spitzenqualität zum Schnäppchenpreis! Schon bei der nächsten Folge des Durbridge-Krimis könnte das Gerät Ihr Heim zieren. Die Nachbarn werden Sie beneiden.«

Er sprach ruhig und strahlte Kompetenz aus. Nur Leute, die neben ihm saßen, merkten bisweilen, dass sein Knie unablässig wippte.

Abends trieb sich Johnny viel in den Bars am Kurfürstendamm herum. Hier lernte er Schauspieler und Musiker kennen und entdeckte sein Interesse für das Showgeschäft. Auch sein Spitzname Johnny stammte aus jener Zeit. Er bestellte immer schottischen Whisky, vor allem Johnny Walker Red. Überhaupt entwickelte er eine Vorliebe für alles, was von der Insel kam. Begonnen hatte diese Neigung, als er die Krönung von Queen Elizabeth in der Wochenschau gesehen hatte: der Prunk und die Tradition. Das war etwas anderes als die Ruinenstadt Berlin. Das hatte Stil. Er fing an, englische Tweed Jacketts zu tragen und leistete sich später sogar einen echten Burberry Trenchcoat. Nachdem er erfahren hatte, dass Benson & Hedges die Lieblingszigaretten des alten King George waren, des kettenrauchenden Vaters der Queen, kaufte er nur noch diese Marke.

Johnnys Englischkenntnisse waren bescheiden. Trotzdem hatte er sich angewöhnt seine Sätze mit angelsächsischen Floskeln und Einschüben zu garnieren. Wenn Freunde ihn besuchten, bot Johnny gern ein einzelverpacktes, englisches Minzplätzchen an, ein After Eight. Dazu zitierte er regelmäßig den Werbespruch: Cool, creamy peppermint in rich dark chocolate.

Waren keine Kunden im Fernsehgeschäft, dann setzte sich Johnny ins Büro und widmete sich dem Management seiner Künstler. Das ging eine Zeitlang gut. Seine Verkaufszahlen stimmten, und der Inhaber ließ sich tagsüber immer seltener sehen. Dann tauchten jedoch immer mehr Leute im Geschäft auf, die nach Johnny oder dem Manager fragten, aber offensichtlich nicht an Elektrogeräten interessiert waren. Angesichts des auffälligen Anstiegs der Telefonrechnung, begann der Inhaber schließlich misstrauisch zu werden. Er stellte Johnny zur Rede. Man trennte sich einvernehmlich.

Johnny mietete ein kleines Büro und eröffnete die Künstleragentur Astra. Anfangs betreute er vor allem Berliner Nachwuchskünstler. Die später sehr erfolgreiche Schlagersängerin Manuela (Schuld war nur der Bossa Nova) kannte er bereits, als sie noch im Wedding bei AEG arbeitete und im Ufer Eck auftrat.

Später wurde Johnny Teilhaber in einen Tanzclub am Nollendorfplatz, dem Liverpool Hoop. Schnell lernte er, dass ein Manager nicht nur seine Künstler, sondern auch sich selbst in Szene setzen musste, wollte er erfolgreich sein. Im Showbusiness war eben auch das Geschäftliche ein Teil der Show. Sein Büro dekorierte er deshalb mit gerahmten Fotos, auf denen er mit Größen des Geschäfts abgebildet war. Hinzu kamen Portraitfotos mit persönlicher Widmung, zum Beispiel las man dort: For Johnny with love, Conny Francis oder For my friend Johnny from Frank Sinatra. Eine grafologische Untersuchung hätte festgestellt, dass die Stars alle eine auffällig ähnliche Handschrift hatten. So genau schaute jedoch niemand hin.

Gern erzählte Johnny von seinen ausgedehnten Geschäftsreisen. Mehrfach war er, nach eigener Auskunft, bereits in Amerika gewesen. Ricky und Peter hatten ihn einmal vom Flughafen Tempelhof abgeholt, als er gerade von der Westküste zurückkam.

»Los Angeles ist schon etwas Besonderes, dagegen ist Berlin ein Dorf«, erklärte Johnny, als ihm Ricky den Koffer abnahm, um ihn zu Peters VW zu tragen. »Always sunshine in California und die vielen Straßenkreuzer.«

»Du bist gar nicht braun geworden«, wunderte sich Ricky.

»Ich war ja auch nicht zum Vergnügen da. Immer in Büros, mit air condition natürlich. Ich hatte sehr interessante Gespräche mit den Managern von RCA und Atlantic Records. Die haben mich auch zum Essen eingeladen, Steaks und Whisky so viel du wolltest. Nancy Sinatra war auch da, eine tolle Frau, fantastic! Aber ich erzähle euch ein andermal davon. Ich habe mächtigen Jetlag. Ich kann kaum noch die Augen aufhalten.«

In Wahrheit war Johnny nie über den Atlantik geflogen. Er war eine halbe Stunde vor der Ankunft der Interkontinentalmaschine mit der U-Bahn zum Flughafen Tempelhof gefahren, hatte sich dort eine Weile auf der Toilette versteckt und dann unter die ankommenden Passagiere gemischt. So machte er es immer.

Abschied von der Wielandstraße

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