Читать книгу Schönheit und Schrecken der Vulkane - Joachim von der Thüsen - Страница 5

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Einleitung

Der Vulkan ist Teil jener vom Menschen nicht geformten Natur, die man im Europa des 18. Jahrhunderts überall fasziniert zu entdecken beginnt. Zu dem großen Reich des Menschenfremden gehören auch Hochgebirge und Meer, doch im Gegensatz zu diesen kommt dem Vulkan ein größerer Assoziationshorizont zu, der sich aus der Überlieferung speist. Während zum Beispiel das europäische Hochgebirge lange Zeit ohne Bild und Deutung blieb – es erschien amorph und ohne Sinnbezug zum menschlichen Leben –, war der Vulkan nie im gleichen Sinn „stumm“. Es gab traditionelle Figuren der Deutung: Der Vulkan war wundersame Erscheinung einer im Verborgenen wirkenden Natur (bei Seneca, Plinius und den Humanisten), er war mythologischer Stoff (Hephaistos, Typhon) oder emblematisches Bild (Eros, Krieg), und er war christliches Motiv (Höllenpforte). Doch erst im 18. Jahrhundert rückt der Vulkan ins Zentrum kultureller Produktion. Die Konfrontation mit dem aktiven Vulkan wird nun zur erwünschten Intensivierung des Italien-Erlebnisses der Reisenden; in bildender Kunst und politischer Rede wird der Vulkanausbruch zu einem wichtigen Modell des Erhabenen; in theologischen und philosophischen Schriften wird der Vulkan zum Prüfstein, ob sich auch hier das Prinzip der gütigen Vorsehung in der Natur noch erweise; und durch Beobachtung und genaue Beschreibung werden Vulkanphänomene zum Objekt wissenschaftlicher Forschung.

Zu keinem Zeitpunkt verliert der Vulkan seinen Schrecken, doch werden Vulkan und Vulkanismus in der Epoche der Aufklärung zunehmend als Teil des Ganzen der Natur gesehen, wobei „Natur“ wie kein anderer Begriff der Zeit ein Versprechen der Sinnfülle enthält. Wie unergründlich auch immer die Natur im Vulkan erscheint – man vertraut ihr und den in ihr wirkenden Kräften. Dem leisten die Begegnungen mit aktiven Vulkanen Vorschub. Insbesondere der Vesuv bot mit seinen kleineren und größeren Ausbrüchen das Schauspiel einer feurigen Gewalt, die seit hundert Jahren kein Menschenleben mehr gefordert hatte. Die Möglichkeit der weitgehend gefahrlosen Annäherung an diesen berühmten Berg bot die Gelegenheit, Naturereignisse auch dort noch zu genießen, wo die überkommenen ästhetischen Normen den Genuss eigentlich nicht zuließen. Der Vesuv wurde so zu einem der Übungsfelder für die Ausweitung des Ästhetischen im 18. Jahrhundert: Zu dem klassisch Schönen, das der Reisende in Italien erfuhr, trat die erhabene Schreckensgewalt des aktiven Vulkans.

Es ist eine der ungeklärten Fragen der Kulturgeschichte, ob es der wissenschaftlichen Erkundung einer Naturgewalt bedurfte, um im Betrachter das für das erhabene Erlebnis notwendige Gefühl der Sicherheit entstehen zu lassen. Mit anderen Worten: Ging der Gewissheit, dem Übermächtigen standhalten zu können, der Bewältigungsversuch durch den erkennenden Blick voraus? Tatsächlich gab es seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine Reihe von Aufzeichnungen, in denen die Ausbrüche von Vulkanen in ihren verschiedenen Formen und in ihren sehr unterschiedlichen Folgen genau registriert wurden. Dass diese Beispiele des Observierens den enthusiastischen Beschreibungen von Kratererlebnissen – sie setzen erst nach 1760 ein – zeitlich vorangingen, ist nicht zu bestreiten. Doch ist damit noch nicht alles gesagt. Zum einen beginnt die eigentliche Wissenschaft vom Vulkan mit ihrer Verbindung von Empirie und gesetzmäßigem Denken selber erst um 1760, und zum anderen zeigen einige Werke der bildenden Kunst, dass bereits im 17. Jahrhundert eine Wahrnehmung der Naturgewalt entsteht, die alle Merkmale des Erhabenen trägt. So ist denn auch eher nach dem Gemeinsamen von ästhetischem und naturforschendem Blick zu fragen. In beiden manifestiert sich die menschliche Neugierde, die sich auf das unfasslich Andere richtet, dabei das Auge nicht abwendet und auf diese Weise das „Standhalten einübt“. Bloßes Staunen, um Erkennen bemühtes Beobachten, zeichnerisches Erfassen, erhabene „Erweiterung der Seele“ – sie alle haben ihre Wurzeln in jenem unverwandten und richtungsgewissen Blick, der dem Drang unstillbarer Neugierde folgt.

Ausdruck dieses Zusammenhangs, der sich einfachen Bestimmungen von Priorität und Abhängigkeit nicht fügt, ist die auffallende Verwandtschaft der Redeweisen, in denen Vulkanisches im 18. Jahrhundert erscheint. Poetische Erzählung, Reisebericht und geologische Darstellung sind hier noch kaum geschieden. Erst langsam bildet sich eine eigene geologische Sehweise heraus, deren Berichtformen zwar meist noch naturbeschreibend-literarisch sind, die aber die Merkmale einer zunehmenden Disziplinierung trägt. Was schöne Literatur und Reisebericht – nicht anders als die bildende Kunst – festhalten, ist das Außerordentliche des aktiven Vulkans, seine Ausnahmestellung im Reich der Natur. Von dieser Auffassung entfernt sich die geologische Forschung kontinuierlich. Indem sie misst, vergleicht und klassifiziert, indem sie in verschiedenen Gegenden Europas (erloschene) Vulkane entdeckt, gelangt sie zur Einsicht, dass das Vulkanische keineswegs die große Ausnahme in der Erdgeschichte sein kann. Am Ende des Jahrhunderts ist der Vulkan für manche Geologen bereits Teil einer in unerschütterlicher Gesetzlichkeit sich bewegenden Natur.

Es ist eine eigentümliche historische Konstellation, dass in dem Augenblick, in dem der Vulkan Teil des Erdalltags zu werden beginnt, die politische Rede noch einmal alle Register zieht, um den Ausbruch des Vulkans als das Unerhörte, als den Riss im Weltlauf zu deuten. Die französischen Revolutionäre verwenden zunehmend die Vulkanmetapher für ihre Aktionen, wobei sie bei aller Rhetorik der Vernichtung den Konsens des Zeitalters, dass allen Naturkräften ein verborgen Wohltätiges innewohne, nicht aufkündigen.

Nach allem bisher Gesagten wird begreiflich, dass die Suche nach Repräsentationen des Vulkans im 18. Jahrhundert auf eine Fülle von Material stoßen muss. Zwar sind die Reiseberichte über die Ersteigung der italienischen Vulkane noch nicht ganz so zahlreich wie im 19. Jahrhundert, und auch die Produktion der Gouachen vom ausbrechenden Vesuv zeigt noch nicht die Uferlosigkeit der Zeit nach 1800, doch der Strom der Berichte und Bilder erreicht bereits um 1770 eine erstaunliche Breite. Hier Vollständigkeit erlangen zu wollen, konnte nicht das Ziel der vorliegenden Studie sein. Sie wäre zu einem unlesbar detaillierten Kompendium angeschwollen, das überdies nur enthüllt hätte, dass die meisten publizierten Erlebnisberichte über den Vulkan nichtssagend sind. Es ist das Los des Reisenden, dass sein Vorstellungshorizont von den Schriften der vorher Dagewesenen entscheidend mitgeprägt wird. Viele Reiseberichte ähneln sich bis in ihre Diktion. Da schafft auch die besondere Konstitution vieler Vesuv- und Ätna-Erlebnisse in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts keine Abhilfe: Nachdem der Reisende zum Krater aufgestiegen ist, fallen in der Überraschung und „Unbeschreiblichkeit“ des Erlebens zunächst die Texterinnerungen von ihm ab. Anders als das Betrachten der Kunstdenkmäler Italiens, wo die vorhandenen Texte oft willkommen gelehrte Führer sind, wird die Konfrontation mit dem Vulkan zur Erlebnisform, die sich in der Einsamkeit des Angesprochenwerdens vollzieht. Zwar ist diese bedroht durch die „touristische Industrie“, die sich vor allem am Vesuv störend entwickelt, doch wo die Erfahrung des Vulkans als einer erhabenen Kraft gelingt, kommt es zu einer stummen Erschütterung des Reisenden. Dieser Wortlosigkeit nun im schriftlichen Nachspiel zum Ausdruck zu verhelfen, ist ein paradoxes und eigentlich zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Doch gibt es Ausnahmen, in denen das fast Unmögliche gelingt. Von einigen von ihnen wird noch die Rede sein.

Auch in anderer Hinsicht war auszuwählen. Insbesondere das gegen Ende des Jahrhunderts stark anwachsende geologische Schrifttum konnte nur in einigen markanten „vulkanologischen“ Texten behandelt werden. Bei der Auswahl spielte eine Rolle, dass der bedeutendste Kenner des Vesuv, Sir William Hamilton, selber ein großer Förderer des Zusammenwirkens von literarisch-geologischer und künstlerischer Darstellung des Vulkanismus war. An dem in vieler Hinsicht Neuen und Bahnbrechenden in Hamiltons Werk hatten sich die Zeitgenossen mit ihren Texten (und Bildwerken) über den Vulkanismus gleichsam zu bewähren. Die mit Hamilton „ins Gespräch tretenden“ Schriften schienen mir für mein Vorhaben wichtiger als etwa eine vollständige Behandlung der sogenannten Basaltkontroverse, welche die Gelehrten in Deutschland in Atem hielt. Da es mir vor allem um die Einbettung von Stationen der Wissenschaftshistorie in die Kulturgeschichte ging, habe ich den inneren Filiationen der Geologiegeschichte einen bescheideneren Raum gegeben. In diesem Sinn stellt die Studie einen Beitrag zu den aktuellen Bemühungen dar, die sich unter der Bezeichnung „Kulturgeschichte der Natur“ zusammenfassen lassen. Wird Kultur verstanden als das Gesamt der Sinngebungsstrategien einer Zeit, kann von einem kulturell ungeprägten, voraussetzungslos empirischen Zugriff auf das „Rohmaterial Natur“ keine Rede sein. Auch Natur erscheint stets in Deutungsprozessen – eine Einsicht, der sich im 18. Jahrhundert selbst nur wenige verschlossen hätten. Erst im 19. Jahrhundert, in dem auch die Geologie sich professionell formiert, beginnt man diese Wahrheit zu vergessen.

Schönheit und Schrecken der Vulkane

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