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2 Mit falschen Versprechungen eine Gruft erschlichen – Ernst Magnus von Breitwitz (gest. 1692)

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Für Anthropologen und Medizinhistoriker ist die Exhumierung historischer Persönlichkeiten stets etwas Besonderes. Vor allem dann, wenn zeitgenössische Schriftquellen existieren und die darin enthaltenen Informationen über Leben und Sterben des Betreffenden mit den Untersuchungsergebnissen seiner sterblichen Überreste abgeglichen werden können. In vielen Fällen treten dabei Details ans Licht, von denen die bisherige Geschichtsschreibung nichts wusste – oder die vielleicht bewusst verschwiegen worden waren. Dass es sich um einen solchen Fall handeln würde, konnte niemand ahnen, als Ende Juli 1986 ein Kleinbagger, der im Rahmen umfangreicher Sanierungsarbeiten im Inneren der Stadtkirche von Giengen an der Brenz beim Bau eines Heizungsschachtes im Einsatz war, mitten im Chor in eine offenbar längst in Vergessenheit geratene Gruft einbrach. Es handelte sich um eine rechteckige, westöstlich ausgerichtete, aus Backsteinen gemauerte Grabkammer mit einem Tonnengewölbe, in deren offenbar noch feuchten Innenputz man am Kopfende die Jahreszahl 1692 eingeritzt hatte. Und für dieses Jahr findet sich im Kirchenbuch unter der Nummer 22 folgender Eintrag: Die 6. Maj. Freytag nach Ascensionis Christi Mittags um 11 uhr wurde im Chor der Pfarrkirche hinter dem vordern Altar begraben: der Hochwol Edelgeborne Herr, Herr Ernst Magnus von Breidewitz, Erbherr auff Mittel Seyda, … deß Herrn General Feldmarschalls von Schöning Dragoner Regimente, gewesener Hauptmann …“ Dabei stellt die an dieser Stelle verwende Schreibweise des Nachnamens die schwäbische Version des in seiner sächsischen Heimat „Braitwiß“, heute in abgeleiteter Form „Breitwitz“ lautenden Familiennamens dar.

Der in der Gruft angetroffene Sarg war aus 2,5 cm starken Eichenbrettern gefertigt und am Kopf- und Fußende mit je einem Tragering versehen worden. Es handelte sich um einen sogenannten Truhensarg ohne Giebel, wie er eigentlich nur für den Transport von Leichen verwendet wurde. Darin lag der Tote mit über dem Unterleib zusammengelegten Händen auf einer Schicht gehäckselter Spreu, die die Verwesungssäfte aufnehmen sollte und mit einer Lage Seidenstoff abgedeckt war. Seine Kleidung bestand aus einem überknielangen, weitärmligen Hausrock aus Rohseide mit vorn aufgenähten Schmuckschlaufen, einer Kappe aus demselben Material sowie getragenen ledernen Spangenschuhen mit sogenannten Carré-Spitzen, über den Spann gezogenen Laschen und hohen Absätzen, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts in Mode waren.


Giengen an der Brenz. Blick in die 1986 bei Renovierungsarbeiten in der Stadtkirche entdeckte Gruft von Ernst Magnus von Breitwitz nach Entfernung der Sargbretter. Sein Leichnam war zur Beschleunigung der Verwesung und zur Verminderung der Geruchsentwicklung gekalkt worden.

Aus dem Kirchenbuch geht ferner hervor, dass Hauptmann Breitwitz unverheiratet war, aber mit seiner Köchin, die „seine Concubin und Beyschläfferin … gewesen“, zwei uneheliche Kinder hatte, und daher „nicht zu loben gewesen“. Er lebte und starb „unter übung des glaubens, und andächtigem Gebett, Sonntag Rogate, frühe 4 uhren, alt bey 46 jahren im Nachbarort Neresheim“. Doch dort wollte man ihn aufgrund seiner Konfession oder seines Lebenswandels nicht beerdigen. So sorgte sein Bruder und Erbe für eine standesgemäße Beisetzung in Giengen, indem er den dortigen Ratsherren eine beträchtliche Spende aus dem stattlichen Vermögen des Verstorbenen in Aussicht stellte. Zwischen dessen Hinscheiden und den Bestattungsfeierlichkeiten unter Anteilnahme großer Teile der Bevölkerung, der Schulkinder und gesanglicher Begleitung des Chorus Musicus lagen gerade einmal fünf Tage. Zu Ehren des sächsischen Rittmeisters sollen die Kirchenglocken eine ganze Stunde lang geläutet haben. Doch die Giengener erhielten aus dem gesamten Nachlass, der mit „1800 Reichstaler Paarem geld, Pferden, Geschmeide und Mobilien“ angegeben wird, nicht mehr, „alß kahle 10 Rthl.“ sowie einen schlichten Wappenschild, der im Chor der Kirche aufgehängt wurde. Die Hinterbliebenen gaben keinen Groschen mehr: „… die Grabstette blieb noch über jahr u. tag offen, ohngepflastert“. So musste die Kirche die Gruft auch noch auf eigene Kosten verschließen und abdecken lassen.

Der Eintrag im Kirchenbuch liefert auch einen Einblick in den Gesundheitszustand des Hauptmanns: Demnach soll er in seinen letzten Jahren schwer unter Hand- und Fußgicht (Chiragra und Podagra) gelitten und die letzten Monate seines Lebens „meistlich im bette“ verbracht haben. Aber die Todesursache bleibt unerwähnt – oder war nicht erkannt worden.

Die Überreste des Leichnams waren bei der Ausgrabung durch Unterschieben einer Schaltafel zunächst en bloc entnommen worden, da man überlegte, ihn im neuen Museum im Stadtteil Hürben auszustellen. Doch das seidene Gewand des Toten konnte leider nicht konserviert werden. Im Rahmen der anthropologischen Begutachtung der Skelettreste des Ernst Magnus von Breitwitz wurden anschließend folgende Daten erhoben: Sämtliche Becken- und Schädelmerkmale weisen zweifelsfrei auf männliches Geschlecht. Die festgestellten Gelenkveränderungen lassen auf eine Person der Altersstufe spätmatur oder älter (50 Jahre und darüber) schließen. Die Verwachsung der Schädelnähte würde ebenfalls auf ein fortgeschrittenes Alter hindeuten, was allerdings beides mit dem aufgedeckten Krankheitsbild erklärt werden kann. Der Abnutzungsgrad der Kauflächen der Zähne würde demgegenüber tendenziell als etwas jünger eingestuft werden und dokumentiert somit, dass der Verstorbene sich feiner zubereitete Nahrung leisten konnte als viele seiner Zeitgenossen und einer höheren Sozialschicht angehörte. In dieselbe Richtung deutet die überdurchschnittliche Größe von ca. 1,75 m. Sein Gebiss zeigt Anzeichen von Parodontitis und vor allem im unteren Frontzahnbereich verfestigte Plaque – aufgrund der nahe gelegenen sublingualen Speicheldrüse auch heute noch eine der Prädilektionsstellen für Zahnstein. Der Unterkiefer weist eine seltene anatomische Besonderheit auf, einen auf beiden Seiten angelegten Knochenwulst (sog. Torus mandibularis). An den Mittelhandknochen fanden sich tatsächlich Auflösungserscheinungen, wie sie für Gicht charakteristisch sind. Die Fußknochen sind leider verschollen, nachdem die Schuhe des Verstorbenen zur trachtenkundlichen Begutachtung entnommen worden waren.

Besondere Aufmerksamkeit verdienten allerdings seine linke Elle sowie das linke Schien- und Wadenbein. Diese erscheinen gegenüber den Knochen der rechten Seite deutlich verdickt, wie aufgebläht, und ihre Oberfläche ist vor allem in Gelenknähe von kleinen, unregelmäßigen Auswüchsen übersät. Differenzialdiagnostisch kämen in Anbetracht dieser Symptomatik eine sklerosierende Osteomyelitis oder auch eine Infektion mit dem Syphiliserreger Treponema pallidum in Betracht. Den entscheidenden Hinweis lieferte dann letztlich eine rundliche Perforation des knöchernen Gaumens von ca. 2,5 cm Durchmesser. Derartiges kann am ehesten mit für das Tertiärstadium der Syphilis typischen Gewebedestruktionen, den sogenannten Gummen, in Verbindung gebracht werden. Das vierte Stadium dieser Krankheit geht mit progressiver Paralyse, das heißt fortschreitendem Ausfall motorischer Fähigkeiten einher – was die beschriebene Bettlägerigkeit des Hauptmanns erklären würde.

Herr von Breitwitz wäre demnach an Syphilis im Endstadium gestorben, einer Krankheit, die auch heute noch vorkommt, in Deutschland immerhin sechs Fälle pro 100.000 Einwohner. Ebenfalls darunter gelitten haben neben anderen bekannten Persönlichkeiten auch Beethoven, Chopin, Nietzsche und Schopenhauer.

Bis zum Ausbruch der Neurosyphilis können unter Umständen zwei Jahrzehnte vergehen. Ernst Magnus hätte sich demnach schon als jüngerer Erwachsener infiziert und dann sehr wahrscheinlich auch seine Lebensgefährtin angesteckt haben können. Ob diese aus Verzweiflung darüber in seiner Endphase vielleicht etwas nachgeholfen und ihn erstickt oder vergiftet hat, wäre ein denkbares Szenario – wird sich aber wohl nie mehr herausfinden lassen.

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