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Einheit, Trennung, Vermittlung

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Die erste Trennung ist wohl diejenige zwischen Gott und der Welt. Durch ihren strengen Monotheismus, ihre Ablehnung von Pantheismus und Animismus haben die Juden das Göttliche aus der Welt vertrieben. Die Rabbinerkaste, aus der später der katholische Klerus hervorgegangen ist, hat auch zu einer bedauerlichen Vermittlung zwischen Gott und den Menschen geführt. Ohne direkte Beziehung zu ihrem Gott sind diese nunmehr auf diese Mittler- und Fürsprecherkaste angewiesen. Der Mensch wurde auch von sich selbst getrennt, von seinem sündigen und bedeckten Körper sowie vom anderen Geschlecht, also von der Natur, die er in sich und von derjenigen, die er um sich hat. Diese Trennungen sind alle eine Plage für den Menschen, eine Verstümmelung seiner Natur, eine Scheidung, die zerteilt und zersetzt.

Am Ursprung der Rasse aber herrschte ungeschiedene Vermengung, Fusion und Konfusion. Es gab noch keinen Unterschied zwischen Recht und Moral. Inspiration, Intuition und Instinkt des Volkes bestimmten, was richtig, schön, gut und gerecht ist. „Denn Gebote des Rechtes sind Gebote der Anständigkeit; was anständig ist, sagt aber das Gewissen des Volkes wie des Volksgliedes. Dieses Gewissen, das die Stimme der Sittenordnung ist, ist auch zugleich die Mutter des Rechtes“, schreibt Roland Freisler.135 Nichts ist unterschieden, getrennt, zerteilt im Plasma von Mutter Natur: Das Volk ist zugleich Gesetzgeber und dem Gesetz unterworfen, die Moral ist das Recht und umgekehrt, das Faktum ist zugleich Norm. Jegliche gesunde Norm ist Ausdruck der „natürliche(n) Lebensordnung des Volkes“136. Die Natur, also die Norm, ist „der lebendige Organismus des Volkes selbst“137. Freisler wettert gegen die den Volkskörper „zunächst sezierenden, dann pulverisierenden und zuletzt atomisierenden“138 Unterscheidungen. In mehreren Texten kritisiert er das Sezieren, das ein lebensfeindlicher Intellekt an der Volksgemeinschaft vornimmt. Dementsprechend gibt es auch die Unterscheidung zwischen Recht und Moral nicht im Naturzustand, und die „Trennung von Staat und Gesellschaft“139 ist künstlich und falsch. Reinhard Höhn, Rechtsprofessor an der Universität Berlin und SS-Angehöriger, stellt kategorisch fest: „Recht, Kultur, Sitte und Sprache sind Erscheinungen der Gemeinschaft. […] Sie stehen nicht nebeneinander, sondern gehen ineinander über, alle Unterscheidungen und Differenzierungen der bisherigen Systematik haben ihren Sinn verloren.“140

Die Kritik an der Trennung hat Konjunktur. Im Jahr 1939 legt der Rechtshistoriker Otto Brunner, ein Mittelalterspezialist, ein Werk vor, für das ihm Walter Frank als Leiter des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands den Verdun-Preis überreicht. Diese in weltanschaulicher Hinsicht sehr gut aufgenommene Arbeit ist auch für die Geschichtsschreibung ergiebig. Brunner, der nach 1945 zu einem der Väter der deutschen Begriffsgeschichte werden sollte, zeigt nämlich in Land und Herrschaft141, dass die Historiker auf dem Holzweg sind, wenn sie versuchen, die Wirklichkeit des Mittealters mit Kategorien zu erfassen, die erst von und in der Neuzeit geprägt wurden. Wer das Mittelalter und so spezifische Phänomene wie etwa die Souveränität in einer feudalen Welt begreifen will, der muss auf neuzeitliche und zeitgenössische Vorstellungen und Wörter verzichten und sich zu ihrer Darstellung der mittelalterlichen Begriffe bedienen. In seinen ebenso stupenden wie gelehrten Abhandlungen zeigt Brunner auf, wie sehr sich die Historiker der Gegenwart von den Kategorien und Unterscheidungen des liberalen Zeitalters blenden lassen. Er zeichnet den erkenntnistheoretischen wie soziopolitischen Prozess nach, der mit der Entstehung des Staates in der Neuzeit einsetzte und dazu führte, dass man nur noch in den Kategorien der Trennung von Staat und Gesellschaft zu denken vermag:

Dieser Prozess wurde erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen, da endgültig Staat und Gesellschaft als verschiedene Gegenstände erfaßt und zum Objekt besonderer Wissenschaften gemacht werden. Damit beginnt aber auch der Zerfall in eine große Zahl unzusammenhängender Einzeldisziplinen, ein positivistisches „Trennungsdenken“ setzt sich durch; zwischen den scheinbar autonomen Fachwissenschaften beginnt ein chaotischer Kampf um den Vorrang, der das Ringen der politischen Mächte des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Durch die grundlegende Trennung von Staat und Gesellschaft wird der Staat zur juristischen Form und normativen Ordnung, die Gesellschaft zur Trägerin der geistigen und materiellen Werte.142

Für Brunner ist die „Unzulänglichkeit unserer historischen Begriffe […], die am Modell der Neuzeit gebildet sind“143, offenkundig, während sich im Mittelalter alles miteinander verband und vermischte: „Eine Scheidung des profanen und religiösen Lebens ist unbekannt“,144 desgleichen die Trennung von Recht und Gerechtigkeit145. Es herrschte „jenes volksmäßige Empfinden, das ideales und positives Recht nicht trennen kann und nicht trennen will, da Recht Volksrecht ist“146. Brunner stellt sich gegen die Neuzeit mit all ihren Trennungen und Scheidungen. Ähnlich argumentiert der Carl-Schmitt-Schüler Ernst Forsthoff, der als Professor der Universität Königsberg anlässlich der Kant-Ehrung 1941 eine Rede über die neuzeitliche Rationalität hält, in der er dem Autor der drei Kritiken eine süßsaure Huldigung erweist. Dieser ist für ihn ganz und gar Teil einer unglückseligen Epoche, der Neuzeit, die „die Scheidung von Legalität und Moralität, forum externum und internum“147 hervorgebracht hat, „die im weitesten Sinne technische Welt des 19. Jahrhunderts [im Gegensatz zur ‚Volkswelt‘]“148, diese mechanisierte und rationalisierte Welt, deren Charakteristika die Atomisierung der Individuen, die mathematische Unterscheidung und die Entwurzelung sind. Doch glücklicherweise hat das „Ringen um die Überwindung des Dualismus von Gesetz und Ethos, Rechtsordnung und materiale [sic] Sicherheit“149 bereits begonnen.

Der Historiker muss sich um Distanz von zeitgenössischen Denkweisen bemühen und viel semantische Phantasie entwickeln, um das Mittelalter in dessen eigenen Kategorien gedanklich zu erfassen. Mittelalterliche Souveränität und Politik können nicht mit der Begrifflichkeit betrachtet werden, die „Fürstensouveränität“ und „liberales Zeitalter“150 uns hinterlassen haben. Es überrascht nicht, dass Brunner das bürgerlich-liberale Zeitalter ablehnt und dessen disjunktive Kategorien als ungeeignet zur Erfassung des mittelalterlichen organizistischen Denkens betrachtet. Der Autor geht aber auch mit dem Fürsten-Zeitalter ins Gericht, mit dem Absolutismus vor und nach dem Westfälischen Frieden, der in der NS-Literatur üblicherweise als kommodes Gegenbeispiel herhalten muss, um darzulegen, dass das Regime des Führers eben keine Diktatur ist.

Die allgemeine „Vermittlung“ hat flächendeckend für Trennungen gesorgt, eine richtiggehende Sezierung: Alles organisch miteinander Verbundene, alles, was gemeinsam in aller Unschuld der Bewegung des Lebens wuchs und gedieh, alles in der Dynamik des Lebendigen substantiell Zusammengehörende und -haltende wurde getrennt: Mann und Frau, Körper und Geist, Norm und Handeln.

Im Rahmen seines Eintretens für eine „lebensgesetzliche Schule“151 beschwört Lothar Stengel-von Rutkowski eine erkenntnistheoretische Revolution. Um der Trennung entgegenzutreten, muss man Jahrtausende zurückgehen – Jahrtausende der Entfremdung –, um zu einer organischen und wirklichkeitsverbundenen Auffassung zurückzufinden. Das Denken der jungen Deutschen trägt hingegen das Gift einer Schule in sich, die im Mittelalter entstanden ist, zu einer Zeit, in der „es keine Biologie, sondern nur eine Theologie“152 gab. Diese orientalisch-klösterliche Kultur hat die „antike Einheit von Leib und Seele, die allem gesunden Ariertum innewohnt“153, zunichte gemacht. Von Rutkowski weist nicht nur auf die religiöse, kulturelle und soziale Beschädigung durch diese große Trennung hin, sondern auch auf die mit ihr verbundene intellektuelle Beeinträchtigung, denn: „Kirchliches Dogma und lebensgesetzliche Naturerkenntnis vertragen sich nicht“154 und „germanisches Bewußtsein der Einheit und Ganzheit alles Lebendigen einerseits und orientalisch-kirchliches Trennen zwischen sündigem Fleisch und seligem Geist andererseits vertragen sich erst recht nicht“155. Der Autor sieht hier einen „Gegenstreit der Rassenseelen“156 am Werk, der freilich zugunsten der orientalischen Seele ausging, denn heute noch wird das gesamte Bildungswesen von der „Trennung in Natur- und Geisteswissenschaft“157 beherrscht.

Die „ungesunde Trennung […] von Geist und Natur“, die „Scheidung zwischen Kultur und Lebensgesetz“158 muss ein Ende finden, man muss den „Weg zur lebensgesetzlichen Ganzheit“159 und „Biologie als Lehre von den für den Menschen, Tier und Pflanze in gleicher Weise gültigen Naturgesetzen“160 begreifen, denn „das ist allein der instinktsichere Weg unserer Erbmasse, trotz Jerusalem und Rom“161. Zu diesem Zweck muss der Anteil der geisteswissenschaftlichen Fächer, eines abstrakt-scholastischen Unterrichts zurückgedrängt werden. Von Rutkowski räumt allerdings ein, er habe als Gymnasiast „Griechisch und Latein gelernt – nicht ungern“, diese Fächer seien auch höchst nützlich gewesen, da sie uns an „unsere eigenen frühen Quellen“162 heranführen. Aber dazu könnte man ebenso gut die alten Sprachen Indiens und des Iran lernen. Doch darum gehe es eigentlich gar nicht: „Nein, wir wollen weniger ihre Sprachen lernen und mehr ihre biologische und rassisch unendlich aufschlußreiche und bedeutsame Geschichte als Teil innerhalb der Geschichte des gesamten Indogermanentums.“163

Auch die Hochschule muss nach ebendiesen Prinzipien neu gestaltet werden: Das Denken, das bislang unterschied und trennte, muss nunmehr verbinden und dem Leben dienen. In seiner Antrittsvorlesung als Professor der Medizin an der Universität erläutert Karl Astel seiner Hörerschaft, worauf der Wert der Wissenschaft im nationalsozialistischen Reich gründet: „Die Erhaltung der Rasse und des gesunden Lebens sind der untrügliche Wertmaßstab, an dem der Nationalsozialist auch den Wert von Wissenschaft, Forschung und Universität mißt.“164 Grund- und Hauptwert ist das Leben der nordischen Rasse, seine Bewahrung und Verbesserung. Dies ist das einzige Kriterium, das es gestattet, die Wissenschaft neu zu bewerten, ihr erneut Wert zu verleihen und die deutsche Universität neu zu gestalten.165 Als Gegenentwurf zur Universitas litterarum der Vergangenheit, in der sich als Intellektuelle verkleidete Rabbis und als Professoren getarnte Intellektuelle tummelten, beschwört Karl Astel das Konzept einer Universitas vitae.

Das Gesetz des Blutes

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