Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 129

Beſchluß, uͤber das Jdeal der Sprache. 54

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

„Wenn man Werkzeuge nicht ſo vollkommen „haben kann, als man ſie wuͤnſchet: ſo „muß man aus den vorraͤthigen zu machen „ſuchen, was ſich daraus machen laͤßt. Leibnizens gelehrte Sprache iſt nicht zu bekommen: wie koͤnnten wir uns der Deutſchen z. E. noch am bequemſten zu den Wiſſenſchaften bedienen? Dieſe Frage doͤrfte allenfalls eine andre als Vorlaͤuferin haben, „welche unter denen in Europa recht bekannt „gewordenen Sprachen der Jdealvollkommenheit einer Sprache, die Worte braucht, „am naͤchſten koͤmmt. Eine gar nicht weitlaͤuftige Metaphyſik der Sprache, wuͤrde „uns dieſe Jdealvollkommenheit wenigſtens „einigermaſſen kennen lernen.„ Wir wollen zu dieſen angegebenen Stuͤcken von Jdealvollkommenheit einige Anwendungen auf die Deutſche Sprache dazuſezzen; erinnern unſern Leſer aber zuruͤck an den Unterſchied, den wir zwiſchen Jdealſchoͤnheit, mittlern Bequemlichkeit, und wirklichen Vollkommenheit gemacht, und den der Verfaſſer dieſes Briefes hie und da verfehlt hat.

„Man kann die Sprache unter zwei Augpunkten betrachten, in ſofern ſie einmal unverbundene, und unzuſammenhaͤngende Begriffe vorſtellt; hernach ſo fern ſie dieſe Begriffe in Verbindungen anzeigt.„

„Vom erſten Stuͤcke haͤngt der Reichthum, „und der Wohlklang und auch das Bilderreiche der Sprache ab.)„ Der Reichthum kann ſeyn in Namen der Sachen, oder in Zeichen der Begriffe; der erſte macht eine Sprache ſinnlich oder Bilderreich; der zweite abſtrackt oder Gedankenreich; und den Unterſchied von beiden hat das 7te Fragment zu zeigen geſucht. — Der Wohlklang hat mit Begriffen keine Verbindung, ſondern muß aus der Natur der Sprach- und Hoͤrwerkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Fragment verſucht.

„Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommenheiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, „wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, verloͤſchen.)„ Nicht blos mit dem Tode der Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter gehen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebensalters erſezzt werden. So lange ſich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen-Digkeit, iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſprache iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, und den hoͤchſten Wohlklang: Wird ſie Sprache des ſittlichen Volks: ſo bekommt ſie mehr Reichthum an Politiſchen Ausdruͤcken, allein der hohe Wohlklang und das Bildervolle mildert ſich: Als Buͤcherſprache wird ſie reicher an Begriffen; allein der Poetiſche Wohlklang wird Proſe; das Bild wird Gleichniß: die malenden klingenden Beiwoͤrter verlieren ſich: Als Philoſophiſche Sprache wird ſie beſtimmt, aber arm; verliert Synonymen; und Bilder und Wohlklang achtet ſle nicht. Dichteriſch iſt eine Sprache am vollkommenſten, ehe ſie; und Philoſophiſch am vollkommenſten, wenn ſie blos geſchrieben wird: am brauchbarſten und bequemſten, wenn ſie geſprochen und geſchrieben wird. Die Anwendung auf die Deutſche Sprache macht das 3te bis 5te und 8te Fragment.

„Es iſt doch unſtreitig, daß auſſer den fuͤnf „Selbſtlautern noch viele Zwiſchenlaute haͤtten angebracht werden koͤnnen; ſo wie die „vorhergehende und nachfolgende Bewegung „der Redewerkzeuge zu ſolchen Lauten noch „weit mannichfaltiger einzurichten waͤre.)„ Nach der Bewegung der Redewerkzeuge haben wir wirklich mehr Selbſtlauter, als fuͤnfe: weil dieſe fuͤnfe mit verſchiedener Hoͤhe und Tiefe, Laͤnge und Kuͤrze ausgedruckt werden. Daß wir nun nicht fuͤr dieſe Zwiſchenlaute neue Zeichen, wenigſtens Unterſcheidungen haben; iſt eine große Unvollkommenheit unſrer Orthographie, die unter allen mir bekannten Europaͤiſchen Sprachen die lezte und fuͤr einen Lehrling die ſchwerſte ſeyn doͤrfte. Wer wird Meer und mehr, Zehn, Zeen, Zaͤhn, zaͤhe u. ſ. w. als Fremdling beſtimmt finden? Was wir bei J zuviel an Zeichen haben, iſt bei A und E zu wenig. — Und brauchen wir Accente nicht noch immer, obgleich unſre Sprache kurzſylbig und eintoͤnig iſt? Der Laͤcherliche Fehler mit Géſ-pen-ſtern, ſtatt Geſpénſtern; mit vérg-lich, ſtatt ver-glìch; mit Enter-bẽter, ſtatt Ent-érbeter: iſt doch bei Lehrlingen immer moͤglich, da er uns gebohrnen Deutſchen manchmal in Gedanken und bei verzerrtem Druck, oder verzerrter Hand anwandeln kann. Bei vielen Woͤrtern aͤndert ſich ja die Bedeutung ſelbſt; z. E. Unterhálten (entreténir) und únterhalten (ſuppoſer), uͤberſézzen (vertere) und í eberſezzen (traiicere), Ueberſézzer (translateur) und Uéberſezzer (Bootsknecht) ſind ja himmelweit verſchieden. Zu dem Hebraͤiſchen Schin fehlt uns gar das Zeichen, weil ich Geſchmack als ein Fremder immer eher Geſchmack leſen werde. Der Mangel an punctis diaereticis macht auch inſonderheit fremde Namen verwirrt; und uͤberhaupt kann man den Mangel unſrer Zeichenſchrift am beſten aus Reiſeund Erdbeſchreibungen ſehen, wenn die Namen fremder Sprachen in unſern Buchſtaben ſich kaum mehr erkennen. — Soll unſer Hexameter ausſtehlich werden; ſo muß er Accente haben, und der erſte Dichter, der ſich die Muͤhe geben wird, wahre Hexameter zu machen, wird ſich auch der Accente nicht ſchaͤmen, weil er ſie vor allen am wenigſten braucht. Sollte unſre Sprache ſterben; Himmel! wie ſchlecht wuͤrde man ſie aus Buͤchern lernen; um ſie auszubilden, ſtelle man ſie ſich todt vor; man nutze die Provinzialismen, um ſie zu beſtimmen.

„Bei der Verbindung der Begriffe komme „es hauptſaͤchlich an: 1) ob man ſie durch bloße „Abaͤnderung des Ausdrucks fuͤr eine jede Jdee; oder 2) durch Zwiſchenſezzung kleiner „Worte, oder 3) durch die bloße Stellung der „Jdeen anzeigen wolle. Denn dieſe drei „Faͤlle ſind, glaube ich, blos moͤglich.„ Der erſte Fall iſt der einfachſte, und bei dem Anfange jeder Sprache der geradeſte geweſen; er iſt daher noch bei den heutigen Sprachen von antikem Karakter ſehr ſichtbar; gut fuͤr Dichter, aber unphiloſophiſch. Der mittelſte iſt am uͤblichſten, bei der Deutſchen Sprache ſehr gebraͤuchlich; und fuͤr die Sprache des gemeinen Lebens bequem. Aber weil dieſe zwiſchengeſchobene kleine Worte nicht Accent gnug haben, und doch nicht wie die wenigen Woͤrterchen der alten Griechen, auch nicht ganz ohne Accent ſind; ſo entſtehet daraus die Unbeſtimmtheit der Proſodie, die unſern neuen Sprachen ſo laͤſtig faͤllt. — Der dritte Fall iſt der philoſophiſchvollkommene; und wenn Leibnizens allgemeine Sprache ja moͤglich waͤre; ſo waͤre es eine Algebra, wo die Verbindung der Jdeen ſehr von ihren Stellung abhienge.

„2) Was fuͤr Geſezze man zur Folge einer „gewiſſen Anzahl von Jdeen, die in Verbindung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das „Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung „folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken „und dem jedesmaligen Zweck des Redenden „gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Redenden in tauſend Faͤllen nur einerlei [ſey]n; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Conſtruktionsordnung geben; hundertmal aber „gibt es einen beſondern Zweck des Redners, „und denn iſt diejenige Sprache die beſte, „welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre „Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤnnen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt „uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen „eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch „die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind, „ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange „unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen. „Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11-13te Fragment ein Commentar ſeyn, der unſern Nachtheil nach der Griechiſchen und Lateiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſiſchen Sprache zeigt. Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Beziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zweideutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſorgen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ und Accuſativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruktionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Franzoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden Perioden der Deutſchen, und die dritte bei den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤcher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortreflichen Perioden nicht kennen, der nichts unbeſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich ſchreibt.

„Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die „Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn „dem Sprechenden helfen Geberden und der „Ton der Stimme, den wahren Verſtand beſtimmen, da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat alſo ganz andere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volk ſie ſtammlet, ſinget, ſpricht, ſchreibet, und nicht mehr ſpricht, ſondern allein ſchreibt. Und hierauf gruͤndet ſich mein Fragment von den Zeitaltern, und den Graͤnzen der Nachahmung alter Sprachen. (Fragm. 2. und 8.) Jezt ſezze ich folgende wahre Beobachtung Samuel Johnſons dazu: „Es giebt Worte, deren Sinn allzufein iſt, als daß man ihn „mit Worten ſollte faſſen, und in eine Umſchreibung bringen koͤnnen. Das ſind diejenigen „Worte, welche die Sprachlehrer particulas „expletivas, oder ausfuͤllende Woͤrter nennen. „Jn todten Sprachen uͤberſieht man ſie als „leere Toͤne; als Toͤne, die zu anders „nichts dienen, als einen Vers auszufuͤllen, „oder einen Perioden wohlklingender zu machen. Aber in lebenden Sprachen wird „man bald inne, daß dergleichen Woͤrter „mehr, als ausfuͤllende Woͤrter ſind, daß „ſie Kraft und Leben haben, ob man gleich „ihren Nachdruck mit andern Worten nicht „ausdrucken kann.„ Dies wird jedem bei dem Leſen Homers unzaͤhliche mal beifallen; wenige Fuͤllwoͤrter, aber deſto oͤfter und kraͤftiger: die ſpaͤtern Dichter mehr; die ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen Herodot, vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldieweil, ſintemalen und anerwogen, gegen die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perioden, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.

„Durch was fuͤr Kuͤnſte haben es die Franzoſen dahin gebracht, daß man ihre Sprache, „die Sprache der Vernunft nennet?)„ Jch glaube, drei Urſachen dazu angeben zu koͤnnen. Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch welche Urſachen es auch ſeyn moͤge, eine gewiſſe Regelmaͤßigkeit ſich eingedruͤckt, die unſere Sprache nicht hat. Da ihre Conſtruktionsordnung ſehr beſtimmt iſt: ſo kommt man minder in die Verlegenheit, ſich ſchielend auszudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zeiten hat man an ſie ſo viel Politur angewandt, als nicht viel andere Sprachen erhalten haben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Barbariſch oder Lateiniſch ſchrieb, feilte man ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes geblieben: man ſah die Buͤcher immer mehr fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die unterhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche Anſtalten gedenken ſollte, die der Sprache aufgeholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe Stuffe erreicht. Premontval 55 urtheilt nicht unbillig: „ſoll ich bei ihrem großen „Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden: „ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung „mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt „ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo „majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger „zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an „Nachdruck weit unter der Deutſchen; an „Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder „Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer „Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Majeſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr „ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Gedanken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klarheit und Politeſſe/ die ſie karakteriſiren, „ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und vernuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann, ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte.

„Stellt eine Philoſophiſche Materie, die „ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo Sprachen vorgetragen worden, in der einen ſich klaͤrer, netter und uͤberzeugender „dar, als in der andern?)„ Ja! und Exempel beſtaͤtigen dies allerdings. Eine tiefe Philoſophiſche Materie kann ſich in der alten reinen Lateiniſchen Sprache nicht ſo klar, ſo nett, ſo uͤberzeugend ausdruͤcken, als in einer gewiſſen neuern Lateiniſchen Sprache, die eben deswegen noch nicht Barbariſch iſt, weil ſie von den Worten der Alten abgeht. Jn den Schriften des Philoſophen Baumgarten herrſcht ein gewiſſer aͤchter Roͤmiſcher Geiſt, ſeine Blumen, die gleichſam ſelbſt aus ſeiner Weltweisheit zu wachſen ſcheinen; und nicht uͤber dieſelbe geſtreuet ſind: eine ſo nachdruͤckliche Kuͤrze, daß jeder Gedanke ſich ein Wort ſelbſt zu ſchaffen ſcheint: kurz eine Sprache, die nicht netter und uͤberzeugender und fuͤr den denkenden Leſer klaͤrer ſeyn kann. Jch habe mich gezwungen, mir dieſen Eigenſinn auszureden, weil andre ſie eben fuͤr Barbariſch, oft ſpielend und dunkel hielten: ich fieng an, ſie in das flieſſende Latein der Schriften des Cicero zu uͤberſezzen, zu umſchreiben, zu verſchoͤnern; und der Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſuche man gar die Ueberſezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr verlieren. Die Urſache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit gebildet hat, und an dem geſchickten Schriftſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken weiß. „Das alſo Dinge in der einen „Sprache ſich beſſer ausdruͤcken laſſen, als „in der andern, kann eines Theils von der „Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zweitens, daß man an ihre trockne Bezeichnung „bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt iſt, „als bei dem andern.„ Theils von dem Schriftſteller ſelbſt, der als Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus- und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte aufopfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen, wiefern gewiſſe Materien in gewiſſen Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln laſſen.

Materien der Weltweisheit theilen ſich am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnliche erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤberall gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam nach ihren Worten bequemet, und den Begrif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤzlich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Einwurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Orthodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache abhaͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihrem Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Philoſophie, zu der doch auch unſre Sprache vorzuͤglich ſich gebildet hat.

„Eine Sprache, die wenig Unterſchied in „den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfswoͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich „zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die „Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif „von den temporibus der Griechiſchen „Sprache. Der Deutſche hat ſelten das „Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden temporum praeteritorum der Franzoſen, daß „aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Mißverſtaͤndniſſe entſtehen.„ Jndeſſen iſt dieſe Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbetraͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſionen haben wir ſogar vor dem Franzoſen viele Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang bringen, und ſelbſt als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man ſtatt der Auszuͤge es unternehmen wird, einzelne Zeitpunkte der Geſchichte mit allem Fleiß zu bearbeiten: ſo wird unſere Sprache ſo leicht Muſter im hiſtoriſchen Stil bekommen, als ſie ſchon in der Weltweisheit hat.

Schoͤne Proſe iſt ſchon mehr in die Jdiotismen verwebt; und unſre Sprache hat alſo in dieſer Schreibart viel von der Franzoͤſiſchen gewonnen. Poeſie iſt beinahe in ihren Schoͤnheiten unuͤberſezzbar, weil hier der Wohlklang, der Reim, einzelne Theile der Rede, Zuſammenſezzung der Worte, Bildung der Redarten, alles Schoͤnheit giebt.

Aus alle dieſem folgt, daß unſre Sprache unſtreitig von vielen andern was lernen kann, in denen ſich dies und jenes beſſer ausdruͤcken laͤßt (ſollte es auch nur das Schimpfen ſeyn, wozu den Critikern gemeiniglich das ſchoͤnſte Latein gedienet); daß ſie von der Griechiſchen die Einfalt und Wuͤrde der Ausdrucks, von der Lateiniſchen die Nettigkeit des mittlern Stils, von der Engliſchen die kurze Fuͤlle, von der Franzoͤſiſchen die muntere Lebhaftigkeit, und der Jtaliaͤniſchen ein ſanftes Maleriſche lernen koͤnne. Allein, man ſieht auch, daß in jeder Gattung der Schreibart kein Genie ſich ſeiner Mutterſprache ſchaͤmen, oder ſich uͤber ſie beklagen darf, weil uͤberhaupt fuͤr einen jeden vortreflichen Schriftſteller die Gedanken Soͤhne des Himmels, die Worte, Toͤchter der Erde ſind.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

Подняться наверх