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Die goldene Mitte

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Wie und wo ist dieses richtige Maß zu finden? Die europäischen Denker haben es seit jeher als »goldene Mitte« definiert. Betrachten wir das anhand von vier Beispielen menschlicher Bedürfnisse.

Beispiel eins. Das Bedürfnis nach Anerkennung. Der Mensch ist ein zoon politikon, wie schon die antiken Philosophen Platon und Aristoteles vermerkten, also ein soziales und politisches Wesen und als solches auf ein Leben in Gemeinschaft ausgelegt.2 Das verlangt nach voller Anerkennung seiner individuellen Persönlichkeit. Das Bedürfnis nach dieser Anerkennung ist damit legitim. Wird es allerdings zur Geltungssucht, ist das richtige Maß verlassen.

Beispiel zwei. Das Bedürfnis nach Besitz. Besitz ist Grundlage unseres Sozialsystems und das Streben danach kann zu Leistung anspornen. Wird dieses Streben allerdings zu Habsucht, ist das richtige Maß ebenfalls verlassen.

Beispiel drei. Das Bedürfnis nach Sexualität. Die Huldigung des Gottes Eros ist uns als Urinstinkt in die Wiege gelegt, und das aus gutem Grund. Sie dient der Erhaltung der Art. Wird dieses Bedürfnis zur Wollust, dann ist auch hier das richtige Maß verlassen.

Beispiel vier. Das Bedürfnis nach persönlichem Wohlergehen. Auch dieses Bedürfnis empfinden wir zu Recht. Es dient unserem Überleben und unserem Glück, auf beides hat jeder Mensch Anspruch. Hier ist das richtige Maß verlassen, wenn dieses Bedürfnis zur Selbstsucht wird.

Der österreichische Arzt und Autor Markus Metka hat sich mit den sieben Todsünden befasst, und zwar nicht aus der Perspektive der Kirche mit erhobenem Zeigefinger, sondern aus jener der Präventions- und Anti-Aging-Medizin. Stolz, Habgier, Neid, Wollust, Zorn, Völlerei und Trägheit, all diese Verhaltensweisen sind nichts anderes als eine Überschreitung des richtigen Maßes, lautet sein Befund. Für Metka sind sie damit auch eine Quelle von chronischem Stress, Angstzuständen und Suchtverhalten bei allen jenen, die sich dieser Überschreitung schuldig machen. Ganz abgesehen von den Folgen für den Planeten.3

Auch bei der Transzendenz, das kann ich als Arzt und Theologe sagen, geht es um das richtige Maß. Wir sogenannten modernen Menschen sind versucht, die Endlichkeit unseres Daseins als einzige Realität zu sehen. Die Wissenschaft zieht die Grenzen der Wahrheit gerne dort, wo unsere Sinneswahrnehmungen enden.

Dabei vergessen wir gerne, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, das zu durchschauen unser Gehirn nicht in der Lage ist. Das richtige Maß bedeutet also auch, das uns nicht Zugängliche zu akzeptieren und mit ihm zu rechnen. Wenn wir das verweigern, verlassen wir das richtige Maß ebenfalls, genau wie wir es verlassen, wenn wir umgekehrt nur noch mit dem Kopf im Himmel leben und dabei den Boden unter den Füßen verlieren.

Die Kunst des richtigen Maßes

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