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KAPITEL 2

Die große Chance

Die winzige Statistenrolle in Anna Neagles Aufführung hatte Tommy Connery nicht dazu gebracht, von einer Theaterlaufbahn zu träumen. Er war nur froh gewesen, ein bisschen zusätzliches Geld zu verdienen. Und als er und sein Freund Jimmy Laurie vom Dunedin Weightlifting Club nach London aufbrachen, um an den Mr.-Universum-Wahlen teilzunehmen, dachte er nicht einen Moment daran, dass dieser Entschluss zu mehr führen könnte als zu einem gewissen Ruhm in der Welt der Muskelmänner.

Im Gegensatz zu vielen seiner späteren Kollegen wurde Connery nicht Schauspieler, weil es sein glühender Wunsch war oder weil er als Kind ein frühreifes Talent an den Tag legte oder weil sich ihm, wie etwa Richard Burton, in seiner Jugend verschiedene Möglichkeiten boten. Heute möchte Sean Connery mit niemandem verglichen werden, und es gibt Leute, die einen Vergleich zwischen Burton und Connery ohnehin für sinnlos halten, aber es hat an dieser Stelle doch interessante Aspekte, die beiden Männer nebeneinander zu stellen.

Robert Hardy, ein enger Freund von Burton aus der Zeit in Oxford, entdeckte verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Connery und Burton. Connery war, als er Hardy kennen lernte, schon eine Weile im Geschäft und hatte sich die Grundbegriffe der Schauspielkunst selbst beigebracht, die Burton in der Schule gelernt hatte. Hardy, ein charmanter Mann, der über einen reichen Schatz an Erinnerungen verfügt, erzählte mir: »Ich weiß noch genau, wie ich einmal mit Sean in der Nähe von Lancaster Gate einen Drink genommen habe. Wir probten damals ein Stück am Shepherd’s Bush Theatre. Und während wir da so auf unseren Barhockern saßen, musterte ich Sean, und mir fiel auf, wie sehr er Burton gleicht – nicht vom Aussehen her. Ich glaube, es war eher diese Art von Nationalstolz, den sie beide haben – sie haben ja beide ihren regionalen Akzent nie abgelegt. Connery sagte, er bewundere Burton sehr. Er wusste, dass ich ein guter Freund von Richard war, und wir redeten eine Weile über ihn. Sean hatte etwas, das mich sehr an Rich erinnerte. Obwohl der eine aus Schottland kam und der andere aus Wales, waren sie sich in ihrer Art zu sprechen und in ihren Bewegungen ganz ähnlich. Ich habe damals zu Sean gesagt, er werde es noch weit bringen.«

Es gab noch einen anderen Vergleichspunkt. Wie Melvyn Bragg in seiner Biografie »Rich« bemerkte, nahm Richard Burton sein Schicksal selbst in die Hand. Aus eigener Kraft schaffte er es, sich aus der walisischen Industriewelt zu lösen, so wie es Connery gelang, aus Fountainbridge herauszukommen. Sie setzten sich beide durch, und das gab ihnen ein starkes Selbstbewusstsein, das oft für Arroganz gehalten wurde – was es ja vielleicht auch war.

In anderer Hinsicht waren sie so verschieden wie Kreide und Käse. Burton kam zwar auch aus bescheidenen Verhältnissen (er war das zwölfte Kind eines stets betrunkenen Bergarbeiters), aber er war ein guter Schüler, las viel, machte bei Schultheateraufführungen mit und zeigte überhaupt die schulische Leistung, die Connery verweigerte, weil er lieber Geld verdienen wollte.

Zu Beginn seiner Laufbahn fehlte es Connery an Bildung und Wissen. Ein weiterer Nachteil war, dass er kaum mit Menschen außerhalb seines Zirkels in Kontakt gekommen war (was er später durch intensive Menschenbeobachtung wettmachte). Burton hingegen ging nach Oxford und verstand sich dort sofort bestens mit den studentischen Rebellen. Er stürzte sich in ein gesellschaftliches und literarisches Leben, das Connery nie kennen lernte und zu dem er auch nie Zugang finden konnte.

Ihre Situation hätte damals, im Jahr 1953, kaum unterschiedlicher sein können. Als Jimmy Laurie und Big Tam Connery mit dem Motorrad von »Auld Reekie« nach Süden aufbrachen, in Richtung »The Smoke« (wie London damals von allen Provinzlern genannt wurde, die Beziehungen zu der Weltstadt hatten), spielte Burton gerade mit großem Erfolg den Hamlet, was der Anfang einer großen Shakespeare-Karriere werden sollte. Er trat am Old Vic auf, während Connerys Mr.-Universum-Wahl im alten Scala Theatre in West London stattfand.

Dieses Theater hatte schon bessere Tage gesehen und mit Sicherheit auch schon interessantere Abende als den, an dem sich Männer aus aller Herren Länder hier versammelten, um den Umfang ihrer Brustmuskulatur und ihren Bizeps vorzuführen. Die beiden Knaben aus Edinburgh wirkten vergleichsweise provinziell und durchschnittlich. Verzweifelt betrachteten sie ihre Konkurrenten – die Jungs vom Dunedin Center waren im Vergleich zu den anderen schmerzlich unterentwickelt.

Connery, der besser in Form war als Jimmy Laurie, schnitt jedoch gar nicht schlecht ab. Er bewarb sich in der Gruppe der Leichtgewichtler und gewann eine Bronzemedaille. Laurie war frustriert, weil er nichts bekam. Er und Connery machten vor allem die Amerikaner verantwortlich, die immer gewannen – sie waren viel größer und kompakter und hatten nicht unter der Lebensmittel-Rationierung leiden müssen. Connery und Laurie hatten sich überlegt, ob sie nicht professionelle Bodybuilder werden sollten, aber jetzt waren sie gründlich desillusioniert. Vor allem Connery fand es sehr irritierend, dass man als Bewerber auf diesem Gebiet eine fast schon groteske Figur aufbauen musste, die hauptsächlich auf Masse beruhte. Zu seiner Überraschung erreichte man das nur dadurch, dass man übermäßige körperliche Anstrengung vermied und nur ganz spezielle Übungen machte.

Er hatte schon so gut wie beschlossen, dass diese Art von Leben ihm nichts bieten könne, als er mit einem Mitbewerber namens Stan Howlett ins Gespräch kam. Stan erzählte ihm und Jimmy, er setze seine Figur als Statist in der hinteren Reihe des Chors von »South Pacific« ein. Dafür brauche man keine besonderen Fähigkeiten, nur eine muskulöse Figur und gutes Aussehen. Im Moment werde gerade eine Tournee vorbereitet, und noch in dieser Woche könne man sich dafür bewerben.

Dass ein Junge aus der Nachbarschaft in einem international bekannten Musical in London auftreten könnte, zusammen mit berühmten Stars von Film und Bühne, das wäre den Leuten in Fountainbridge fast so verrückt erschienen wie die Handlung eines Musicals – aber es passierte tatsächlich. Connery war schon einmal auf einer Bühne aufgetreten, wenn auch nur in einer Massenszene. In einem mündlich vorgetragenen Lebenslauf konnte ein solcher Auftritt wunderbar zu einer wichtigen Bühnenerfahrung an der Seite eines Stars wie Anna Neagle aufgebauscht werden. Connery hatte es schon fast geschafft. Auf Stan Howletts Rat hin legten er und Jimmy Laurie ihr Geld zusammen, um ein möbliertes Zimmer zu mieten, wo sie das Musical studierten. Dann begaben sie sich unangemeldet zu den Vorsprechterminen für die »South Pacific«-Tournee.

Beim Vorstellungsgespräch übertrieb Connery kräftig. Natürlich konnte er tanzen, aber der Produzent hatte keine Ahnung, dass das Fountainbridge Palais bisher sein einziges Tanzparkett gewesen war. Ob er singen könne? Ja, selbstverständlich ... auch wenn er bisher nur mit Freunden in der Küche seiner Mutter gesungen hatte oder in der Fountainbridge Bar nach einem Drink. Auch seine Erfahrung bei der Marine spielte er gewaltig hoch.

Er sollte ein paar Dialogzeilen vorlesen und ließ prompt auf halber Strecke die Seiten auf den Boden fallen. Als er sie aufhob, hörte er, wie der Regisseur über seine Ungeschicklichkeit schimpfte. Connery dachte, es lohne sich nicht, weiterzumachen, und wollte durch die Kulissen verschwinden, aber der Regisseur rief ihn zurück und sagte, er solle den Text noch einmal lesen. Er bekam also eine zweite Chance, und wenig später nahm er an einem gemeinschaftlichen Vorsprechen teil, bei dem er die Worte eines Songs aus der Show mit den Lippen formen und dazu ein paar Tanzschritte vollführen musste, die – wie er später erzählte – aus Elementen verschiedener Gesellschaftstänze bestanden.

Zum Glück suchten die Produzenten keine Sänger, Tänzer oder Schauspieler. Wie Stan Howlett zu Beginn des ganzen Abenteuers schon richtig bemerkt hatte, wurden gut aussehende, agile junge Männer gebraucht, die wie eine Gruppe hartgesottener Matrosen aussahen und klangen. Die Auserwählten gehörten nicht einmal zum Chor, sondern waren nur attraktive Muskelpakete, die vor allem bei einer der berühmtesten Nummern der Show auftraten: »There is nothing like a Dame«.

Nur ein einziges Mal wurde Connerys Mangel an Erfahrung wirklich deutlich, und das war gegen Schluss, als die potenziellen Kandidaten genannt wurden. Normalerweise wurde über Geld nicht geredet. Das gehörte sich einfach nicht, und Schauspieler waren in der Regel so dankbar, überhaupt eine Rolle zu bekommen, dass sie nur inständig darauf hofften, die Produzenten würden nicht zu knausrig sein. Connery kannte das Protokoll nicht und hätte sich vermutlich auch nicht daran gehalten. Er trat an den Bühnenrand und rief hinunter ins Parkett, wo die Produzenten und Organisatoren der Show ihre Entscheidungen erörterten.

»Wie hoch ist unser Gehalt?«, rief er so laut, dass es jeder hören konnte. In Billy Connollys Version der Geschichte lautet die Frage: »Was kriegen wir gezahlt, Jimmy?« Aber der betreffende Herr hieß nicht Jimmy, sondern Jerome ... Jerome White, der Produzent. Er war verständlicherweise etwas verblüfft und erwiderte gereizt: »Das interessiert mich im Moment nicht.«

»Aber mich interessiert es«, kam die prompte Antwort.

Man erklärte Connery, Finanzangelegenheiten würden erst besprochen, wenn er eine Rolle angeboten bekomme. Die Chancen dafür schienen gering. Offenbar war White jedoch von Connerys Bühnenpräsenz und von seinem guten Aussehen angetan. Jedenfalls bot er ihm eine Rolle im Hintergrund an.

Die Nachricht erhielt Connery zwei Tage später in dem möblierten Zimmer, das er sich mit Jimmy teilte. Das Gehalt betrug zwölf Pfund die Woche, und wenn er es gekonnt hätte, dann hätte er bestimmt einen doppelten Salto gemacht. Seinem Freund Jimmy wurde leider nicht das gleiche Glück zuteil. Er bekam kein Angebot und musste sich schließlich damit abfinden, dass er keine andere Wahl hatte, als nach Edinburgh zurückzukehren und dort weiterzumachen, wo er aufgehört hatte – zurück zur Arbeit und zum Alltag, nach einem kurzen Flirt mit der Londoner Glitzerwelt.

Connery kündigte seinen Job, und wie Buschfeuer verbreitete sich in den Wohnblocks von Fountainbridge die Nachricht, dass Big Tam Connery – oder Shane, wie er jetzt allgemein genannt wurde, nach dem gleichnamigen Film mit Alan Ladd – zum Theater gehe, was fast so war, als würde man sagen, er sei zum Zirkus durchgebrannt.

Seine engeren Freunde erstaunte es allerdings nicht. In Bezug auf Tommy Connery konnte sie so schnell nichts überraschen. Er hätte in jedem normalen Job Erfolg haben können – ob als Möbelschreiner, als Sargtischler, als Milchmann oder als Stahlkocher. Er hätte auch Fußballspieler werden können, aber er schlug die Sicherheit einer festen Anstellung in den Wind und wurde lieber Sänger/Tänzer in einer Londoner Show. Kein Problem. Immerhin war er Fountainbridge entkommen, und mit ein bisschen Glück würde man ihn in Edinburgh nie wiedersehen.

Seine Familie und seine Freunde waren stolz auf ihn und bewunderten seinen Mut, aber in der Druckerei der Edinburgh Evening News sagten auch manche: »Er kommt wieder, und zwar mit eingezogenem Schwanz.« Connery selbst glaubte nicht, dass diese große Chance zu irgendetwas führen würde. Er hatte Glück gehabt und wollte sich darüber freuen, solange er irgend konnte, weil morgen schon alles vorbei sein konnte und er wieder die Druckwalzen reinigen musste.

Seine Mutter meinte später, sie habe gewusst – mit jener Klarsicht, zu der nur Mütter fähig sind –, dass der Moment gekommen war und Tommy nur noch zu Besuch nach Hause kommen würde. Connery selbst begriff nicht so schnell, dass er möglicherweise am Anfang einer aufregenden Karriere stand. Noch herrschte sein normales Denkschema vor, bei dem die Frage »Wie viel?« immer vor der Frage »Wie lange?« kam. Die Worte »Karriere« oder gar »Berufung« kamen ihm damals noch nicht in den Sinn, und er gab später zu, dass ihn der Job vor allem deswegen gelockt habe, weil er ihm die Möglichkeit zu reisen bot, und zwar in alle Ecken der Britischen Inseln.

Zwischen dem Vorsprechen und dem tatsächlichen Rollenangebot war ihm außerdem klar geworden, dass er während der Tournee, wenn er seine Rolle erst einmal einstudiert hatte, tagsüber nicht mehr allzu viel arbeiten musste. Das entsprach genau der Einstellung, nach der er bisher gelebt hatte: möglichst viel Geld für möglichst wenig Mühe.

Die Arbeit hieß im Klartext: sechs Abendvorstellungen und zwei Matineen jede Woche, was sich insgesamt auf weniger als zwanzig Stunden summierte. Selbst wenn man die Proben, das Ankleiden, das Schminken und alles andere mitrechnete, war das für Connery relativ wenig Aufwand für sehr viel Geld. Im Vergleich zu den vierzehn oder gar achtzehn Stunden am Tag, die er bisher gearbeitet hatte, war es eine Lappalie.

Den größten Teil des Tages hatte er zur freien Verfügung. Er konnte Fußball spielen oder sogar einen Teilzeitjob annehmen. Er hatte noch nicht begriffen – und es würde auch noch eine ganze Weile dauern, bis ihm das so richtig klar wurde –, dass er einiges ändern musste, wenn er tatsächlich Schauspieler werden wollte und es in diesem neuen Leben, in das er zufällig gestolpert war, zu etwas bringen wollte. Er musste seine Einstellung zum Leben und zur Arbeit grundlegend überdenken. Und er musste bereit sein, seine Lernbereitschaft zu steigern. Zu dem Zeitpunkt kam ihm alles noch vor wie ein Scherz oder wie ein Abenteuer, und wenn er erst einmal die ganzen Songs beherrschte, dann würde sein Auftritt in der letzten Reihe des Chors nicht mehr sein als ein bequemer kleiner Spaziergang.

Connery wurde bald ein beliebtes Mitglied des Ensembles, vor allem unter seinen Altersgenossen und bei den Leuten, die wie er wenig Erfahrung besaßen. Einige von ihnen erinnerten sich jedoch später an Connery als einen Einzelgänger, als einen eigenwilligen jungen Mann, der nicht bereit war, sich der Mehrheit anzuschließen, nur weil das von ihm erwartet wurde.

Freitagabends spielte er gern Poker, nachdem er sein Geld bekommen hatte. Fußball spielte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und überhaupt nahm er aktiv am Sozialleben des Ensembles teil, das mit der Zeit immer ausgeprägter wurde. Diese Tournee war eine der erfolgreichsten aller Zeiten. Sie gehörte zu den letzten, die in der Provinz solch gute Ergebnisse zu verbuchen hatten; zwei- bis dreimal bereiste sie das ganze Land. Wenig später schon wurden solche Unterfangen unmöglich, weil sie zu teuer waren, weil es zu wenige Theater gab und weil sie auf zu wenig Unterstützung stießen.

Damals jedoch, das heißt im Jahr 1953, wurde »South Pacific« überall auf den Britischen Inseln aufgeführt, in großen und kleinen Städten; in manchen waren die Vorstellungen acht bis zehn Wochen lang ausverkauft. Als das Ensemble zum ersten Mal nach Edinburgh kam, beherrschte Connery seine Aufgabe längst perfekt und studierte bereits einige wichtigere Rollen als zweite Besetzung ein. Er hatte eine Gehaltserhöhung bekommen, war aber immer noch einer der singenden, Handstandüberschlag machenden Jungs im Hintergrund.

Das genügte jedoch, um seine Familie mit Stolz zu erfüllen. Alle kamen sie ins King’s Theatre, wo Tommy einst hinter den Kulissen gearbeitet hatte, und sein Auftritt wurde mit speziellem Beifall begrüßt. Sein Bruder Neil, der heute noch in Edinburgh lebt und als Dekorateur arbeitet, erinnert sich gut an diesen Moment. Er fand Tommy zufriedener und glücklicher als je zuvor und war sich ziemlich sicher, dass er bei der Schauspielerei bleiben werde. Tommy habe voller Optimismus von der Zukunft gesprochen. Er wollte sich beweisen, und manchmal hatte man schon fast den Eindruck, dass er seine Fähigkeiten überschätzte. Er schien gar nicht auf den Gedanken zu kommen, dass er vielleicht etwas voreilig war (was von manchen seiner Kollegen als Arroganz gedeutet wurde). Schon der Gedanke, dass dieser junge Mann aus nirgendwo ein »Star« werden wollte, ging einigen der erfahreneren und zynischeren Schauspieler auf die Nerven.

Während des ersten Auftritts in Manchester – man spielte neun Wochen lang in der Oper – zeichneten sich zwei Entwicklungen ab, die Connerys Laufbahn entscheidend beeinflussen sollten. Robert Henderson, der den Captain Brackett spielte, wohnte in derselben Pension wie Connery. Die beiden hatten sich im Verlauf der bisherigen Tournee angefreundet. Henderson war damals siebenundvierzig und besaß einige Erfahrung als Schauspieler und auch als Regisseur. Er hatte sowohl in seiner amerikanischen Heimat als auch in Großbritannien gearbeitet und konnte interessante Geschichten erzählen. Connery war fasziniert und begeistert von seinen neuen Freunden im Showbusiness. Henderson wurde eine Art Vaterfigur für ihn und übte zweifellos großen Einfluss auf sein langsam erwachendes Interesse für das Theater aus.

Henderson bestreitet immer, dass er Connery entdeckt habe. Das Talent und die Fähigkeiten hätten längst in dessen Innerem geschlummert – er habe nur dazu beigetragen, diese Begabung freizulegen und in Connery das damals noch recht unterentwickelte Interesse an weiteren Studien zu wecken.

Er wollte jetzt unbedingt lernen. Henderson meinte, er sei Connery genau zu dem Zeitpunkt begegnet, als der ohnehin schon beschlossen hatte, an sich zu arbeiten. Als sie eines Abends nach der Vorstellung zu Fuß zu ihrer Pension gingen, schlug Henderson vor, Connery solle doch während seiner Freizeit ein paar Stücke lesen. Er erwähnte Ibsen – Connery kannte den Namen nicht, und Henderson erklärte ihm, Ibsen sei ein bedeutender moderner Dramatiker. Connery wollte mehr wissen, also stellte Henderson eine Leseliste zusammen, mit Titeln wie »Hedda Gabler«, »Die Wildente« und »Wenn die Toten erwachen«. Eigentlich erwartete er nicht, dass Connery je wieder darauf zu sprechen kommen würde, aber zu seinem Erstaunen erfuhr er, dass Connery die Stücke gierig verschlang und mit ihm über sie diskutieren wollte. Und das war erst der Anfang.

Henderson nannte ihm eine Reihe von Titeln, die seiner Meinung nach das moderne Theater entscheidend geprägt hatten, darunter Werke wie Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«, Stendhals »Kartause von Parma«, Tolstois »Krieg und Frieden«, Stanislawskis »Mein Leben in der Kunst« und Thomas Wolfes »Schau heimwärts, Engel«. Wieder holte sich Connery die ganzen Bücher aus der Bibliothek und vertiefte sich stundenlang in die Lektüre. Er widmete sich dieser neuen Aufgabe mit bewundernswerter Hingabe und Ausdauer, wie Henderson erzählte. Henderson hatte ihm außerdem nahe gelegt, seinen ausgeprägten Akzent etwas abzuschwächen. Seine natürliche Aussprache war oft ein Problem, vor allem für englische – das heißt nicht schottische – Regisseure und Produzenten. Connery befolgte diesen Rat und legte einige seiner stark dialektgefärbten Sprechgewohnheiten ab, doch schon damals scheint er den bewussten Entschluss gefasst zu haben, seine Identität zu bewahren und sich nicht eine typische Schauspielerstimme zuzulegen.

In dieser Phase bot sich Connery eine weitere verlockende Möglichkeit, die ihm den Zugang zu einer vertrauteren – und ebenfalls verlockenden – Welt eröffnet hätte, wenn er sie ergriffen hätte. Wahrscheinlich war die Freundschaft mit Henderson der Hauptgrund, weshalb Connery diese Chance ausschlug und beim Theater blieb.

Er spielte regelmäßig in der Elf des »South Pacific«-Ensembles mit, die immer wieder gegen lokale Fußballmannschaften antrat. In Manchester spielten sie gegen eine regionale Juniorenmannschaft. Unter den Zuschauern war auch Matt Busby, der Manager von Manchester United. Er blieb das ganze Spiel über und hatte sichtlich Spaß an diesem spannenden Match, das die Showbusiness-Elf gewann.

Connery war als Stürmer eingesetzt und spielte wie immer überzeugend und mit ganzem Einsatz. Als er sich gerade in der Kabine umkleidete, kam Busby und bat ihn kurz nach draußen. Er bot Connery einen Job in Old Trafford an, für fünfundzwanzig Pfund die Woche – doppelt so viel wie seine Gage bei »South Pacific«. Die Versuchung, sofort ja zu sagen, war groß, aber Connery meinte, er wolle die Sache überschlafen und werde Mr. Busby am nächsten Morgen seine Entscheidung wissen lassen.

Er ging zu Robert Henderson und fragte ihn um Rat. Henderson sagte, er sei fest davon überzeugt, dass Connery mit ein bisschen Glück und mit harter Arbeit ein ausgezeichneter Schauspieler werden könne, und deshalb würde er ihm raten, Busbys Angebot abzulehnen. Die Vorstellung, bei einem wichtigen Fußballclub zu spielen, ging Connery die ganze Nacht nicht aus dem Kopf. Er dachte über Hendersons Argumente nach, erstellte seine eigene Liste mit Pros und Contras und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es besser war, das Angebot auszuschlagen. Connery meinte später, das sei eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens gewesen: »Ich wollte annehmen, weil ich für mein Leben gern Fußball gespielt habe. Aber als ich mir die Sache genauer überlegte, fragte ich mich: Wie lange dauert die Karriere eines Fußballers? Ein Spitzenspieler kann mit dreißig schon zum alten Eisen gehören, und ich war schon dreiundzwanzig – ich wollte etwas mit Zukunft haben. Also habe ich da beschlossen, Schauspieler zu werden, auch weil es mir einfach Spaß machte. Es stellte sich als eine meiner intelligenteren Entscheidungen heraus.«

Produzent Jerry White hielt sich in dieser Woche in Manchester auf, und als er hörte, dass Henderson Connery geraten hatte, Busbys Angebot auszuschlagen, war er entsetzt.

»Sind Sie verrückt?«, brüllte er. »Dieser Junge wird sich als Schauspieler nie durchsetzen. Er hätte berühmt werden und ein paar Jahre lang viel Geld verdienen können ... In unserem Metier wird er das nie schaffen.«

Henderson blieb bei seiner Überzeugung, dass er seinem Schützling den richtigen Rat gegeben hatte, was sich in den folgenden Wochen auch bestätigte, denn Connery steigerte sein Lesepensum, hockte bei jeder Gelegenheit in der Bibliothek und las die Werke, die Henderson ihm empfahl, oft sogar zweimal. Seine Fortschritte waren so überzeugend, dass Henderson mit einer Gesandtschaft des Ensembles bei den Produzenten vorsprach, mit der Bitte, Connery solle doch vom Chor zur Rolle des Lieutenant Buzz Adams befördert werden, als dieser Part frei wurde (ursprünglich hatte ihn Mary Martins Sohn Larry Hagman gespielt).

Dieser ungewöhnliche Vorfall beeindruckte Jerry White. Connery bekam die Rolle und hatte nun seinen ersten Abend als richtiger Schauspieler vor sich. Es war keine große Rolle, aber sie war wichtig. Er musste Captain Brackett (Henderson) mitteilen, die Japaner seien auf den Pazifik-Inseln gelandet. Es war eine kurze Rede, die er nach Meinung des Ensembles mit großer Intensität und ohne jede spürbare Nervosität vortrug. Und als die Show das nächste Mal in Edinburgh gastierte, wurde er in der Lokalzeitung zu einem der »Stars« von »South Pacific« gemacht.

Er nahm nun den Namen Sean an, als eine Spielart von Shane. Und er war nicht mehr aufzuhalten.

Es gab noch andere Beziehungen während dieser langen, anstrengenden Tournee durch die britische Provinz – immerhin waren die Schauspieler zweieinhalb Jahre mit dieser Show unterwegs und hockten sehr eng beieinander. Connery hatte sich inzwischen ein kleines Tonbandgerät gekauft und übte Shakespeare und Monologe von Ibsen und Shaw. Er arbeitete daran, die gravierendsten Unebenheiten in seiner Aussprache auszubügeln, aber sein Sprechunterricht bestand hauptsächlich aus grammatikalischen und interpretatorischen Übungen. Carol Sopel, ein Mitglied des Ensembles, stand ihm eine Zeit lang sehr nahe, und es wurde schon gemunkelt, die beiden wollten heiraten, aber das war vermutlich Wunschdenken auf seiten der Kollegen, die es gern gesehen hätten, wenn zwei ihrer beliebtesten Mitglieder ein großes Hochzeitsfest gefeiert hätten. Die Romanze zwischen Carol und Sean ging zu Ende, aus welchen Gründen auch immer, und das war vielleicht auch gut so, denn am Horizont erschien bereits eine Frau, die einen wichtigen Einfluss auf Sean Connery ausüben und ihn lange Zeit begleiten sollte.

Julie Hamilton war damals einundzwanzig und arbeitete als Fotografin für mehrere überregionale Zeitungen und Zeitschriften. Sie lebte zu der Zeit in London, zusammen mit ihrer Mutter, der Schriftstellerin Jill Craigie, und ihrem Stiefvater, Michael Foot, dem zukünftigen Vorsitzenden der Labour Party. Eines Abends im April 1956 war sie mit ihrem Schauspielerfreund Ronnie Fraser verabredet, der gerade in einem Stück am Lyric Theatre im Londoner Stadtteil Hammersmith auftrat. Nach der Aufführung gingen sie in einen Pub, und Fraser stellte Julie einem jungen Mann vor, der wie er aus Schottland stammte. Es war Sean Connery, und Julie Hamilton fand ihn auf den ersten Blick eher unsympathisch. Ihrer Meinung nach war er ein nicht besonders gepflegter Klotz, mit Tätowierungen auf den Armen und einigen wenig attraktiven Goldzähnen. Er habe ein »dummes, schüchternes Grinsen« und sei eher langweilig, fand sie.

Die beiden trafen sich danach noch ein paarmal, und Julies Meinung änderte sich erst, als sie beide zu Frasers Hochzeit mit seiner Freundin Lizzie eingeladen waren. Julie fungierte als eine der Brautjungfern, und Connery erschien wie Fraser in schottischer Tracht. Nach dem Empfang nahm Julie ihn mit zum Haus ihrer Eltern, die übers Wochenende weggefahren waren. Und so begann ihre Liebesgeschichte.

Connerys Tournee mit »South Pacific« war inzwischen zu Ende gegangen, und er machte eine ziemlich harte Zeit durch. Er wohnte mit drei anderen Schauspielern zusammen, und nach Aussage seines Bruders blieb ihm nichts anderes übrig, als »auf einem klapprigen alten Fahrrad, das er für fünf Schilling erstanden hatte, durch London zu radeln und Arbeit zu suchen«. Seine Familie erfuhr nie, in welchen Schwierigkeiten er steckte. Es war schwer, eine billige Unterkunft zu finden, und Connery musste öfter umziehen, bis Julie eine angenehmere Alternative auftat.

Es war ein Zimmer in der Wohnung des Journalisten Lew Gardner und seiner Ehefrau Merry Archard, die in den Brondesbury Villas im Londoner Stadtteil Kilburn lebten. Merry hatte Julie kennen gelernt, als sie für eine Frauenzeitschrift arbeitete.

Lew Gardner, der später sehr berühmt werden sollte für seine »Thames Television«-Sendung »World in Action«, war seit seinem Umzug nach London nicht gerade begütert, und dadurch, dass er ein Zimmer für zwölf Schilling und sechs Pence untervermietete, wollte er die Familienfinanzen etwas aufbessern. Sean Connerys Miete war also mehr als willkommen. Lew arbeitete damals für die Zeitung der kommunistischen Partei, den Daily Worker. Die Angestellten dort wurden angehalten, einen gewissen Prozentsatz ihres Gehalts für die Sache zu spenden. 1956, nach dem Einmarsch in Ungarn, distanzierte sich Lew, der inzwischen leider verstorben ist, von der kommunistischen Bewegung.

Julie spielte während der ersten Zeit in London eine zentrale Rolle für Connery. Michael Foot und Jill Craigie waren bekannt für ihre linken politischen Ansichten und arbeiteten aktiv in der Anti-Atom-Bewegung mit, der Campaign for Nuclear Disarmament. Julie interessierte sich mehr für Showbusiness als für Politik. Sie war gebildet, hatte Theaterwissenschaft studiert und wurde oft in der Theaterwelt gesehen, auf der Suche nach fotografischen Motiven.

Julie war sehr selbstbewusst, was für eine Frau, die sich in den fünfziger Jahren in der Fleet Street durchsetzen wollte, unbedingt nötig war, denn die Zeitungswelt wurde damals ganz und gar von Männern beherrscht. Connery fühlte sich besonders zu ihr hingezogen, weil sie einen ausgeprägten und scharfen Sinn für Humor hatte und weil sie wie er ein schnelles Mundwerk besaß. Sie half ihm, sich weiterzubilden, war eine gute Informationsquelle und eine intelligente Gesprächspartnerin.

Für Connery waren es magere Zeiten. Peter Noble, viele Jahre Filmkolumnist bei Screen International, erinnert sich, dass er sich auf eine Anzeige hin als Babysitter bewarb, um wenigstens zehn Schilling zu verdienen. Seine Vermieter, die Gardners, verwunderte das nicht besonders – schließlich vermieteten sie das Zimmer aus dem gleichen Grund und für nicht viel mehr Geld.

Connery widmete sich weiterhin seiner Lektüre, und wenn er es sich leisten konnte, nahm er Sprechunterricht. Lew Gardner borgte ihm ein paar Bücher, darunter eine dreizehnbändige Gesamtausgabe der Werke Stalins, für die er selbst keine weitere Verwendung hatte. Er fand allerdings bald heraus, dass Connery auch nicht vorhatte, sie zu lesen – er verwendete sie als Stütze für das dreibeinige Doppelbett, das er sehr billig erstanden hatte.

Die Gardners waren beeindruckt von Connerys schottischem Geschick mit Geld. Wenn er knapp bei Kasse war, kaufte er das billigste Stück Fleisch und bereitete damit einen kräftigen Eintopf zu, von dem er mehrere Tage leben konnte. Die Arbeitssuche war problematisch, weshalb er froh war, dass Julie ihm mit ihren Kontakten helfen konnte. Sie kannte sich überhaupt in London und in der Theaterwelt gut aus, was sehr wichtig war.

Die Phase unmittelbar nach der »South Pacific«-Tournee verlief relativ unproduktiv. Connery war vermutlich realistisch genug, um zu wissen, dass er sich noch nicht als Schauspieler verkaufen konnte, aber er ließ sich nicht aufhalten. Er hoffte, dass die Erfahrungen, die er mit kleinen Bühnen- und Filmrollen machen konnte, ihn letztlich ans Ziel führen würden. Das bedeutete, dass er alles probieren musste.

Robert Henderson ließ den Kontakt nicht abreißen, und als er gebeten wurde, am Kew Theatre Agatha Christies »Witness for the Prosecution« zu inszenieren, bot er Connery für sechs Pfund die Woche eine Statistenrolle als Gerichtsdiener an, die dieser gern akzeptierte. Danach war er wieder monatelang arbeitslos. Er musste sich die üblichen Ausreden anhören. Bei Twentieth Century Fox wurde er abgelehnt, als er sich für eine Nebenrolle in BOY ON A DOLPHIN (DER KNABE AUF DEM DELPHIN) bewarb. Begründung: Er sei zu groß. Bei Rank sprach er für eine Rolle in HIGH TIDE AT NOON vor, aber man teilte ihm mit, er sei zu dunkel. Michael Bentall lehnte ihn ab, als er sich am Old Vic bewarb: »Sie passen nicht hierher. Nehmen Sie Sprechunterricht. Verbessern Sie Ihre Aussprache.«

Das scheint ihn ziemlich geärgert und verbittert zu haben. Als Connery ein Star wurde, ohne seinen Akzent abgelegt zu haben, reagierte er sehr ungehalten auf die Frage nach der Qualität der Bond-Filme und verteidigte seine Rolle vehement. »Qualität gibt’s nicht nur am Old Vic. Old Vic oder Old Smith – zur Hölle damit! Was soll das überhaupt? Ich bin jedenfalls nicht so snobistisch oder so geschmäcklerisch, etwas zu verachten, das mir Erfolg und Geld bringt, und in meinem Beruf ist sowieso Platz für alle möglichen Arten von Schauspielkunst.« Gewisse Dinge, gewisse Leute, gewisse Erinnerungen hatte er offensichtlich noch nicht verdaut.

Aber ehe jemand Sean Connery interviewen wollte, musste er sich noch ziemlich abrackern. An manchen Abenden saßen die Mitglieder des stets mittellosen Gardner-Haushalts im Wohnzimmer und lasen sich gegenseitig Gedichte vor, vor allem von Burns. Sean Connerys Vortrag von »Scots Wha Hae« war unvergesslich. Er sprach in einem dramatischen Flüsterton, als würde er seinen Freunden ein Geheimnis anvertrauen.

Die Freundschaft mit Julie dauerte an, und während Connery und Michael Foot gut miteinander auskamen, war Jill Craigie nicht so sicher, ob sie die Beziehung zwischen ihrer Tochter und einem armen jungen Schauspieler wirklich billigte, obwohl sie sich nie eingemischt hätte.

Julie und andere Freunde rieten Connery, sich sehr breit gestreut um Jobs zu bewerben. Er meldete sich bei allem, ob es sich um Statistenrollen beim Film oder um Parts beim Repertoiretheater handelte. Er hoffte, dass er auf diesem Wege mehrere Angebote bekommen würde, unter denen er dann auswählen konnte. Es lief aber nicht ganz seinen Vorstellungen entsprechend. Er bekam verschiedene kleine Rollen, die ihm im Grunde aber nur die Möglichkeit gaben, andere zu beobachten und so dazuzulernen. Er schaute zu, hörte zu und speicherte alles. Seine erste Rolle vor Filmkameras war als Statist in Herbert Wilcox’ Film LILACS IN THE SPRING. Die Hauptrolle spielte Wilcox’ Ehefrau Anna Neagle, die somit das zweitemal in sein Leben trat – oder er in ihres?

Beim Theater gab es nur selten eine Rolle, und wenn, dann meist nur auf begrenzte Zeit und nicht besonders lohnend. Aber immerhin, es war Arbeit. Im Kew Theatre trat Connery in zwei weiteren Stücken auf, in »Point of Departure« und in »A Witch in Time«. Außerdem bekam er in Oxford zwei Repertoirerollen, als Pentheus in »Die Bacchen« und später mit Jill Bennett in Eugene O’Neills Drama »Anna Christie«. Er arbeitete als Statist in einer BBC-Produktion von THE CONDEMNED und als Schmalspurgangster in einer Episode von DIXON OF DOCK GREEN. Ein Jahr später trat Michael Caine in dieser Serie regelmäßig in kleinen Rollen auf und übte so für spätere Auftritte. Er sollte bald darauf einer der engsten Freunde von Connery werden.

Connery fand keine geregelte Arbeit. Er musste immer noch hinter allem herlaufen, drängeln und oft sogar betteln. Er ging die Branchenblätter durch und kontaktierte Produzenten und die für die Besetzung zuständigen Herren höchstpersönlich. Im Herbst 1956 schien sich die Situation zu verbessern. Er hatte sich bereits die erste Sprechrolle in einem B-Film beschafft, in einem Thriller namens NO ROAD BACK (DIE BLINDE SPINNE), in dem neben Margaret Rawlings der kanadische Schauspieler und frühere Sänger Paul Carpenter auftrat – und als zusätzlicher Kassenmagnet ein importierter amerikanischer Name, Skip Homeier. Es war typisch für britische Filme, einen zweitklassigen amerikanischen »Star« für die Hauptrolle in einem ansonsten mit britischen Schauspielern besetzten Film zu nehmen – keiner weiß so recht, warum, denn die Filme liefen deswegen auch nicht besser. Connery wurde einmal mehr ausgewählt, weil er nach Ansicht des Regisseurs wie ein Gangster aussah: groß und beweglich, potenziell gefährlich, aber ziemlich beschränkt. Er spielte den Begleiter von Alfie Bass, einem jener glücklichen britischen Schauspieler, die in fast allen Filmen dieser Art auftraten, die in den fünfziger Jahren von britischen Studios produziert wurden. Der Streifen war typisch für die Filme, die damals als B-Movies von Gibraltar Pictures für den – allerdings rückläufigen – Filmmarkt gedreht wurden.

Connery musste vor allem Muskeln und Augenbrauen und einen zerzausten Haarschopf zeigen und so gut wie nichts sagen. Und er musste stottern. Man gewann also nicht gerade den Eindruck, dass es sich hier um den Beginn einer Starkarriere handelte. Connery spielte einen Typ namens Spike, also zur Abwechslung keinen »Jock«, wie in britischen Filmen Figuren mit schottischem Akzent normalerweise hießen. Die folgende Szene mit Paul Carpenter war so ziemlich seine längste Sprechpassage in diesem Film.

Carpenter: Also, Spike – du musst in dem Gebäude in der Lake Street ganz nach oben gehen ... Dann kletterst du aufs Dach und rüber zu Constines.

Connery: Gi-gi-gibt es ein D-d-dachfenster?

Carpenter: Ja, du musst es aufbrechen und durchklettern und dann drei Stockwerke runtergehen, bis du im Erdgeschoss bist.

Connery: Wa-wa-was ist mit dem Si-si-sicherheitsbeamten von Constines?

Carpenter: Um den kümmern wir beide uns, wenn ich dann auch ins Haus komme ...

Es war zwar nur eine kleine Rolle, aber der Dialog bereitete Connery ziemliche Probleme, und das Stottern trug nicht gerade zur Verbesserung seines Image bei. Paul Carpenter, ein Mann mit einem sehr sarkastischen Humor (zumal, als sein Ruhm immer tiefer in einem Whiskyglas versank), wurde von Alfie Bass, der immer zu Scherzen aufgelegt war, aufgefordert, er solle doch Connery vorschlagen, sich an Regisseur Montgomery Tully zu wenden, damit dieser den Dialog etwas weniger banal gestaltete und den schrecklichen Sprachfehler fallen ließe. Als Carpenter diesen Rat an Connery weitergab, überging er zwei wichtige Details: dass Tully das Drehbuch verfasst hatte und selbst zu stottern begann, wenn er sich aufregte.

In aller Unschuld ging also Connery zu Tully, um eine Veränderung des Skripts vorzuschlagen. Der Regisseur lehnte sein Ansinnen, so heißt es, wütend ab: »We-we-wer glauben Sie denn, we-we-wer Sie sind? L-l-larry Olivier?«

Der Film wurde innerhalb von sechs Wochen in den Pinewood-Studios gedreht, und trotz einer großen Werbekampagne, die ein spannendes Werk versprach, in dem sich eine »Unterwelt-Königin in einem Netz aus Verbrechen, Mord und Liebe verstrickt«, verschwand er schon bald in der Versenkung. Niemand konnte besonders stolz sein auf den Film, aber für Connery war es immerhin ein Anfang. Jahre später, als er mit James Bond Starruhm errungen hatte, tauchte NO ROAD BACK plötzlich wieder auf. Ein europäischer Filmverleih brachte ihn mit dem Titel THE 007 GANGSTER CLUB wieder in die Kinos und kündigte Sean Connery als Star des Films an. In Rom begannen die Zuschauer bei einer Vorführung zu randalieren, als sie merkten, dass man sie hereingelegt hatte.

Clevere Verleiher alter Filme sind immer schnell bereit, später den Namen eines großen Stars auszubeuten. Schauspieler Herbert Lom erinnerte sich: »Ich bin Sean Connery das erste Mal bei den Dreharbeiten für einen britischen Film namens HELL DRIVERS (DUELL AM STEUER) begegnet. Er spielte eine unwichtige Nebenrolle. Es war eine Starbesetzung – Stanley Baker, Pat McGoohan, Peggy Cummins, Dickie Attenborough, ich und noch ein paar andere. Sean Connerys Name wurde selbstverständlich nirgends erwähnt. Neulich habe ich den Film in einer Fernsehzeitschrift angekündigt gesehen, und da stand: ›HELL DRIVERS ... Starring Sean Connery.‹ Mehr nicht. Ich nehme an, das ist ein Kompliment und ein Zeichen dafür, dass jemand wirklich berühmt ist, und diejenigen unter uns, die mit ihm zusammengearbeitet haben, sind stolz darauf ...«

Lom, der später seinen internationalen Ruhm damit krönte, dass er mit Peter Sellers in den PINK PANTHER-Filmen auftrat, hatte Recht, wenn er sagte, HELL DRIVERS habe eine Starbesetzung aufzuweisen gehabt. Für Connery war es die erste Erfahrung, mit den Größen des britischen Filmgeschäfts zusammenzuarbeiten: mit Stanley Baker, der ein enger Freund von ihm werden sollte; mit Patrick McGoohan, der bei der Bewerbung um die Rolle des James Bond sein Konkurrent wurde; mit David McCallum, der Connerys späteren Erfolg mit seiner eigenen Spionage-Serie nachzuahmen versuchte; mit William Hartnell, dem ersten Doctor Who; mit Gordon Jackson, Schotte wie Connery, ebenfalls später ein enger Freund und der typische »Jock« in vielen britischen Filmen der Nachkriegszeit – sie alle spielten in diesem Film mit, der Ende 1956 gedreht wurde und im Sommer 1957 in die Kinos kam. Kaum jemand, der den Film damals sah, wird je vergessen, wie verwegen Stanley Baker und Patrick McGoohan ihren Truck steuerten, während Connerys Rolle bedauerlicherweise fast ganz unter den Tisch fiel. HELL DRIVERS kam in den sechziger Jahren wieder in die Kinos, als die meisten der Darsteller mit anderen Rollen internationalen Ruhm erworben hatten.

Zwei weitere Filme, in denen Connery im selben Herbst spielte, waren weniger zukunftsträchtig und dienen im Grunde nur dazu, seinen Lebenslauf zu füllen. Zuerst kam eine winzige Rolle in einem langweiligen Melodram namens TIME LOCK (ZWÖLF SEKUNDEN BIS ZUR EWIGKEIT). Es geht darin um einen Jungen, der in einem Bankgewölbe gefangen ist. Das Drehbuch stammt von Arthur Hailey und basierte auf einem kanadischen Fernsehspiel. Das Produktionsteam (Gerald Thomas und Peter Rogers) ging schon bald zu besseren Projekten über und begann die CARRY ON-Serie.

Dann kam ein Film, der mehr versprach, als er halten konnte. ACTION OF THE TIGER (OPERATION TIGER) war die schlecht konstruierte Geschichte eines französischen Mädchens, das seinen Bruder retten möchte, der als politischer Gefangener in Albanien festgehalten wird. Regisseur Terence Young erklärte bei einer Pressekonferenz, sein Film (mit Van Johnson, Martine Carol und Herbert Lom) werde zeigen, wie die Filmindustrie die wachsende Bedrohung durch das Fernsehen abschmettern könne. Er enthalte viele Außenaufnahmen in exotischen Landschaften und spannende Actionszenen, die der kleine Bildschirm niemals vermitteln könne. Der Film wurde in Cinemascope gedreht, an Drehorten in ganz Europa, und da MGM dahinterstand, schien der Erfolg garantiert.

Leider stellte es sich als ziemlich schwierig heraus, das Versprechen einzulösen. Van Johnson wirkte absolut glanzlos, und seine Partnerin Martine Carol äußerte angeblich, Sean Connery, der nur eine kleine Nebenrolle spielte (die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er die Heldin zu vergewaltigen versucht), hätte die Hauptrolle übernehmen sollen. Auch Terence Young bewunderte Connerys kantige Leinwandpräsenz. Connery erinnere ihn an den jungen Kirk Douglas, meinte er. Connery selbst war fest vom Erfolg des Films überzeugt, genau wie die Produzenten, die für die Welturaufführung im August 1957 im Empire am Leicester Square eine große Prominenten-Gala organisierten.

Terence Young freilich hatte inzwischen längst gemerkt, dass es ihm nicht gelungen war, sein Projekt aus den Tiefen der Langeweile zu retten, in die es abgerutscht war. Er empfand richtig Mitleid mit dem Neuling Connery, als dieser zu ihm kam und voller Respekt sagte: »Sir, meinen Sie, dieser Film wird mir zum Erfolg verhelfen?«

»Nein«, erwiderte Young ohne Umschweife. Er wusste jedoch genau, dass es nicht Connerys Schuld war. »Aber geben Sie nicht auf. Machen Sie einfach weiter, und eines Tages werde ich es wieder gutmachen.«

Er hat sein Versprechen gehalten.

Sean Connery

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