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Die Bibel

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Wir machen nun einen großen Sprung. Zur gleichen Zeit, in einem ganz anderen kulturellen Bereich, entsteht eine Reflexion über den eigenen Glauben, die im Ergebnis dem, was wir bisher sahen, ganz ähnlich ist. Es ist Palästina, und es sind die Texte der Bibel, mit denen wir es zu tun haben. In den ältesten Texten der Heiligen Schrift wird von Jahwe, von Gott noch in der Weise geredet, dass er zwar für das Volk der Einzige ist und nur er verehrt werden soll. Dabei wird aber nicht ausgeschlossen, dass es bei den anderen Völkern andere Götter gibt, die auch ihre Gültigkeit haben. Andere Menschen haben andere Götter. Wir, so sagt das Volk Israel, haben nur einen Gott. Wir verehren auch keine anderen Götter, nur ihn, Jahwe.

Die weitere Reflexion ist nun die: Wenn Jahwe wirklich der Gott ist, der für uns der Einzige ist, der unser ganzes Leben bestimmt, auch unsere ganzen Erfahrungen und alles sonst, dann kann er selbst nicht eine Größe sein, die nur eine Größe unter anderen ist. Denn das hieße, dass dieser Gott eingeordnet wäre in einen höheren Bezugsrahmen, und dieser Bezugsrahmen würde über ihn hinaus weisen. Das heißt, wenn wir an Gott glauben als den für uns entscheidenden und einzigen, dann muss er derjenige sein, der die Grundlage von allem ist, der über allem steht und damit auch über den anderen Göttern, von denen wir wissen. Er ist also im Grunde der einzige und der wahre Gott. Es kann eigentlich gar keinen anderen Gott geben als den einzigen und einen, und an den glauben wir.

Diese Reflexionen, die ich gerade zusammengefasst habe, entstehen in einem längeren Prozess, nämlich in dem Prozess von geschichtlichen Erfahrungen. David hatte das Königtum etabliert und man sagte: In ihm hat sich die Verheißung Gottes an uns erfüllt. Gott hat uns das Land gegeben und Könige. Dann aber bricht alles zusammen. Die Babylonier zerstören Jerusalem, das Volk wird deportiert, ins Exil gebracht.

Dort im Exil in Babylon sieht man die großen Tempel, die Statuen der Götter, und man fragt sich: Haben sich nicht diese Götter als mächtiger erwiesen als unser Jahwe? Sind sie nicht die wahren Götter?

Die theologische Reflexion ist nun folgende: Wenn wir an unseren Gott wirklich glauben, dann kann er nur derjenige sein, der die letzte Wirklichkeit ist. Mit diesem Gedanken ist man im Glauben zur letzten Wirklichkeit durchgedrungen, zu einer letzten Macht, die alles trägt. Wenn man mit der verbunden ist, dann sind alle Götter der Umgebung etwas Nachgeordnetes, nachgeordnete Mächte. Das Volk kann nun sagen: In unserer Situation, wo uns kein Staat mehr sichert, geht es darum, zu erfassen, worauf wir letztlich vertrauen können. Dieses Vertrauen, dieses letztliche Vertrauen, kann sich nur richten auf das, was letztlich vertrauenswürdig ist. Unser Gott sagt uns, dass es etwas gibt, auf das wir letztlich vertrauen können, und das ist er selbst. Die letzte Vertrauensbasis macht unseren Gottesbegriff aus. Dieser Gottesbegriff ist allen anderen Gottesbegriffen, wo Gott nur eine regionale Macht ist und neben anderen Göttern steht, überlegen. Voll Einsicht kommen dann die großen Worte aus dem späteren Jesaja-Buch (das ist das Jesaja-Buch, das erst im Exil entstanden ist). Es heißt da: “So spricht der Herr: Ich bin der Erste, ich bin der Letzte. Außer mir gibt es keinen Gott. Erschreckt nicht und fürchtet Euch nicht. Gibt es einen Gott außer mir? Es gibt keinen Fels außer mir”.

Das heißt: Fürchtet euch nicht, ihr steht auf einem letzten Grund, und dieser letzte Grund ist der eine wahre Gott. Von diesem Gottesbegriff her ergibt sich eine Religionskritik, die ähnlich ist wie die Religionskritik, die wir bei Xenophanes kennengelernt haben. Sie beginnt im Jesaja-Buch und findet sich dann auch in späteren Schriften des Alten Testaments, auch in den Schriften, die griechisch geschrieben sind und die aus einem hellenistischen Kulturkreis kommen, ein Bereich, in dem auch die griechische Philosophie bekannt war. Nun verbindet sich die Religionskritik, die aus dem Glauben an den einen wahren Gott kommt, mit einer Religionskritik, die aus dem griechischen Kulturbereich kommt.

Im „Buch der Weisheit“ im 13. Kapitel heißt es: “Töricht waren von Natur alle Menschen, denen die Gotteserkenntnis fehlte. Sie hatten die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen, ohne den Seienden erkennen zu können”. Ohne „den Seienden“ erkennen zu können, heißt es. “Sein”, “seiend”, sind philosophische Begriffe. Für Parmenides ist “Sein” letzte arché, reines „Sein“.

Es wird also gesagt: Diese Menschen haben das wahre Sein nicht erkannt, wenn sie in ihren Religionen herumirrten. In gewisser Weise heißt das auch, dass sie nicht entsprechend philosophisch gedacht haben. Der Begriff des Seienden ist der Bibel keineswegs fremd, sogar als griechischer Begriff nicht.

Man las die Bibel nämlich weitgehend nicht mehr nur in Hebräisch, sondern auch in der griechischen Übersetzung, und da heißt es in der berühmten Szene, wo Gott sich dem Mose am brennenden Dornbusch offenbart, folgendermaßen: Gott antwortet auf die Frage des Mose an ihn: “Wer bist du eigentlich, wen soll ich verkünden?” mit den Worten: “Ich bin, der ich bin”. In der griechischen Übersetzung heißt es: “Ich bin der Seiende”.

Einerseits ist dies ein Wort, in dem sich Gott in ein letztes Geheimnis zurückzieht. Man könnte es so verstehen: Ich bin eben der, der ich bin, und das muss genügen. Man kann es aber auch so verstehen, dass er sagt: Ich bin der Seiende schlechthin. So konnte man einen Gottesbegriff bilden und sich in eine Übereinstimmung bringen mit philosophischen Aussagen aus der griechischen Welt.

Ich lese den Text weiter. “Sie hatten die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen, ohne den Seienden erkennen zu können. Beim Anblick der Werke erkannten sie den Meister nicht, sondern hielten das Feuer, den Wind, die flüchtige Luft, den Kreis der Gestirne, die gewaltige Flut oder die Himmelsleuchten für Welt beherrschende Götter”.

Die Gestirne wurden von den Babyloniern, wie von den Griechen als Götter verehrt. Feuer, Luft, Wasser, die Flut werden da genannt.

Das kommt uns bekannt vor. Das waren die philosophischen Begriffe, mit denen man die letzte arché zu begreifen versuchte. Was hier gesagt wird, ist also auch eine Kritik an diesen Philosophien, die die arché, den letzten Ursprung, in einer nicht adäquaten Weise zum Ausdruck brachten. Denn Feuer, Wasser, Luft usw., das sind Elemente dieser Welt, die zwar auf einen Ursprung verweisen, diesem aber wegen ihrer Verschiedenheiten nachgeordnet sind.

Und dann heißt es weiter: “Wenn sie diese Werke entzückt über ihre Schönheit als Götter ansahen, dann hätten sie auch den erkennen sollen, der all dies gemacht hat. Wie viel besser ist also ihr Gebieter? Denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen. Und wenn sie über ihre Macht und über ihre Kraft in Staunen gerieten, (also über die Macht dieser welthaften Schönheiten), dann hätten sie auch erkennen sollen, wie viel mächtiger jener ist, der sie geschaffen hat. Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer in Analogie schließen”.

Analogie, das ist ein Begriff, der in der Philosophie eine wichtige Rolle spielt, wo man in Entsprechungen denkt, also in Zuordnungen, die eine Ähnlichkeit bedeuten, also eine Übereinstimmung, aber auch eine Differenz.

Das ist die Lehre von der Analogie, die dann von Platon entwickelt wurde. Sie hatte eine große Tradition in der ganzen mittelalterlichen Philosophie. Sie wurde dort vor allem angewandt auf das Verhältnis von Welt und Gott, weil diese in einer Entsprechung stehen, aber doch radikal voneinander unterschieden sind. In diesem Unterschied sind sie aufeinander bezogen und haben etwas Gemeinsames. So wird es möglich, von den Werken, also von der Welt, d.h. von der Schöpfung aus, auf den Schöpfer, auf den Ursprung von allem, Bezug zu nehmen.

Wir haben hier also ein philosophisches Wort, einen philosophischen Begriff in diesem alttestamentlichen Text. Weiter heißt es: “Sie verdienen jedoch nur geringen Tadel. Vielleicht suchen sie Gott und wollen ihn finden. Gehen aber dabei in die Irre”. Das heißt, es wird diesen Vorstellungen zugestanden, dass sie auf der Suche sind nach dem, was sie nicht ganz begreifen. Die Antwort auf diese Suche gibt erst die Lehre von dem einzig allein wahren Gott, der aber genau dem entspricht, was die Philosophen die letzte arché oder „das Sein“ oder „den Seienden“ nennen.

Wir haben einen Text aus dem Alten Testament betrachtet. Im Neuen Testa ment wird diese Anknüpfung an philosophische Gedanken bei Paulus deutlich.

Im Römerbrief, im 1. Kapitel, nimmt er Bezug auf den Text, den wir eben aus dem Buch der Weisheit vorgelesen haben. Es wird da im „Römerbrief“ über den Glauben der Heiden gesprochen. Und dann heißt es: “Das Erkennbare an Gott ist ihnen eigentlich deutlich. Gott hat es ihnen sichtbar gemacht. Denn das Unsichtbare an ihm wird seit der Erschaffung der Welt durch seine Werke mit der Vernunft erfasst, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar”.

Sie konnten also nachdenken. Dass sie nachdenken konnten, zeigt ihre Philosophie. Dann hätten sie aber auch zu dem einen Gott gelangen müssen und ihn als den einen Gott erkennen und benennen müssen. Das würde dann dem Gott entsprechen, den Paulus verkündet.

In Athen, so hören wir in der Apostelgeschichte, lässt Paulus sich in einen Streit mit epikureischen und stoischen Philosophen ein. Diese schleppen ihn auf den Areopag wo er sich näher erklären soll. Paulus legt sein Gottesverständnis vor. Es heißt im Text: “Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde, wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Er lässt sich auch nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas”. Wenn er nämlich der wahre Gott ist, braucht er keine Opfer. Er muss nicht gespeist und getränkt werden, wie die Götter. Weiter heißt es: “Er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt, er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die ganze Erde bewohne. Er hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihrer Wohnsitze festgesetzt. So sollten sie Gott suchen, bis sie ihn ertasten und finden könnten”.

Ähnlich wie im Text aus dem Weisheitsbuch ist hier von einem Suchen Gottes die Rede. Und dieses Suchen sieht Paulus in den Religionen und in dem Glauben der Religionen, denen er hier in Athen begegnet, gegeben. Weiter heißt es: “Denn keinem von uns ist er fern”. Dieser jenseitige, nicht in Tempeln wohnende Gott, ist so jenseitig, dass er auch ganz da sein kann. Er ist nicht in der Weise jenseitig, dass er an einem fernen Ort eingeschränkt wäre, irgendwo ganz fern. Sondern er ist auch über alle solche Einschränkungen noch einmal jenseitig. Er ist überall, in mir, keinem ist er fern.

Paulus: “Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben, wir sind von seiner Art”.

Damit sagt er: Wir alle haben etwas Göttliches in uns, wenn Gott uns so nahe ist. Damit knüpft Paulus an die stoische Philosophie an. Er diskutiert zwar auch mit epikureischen Philosophen, für die das Höchste die Lust ist, vor allem aber wendet er sich an die stoischen Philosophen, die eine hoch entwickelte Gotteslehre haben.

An sie kann Paulus anknüpfen. Er sagt gewissermaßen: Wovon ihr da redet, das ist eigentlich auch der Gott, von dem ich spreche. Ich spreche aber von einem Gott, über den noch mehr zu sagen ist als das, was in eurer stoischen Philosophie gesagt wird. Ich spreche von einem Gott, der Mensch geworden ist und der als Mensch unsere ganze Menschheit in seine Göttlichkeit hineinzieht. Das ist die Lehre von der Auferstehung des Fleisches. Sie bedeutet: Unsere Konkretheit, die Gott in sich hineinzieht, ist damit ewigkeitswürdig.

Doch als die Philosophen ihn von der Auferstehung reden hörten, sagten sie: “Darüber wollen wir dich ein andermal hören”. Denn diese Lehre ist für die stoische Philosophie oder überhaupt für die griechische Philosophie nicht mehr begreifbar, ist außerhalb ihres Horizontes. Dass Gott so jenseitig ist, dass er im Menschen ist, in seinem Geist, das ist akzeptabel, das sagen sie auch. Aber dass er so diesseitig ist, dass er selbst das Menschsein annimmt und unsere Menschlichkeit damit in seine Göttlichkeit erhebt, das ist ihnen fremd und unzugänglich.

Aber ist das nicht auch ein sehr konsequenter Gedanke, der einer vernünftigen Betrachtung wert ist? Eine vernünftige Durchdringung des Glaubens haben wir ja schon in den Texten des Alten Testaments gefunden. Die theologische Reflexion geht aber bei Paulus und den Christen noch einen Schritt weiter: Nach ihnen ist Gott so jenseitig, dass er auch ganz auf unserer Seite stehen kann. Jedenfalls ist das doch ein Gedanke, den man vernünftig mitvollziehen könnte. Das ist der Anspruch des Paulus, indem er sagt: Die Botschaft von Jesus Christus, die ist für alle Menschen da, nicht nur für ein bestimmtes Volk. Sie ist nicht nur für eine bestimmte Tradition da. Was alle Menschen vereint, das ist die „Vernunft“, wie die Griechen es sehr deutlich herausgestellt haben. Deswegen verbündet sich Paulus mit philosophischen Gedanken und kann die eigene Verkündigung auch in einen philosophischen Zusammenhang hineinstellen.

Paulus betont auch den Unterschied der göttlichen Weisheit zur menschlichen Weisheit. Dieser Unterschied ist im Gottesbegriff schon enthalten. Er liegt darin, dass Gott für unsere menschlichen Begriffe nicht einholbar sein kann. Für die Griechen ist es eine Torheit zu sagen, dass Gott Mensch wurde. Dieser jenseitige, rein geistige Gott wird Mensch? Eine Torheit! Für die Juden ist es ein Ärgernis. Ein Ärgernis weshalb? Weil dieser Gott so radikal Mensch wird, dass er auch das Leiden auf sich nimmt und ans Kreuz geht. Das ist ein Ärgernis.

An diesem Widerstand lässt sich erkennen: Die göttliche Weisheit ist auch für uns nicht vollkommen erfassbar. Trotzdem beziehen wir uns in unserer Vernunft auf diese Weisheit, die für uns nie ganz erfassbar ist.

Man kann das in Beziehung setzen zu einem personalen Verhältnis. Wenn wir einen Menschen wirklich verstehen und sagen, dass wir ihn erkennen, dann geht uns zugleich auch seine Unbegreiflichkeit auf. Liebe ist etwas, was wir verstehen und begreifen, und doch kommt sie aus einer Freiheit, über die wir nicht mehr verfügen. Das ist dann auch das adäquate Verhältnis zu Gott, so dass wir ihn als denjenigen sehen, der unsere ganze Sehnsucht und alle Ausgriffe der Vernunft erfüllt und zugleich, indem wir ihn erreicht haben, über all das noch einmal hinausgeht, so dass er nun wirklich derjenige ist, der alles aus sich selbst schöpft und aus sich selbst auch den Menschen begegnet.

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