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Leerheit, gegenseitige Abhängigkeit und Karma

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Was für die Begriffe und die Erkenntnis zutrifft, gilt für alle Phänomene. Kein Ding ist das, was es ist, aus sich selbst. Jedes Phänomen ist abhängig von anderen Phänomenen. Wenn aber kein Ding aus sich selbst existiert, dann ist es auch nichts für sich selbst. Es hat kein unabhängiges Sein oder Wesen. Im Buddhismus sagt man: Allen Phänomenen (die Philosophen sprechen vom »Seienden«) ist es eigentümlich, nicht aus sich selbst zu existieren; ihnen fehlt die »Selbstnatur« (svabhāva). Oder: Alle Phänomene sind leer an einem isolierten, nur jeweils dem einzelnen Phänomen zukommenden Wesen. Dieses Prinzip heißt »Leerheit« (sūnyatā). Es drückt zwei Gedanken in einem aus: Erstens alle Phänomene sind voneinander abhängig; eben deshalb sind zweitens alle Phänomene leer an einer unabhängigen, getrennten Existenz. Die relative Wahrheit der gegenseitigen Abhängigkeit ist der vorläufige Ausdruck für die endgültige Erkenntnis: Alle Phänomene sind leer.

Die Leerheit ist aber nun nicht ihrerseits ein negatives Prinzip (»das Nichts«). Der Buddha hat ausdrücklich betont, dass damit kein Nihilismus verbunden und er gerade kein Nihilist sei.26 Leerheit ist kein Nichts.27 Vielmehr ist damit gesagt, dass alle Phänomene in einer und als eine Offenheit existieren, in der nichts endgültig festgelegt, definiert oder fixiert ist. Die Wirklichkeit ist, abendländisch ausgedrückt, nicht ein Sein, sondern ein offener Prozess. In diesem Prozess gibt es Ursache und Wirkung, gegenseitige Abhängigkeit und Dualität in einem relativen oder konventionellen Sinn. Die Wirklichkeit wird allerdings durch die verblendeten Gedanken der Menschen konstruiert. Und deshalb gilt es, die Konstruktion dieser Gedanken zu durchschauen, denn eine auf Irrtümern beruhende Konstruktion oder Auslegung der Welt muss zu leidhaften Konsequenzen führen. Der Buddhismus leugnet also nicht, dass es eine Wirklichkeit gibt. Im Gegenteil. Alle Wirklichkeit ist ein Wirken, setzt also die relative Beziehung von Ursache und Wirkung voraus. Der Sanskrit-Ausdruck dafür lautet »Karma«.28 Wenn alle Phänomene voneinander abhängig sind, dann bleibt keine Veränderung ohne Wirkung. Das wird im Buddhismus auch »Karmagesetz« genannt. Da dies aber für alle Phänomene gilt, ist das Ganze aller Phänomene unbestimmt, offen, ein Prozess. Die Leerheit ist dynamisch, jenseits von Subjekt und Objekt, sie zeigt sich aber auch in der verdunkelten Perspektive der Subjekt-Objekt-Dualität als Offenheit natürlicher und historischer Entwicklungsprozesse: als Zufall in der Natur oder als Freiheit und Kreativität der Menschen.29

Die Leerheit hat durchaus eine positive Qualität, denn die gegenseitig abhängigen Phänomene werden – wenn auch vielfach irrtümlich – erkannt. Diese Qualität der Leerheit, die in jedem Menschen angelegt ist, wird auch »Buddhanatur«, »Lichtheit«, oder auch »Achtsamkeit« genannt. Diese Qualität der Leerheit vollständig zu realisieren heißt deshalb auch, ein »Buddha« zu sein oder nirvāna zu erlangen und die absolute Wahrheit zu erkennen. Sie nicht zu erkennen heißt, weiter in die gegenseitig abhängigen Phänomene verstrickt zu bleiben (samsara), heißt, in der relativen Wahrheit verstrickt zu bleiben. Ein illustratives, häufig verwendetes Beispiel in den buddhistischen Lehren ist das Bild von der Schlange und dem Seil30: Verblendet durch das eigene Ich, sieht man eine Schlange, erschrickt und lebt in Angst. Mit dem Blick der Weisheit erkennt man: Es ist nur eine Täuschung. Es war nur ein Seil, das man irrtümlich als Schlange wahrgenommen hat. Die Leerheit ist also nichts Transzendentes hinter den Phänomenen. Jeder Irrtum ist auch in seiner Qualität eine Erkenntnis und hat damit das Potential zur Erkenntnis der Wahrheit.

Die Leerheit zeigt sich in der gegenseitigen Abhängigkeit für alle Lebewesen – allerdings darin nur negativ. Da nachgerade wir Menschen an einem Ich festhalten, dieses Ich aus höchst vergänglichen Beziehungen immer wieder neu aufbauen, erleben wir uns als abhängig von anderen Phänomenen: vom eigenen Körper, seinen Gefühlen, von äußeren Dingen, anderen Menschen, der Natur usw. Die aus der Perspektive eines Egos falsch aufgefasste Wirklichkeit versucht, in der offenen Weite der Phänomene ein fiktives Zentrum festzuhalten, das nicht festzuhalten ist. Dies nennt man Verblendung im Unterschied zur Erkenntnis dieser Offenheit als positive Qualität (»Erleuchtung«). Und weil wir im Strom der gegenseitig abhängigen Phänomene einen unhaltbaren Punkt festhalten wollen, erleiden wir die Welt. Die verblendete Erfahrung der gegenseitigen Abhängigkeit durch das fiktive Zentrum des Egos – das heißt im Buddhismus: »Die Wahrheit vom Leiden«.

Buddhistische Wirtschaftsethik

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