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Feier und Fron

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Wie aus heiterem Himmel hatte Al-Halabi Kléber angegriffen – und den Franzosen damit auch zu verstehen gegeben, wie verhasst sie bei nicht wenigen Ägyptern waren, wie gefährdet die neue Ordnung war, die sie in Kairo zu errichten suchten. Das Land war nur scheinbar unterworfen, tatsächlich mussten die Eroberer jederzeit mit Aufruhr und Widerstand rechnen. Jeden Moment konnten sich Proteste erheben, konnte Gewalt gegen die Eroberer losbrechen. Die Franzosen galten als Invasoren. Daran konnten auch die vielen freundlichen Gesten nichts ändern, mit denen die französischen Besatzer die Ägypter umschmeichelten. Im Gegenteil: Die Feiern offenbarten erst das ganze Ausmaß der Animositäten – jedenfalls dann, wenn man die Zeichen zu deuten wusste.

Etwa jenes Fest im August 1798, auf dem die Franzosen, einer ägyptischen Tradition folgend, die steigenden, Fruchtbarkeit verheißenden Fluten des Nils feierten. Die Eroberer begrüßten die anschwellenden Wassermassen mit einem großen Umzug. „Man spielte mehrere Stücke, arabische ebenso wie französische“, berichtet die gerade erst gegründete Zeitung Le Courier de l’Égypte in ihrer ersten Ausgabe. „Als der Umzug vom Nil in die Stadt zurückkehrte, folgte ihm eine große Menschenmenge, die Loblieder auf den Propheten und die französische Armee sang. Gleichzeitig verdammten die Leute die Mamlukenherrscher und deren Tyrannei und stimmten Loblieder auf die Franzosen an: ‚Durch Gottes Barmherzigkeit seid Ihr gekommen, um uns zu befreien und uns den schönsten Nil seit über hundert Jahren zu bescheren. Das sind zwei Wohltaten, die allein Gott verfügen kann.‘“19

Doch weder durch den Rückgriff auf lokale Traditionen noch das darin eingewobene religiöse Bekenntnis konnten die Franzosen punkten. Wie nüchtern und illusionslos die Ägypter das Fest sahen, zeigt sich in der kühlen Reaktion Al-Dschabartis. Er hat ausgesprochen wenig Verständnis dafür, dass die Franzosen die Ägypter zum Feiern auffordern – ganz so, als gäbe es all die Zumutungen und Bedrängnisse nicht, denen die Einheimischen sich seit Ankunft der Invasoren gegenübersahen. „Sie erheben Abgaben, stellen unerbittliche Forderungen, plündern Häuser, belästigen die Frauen und werfen die Männer ins Gefängnis. Außerdem überschreiten die Steuern, die sie erlassen, jedes Maß.“ Kein Wunder darum, fährt Al-Dschabarti fort, dass den meisten Ägyptern die Feierlust vergangen ist: „Niemand ging in jener Nacht aus, um an der Bootsfahrt teilzunehmen, ausgenommen ein paar syrische Christen, Kopten, Europäer mit ihren Frauen und einige Taugenichtse, die am nächsten Morgen traurig und verzagt von dannen zogen.“20

Al-Dschabarti spricht es in aller Schärfe aus: Mit Brot und Spielen lassen die Ägypter sich nicht gewinnen. Jedenfalls dann nicht, wenn sie den Einmarsch der Franzosen nicht nur hinnehmen, sondern über Steuern auch noch finanzieren müssen. Da tröstet auch der Umstand nicht, dass Napoleon die Ägypter an seinen Plänen beteiligt. Im Oktober 1798 ruft er den „Diwan“ ins Leben, einen aus Abgesandten sämtlicher Provinzen bestehenden Klein-Kongress, der ihn bei den anstehenden Entscheidungen beraten soll. Doch von den großen Reformen, die die Franzosen sich vorgenommen haben, bleibt am Ende wenig. Die Mitglieder des Diwans nutzen ihre Stellung vor allem dazu, sich persönlich zu bereichern. Die wichtigste Reform, die sie durchsetzen, ist die des Steuersystems. Doch führt diese nicht zu einer niedrigeren, sondern deutlich höheren Belastung der Bürger. In deren Augen ist der Diwan auch darum keine Institution, die die Herrschaft der Franzosen politisch legitimiert. Ihr hauptsächlicher Sinn liegt in den Augen der Mehrheit vielmehr darin, die Kosten der Besatzung auf die Einheimischen abzuwälzen. Vor allem durch eine Entscheidung bringt Napoleon die Ägypter gegen sich auf, nämlich eine Steuer auf sämtliche Privathäuser in der Stadt zu erheben. Diese bislang unbekannte Belastung hat wesentlich zu den Aufständen in Kairo beigetragen. Hinzu kommt der Unmut über eine als ungerecht empfundene Lastenverteilung. Zwar versuchen die Franzosen, möglichst alle Bevölkerungsgruppen am Steueraufkommen zu beteiligen. Doch sehen sie sich dabei einer Schicht gegenüber, die das zu verhindern sucht: „Die ägyptische Geldaristokratie ist in Kairo womöglich einflussreicher als irgendwo sonst. Der Einfluss der Wohlhabenden vernachlässigt die Interessen der einfachen Bevölkerung, die fast die gesamte Last trägt. Vehement tritt sie dem Versuch des Generalgouverneurs entgegen, die Beiträge so gering wie möglich zu halten und vor allem die Arbeiter und Bauern zu entlasten“, notiert ein Zeitzeuge.21

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