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Ein Vaterlandsverschacherer

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Erzberger, Jahrgang 1875, war 1903 als jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt worden. Rasch machte er sich einen Namen als entschiedener Kritiker der deutschen Kolonialpolitik. Korruption, Erpressung, sexueller Missbrauch, Misshandlungen von Afrikanern und Missionaren – das waren die Themen, die er im Reichstag zur Sprache brachte. Geschickt brachte der erfahrene Redakteur seine Anliegen an die Öffentlichkeit: Erste Andeutungen ließen die Öffentlichkeit neugierig werden, eine dann einkalkulierte Schweigephase baute die nötige Spannung auf, vor deren Hintergrund der junge Abgeordnete dann seine Enthüllungen präsentierte. So unbequem wurde er der Reichsführung, dass sich Kaiser Wilhelm an Reichskanzler von Bülow mit der Frage wandte, ob „denn gar kein Mittel vorhanden (sei), unsere Beamten- und Offizierswelt vor dem gewerbsmäßigen Hintertreppen-Schleicher, Ehrabschneider und Verleumder Erzberger zu decken.“30 Später sollte der Kaiser – zunächst – weniger Probleme mit dem widerspenstigen Abgeordneten bekommen, denn vom Ausbruch des Krieges war auch Erzberger begeistert. Denn der, war er überzeugt, sei rein auf Verteidigung angelegt. Zudem aber brachte er dem politischen Deutschland jene Einigung, an der es in den Jahren zuvor so sehr gemangelt hatte. Vorsichtiger wurde er erst später, nachdem die USA in den Krieg eingetreten waren und Schritt für Schritt eine Macht entfalteten, der die Mittelmächte auf Dauer nichts entgegenzusetzen hätten. Spätestens im Sommer 1917 war ihm klar, dass „der Frieden von 1917 … unter allen Umständen besser werden (würde) als der Frieden von 1918.“31 Umso offener äußerte er fortan seinen politischen Richtungswechsel: Was er vor zweieinhalb Jahren gesagt habe, sei der damaligen Kriegslage angepasst gewesen. Die Schlussfolgerung lag für ihn auf der Hand: „Nur ein politischer Idiot kann im Jahr 1917 das Kriegsziel noch so stecken wie 1914/15.“32 Im Juli 1917 sprach er sich dann offen für eine vom Reichstag gestützte Friedensresolution aus. Durch diese Rede wie auch die vorhergehenden Äußerungen zog er sich zunächst den Unmut und sehr bald dann den Hass der nationalistischen Politiker zu, geäußert in den ihnen nahestehenden Medien. Als „Stinkbombe“ bezeichnete ihn die Deutsche Zeitung, als „Hochverräter“ die Kreuzzeitung, während die Weser-Zeitung in ihm einen „Vaterlandsverschacherer“ sah. Am weitesten ging später die Deutsche Zeitung. Sie erklärte ihren Lesern, dass für die führenden Politiker der Liberalen, des Zentrums und der Sozialdemokraten „der Richter Lynch allein für Payer, Erzberger und Scheidemann der einzige Richter sei.“33

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