Читать книгу Nervöser Orient - Kersten Knipp - Страница 14

Im Schatten des Windes

Оглавление

Toulon, Marseille, Genua, Korsika und Civitavecchia: Gleich in mehreren Häfen lässt Napoleon seine Flotte rüsten. Dreizehn Kriegsschiffe, sechs Fregatten, eine Korvette und 35 weitere Boote, dazu über 300 Transportschiffe: Es ist ein riesiges Geschwader, das da zusammenwächst – und doch gerade groß genug, um jene 30.000 Mann aufzunehmen, die die Armée d’Orient schließlich umfassen wird. Über Wochen ziehen sich die Vorbereitungen hin, doch dann ist es soweit: „Am 21. Mai stach der Verband schließlich in See, und wir fuhren unter günstigem Wind. Jedes Schiff nahm dem ihm zugedachten Platz ein.“6 Geführt von der Orient, Napoleons Flaggschiff, macht sich eine hochgerüstete Flotte auf den Weg, ausgerüstet mit dem modernsten Kriegsgerät, das die französische Marine zu bieten hat: „Zu unserer Flotte gehörten ein Schiff mit 120 Kanonen und drei Schiffe mit jeweils achtzig.“7

Derart gerüstet, bereitet das ägyptische Abenteuer zunächst wenige Probleme. Anfang Juli gehen die Schiffe auf Höhe von Alexandria vor Anker. Im Handumdrehen ist die alte Handels- und Hafenstadt eingenommen. Besondere militärische Fähigkeiten erfordert das nicht: Die Verteidiger verfügen weder in der Zitadelle noch im Wachturm der Stadt über genügend Waffen, um den Angreifern entgegenzutreten. Schnell ist ihnen klar, dass sie gegen die von allen Seiten heranströmenden Soldaten keine Chance haben. Auch die Stadtväter halten Widerstand für sinnlos und entscheiden sich darum, Alexandria den Eroberern zu übergeben. Alles Weitere, berichtet Al-Dschabarti, ging dann sehr schnell: „Die Franzosen hissten ihre Flaggen, entwaffneten die Einwohner und befahlen ihnen, sich ein Emblem an die Brust zu heften. Außerdem setzten sie eine Steuer zur Finanzierung ihrer Armee fest und verlangten weitere Gebühren.“8

Vielleicht, überlegt Al-Dschabarti, hätte die Landnahme auch ganz anders verlaufen können. Das hätte dann aber vorausgesetzt, dass die Ägypter sich in den Jahrzehnten zuvor besser um den Unterhalt ihrer Armee und die Instandhaltung ihrer Befestigungsanlagen gekümmert hätten: „Seit den Zeiten Ali Beys [des von 1757–1772 regierenden Herrschers Ägyptens] vernachlässigte das lokale Militär den Hafen nicht nur, sondern hatte auch die dort lagernden Waffen und Kanonen entfernt. Außerdem wurde den Garnisonen kein Geld mehr überwiesen, und den im Hafen stationierten Soldaten der Sold gekürzt.“9 Al-Dschabarti spricht es nicht offen aus, aber die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Wer so mit seiner Armee umgeht, braucht sich nicht zu wundern, wenn deren Soldaten schon beim ersten Schusswechsel die klapprigen Flinten hinwerfen. In Zeiten immer schlagkräftiger auftretender Heere kann man sich solche Nachlässigkeiten nicht leisten.

Der unhaltbare, dem Stand der Technik weit hinterherhinkende Zustand ihrer Armeen sollte die Herrscher und militärischen Kommandeure des Osmanischen Reiches in den folgenden Jahrzehnten immer wieder beschäftigen. So kurz Napoleons Gastspiel auf ägyptischem Boden auch war, eines machte es überdeutlich: Den europäischen Armeen ließe sich nur dann etwas entgegensetzen, wenn man die eigenen Truppen technisch und strategisch entschlossen nachrüstete und auf Stand der europäischen Großmächte brachte. Das sollte vorderhand zwar weder den Militärs des Osmanischen Reichs noch, nach dessen Zusammenbruch, deren Nachfolgern gelingen; aber das Gebot der Stunde war fortan klar: Es hieß Aufrüstung. Bis all dies sich herumgesprochen hatte, brauchte es freilich einige Zeit. Als etwa Napoleon nach der Einnahme Alexandrias weiter Richtung Gizeh zog, um von dort aus Kairo zu unterwerfen, gab sich Murad Bey, Statthalter des Osmanischen Reichs in Ägypten, noch wenig beeindruckt: „Was sollten wir die Franzosen fürchten?“, meinte er vor seinen Offizieren. „Wenn hunderttausend von ihnen an Land gehen, brauche ich ihnen bloß die jungen Mamluken entgegen zu schicken, die ihnen mit den Kanten ihrer Steigbügel die Köpfe abschneiden.“10 Es kam bekanntlich anders: Murad Bey kassierte eine vernichtende Niederlage, und der Herrscher Ägyptens hieß nun, zumindest fürs Erste und auf dem Papier, Napoleon.

Nervöser Orient

Подняться наверх