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Ein Gottgesandter

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Die Invasion war ein unfreundlicher Akt – soviel war sicher. Um ihn den Ägyptern trotzdem schmackhaft zu machen, hatte Napoleon bereits während der Überfahrt einen eigens an das ägyptische Volk gerichteten Text ersonnen, den er noch an Bord drucken und nach der Landung umgehend verteilen ließ. „Ägypter!“, wandte er sich an die frisch unterworfenen Bürger Alexandrias. „Man wird euch erzählen, dass ich gekommen sei, um eure Religion zu zerstören. Glaubt das nicht! Antwortet darauf, dass ich gekommen bin, um eure Rechte wiedereinzusetzen, die Besatzer zu bestrafen und dass ich mehr als die Mamluken Gott, seinen Propheten und den Koran respektiere.“

Ägypten, die Herrschaft der Mamluken – und Napoleon als Erlöser. Geschickt machte sich der französische Feldherr den Hass der Ägypter auf ihre Herrscher, die Mamluken, zunutze. Ursprünglich aus dem Kaukasus kommend, hatten diese im 13. Jahrhundert die Herrschaft über Ägypten an sich gerissen und auch unter osmanischer Oberhoheit weitgehend behaupten können. Leidtragende ihres strengen Regiments war die ägyptische Bevölkerung, deren Interessen in den Augen ihrer mamlukischen Herren bestenfalls eine Nebenrolle spielten.

In einer solchen Situation, spekulierte Napoleon, würden die Ägypter ihn als Befreier empfangen und sich vertrauensvoll unter seine Obhut begeben. Noch mehr, war er sich sicher, würde er den Muslimen gefallen, wenn er sich als Vollstrecker eines göttlichen Heilplans darstellte. Gewiss, die Herrschaft der Mamluken scheine auf festen Füßen zu stehen, erklärte er darum in seinem Pamphlet: „Aber Gott, der Allmächtige und Herr des Universums, hat befohlen, dass ihr Reich zu Ende gehe.“ Napoleon bemühte die höchsten Register. Wenn die Mamluken das Land schon beherrschten, fuhr er fort, dann müssten sie auch beweisen, dass Gott sie dazu ermächtigt habe. Das aber, erklärte er, werde der Weltenschöpfer nicht zulassen. Der habe vielmehr Anderes vor: „Mit seiner Hilfe werden alle Ägypter die bedeutendsten Ämter besetzen und die höchsten Ränge erhalten können. Die Weisesten, Bestausgebildeten und Tugendhaftesten werden regieren, und das Volk wird glücklich sein.“

Napoleon, der Gottgesandte. Der Befreier und Erlöser, gekommen, die Ägypter von ihrem Joch zu befreien. Im Bekenntnis seiner Frömmigkeit, nahm er an, würden die gottesfürchtigen Menschen am Nil ihre eigene wiedererkennen. Sie wären dann bereit, neue Bande zwischen Islam und Christentum zu knüpfen, würden zwischen den beiden Religionen keinen Unterschied mehr machen. Und denen, die ihm sein Bündnis mit dem Höchsten nicht abnehmen wollten, bot er andere Gründe, sich mit ihm zu verbünden. „Zu lange schon verhöhnen die Mamluken die französische Nation und verhöhnen deren Kaufleute auf alle nur erdenkliche Weise. Jetzt ist die Stunde gekommen, sie zu bestrafen.“11 Dieses Angebot vor Augen, hätten nun auch die Skeptiker Anlass, die französische Invasoren rückhaltlos zu begrüßen: Denn Frankreich und Ägypten zögen am selben Strang. Beide, so Napoleon, litten sie unter der Herrschaft der Mamluken, die ihnen gleichermaßen das Leben schwer machten.

Doch die frommen Register, die Napoleon zog, kamen bei den Adressaten nicht recht an: Die Ägypter blieben skeptisch. Al-Dschabarti mochte Napoleon kein Wort glauben. Auf mehreren Seiten setzt er sich mit der Proklamation des französischen Feldherrn auseinander und verreißt sie Stück für Stück. Am wenigsten traut er den religiösen Bekenntnissen des Eroberers. Wenn Napoleon erkläre, er verehre Gott und respektiere den Propheten und den Koran, dürfe man ihm das auf keinen Fall abnehmen: „Denn den Koran zu respektieren heißt, ihn zu verherrlichen, und man verherrlicht ihn, indem man an ihn glaubt.“ Genau das täten die Franzosen aber nicht: „Sie leugnen alles und lügen in allem.“ Überhaupt müsse man bei ihren Bekenntnissen vorsichtig sein: „Die Franzosen sind mit allen drei Religionen einverstanden und zugleich nicht einverstanden.“ Nein, man dürfe den Eroberer nicht beim Wort nehmen, warnt Al-Dschabarti, auch in seinen Äußerungen über die Mamluken nicht. Wenn Napoleon etwa behaupte, er diene Gott mehr als es die Mamluken täten, sei man gut beraten, das nicht allzu ernst zu nehmen. Denn eigentlich wolle der Franzose etwas ganz anderes sagen, nämlich dass er schlicht mächtiger sei als sie. Auch mit der philosophie des lumières, den Prinzipien der Aufklärung, kann Al-Dschabarti sich nicht anfreunden – am wenigsten mit der Behauptung, alle Menschen seien vor Gott gleich. „Wie kann das sein, wenn Gott einige Menschen größer und bedeutender als andere gemacht hat, wie es von denen bezeugt wird, die im Himmel und auf Erden leben?“12

Al-Dschabarti hat Recht: Napoleons Proklamation ist nur die eine, die freundliche Seite seiner Strategie. Wo sie fehlschlägt, zögert er nicht, auf Gewalt zu setzen. Ende Juli lässt Napoleon sein Heer Richtung Kairo marschieren. Bei Gizeh stellen sich ihm die Mamluken entgegen. Ihr Plan: die Eindringlinge zu schlagen und ein für alle Mal aus dem Land zu werfen. Doch die Schlacht bei den Pyramiden, wie sie später genannt wird, verläuft anders als geplant. Zwar haben die Mamluken ein geordnetes Heer zusammengestellt. Doch gegen die technisch und strategisch überlegenen Franzosen haben sie keine Chance. Keine zwei Stunden braucht Napoleons Armee, den Gegner in die Flucht zu schlagen – zum Entsetzen zahlloser Ägypter, die das Geschehen aus der Ferne beobachten und, kaum sind die Mamluken geschlagen, Schutz in den Straßen Kairos suchen. „Überall erhob sich ein Schreien und Klagen. Massenhaft eilten sie in die Stadt, und die Frauen lagen wimmernd in den Fenstern. Die Leute stießen einander um, Lärm und Tumult wuchsen ins Ungeheuerliche. Viele entschlossen sich, Kairo zu verlassen.“13 Napoleon dürfte es spätestens jetzt aufgegangen sein: Die Proklamation, mit der sich in Alexandria an die Ägypter gewandt hatte, machte auf diese ausgesprochen wenig Eindruck. Mit eigenen Augen gelesen hatten sie ohnehin nur die wenigsten. Und die Masse derer, die von ihr gehört hatten, dürften mit ihr zugleich auch deren verbreitete Interpretation zur Kenntnis genommen hatten. Die war so kurz wie bündig: Glaubt den Franzosen kein Wort!

Die Skepsis war berechtigt. Denn tatsächlich war der Islam für die französischen Strategen nichts als ein Instrument, um die Herzen der Ägypter zu erobern. Für sich selbst genommen interessierte er kaum jemanden unter den Franzosen. Sie sahen in dem fremden Glauben ein bloßes Mittel zum Zweck. „Wir täuschen die Ägypter durch unsere angebliche Hingabe an ihre Religion, an die Bonaparte und ich nicht mehr glauben als an jene, die der verstorbene Papst Pius gepredigt hat“, notierte einer von Napoleons Generälen, Dominique Martin Dupuy.14


Die Ansprache Bonapartes an seine Armee vor der Schlacht bei den Pyramiden am 21. Juli 1798. Gemälde (1810) von Antoine-Jean Gros.

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