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„ICH BIN SCHWUL, UND DAS IST AUCH GUT SO“

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Am Donnerstag, den 7. Juni 2001, kamen SPD-Landesvorstand und Fraktion hinter verschlossenen Türen zusammen. Für den 10. Juni wurde ein außerordentlicher Landesparteitag der SPD angesetzt. Für mich denn doch überraschend kurz und schmerzlos verlief sodann die Debatte, dass ich gegen Eberhard Diepgen antreten solle. Für Samstag, den 16. Juni würden wir jene Sondersitzung des Abgeordnetenhauses beantragen, in der Eberhard Diepgen durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt und ich mit den Stimmen von Grünen und PDS zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt werden sollte.

Ziel danach: die Bildung eines rot-grünen Minderheitssenates, den die PDS tolerieren würde. Allerdings habe ich von Anfang an klargemacht, dass ich für diesen politischen Kurswechsel ein möglichst baldiges Wählervotum will. Die Legislaturperiode hätte regulär noch bis September/Oktober 2004 gedauert. Doch drei Jahre Tolerierung eines Minderheitssenates, das war keine Option für mich, keine Option für die SPD und auch keine Option für die Stadt. Dementsprechend beschlossen wir, für den kommenden September eine Selbstauflösung des Parlaments und Neuwahlen anzustreben.

Wer mich damals persönlich etwas besser kannte, wusste selbstverständlich, dass ich schwul und seit 1993 mit meinem Partner Jörn Kubicki zusammen bin. Auch den meisten Berliner Journalisten war das bekannt.

Ich selbst hatte bis dato weder Interesse daran noch hielt ich es für angebracht, mein Privatleben in die Öffentlichkeit zu tragen. Anders gesagt: Ich fand und finde es klasse, dass es Menschen gibt, die sich öffentlich für die Rechte von Schwulen und Lesben engagieren. Doch ich selbst habe mich nie als so ein Interessenvertreter gesehen. Ich bin als Klaus schwul, nicht als Politiker. In der Politik selbst, aber auch für die Presse galt damals zudem noch die Grundregel, dass alles Private, so es nicht in irgendeinem Sinne justiziabel war, eben privat bleibt. Und schließlich hatte sich bislang auch kein deutscher Politiker öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt.

Ich habe dann an besagtem Donnerstag gespürt: Wenn deine Partei dich für das Amt des Regierenden Bürgermeisters nominiert, dann sollten alle wissen, dass es in deinem Privatleben einen Punkt gibt, der einen seinerzeit in der Öffentlichkeit noch hätte angreifbar machen können.

Zeit, mein Outing und dessen Formulierung strategisch zu planen, war nicht. Also habe ich einfach vor Fraktion und Landesvorstand gesagt, dass ich schwul bin. Ich weiß gar nicht mehr genau, welche Formulierung ich in der Situation gewählt habe, jedenfalls nicht das berühmte „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“. Eher war es was mit „übrigens“. Für gefühlte zehn Sekunden hätte man im Saal die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können. Doch dann brandete sofort Beifall auf – und ich wurde einstimmig als Kandidat der SPD für das Amt des Regierenden Bürgermeisters nominiert.

Gleichwohl wurde intern natürlich diskutiert, ob ich das jetzt auch beim Parteitag am folgenden Sonntag sagen solle. Die meisten in der SPD-Spitze rieten mir ab. Die Befürchtung war schlicht, dass die Berliner Boulevardpresse bis zur Wahl pausenlos die Messer wetzen würde. Irgendwas mit „Schwuler koaliert mit Ex-Kommunisten“ oder so. Leute, die diese Botschaft rhetorisch geschickt verpacken konnten, gab es ja.

Am Ende rollte der Zug aus einem ganz anderen Bahnhof. Die „Schwusos“ in der SPD sind noch am selben Abend in die Szene gegangen. Dort haben sie stolz verkündet: „Hey Leute, unser Neuer ist schwul, und er hat das auch gesagt!“ Am Freitag ging die Meldung dann über den Blog queer.de. Und am Samstag stand es in der Frankfurter Rundschau. Sonntag früh riefen dann die Journalisten an. Einer unserer Pressesprecher meinte besorgt, die Springerpresse wolle auf das Thema einsteigen. Damit stand mein Entschluss fest: Ich sage öffentlich auf dem Parteitag, dass ich schwul bin. Mit dem Thema werden sie dich nicht kriegen! Denn das ist schon lange nichts mehr, mit dem man sich verstecken muss.

Das war ein ganz persönlicher Entschluss. Und von dem hätte mich auch keiner mehr abgebracht. Allerdings stand da nichts Entsprechendes im Manuskript meiner Rede. Ich hatte mir nicht mal einen formulierten Satz überlegt. Ebenso gut hätte ich sagen können: „Ja, ich bin schwul, und dafür muss ich mich nicht rechtfertigen.“ Am Ende kam dabei spontan das berühmte Statement raus. Viele haben sich nachher an dem „auch“ hochgezogen, einem typischen Füllwort. Ich hätte da die Heterosexuellen ausgrenzen oder die Schwulen privilegieren wollen. Und was da nicht noch alles für Quatsch hineininterpretiert wurde. Auf einem unserer damaligen Wahlplakate („Berlin. SPD … und das ist gut so.“) ist das „auch“ nicht mal angekommen. Heute gibt’s vom Poster übers T-Shirt bis zum Kaffeebecher alles. Der Spruch ist mit Dutzenden anderer Themen kombiniert worden. Sogar militante Heterosexuelle haben mich schon beklaut. Seit ich diesen Satz gesagt habe, ist das Thema in der Öffentlichkeit jedenfalls durch. Gut so.

Eine völlig unbeabsichtigte Nebenfolge meines Bekenntnisses war übrigens die internationale Bekanntheit, die es mir quasi über Nacht eintrug. Normalerweise ist es ja eher so, dass bei Auslandsbesuchen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin anfangs nur die Leute vom Protokoll dessen Namen kennen – und den dann auch öfter mal den Gastgebern zuraunen müssen. Ich war immer sofort für alle „Mr. Wowereit“. Und ich habe nie auch nur im Ansatz so etwas wie Schwulenfeindlichkeit gespürt. Sicher, Politiker auf der ganzen Welt werden da einschlägig gebrieft. Und sie sind professionell genug, um zu wissen, dass die sexuelle Orientierung zumindest im Westen Privatsache ist – kein Thema für freundliche, launige oder offen ablehnende Reaktionen. Doch ich habe auch bei Begegnungen, wo man das nicht unbedingt erwarten würde, große Herzlichkeit gespürt. Es ist ja kein Geheimnis, dass Homosexualität für viele Menschen in Afrika oder im arabischen Raum noch so was wie Satanswerk ist. Trotzdem war das bei Empfängen für Botschafter oder Minister nie ein Problem. Ich hatte den König von Saudi-Arabien als Gast zum Mittagessen im Roten Rathaus. In diesem Land müssen Schwule die Todesstrafe fürchten. Dass der König das auch als Privatmann für angebracht hält, mag schon sein. Aber ebenso selbstverständlich blendet er das aus, gibt mir freundlich die Hand und macht diplomatisches Business as usual. So wie ich es umgekehrt in meinem Amt nicht als meine Aufgabe betrachtet habe, etwa die Saudis öffentlich für die Situation der Schwulen in ihrem Staat zu kritisieren. Ich war sogar in Saudi-Arabien und wurde dort unter anderem vom Präsidenten der erzkonservativen islamischen Universität von Riad empfangen. Der ist mit mir Händchen haltend über den Campus flaniert und alle haben gegrinst.

Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin

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