Читать книгу Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin - Klaus Wowereit - Страница 14

ROT-ROT: DER POLITISCHE TABUBRUCH

Оглавление

Hierzulande war der eigentliche Tabubruch denn auch nicht der schwule Spitzenkandidat der SPD, sondern dass sich ein Zusammengehen mit der Linkspartei, damals noch PDS, herauskristallisierte.

Zu der Zeit war die PDS für viele die „SED-Nachfolgepartei“. Keine Frage: Viele ihrer Mitglieder – damals eine große, mit den Jahren eine immer kleinere Zahl – waren schon Mitglieder der SED gewesen, nicht wenige auch Funktionsträger des Regimes. Bis heute gibt es bei den Linken Mitglieder mit sentimentalem Hang zum „real existierenden Sozialismus“. Und es gibt dort nach wie vor programmatische Positionen, die für Sozialdemokraten unverdaulich sind. Um vom Lafontaine-Phantomschmerz der SPD zu schweigen. Aber es gibt in der Linkspartei auch viele vernünftige, pragmatische Leute. Und Positionen, die man zwar nicht teilen muss, über die man aber vernünftig miteinander diskutieren könnte.

Je mehr Zeit seit der Wende vergangen ist, umso stärker beschleicht mich der Eindruck, dass es nicht der weiseste Entschluss der SPD war, sich nie ernsthaft um eine Integration von Menschen aus dieser Partei bemüht zu haben. Ich spreche um Himmels willen nicht von einem „Vereinigungsparteitag“ 2.0! Nur: Christdemokraten und Liberale haben „ihre“ ehemaligen Blockparteien nach 1990 völlig geräuschlos aufgesogen. Da hätte die Sozialdemokratie doch immerhin versuchen können, jenen Mitgliedern der PDS ein Angebot zu machen, die glaubwürdig mit der Zeit von Mauer, Diktatur und Stasi-Schnüffelei gebrochen haben. Im Effekt hat sich die SPD als einzige demokratische Partei in Deutschland nach 1945 quasi zweimal gespalten. Besser gesagt: Sie hat ihre potenzielle Wählerbasis auf drei Parteien – SPD, Grüne, Linke – verteilen müssen. Sodass die Frage erlaubt sein muss, ob es nicht klüger gewesen wäre, ein breites Spektrum sozialdemokratischer, ökologischer, linksliberaler und sozialistischer Positionen unter dem Dach einer debattierfreudigen Partei zusammenzubringen. Leider sind die Zeiten gerade wenig günstig, um aus solchen Einsichten praktische Schlüsse zu ziehen.

Anfang September 2001 löste sich das Abgeordnetenhaus von Berlin selbst auf. Wegen der entsetzlichen Anschläge in den USA am 11. September wurde die Wahl auf den 21. Oktober verschoben. Das Wahlziel der SPD: Erstens wollten wir in Berlin wieder stärkste Partei werden. Zweitens strebten wir eine rot-grüne Koalition an, auch wenn wir wussten, dass das nicht einfach werden würde. Drittens: Für den Fall, dass es nicht reichte, würden wir mit weiteren potenziellen Partnern reden. Dabei war für uns eine Zusammenarbeit mit der PDS „nicht wünschenswert, aber auch nicht auszuschließen“.

Die SPD wurde mit 29,7 Prozent und einem Plus von 7,3 Prozentpunkten dann tatsächlich erstmals seit 1975 wieder stärkste Partei in Berlin. In den Westbezirken konnten wir durch die Bank ein Drittel der Wähler für uns gewinnen, im Ostteil der Stadt ein knappes Viertel. Relativ schwach schnitten wir nur in Lichtenberg (21,8 Prozent) und Marzahn-Hellersdorf (20,1 Prozent) ab. Dort holte die PDS dafür satte absolute Mehrheiten. Die F.D.P. kehrte mit 9,9 Prozent nach sechs Jahren wieder ins Abgeordnetenhaus zurück – und landete noch knapp vor den Grünen, die 9,1 Prozent der Stimmen gewannen.

Bei keiner Berliner Wahl hat sich seitdem das schon erwähnte spezielle Parteiengefüge unserer Stadt deutlicher ausgeprägt. Einerseits die reinen „Westparteien“ CDU, FDP und Grüne. Andererseits die PDS als reine „Ostpartei“, die im Ostteil wirklich 47,6 Prozent der Stimmen bekam, in den Westbezirken aber nur 6,9 Prozent. Und drittens die Berlin-Partei, die SPD.

Im neuen Abgeordnetenhaus bildete die SPD mit 44 Mandaten klar die stärkste Fraktion. Die CDU stellte 35 Abgeordnete, die PDS 33, die F.D.P. 15 und die Grünen 14. Somit war exakt das eingetreten, was wir befürchtet hatten: Die von der SPD präferierte rot-grüne Mehrheit gab es nicht.

Auch wenn viele Sozialdemokraten auf eine alleinige Koalition mit der PDS nicht scharf waren und auch wenn es im Dezember noch einige „Knackpunkte“, vor allem in der Frage des dringend nötigen harten Sparkurses, auszuräumen galt: Mitte Januar 2002 konnte der rot-grüne Übergangssenat durch eine von SPD und PDS getragene Landesregierung abgelöst werden.

Vor allem Gregor Gysi, aber auch vernünftige und selbstkritische Köpfe wie der spätere – sehr erfolgreiche – Wirtschaftssenator Harald Wolf oder Kultursenator Thomas Flierl schafften es, ihre Partei nach außen zu öffnen und ein bisschen bunter zu gestalten. Nicht minder gab es eine Vertrauensbasis mit den allermeisten Vertretern der PDS im Abgeordnetenhaus. Ohne dieses Vertrauen hätte die Koalition im Alltag nicht so gut funktionieren können, wie sie es dann über fast zehn Jahre getan hat. Nach der Abgeordnetenhaus-Wahl im September 2006, deren Ergebnis sowohl eine rot-rote als auch eine rot-grüne Koalition möglich gemacht hätte, entschied sich die SPD daher mit großer Mehrheit und mit guten Gründen für eine Fortführung von Rot-Rot.

Fürs innere Befinden vieler Berliner war dieses anfangs eher aus der Not geborene Projekt fast ein Kulturschock. Und auch in meiner eigenen Partei war es keineswegs unumstritten. Das fing schon mit der Abwahl Eberhard Diepgens 2001 an. Da hatte es etliche SPD-Abgeordnete aus Ost-Berlin gegeben, die wir erst mal vom Konstruktiven Misstrauensvotum überzeugen mussten. „Wir sind doch nicht auf die Straße gegangen und haben Revolution gemacht, damit jetzt die Altkommunisten wieder in der Regierung sitzen.“ Ich hatte (und habe bis heute) großes Verständnis für diese Haltung. Aber mit festen Prinzipien alleine lässt sich keine realistische Politik machen. Die PDS hatte sich eindeutig und für uns glaubwürdig von der Vergangenheit ihres „Geburtslandes“ DDR distanziert. Sie war bereit, mit uns gemeinsam eine ebenso pragmatische wie zukunftsorientierte Politik für Berlin zu machen. Und die Koalition war dann tatsächlich ein großer Schritt in Richtung Zusammenwachsen der beiden ehemals getrennten Stadthälften. Ein Umstand, der 2001/2002 noch viel mehr spürbar war als heute. Dass wir die PDS nicht zu Schmuddelkindern der Nation erklärt, sondern sie in die Verantwortung genommen haben, hat die innere Einheit Berlins vorangebracht.

Deshalb war es für mich auch zu verschmerzen, dass mein lieber Kanzler, der weiland strikt für die „Ampel“ votiert hatte, sich not amused zeigte. Eine Zeit lang war Gerhard Schröder dermaßen sauer auf unsere Koalitionsentscheidung, dass er nicht mehr mit mir gesprochen hat. Es hat ein bisschen gedauert, bis er seinen Frieden mit Rot-Rot in Berlin gemacht hat. Am Ende waren er und Gregor Gysi dickste Freunde.

Sexy, aber nicht mehr so arm: mein Berlin

Подняться наверх