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Mehr als nur Essenausgabe

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Noch Jahre später, als es die Volksküche schon längst nicht mehr gab, erzählte man sich Geschichten, die in dieser mittlerweile als legendär eingestuften Einrichtung passiert sein sollten, aber keiner wollte dafür die Hand ins Feuer legen.

Im Innern der Baracke ging der Speisesaal ohne Abgrenzungen von Wand zu Wand, sodass es Platz für mehrere Reihen von Tischen und Bänken gab. An einer der Stirnseiten des Raumes befanden sich die Schalter mit der Essensausgabe. Man konnte durch sie in die Küche mit den großen Kochkesseln sehen. Die Schalter mit dem schmalen Brett davor, auf dem die Teller gerade noch Platz fanden, waren so hoch angebracht, dass kleinere Kinder sich auf die Zehenspitzen stellen mussten, wenn sie ihr Essen entgegennehmen wollten. Klaus hatte gelernt, dass herumlungern vor ihnen, manchmal einen der Küchengehilfen dazu bewegen konnte ihm noch einen Nachschlag zu geben. Besonders wenn er bei dem Anblick der riesigen Kochkessel, dessen blitzende innere Hülle man im leeren Zustand hochdrehen und kippen konnte, sein Staunen deutlich hörbar werden ließ. Dabei war durchaus nicht alles gespielt, denn der gehäufte Anblick derartiger kulinarischer Einzelheiten, regte seine Fantasie so an, dass er davon oft träumte und ernsthaft beschloss später mal Koch zu werden, wenn es mit dem Förster nichts werden sollte.

Während der mittäglichen Essenszeit war der Speiseraum fast immer bis auf den letzten Platz gefüllt. Oft musste man auf den Bänken zusammenrücken und wer schon mit dem Essen fertig war, wurde manchmal ziemlich undiplomatisch gebeten Platz zu machen. Was aber nicht bedeute, dass sie gedrängt wurden, den Speiseraum zu verlassen. Das wollte niemand, denn alle wussten, außerhalb der Volksküche wartete auf sie nur die kalte und ungeliebte Unterkunft.

Jeden Mittag erschienen fast immer die gleichen Personen in der Volksküche, es waren meistens jene Flüchtlinge, die in den Lagern lebten oder in ihren Unterkünften keine Kochgelegenheit hatten. Wenn man aber einen Kanonenofen im Zimmer hatte und genügend Heizmaterial zur Verfügung stand, konnte man auch die neu erfundenen Kochhexen nutzen. Vorausgesetzt, man hatte das Geld sich eine zu kaufen. Das führende Eisenwarengeschäft im Dorf, Dechow und die einschlägigen Schlossereibetriebe machten gute Geschäfte damit. Einige fachkundige Flüchtlinge rechneten sich mit eigenen Entwicklungen einen Erfolg aus und konstruierten auch eifrig Kochhexen, die sie jedoch vergeblich versuchten zu vermarkten.

Diese Kochhexen waren im Prinzip, zylinderförmige Blechgehäuse, die oben auf einen der üblichen Kanonenöfen gesetzt wurden, nach dem man zuvor den dort befindlichen Deckel des Ofens entfernt hatte. Dann wurde in ihr ein kleines Feuerchen gemacht, das ausschließlichen den darauf gestellten Kochtopf erwärmen sollte, während der Rauch durch seitliche Kanäle nach unten auf dem normalen Weg, durch den Kanonenofen abziehen konnte.

Diese Einrichtung funktionierte oft, aber nicht immer. Manchmal drückte der Wind auf den Schornstein und im günstigsten Fall ging das Feuer aus, andernfalls war der Rauch im Zimmer.

Wenn alles gut lief, konnte man unten heizen und oben manchmal kochen und dadurch Heizmaterial ein sparen. Aber oft hieß es auch nur, entweder sich Erwärmen oder Essen kochen.

Die Ansprüche ans Essen waren von allen stark heruntergeschraubt worden, und da Klaus nur eine besondere Vorliebe hatte, die sowieso nie erfüllt wurde, aß er ziemlich alles auf, was auf den Teller kam.

Diese Vorliebe war süßer Haferflockenbrei mit Rosinen und höchstens noch eine dicke Weißbrotstulle mit Butter und Zucker oder mit Marmelade darauf. Er erzählte immer, dass er beides schon mal gegessen hätte und er würde sich das zum Geburtstag wünschen. Nachfragen, woher er denn diese Leckereien kenne, wehrte er ab und gab vor, es vergessen zu haben.

Wahrscheinlich hatte er das nur Mal von anderen gehört oder die Fantasie spielte ihm einen Streich. Es soll ja so was wie Hungerfantasien geben, warum dann nicht auch Essfantasien. Seltsamerweise hat er viel später, als es die Möglichkeit gab sich so was Schönes zu gönnen, dies nie gegessen oder auch nie danach verlangt.

Es gab in der Volksküche fast ausschließlich Eintopfgerichte und wegen der andauernden Unterversorgung mit lebensnotwendigen Kalorien, achtete man besonders auf deren bekannteste und beliebteste Merkmale wie Fettaugen, Anzahl der Speckwürfel oder Fleischstücke. Diese erfuhren besondere Beachtung. Ihr Fehlen oder auch nur das häufig geringe Vorkommen dieser Qualitätsmerkmale wurde oft lautstark und blumig kommentiert. Einige behaupteten aus dem Geschmack oder aus der geschätzten Fettmenge des ausgegebenen Essens, den Gesamtkaloriengehalt berechnen zu können. Andere bestanden darauf, dass man dies nur aus der Größe der Fettaugen, der Speckwürfel oder Fleischstücke ermitteln könne. Auch das Ausmaß der Verflüssigung der Speisen wurde mit Misstrauen betrachtet. Es kam deswegen oft zu raumübergreifende Granteleien, die sich während der ganzen Essenzeit fortsetzten, bis mal eine "Ruhe" rief.

Zwischen Baum und Borke

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