Читать книгу Zwischen Baum und Borke - Klaus Zander - Страница 11

Eine Wandzeitung

Оглавление

Die Baracke mit der Volksküche standen wie auch die anderen in der Angelnstrasse, schon fast ein Jahrzehnt an diesem Ort und waren unterschiedlich belegt gewesen. Zuerst vom Reichsarbeitsdienst und danach durch Wehrmachtsangehörige der unterschiedlichsten Waffengattungen und jetzt nach dem Krieg, von den Flüchtlingen.

Desillusion und Langeweile hatten in den Jahren zuvor manch einen der jeweiligen Benutzer dazu verlockt, sich in unbeobachteten Momenten auf den nackten Holzwänden zu verewigen.

Klaus vertrieb sich manchmal die Zeit damit, diese Inschriften zu studieren. Es gab politische Losungen und erotisch gemeinte Verse und Zeichnungen. Auch rührende Liebesschwüre waren zu finden.

Vieles verstand er nicht und es war für ihn peinlich geworden, als er zur Klärung mit dem einen oder anderen Erwachsenen eine Inschrift besprechen wollte und seine eigene Interpretation sich als Missverständnis heraus stellten, sodass er jetzt jedes Gespräch mit anderen über die Inschriften vermied.

Einige waren auch offenbar so heikel, dass wenn man die Verfasser noch vor Kriegsende identifiziert hätte, es für sie sehr unangenehm geworden wäre. Bei einem Gespräch speziell über diese Sorte Inschriften, hatten viele der männlichen Mittagsesser sehr gereizt reagiert, sodass er es auch deshalb sein ließ, jemanden darauf anzusprechen.

So vertrieb er sich die Zeit damit, die Inschriften alleine und ohne mit jemandem darüber zu sprechen, zu lesen. Niemand beachtete ihn, wenn er sich an Wänden herumdrückte und das dort verewigte studierte. Einiges war für ihn nur schwer zu lesen, das war alles, was nicht in der von ihm als lateinisch bekannte Schrift oder in Druckbuchstaben geschrieben worden war.

Mit geröteten Ohren las er zuerst das, was er die „schweinischen Verse“ nannte. Viele davon, die besonders extrem in diese Richtung gingen, verstand er nur teilweise oder sie ließen ihn beim Lesen stocken, sich abwenden und eine andere Beschäftigung suchen. Einiges fand auch den Weg zu Nachbesprechungen bei den anderen Jungs und bildete so einen Grundstock ihrer Aufklärung.

Aber die meisten fielen nicht in diese Kategorie. Einige waren Botschaften, in denen eine Antwort erwartet oder ein Treffen festgelegt wurde. Dessen Termin natürlich schon vor Jahren abgelaufen war. In einigen Fällen wurde der damalige Treffpunkt benannt, dann suchte Klaus ihn manchmal auf, stand dort lange herum und stellte sich vor, das Treffen hätte stattgefunden und er wäre dabei gewesen. Er versuchte sich die Personen vorzustellen und stöberte in anderen Inschriften nach Hinweisen auf dies Ereignis, fand aber nichts.

Dann waren da noch die Schmähschriften, die verunglimpften, beleidigten und beschimpften. Die Adressaten waren Kameraden und Vorgesetzte aber auch, und das war besonders delikat, die politische Führung. Alles las sich sehr harmlos, aber hätte das der Verkehrte gelesen, wäre eine Anklage wegen Wehrkraftzersetzung fällig gewesen und die Folgen kannte Klaus.

Bildliche Darstellungen gab es auch. Sie gingen von kindlichen Kritzeleien über gelungene Karikaturen bis zu naturalistischen Zeichnungen. Dargestellt waren romantische Motive aber auch immer wieder erotisch gemeinte Werke. Und alles in der Größe von Miniaturen, also maximal zehn Mal zehn Zentimeter.

Leider fehlte es Klaus an Papier und Zeichenstifte, um das Vorgefundene zu notieren und zu dokumentieren. Anderseits hätten seine Fähigkeiten bei Weitem nicht ausgereicht, um dies zu realisieren. Aber ihm blieb das Gesehene als genereller Eindruck stark und unvergesslich ins Gedächtnis eingeprägt, weil er das was die „Künstler“ ausdrücken wollten, durch die lokale und zeitliche Nähe zum Original, fast spürbar mit bekam.

Zwischen Baum und Borke

Подняться наверх