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8. Hat Rin

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Bei Tageslicht betrachtet rief das Coco Loco Zimmer auf Koh Pah Ngan starke Erinnerungen in Josef wach. Genauer gesagt sehr klare Erinnerungen an das Jahr zweitausend, als er in einem dunklen Kinosaal saß und gemeinsam mit Richard eine nervenaufreibende Entdeckungstour durch halb Thailand unternahm. Eine bis an die Grenzen der menschlichen Existenz gehende Entdeckungstour. Die Fliegengitter an den Fenstern waren so zerlöchert wie die von Richards Unterkunft, damals in der Khao San Road, teilweise hingen sie aus den Rahmen. Und jeden Moment konnte Daffy seinen paranoiden Schädel durch eine der ausgefransten Öffnungen stecken, abwechselnd mit Maschinengewehr und Joint herumfuchteln und seine Geschichte von dem einzigen, von dem Strand, von dem unbeschreiblichen Strand, zum Besten geben. Einem damit das Hirn wässrig machen. Den Liquor durch phantastische Erwärmung ausdehnen, ein paar Messbalken weiter nach oben treiben. Die Ventrikel ein wenig strenger befüllen.

Aus dem Ventilator an der Decke hingen mehr Drähte heraus als zu seinem Betrieb nötig sein dürften. Manche davon endeten einfach in braunem Isolierband. An den Wänden gab es dunkle Blutflecken. Zerquetschte Blutsauger. Die Bettwäsche war hellblau und hatte keine Flecken. In der Nachttischlade lagen keine Kondome. Auch keine Bibel. Nur muffiger Geruch entstieg ihr. Josef musste zurück ins Clo und auf die Porzellanschüssel. Sein Darm forderte sein Recht, versprach eine Erledigung von der allerbefriedigendsten Sorte. Die kam auch rasch mit enger Dehnung an, mit praller Spannung, die schnell in ein erleichtertes Loslösen eines gefühlt gewaltigen Blocks mündete. Eines Blocks in Form einer einzigen kompakten Wurst, die dick und lautlos lang in die gelbe Pissbrühe rutschte. Es gab nur ein leise glucksendes Geräusch dabei.

Die klaustrophobische Enge des Raums bot neben zweifelhaften Kinoerinnerungen vor allem eines ausgiebig an: Lärm. Und zwar jede Menge davon. Das Zimmer, beziehungsweise die Toilette der Unterkunft, lag direkt an der Hauptstrasse. Die Toilette war so der einzige Puffer zwischen Schlafzimmer und Straße. Ein knapper Meter Luftraum, ausgestattet mit Brause, Closchüssel und Waschbecken, aber ohne Scheiben in den Fenstern. Nichts wäre kaum weniger gewesen. Und natürlich fuhr hier jeder Thai mit dem Motorrad. Im Moment allerdings rollte gerade ein bleicher Deutscher vorsichtig mit seiner geliehenen Vespa vorbei, während Josef selbst gleichermaßen vorsichtig am Clo saß. Unbeweglich. Die Plastikbrille war zerbrochen. Josef wollte nicht, dass Hautpartien unbeabsichtigt eingeklemmt wurden, beim schnellen Aufstehen gleichsam erst an-, dann ab- und weiter regelrecht herausgeschnitten wurden. Unangenehm herausgeschnitten wurden. Natürlich. Josef sah keinen Grund für sich, dem noch fäkal warmfarbigen Inhalt der Closchüssel noch eine blutrote Nuance beizumischen.

Eine Thai saß leicht bekleidet hinten am Sozius des Deutschen. Sie sah hinten weitaus besser aus als er, der Piefke vorne in kurzen Hosen und Kurzarmhemd auf der Vespa knorzend aussah. Khakifarben und blau kariert. Klein kariert. Nicht nur äußerlich. Josef drückte die Bruchstellen der Clobrille mit den Händen in eine plane Position und stand behutsam auf. Er säuberte sich mit dem gezielten Strahl der Toilettenbrause, sah die Vespa in eine Seitenstraße verschwinden. Ein unglaubliches Gewirr von Stromleitungen hangelte sich entlang der Straße von Mast zu Mast, leitete den Blick bruchlos zurück an die schmutzige Toilettenwand, an der einige Fliesen fehlten, dafür aber allerhand an zerquetschten Mosquitos herumklebte. Josef drückte die Spülung und trocknete sich den nassen Hintern ab. Die Clotür schliff über den Boden, sie ging nur mehr halb auf. Und nicht mehr ganz zu. Man zwängte sich durch den Spalt und fiel so des Platzmangels und der darob nötigen Verrenkungen wegen fast über das Bett, das Doppelbett, das beinahe den ganzen Raum einnahm. Eine kolonial wirkende Liegestatt. Wuchtig wie die restlichen Möbel auch. Ungeniert solide Gediegenheit über der billigen Spanplatte vortäuschend. Künstlich nachgedunkelt. Mit Spiegeln an den richtigen Stellen ausgestattet.

Josef besah sich seine Leiblichkeit. Dominant an ihm war sein Schwanz, sein Körper noch schlank genug. Der Bauchansatz sprang noch nicht zu arg ins Auge, wenngleich er Josef auch zu groß war, der halbrunde Apfelbauch. Die Brustmuskeln waren noch so in Ordnung. Wenn man sie ordentlich anspannte. Mit seinem Hintern und seinen Beinen war er immer schon zufrieden gewesen und er fand, dass die Haut an seinem Hals zurzeit auch noch weniger Falten aufwies als es seinem Alter entsprechen würde. Es war ein sehniger Hals, auf dem sein Kopf sicher ruhte. Die Proportionen von Kopf, Körper und Gliedmaßen waren stimmig, boten keine Auffälligkeiten. So setzte sein langer Schwanz eigentlich den einzigen brauchbaren Akzent. Sein Gesicht war im Grunde nichts Besonderes aber es war kantig und von ovaler Grundform. Seine Brauen waren dicht, seine Augen braun und seine Zornesfalten gerade noch im Rahmen. Josef trug die Haare extrem kurz, was er nicht tun würde, wenn ihm sein Gesicht nicht gefallen würde. Immer mehr silbrige Spitzen gaben seinem Haar Struktur und gefielen ihm. Graue Haare riss er nur an seiner sorgfältig getrimmten Schambehaarung aus. Dort fand er sie deplaziert. Ihm standen Bart, Rasur und Stoppeln gleichermaßen und seine Nase war groß genug, um durchaus gewollte Rückschlüsse freimütig zuzulassen, beziehungsweise zu bestätigen, wenn man seiner nackt ansichtig wurde. Seine Zähne würden einen Rosstäuscher nicht mehr ganz zufrieden stellen, aber schließlich war er keine dreißig mehr. Josef war neunundvierzig, also nahe dem halben Jahrhundert. Kein ganz junger Hengst mehr. Lediglich seine Tränensäcke störten ihn heute etwas mehr als üblich. Von der Hitze wirkten sie ganz aufgequollen. Und vom Saufen. Aber sie waren wirklich das Einzige, was er an sich nicht mochte. Er hatte diese Dinger von seiner Mutter geerbt. Und daran, und vor allem an seine Mutter wollte er nicht erinnert werden. Nicht auf seiner Abschiedstour. Schon gar nicht auf der. Und überhaupt nicht mehr. Es gab nur wenige Mütter auf der Erde, die ihren Kindern das Leben eher nahmen als schenkten. Josefs Mutter war so eine gewesen. Sein erster Vampir. Wäre Josef Schriftsteller gewesen, hätte er sich seine ungeliebte Mutter gleichsam von der Seele schreiben können. So musste er sich mit der Kraft des Vergessens begnügen. Und zum Teil mit Verdrängung behelfen. Als Nothilfe, weil er sich keine Psychotherapie leisten konnte, leisten wollte. Nicht schon wieder zahlen für seine Rabenmutter.

Gut. Seine Schamhaare könnten tatsächlich wieder einmal gestriegelt werden, fand er und strich prüfend darüber. Die Bartstoppeln, ein ebenfalls prüfender Strich verriet es, waren zwei Tage alt. Sie konnten noch stehen bleiben. Also noch stehen bleiben. Gut aussehen. Gesicht zieren. Dürfen. Und seine Scham konnte warten. Der Schwanz und die Eier waren noch glatt genug. Und der Schamhügel noch nicht zu ausgefranst. Weißes Haar war auch noch keines zu sehen. Er hatte erst vor kurzem alle ausgerissen, derer er habhaft werden konnte. Weiße Schamhaare waren so etwas wie der Vorbote von Impotenz für ihn. Die mussten weg. Josef stieg wieder in die Boxer und zog die langen beigen Arbeitshosen an. Sie sahen nicht wie klassische Arbeitshosen aus und Josef fand, dass sie sich zum Reisen sehr gut eigneten. Sie hatten viele Taschen in denen sich alles Nützliche verstauen ließ und verfügten über eine Menge an Reiß- und Klettverschlüssen die das Nützliche sicher einschlossen. Das gelbe T-Shirt dazu war viel zu groß aber sehr angenehm bei dieser tropischen Hitze und es trug den Schriftzug ACTIVE OUTDOOR. Halb ausgewaschen. Und das gefiel ihm besonders. Das war so ein bisschen nicht ernst gemeintes Understatement. Die Buchstaben waren groß. Aber weil sie teils schlecht lesbar waren, musste man schon zweimal hinschauen. Und das verstärkte dann den Effekt.

Die Tür schliff hinter ihm mehr ins Schloss als sie in dieses fiel und Josef musste, geblendet, sofort zur Sonnenbrille greifen. Freilich war er noch auf Frühstück aus, die Sonne ihrerseits war aber bereits dabei ihren Zenit zu überschreiten. Ihre Strahlen hatten hier eine knöcherne und vor allem spürbare Härte. Man empfand ihr Auftreffen auf der Haut, konnte es spüren. Es stach. X-rays of the sun. Naturröntgenstrahlen. Die beiden Mosquitos in Josefs Zimmer hockten wieder an der Wand hinter dem Rucksack. Ihre haarigen Leiber waren prall von seinem Blut, die Bäuche fette rote Kugeln. Der Atem hob und senkte ihre Leiber gleichmäßig, dehnte die einzelnen Segmente. Sie waren größer geworden.

Josef beschritt; in Richtung Rezeption und Restaurant, jenen leichten Bogen Gehwegs, der ihn am gestrigen Abend zu seinem Zimmer geführt hatte; nun in umgekehrter Richtung. Mitten durch die gepflegte Anlage. Punktgenau gepflanzte Palmen umrahmten mit ihren grünen Wedeln den Himmel oben. Manche Stämme von großblättrigen Philodendren umwuchert. Blühende Frangipanisträucher und orange Paradiesvogelblumen breiteten ihre Pracht über dem kurz gehaltenen Rasen unten aus. An der hinteren Terrassenkante stand ein Cashewnussbaum. Ein paar der gelben Früchte, die Birnen ähnelten, lagen leicht aufgeplatzt auf der Betonoberfläche. Der leicht säuerlich frische Geruch erinnerte an Zitrusfrüchte. Kleine schwarze Ameisen tranken ihren Saft. Josef setzte sich in den offenen aber überdachten Restaurantbereich. Der süße Duft der Tempelbäume zog leicht herüber. Josef war allein im Restaurant. Von seinem Tisch konnte er rechts vorne die Rezeption einsehen, die unbesetzt war. Josef bestellte sich ein kontinentales Frühstück, das hörte sich gut an. Was ankam war aber dann eher etwas Schmales denn etwas Kontinentales. Ein Marmelade- und ein Butterpäckchen wie zuhause im Krankenhaus kredenzt, aber nicht von der Edelmarke. Zwei dünnste Scheiben Toastbrot von länglich hellbraunen Flecken gesprenkelt, die wohl einen gewissen Gehalt an Cerealien vorgeben sollten. Ungefragt schmolz eine Menge Eis im Orangenjuice, der Kaffee war einfach … Jagg! … Dennoch brauchte Josef unbedingt eine weitere Tasse der lauen Brühe. Linkerhand, scharf am Billardtisch vorbeigeschaut, sprang ein dort stehendes Fisch-Spa in Josefs interessiertes Auge. Gerade als Josef in seinen zweiten marmeladebeschmierten Toast biss, steckten zwei leibige Herren und eine vollschlanke Frau mit blond auftoupierter Mähne ihre bloßen Füße ins Wasser. Bleich hockten sie am Rand des Beckens und ließen sich ihre noch bleicheren Füße buchstäblich von den unscheinbaren Fischen, die in dem flachen Aquarium herumschwammen, ablutschen. Die Gattung Garra rufa, die diesen Wellnessjob ohne Bezahlung leistete, besaß nämlich keine Zähne. Tatsächlich sah es also nur so aus, als ob die kleinen Fische den Gästen die kranken Hautteile von Füßen und Zehen knabbern würden. In Wirklichkeit wurde hier kräftig gesaugt und gelutscht. Josef blieb der Mund offen. Eine Zeitlang. Der Toast brach mittendurch, ließ sich nicht mehr greifen und plumpste aufs Teller. Josef schüttelte der Anblick der allesamt grauslich weißen Haxen etwas. Sie wirkten wie aufgedunsene Leichenteile in der Anatomie. Warum war hier keiner braun? Alle Touristen schienen hier noch bleicher zu sein als zuhause. Und Fische die an fremden Füßen herumknabberten? Wahllos? Sich die kranke oder tote Haut von Fischen abfressen lassen? Nicht gerade sein Ding. Was, wenn doch einer Zähne hatte, plötzlich zubiss? Wer konnte das schon sicher wissen? Josef klappte die Toasthälften zusammen und verzehrte sie weniger des Genusses als der Notwendigkeit wegen. Zwischen den braungrünen Fischleibern sah er ein paar undefinierbare weiße Flecken herumwirbeln. Sie schienen eher bewegt zu werden als dass sie sich selber bewegten. Manche wurden hochgerissen, sanken dann wieder ab. Vereinzelt trafen sie ein bleiches Bein, kollerten zeitlupenhaft an diesem zum Grund, wo sie bald wieder herumgewirbelt wurden. Während Josef den letzten Toastbissen schluckte, wurde ihm klar, dass es die bereits toten Fische waren, deren weißes Fleisch bis auf die Gräten von den eigenen Artgenossen abgelutscht wurde. Die dralle Blonde lächelte ihn an. In ihren fettigen Mundwinkeln hing glänzender Speichel. Bildete er sich das nur ein, oder wollte sie etwas von ihm? Josef sah noch einmal hin. Ja sie wollte. Josef bezahlte und ging. Rasch. Vielleicht etwas zu rasch. Hinter ihm wurde gekichert.

Der Rest des Tages war sinnlos verwartete Zeit. Zeit, die Josef eigentlich nicht hatte. Aber nichts auf dieser Insel gefiel ihm eigentlich, alles sah so gleich und auf Touristen zugeschnitten aus, dass es ihn gar nicht mehr wunderte, warum diese alle den Eindruck von weißen fetten Maden hinterließen. Schließlich taten sie alle nichts anderes als genau das zu fressen, was ihnen vorgesetzt wurde um am Ende ihres Urlaubs mit leeren Taschen die Heimreise antreten zu können. Zuhause wurde dieser ganze Urlaubsbrei dann wieder ausgeschissen und war innerhalb einer Woche wieder vergessen. Der Job verlangte einem alles ab.

Die Geschäfte sahen alle gleich aus. Flach, viel Glas, kühl ausgefliest. Überall das gleiche Zeug in den Regalen. Manchmal gab es Preisunterschiede. Das war aber schon alles. Josef hatte in einer Pizzeria versucht das Nährstoffdefizit des Frühstücks auszugleichen. Das gelang zwar, doch war der Käse so heiß, dass er ihm Zahnfleisch und Zunge verbrannte, und Josef von der Pizza nicht mehr viel schmecken konnte. Vielleicht war das auch besser so gewesen. Auf seiner kurzen Runde durch den Ort hatte er auch einige von diesen Bars gesehen, denen Thailand seinen schlechten Ruf verdankte. Jene Bars mit den Edelstahlstangen um die Tresen. Aber niemand räkelte sich untertags daran. Er war dann noch etwas am Pool gelegen, hatte gelesen und zwei drei erfrischende Biere getrunken. Hatte sich vorgenommen, sich nichts mehr vorzunehmen. Nur mehr zu leben. Nicht mehr warten auf etwas. Nur mehr. Nicht. Dann hatte er sich erfrischend kalt abgebraust und ausgehfertig ausstaffiert. Dabei das laute Schnaufen der Mosquitos hinter seinem Rucksack nicht bemerkt. Ihre Leiber blähten sich ruhig und regelmäßig.

Endlich kroch die Dämmerung in die Palmenköpfe. Und die Dämmerung war kurz hier, weil die Sonne dabei jedes Mal im Meer ertrinken musste. Josef schloss ab. Heute war Vollmond. Ein Angestellter kippte einen Kübel Desinfektionsmittel in den kleinen nierenförmigen Pool. Full Moon am achtundzwanzigsten Februar. Er verteilte das Zeug mit den Händen im Wasser. Full Moon am Hat Rin, an dem Partystrand. An diesem Strand traf sich die ganze Welt. Zum Ausgehen, zum Rausgehen, zum Aus-sich-herausgehen. Man traf sich um sein Innerstes zu entäußern, um es völlig zu entblößen, einen emotionalen Showdown zu bieten, gleichsam mit dem großen Rudel mit-zu-vibrieren, alle Muskeln und Sehnen schweißtreibend in Bewegung zu setzen. Dabei sich immer mehr zu erhitzen, sich endorphin in pulsierende Trancen zu takten. Hat Rin.

Und das alles gerade knapp vierzehn Tage nach Beginn des Jahres des Tigers. Nicht irgendeines Tigers. Nein, des Metall-Tigers. Das musste einfach reinhauen! Voll reinhauen! Metall war nicht Luft. Es war nicht Erde, war nicht Feuer. Es war Metall und das war vor allem hart. Unnachgiebig hart.

Josef ging hinunter zum Strand um sich in einem der hinteren Restaurants mit einem scharfen Nudeltopf auf die lange Nacht vorzubereiten. Den Grundstein zu legen für die Feier seines Lebens. Für die Feier des Lebens. Er wollte nicht umsonst gewartet haben.

Der Teller Phad Thai kam heiß dampfend an. Reisbandnudeln mit Hühnerfleisch, Gemüse und Bohnensprossen. Mit Ananasstücken und Knoblauch-Ingwer-Tamarinden-Erdnuss-Mischung. Mit Chilischoten extra. Seinen Chilischoten extra. Fruchtig rote Ringe, denen jede Milde fern lag. Herrlich garniert mit schlanken Streifen purpurner Bananenblüte. Dazu ein eiskaltes Elephantenbier. Das Leben war wunderbar. Sogar die Magic Mushrooms kamen hier veredelt an. Eine Nachspeise surprise sozusagen. Ein prachtvoll gelbes Omelett, perfekt eingeschlagen, voller knusprig brauner Aromabänder an der Oberfläche, umhüllte die Zauberpilze auf´s Trefflichste. Die dekorative Krönung aus Wanzenkraut wäre ihm allerdings verzichtbar gewesen. Er stupste die asiatische Petersilie bestimmt in Richtung Tellerrand, zögerte kurz bevor er in das magische Omelett schnitt.

Nur die wenigsten wussten über den göttlichen Dungpilz wirklich Bescheid, geschweige denn kam einer dieser Wochenenddrogisten jemals auf die Idee, dass diese goldköpfigen Pilze die eigentlichen Schirmherren der heiligen Kühe Indiens waren. Dabei war es doch klar, sah man sich den Gesichtsausdruck einer Kuh nur einmal genau an. Dieses Tier hatte auf gar keinen Fall mehr zu bieten als göttliche Unbedarftheit. Diese allerdings in ihrer reinsten Form. Unverschnitten. Und reichlich. Aber die Pilze die bei richtiger Temperatur und Umgebung aus den Fladen der Rinder sprossen, die waren es, die es in sich hatten. Nicht die Kuh. Die lieferte nur den Nährboden. Eine klassische Verwechslung also. Subkontinental.

Die Stiele hatten einen leicht blaugrünen Stich. Der Gaumenkitzel erinnerte beim Zubiss an zuwenig gegarten Spargel, dezent mit etwas Pisse abgeschmeckt. Gut, Hed keequai aß man ja auch nicht des Genusses wegen. Vorsichtshalber war der Koriander ja schon mal beiseite geschoben worden. Und das Omelett bildete eine Art von hermetischer Geschmacksemballage über der eklig schmeckenden Bewusstseinserweiterung. Also weniger kauen, dafür mehr schlucken. Schneller schlucken. Und spülen. Mit Elephantenbier.

Waren alle Vorbereitungen abgeschlossen, bog man endlich um die Ecke, betrat man den Strand zu guter Letzt wirklich und ganz real, dann tat man es so wie man es mit Selbstverständlichkeit bei einem Tempel tun würde. Mit großer Ehrfurcht vor dem Kommenden, vor dem Besonderen. Alles konnte man hier erwarten. Wollte man hier erwarten. Aber als erstes sah man die Wand der Offenbarung. Die Wand der grausigen Gewissheit: Die Besäufnisstände liefen in einer derart akkurat geschlossenen Geradheit den Strand entlang, dass allein diese diesen jeder seiner Versprechungen Lügen strafte. Aufgefädelt. Bunt wie die Verpackung von Partysnacks. Der Bongo. Der Mongo. Der Gorilla. Der Shriek Sheik. Die Lisa versprach; - „Love you long time.“ Daneben gleich die Sarah, die es; - „Same same, but better“, machte. Die Public Relation der Bars war so einfallslos wie sie selber, passte zu den abgefuckt weißen Plastikmöbeln davor, auf die ihre Saufkübel wiederum passten wie ein voller Nachttopf unters Ehebett. Diese Scheißkübel mit Thai-Rum, Wodka oder Whiskey und Cola und dem ganzen diversen Powersaft. Fit bis zum Erbrechen. Und dabei…

Hat Rin, Hat Rin, Hat Rin! Was für ein Name, was für ein Klang, was für eine Verheißung, Versuchung, was für ein Alles! Die ultimative Party, das Paradies für den professionellen Partygeher, passionierten Ausgeher, den nächtlich geprüften Umgeher. Die bittersüße Defloration des unerfahrenen Night Life Eleven. Und des Wüstlings letzter Traum.

Hat Rin war der Himmel auf Erden, das Non plus ultra, die Materie gewordene Versprechung süßen Honigmonds, ein schwärmerisch verzücktes Füllhorn des Entzückens. Musste es sein. Die Amplitude des Ichs. Full Moon am Hat Rin, mehr ging nicht auf diesem Planeten. Hier traf sich die Euphorie mit dem emphatischen Blimpen der Nervenzellen, trieb einen der Sound in entrückten Taumel, plätteten einem die Blüten der Erde das Gehirn so flach wie eine Mosesflunder am Grund des Meeres es nur sein konnte. Bäng!

Afro, Techno, House, Drum and Bass. Yeah, Mr. DJ, give it to me! Beat it! R and B? Vergiss R and B! Was ist denn das überhaupt? Wer legt denn sowas auf? DJ Piffi in der Landdisco? DJ Becks auf Mallorca? Doktor Lambrusco in der römischen Arena von Parma? Die Sterne explodierten wie Raketen am Firmament, oder war es umgekehrt? Reife Cocosnüsse donnerten in einer arithmetisch seltsam gerade austarierten Reihe in den Sand. Mitten durch die Partymeile ließen sie den Korallenstaub aufspritzen wie die Taliban-Artilleriegranaten den Buddhas in Afghanistan die steinerne Haut spritzend von den Gesichtern gefetzt hatten. Ganz Bamiyan trauert noch immer um sie. Und um ihren Frieden. Wie er. Wie Josef. Gramgebeugt der menschlichen Dummheit gleich global wie wütend ohnmächtig gegenüberstehend. Dynamit gab den Buddhakörpern den schmählichen Rest, verteilte jedoch ihre Wesenheit über das ganze Tal. Und alle Lebewesen atmeten sie ein. Bis hin zu den Pflanzen.

Do the funky chicken! Shake it! Zehntausend im Partyrausch, fünfhundert Bullen auf Drogenjagd. Buckets, Dope, Acid, Coke und Exstasy, was gab es hier nicht, wer war hier nicht auf irgendwas drauf, surfte sich in sein eigenes Nirvana? Nur die Junkies waren nicht hier. Schläfrig kratzten sie sich in ihren Absteigen die juckenden Venen auf. Glücklich dämlich grinsend. Feucht. Beinah so wie eine missverstandene heilige Kuh.

Hinter einer dicht gewachsenen, mehrstammigen Schraubenpalme, zwischen zwei nackten Beinen, hob sich ein nackter Hintern in die Höhe um gleich darauf wieder niederzugehen. Rauf und wieder runter, in einem weichen, einem sehr langsamen Rhythmus. Da trieben es zwei ganz in sich vertieft. So wie es sich gehörte. Mit Hingabe. Man konnte es nur sehen, man konnte es nicht hören, obwohl man praktisch direkt daneben stand. Die Musik war zu laut, sie überlagerte alles. Auch alles an Lustgeräuschen. Die beiden Leiber lagen halb im Schatten der Schraubenpalme. Der schwarze Fleck bedeckte ihre Köpfe und Oberkörper. Es war also durchaus möglich, dass sie Josef geradewegs ansah während sie von diesem Typen gefickt wurde. Das spitzte sie nur noch mehr an. Man sah es nur nicht. Sah nur seinen Hintern und ihre Beine. Sah hin. Musste hinsehen. Sah die Füße wie sie im Sand scharrten. Wurde selber immer spitzer dabei. Spürte etwas warm prickelndes in sich aufsteigen, konnte den Blick nicht von dem bleichen Hintern wenden, der zwischen seinen langsamen weichen jetzt auch schnellere und härtere Stöße nach unten zu führen begann, sich schließlich in den spitzen Winkel aus Frauenschenkeln hineinkrampfte und die Backen orgiastisch anspannte um sie gleich anschließend zufrieden erschlaffen zu lassen. Man meinte, nun doch ein Stöhnen vernommen zu haben, ein finales, ein ganz kleines letales, ein petit-mort-stöhnen musste es gegeben haben, am Höhepunkt hier mitten im großen Soundgewaber, und man spürte die sich stärker aufbauende Spannung im Schritt, den Hosenstoff der den Schwanz unten hielt, entfernte sich ein Stück weit den Strand hinunter um nicht noch mehr angeregt zu werden. Bei dieser Gelegenheit konnte man sich auch gleich erleichtern. Ein Stück ins Meer hinauswandern, eine Lücke in der langen Reihe von Pissern zu finden und es ihnen gleich zu tun. Mit ihnen gemeinsam all die getrunkenen Elephanten- und Drachenbiere abzulassen, dem Meer zu überantworten. Nachdem man das schwerer gewordene Glied unbeschwert hervorgeholt hatte und gerade damit begonnen hatte einen kräftigen Strahl aus dem Schwanzloch austreten zu lassen, ihn ins Meer zu schicken, bemerkte man, dass das was da neben einem stand kein Mann, sondern eine Frau war. Schwanzlos, den Rock hochgezogen und unter den linken Arm geklemmt, zog sie mit der anderen Hand ihre Fotze hoch und pisste einen ebenso kräftigen Strahl ins Meer wie man selber. In ihrem Gesicht steckten Piercings. Es war auch tätowiert und in den Furchtlocken auf ihrem Kopf steckte eine Menge Strandgut ihres Lebens. Glasperlen, ein Stück Holz, ein Ring, ein Knochen, fahl und blank, der vielleicht einmal ein Chicken wing gewesen war, verspeist in einem billigen Diner bei einem besonderen Date aus dem dann doch nichts Besonderes wurde. Man hörte sofort auf zu pissen. Man ging ohne nachzudenken ein Stück weiter vor um sein halblüsternes Glied aus der Reichweite ihres Blickes zu bekommen. Seit wann pissen denn Frauen schon wie Männer ins Meer? War zu erwarten, dass sie demnächst auch gegen Bäume pissten und Pissoirs in derselben Weise wie Männer benutzten? Brachen jetzt auch die allerletzten Refugien weg wie klimagebeuteltes Polareis? Der Meerschaum der Brandung leckte an Josefs Oberschenkeln hoch, einzelne Bläschen hielten sich fest, zerplatzten kitzelnd an kleinen schwarzen Härchen. Tausende pissten hier ins Meer, neben und hintereinander, zum Teil gegeneinander. Eine einzige große gelbe Pisswolke machte den Strand schleiernd zur fragwürdigen Sehenswürdigkeit. Und ließ die Fische husten. Stark husten. Es stank wie in einem Bahnhofsclo. Aber mit frischer Meeresbrise wie Zuhause im Clo bei Mami. „Immer frisch und sauber und gepflegt, ja das ist mein WC mit“ … Sie wissen schon. „Ja das ist doch jetzt alles überhaupt kein Problem mehr Susanne!“ Sie lächelt, die Werbe-Hausfrau. Und Jingle ab. Jingelingdonggong!

Während des Zurückwatens schoss eine neuerliche Salve erboster Cocosnüsse im hämmernden Stakkato in den Sand. Ein paar Stände wurden schwer getroffen, eröffneten hoffnungsfrohe Räume weitgespannter Selbsttäuschung. Zurück zum Ursprung in einem Schwellenland? Vermessen wie die Vorstellung eines letztlich doch intelligenten Europäers.

Friedlich am Firmament schwebende Kong Mings wurden von tobenden Feuerwerkskörpern abgeschossen, mit großer Lust in der Luft zerrissen. Orangeflammige Feuerzungen leckten nach unten, fraßen an der Energie der Tänzer, lutschten an ihrer Geschlechtlichkeit. Nimm ihnen den Saft, trockne sie aus! Lass sie hängen, die Organe des Seins und Werdens! Das Omelett entfaltete sich langsam, segelte zwischen Frontallappen und Hypothalamus hin und her, pulste mit Macht in Richtung Medulla oblangata, pumpte ihren Strang mächtig auf. Es war ein violett gelbes Anstauen von Gedankenenergie. Der Hirnanhang sprang unter den Goldhelmen auf und ab. Er pendelte, er ballte sich zusammen, er wurde immer heißer und er hatte einen Höllenspaß daran. Dem Cerebellum wurde auch schon merklich wärmer. Die Hypophyse, für gewöhnlich auf Höhe der Nase inmitten des Schädels gelegen, sprang unverzagt weiter auf und ab, knallte immer öfter wahllos an irgendwelche Ganglien, was Neuronenblitze auf ihren willkürlichen Weg brachte. Sie zuckten an den Sehnerven entlang und schauten Bilder.

Die tanzende Menge wogte in einem einzigen Rhythmus über den Strand. Fehlgesteuerte Raketen explodierten in ihr, entzündeten Haare, brannten Augen aus. Wenige echte Ärsche wurden getroffen. Die einzelne Palme am Ufer, ohnehin schon von gefährlicher Schieflage, beugte ihre Krone noch weiter, beugte sie ganz nach vor, nach unten und tauchte ihre Wedel ins Meer. Dann erhob sie sich, schwang elegant zurück und über den Strand, schüttelte sich, besprengte die heißen Körper der Tänzer, weihte sie gleichsam ihrer wilden Passion. Roh peitschte der Schopfbaum hin und her, ein überdimensionaler Weihwasserpinsel der im Takt der Musik schaukelte, an den fetten Basslinien entlang oszillierte. … „Keep control; … of me.“ Tropfen salziger Segnung trafen zischend auf heiße Haut; … „Try to keep … my … frequency … clear;“ verdampften auf ihr; und schließlich; … „re … animate my heart;“ flossen bissige Rinnsale in Richtung Chakra. Sex und Instinkt. Nur noch Sex und Instinkt. Für mehr war kein Platz mehr. Musste auch nicht. Das DJ-Set trieb unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen, massierte sich gleichsam in die Hüften aller. Werde mein Fleisch! Alles zuckte, ruckte, alles bewegte sich. Hüften kreisten, Arme schlenkerten, Brüste warfen sich nach vor. Mein Gott! Kein Mensch konnte jemals so ficken! So viel. Alle die da waren. Zugleich. Und selber von allen gefickt werden. Das war die reine Utopie. Krakenhaft beugte die Palme ihren Schopf nach unten, ihre Palmtentakel ergriffen einen der Tänzer, hoben ihn hoch. Kopf voraus verschwand er mit schlagenden Beinen langsam im Palmenherz. Der Stamm zeigte alsbald eine walzenförmige Ausbuchtung. Genauso sah es aus wenn Anacondas ihre bevorzugte Beute, die Wasserschweine, verschluckten. Sie gemächlich in sich hineinwürgten. Schlängelnd schob die Palme den Körper immer tiefer in sich hinein. Ein Zig Zag Walk des Todes. Kopfüber. Rhythmisch. Nicht unästhetisch. Doch überaus unfreiwillig für den Leib des Tänzers im Stamm der aufgebrachten Palme. Die Wurzeln freuten sich schon, sie schwollen an, strotzten prall aus dem Strand, förderten alte Spritzen und anderen menschlichen Auswurf aus dem Sand ans Mondlicht. Kronenkorken. Tampons. Strohhalme aus Plastik. Dosen. Schillernd tentakelte sich ein Oktopus über das Firmament. Irisierend. Blau irisierend. Schlängelnd. Seitlich schlängelnd. Sehr elegant. Seine Saugnäpfe schmatzten schnalzend die Sterne aus dem Himmelszelt. Schwarze Löcher der Zukunft. Josefs eigene Beine schienen sich auch in Tentakel zu verwandeln. Sie wurden immer länger. Und sie wurden weicher. Immer schwerer steuerbar. Der Sand wurde so flaumig nachgiebig, dass er gar nicht mehr bemerkte, wie ihm ein Taschlschneider eben jenes schnitt. Eben seines abschnitt. Sein Tascherl. Seine Bauchtasche. Seine Tasche in der alles war. Sein ganzes Sein. In die Blätter und Stengel der Strandwinden filzten sich schiere Unmengen von Frischesiegeln. Die kleinen, rund geschwungenen Plastikfolien verhakten sich unauflöslich miteinander ineinander. Unrat. Nichts als Unrat. Farang Unrat. Blaue Blüten weinten darob blaue Tränen. Spitze Nadeln stachen Wundbrand in ihre Kelche. Die Drogenrazzien feierten fette Beute. Hoben das Bruttoinlandsprodukt mit phantasievoll saftigen Geldstrafen in ungeahnte Höhen. Cashflow. Feuerwerk. Tagesordnung. Übergehen zu. Wer war er wo? Seine Beine vereinten sich endgültig mit dem Sand. Geräuschlos. Sie gaben einfach nach. Sein ganzer Körper tat das. Gab einfach nach. Entglitt. Löste sich auf. War einfach weg.

Unter den Bäumen des Himmels

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