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5. WIEN; die Hauptstadt, in echt

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A Situation (18)

Und a Flughafen, vor allem a Flughafen. Einer der weniger sauber, aber dafür wärmer war. Vom Licht und den Farben her. Josef ging an der gläserenen Raucherbox vorbei, in der der Nebel dafür sorgte dass sich neben dem missverständlich gestalteten grünen Logo mit der durchgestrichenen Zigarette auch ein paar Behinderten Icons in der Scheibe spiegelten, die die Raucher auf Bauch, Rücken oder Seite gleich zufällig wie sarkastisch verzierten sozusagen illuminatorisch tätowierten. Hochsensible Daten gleichsam transparent, öffentlich zu machen schienen. Ein Vorabbefund des Lungenfacharztes. In der nächsten, größeren Halle setzte sich Josef in die Freifläche eines großen Cafes, das im Altwiener Stil eingerichtet war. Alte hölzerne Möbel, geschwungen, gebogen, geflochten, verschieden gepolstert. Eine Art Jugendstil-Biedermeier-Verquasung, festgenagelt mit hunderten von Ziernägeln. Die Freifläche zur übrigen Halle war abgegrenzt mit goldglänzenden Messingsäulen, zwischen denen ein dickes rotes Hanfseil aufgefädelt war, über das sich eben eine ältere versnobt wirkende Dame lehnte, ihre Zigarettenasche in den Aschenbecher auf dem Cafehaustisch fallen ließ. Der Kellner kommentierte dies mit den nonchalanten Worten, „Dangge fiar´s oaschen, gnä´ Frau.“ (19), nahm den beschmutzen Ascher mit und kam zu Josef, um seine Bestellung aufzunehmen. Der bestellte ein Weizenbier.

„Mit Zitrone der Herr?“

„Bitte.“

„Kommt sofort der Herr.“

Das tat es auch wirklich. Es war ein klares Weizen und die Zitronenscheibe gab ihm noch geschmacklich wie frischemäßig einen Extrapfiff. Schmeckte hervorragend und erinnerte Josef, während er die vorbeiströmende Menschenmenge beobachtete, die sich, unterwegs in gegensätzlichen Richtungen, nicht nur ver- sondern sich ineinander mischte; die einen flogen ab, die anderen waren gelandet; die versnobte Dame, die mit der linken auf den Halter ihres Trollys aufgestützt, ihre Goldkettchen darauf klimpern ließ, ungeniert einen weiteren Aschenbecher für ihre kalte Asche benutzte; all das ließ die Bilder einer wirkliche Situation hochkommen, die er im vorigen Sommer in der Hauptstadt erlebt hatte. Es war in etwa um zwei Uhr nachmittags gewesen, im letzten Jahr als er an einer schon sehr nach Altwiener Beisl aussehenden Location ein Weizenbier ordernd, ein helles Weizenbier, dann ein scheissnormales Ottakringer kredenzt bekommen hatte, noch dazu um volle drei fünfzig. Euro, nicht Schilling. In Schilling wär´s eindeutig zuwenig gewesen. In Euro war es aber eindeutig zuviel. Erst recht wenn man den Betrag wieder in Schillinge umrechnete. Achtundvierzigundsechzehn. Das konnte gar nicht mehr schmecken und das an sich war schon ein starkes Stück gewesen. Dann aber auch noch keine Chance zur Reklamation zu haben, weil der Wirt alles andere als ein Wiener war, das konnte einen geradezu dazu nötigen die verdammte Pisse auszusaufen. Musste es. Widriger Umstände halber. Oder das Ganze um drei fünfzig in den Rinnstein zu schütten, wo es eigentlich hingehörte. Die palästinensische Schläferzelle am Nebentisch hielt ihn aber davon ab. Die fuhrwerkten an ihrem Laptop herum, dass sogar Arnold in True Lies blasser als blass geworden wäre. Und Jamie Lee damit. Wow! Was für ein Film! Immer noch in jeder Einstellung vorhanden. Szenisch. Im Hirnkastel. Ein Meisterwerk des gediegenen Trashs. Perfecto! Die wahrscheinlich zurzeit kürzeste Japanerin kam an seinem Tisch vorbei, forschen Schrittes, einem, wahrscheinlich ihrem, Japaner folgend, der mit hektisch schaukelnder Krawatte so heftig ausschritt, dass man meinte, er wäre kaserniert. Okinawa, oder so. Müßig zu erwähnen, dass Krawatte wie Anzug schwarz, das Hemd hingegen weiß war, blütenweiß, ohne jeden Makel. In Japan verlief ja sogar die ganze Kirschblüte makellos, ohne jeden kleinsten braunen Fleck. Kein Wunder. In Japan fiel kein Blütenblatt zu früh oder zu spät aus den Kronen der Bäume, keines war zu rosa angehaucht oder zuwenig weiß. Ein wahrhaft schönes Schneien, ein weiches, dickes, unschuldiges Zudecken, etwas, das man hierzulande nur zu gerne hätte, ein schönes Schneien ohne groben Temperaturabfall für volle Kassen. Etwas wie die beschaulich meditative Kirschblüte konnte aber nur in der schlichten Perfektion und Tradition des japanischen Volkes gelingen. Einem Volk, das die Selbsttötung zum in höchstem Maße ehrenvollen Ritual stilisieren konnte. Wo spritzend rote Blutfontänen zu wunderbar geschwungenen Kalligraphien, zu letzten Haikus wurden. Zu wahren Erkenntnissen. Kein Tropfen Blut zuviel und keiner falsch gesetzt.

Die Schläferzelle erging sich gerade in bestem Arabisch, von dem Josef kein Wort verstand. Jedoch vermochte er schon eine gewisse Ungeduld aus den gebellten Worten heraus zu hören.

Hierzulande, also nicht in Japan, blieb einem nur der bröselige Ersatzschnee aus kalten Schneekanonen, der bald braun verspurt war, dachte er. Das lag an den klingelnden Kassen, deren Geldladen, unaufhörlich aufschnappend, nach Füllung bettelten, um sich in einem Fort zu mästen.

Der wahrscheinlich größte Norweger, der momentan auf Erden wandelte, zog an Josef vorbei - wie ein Elch in den besten Jahren. Erkennbar war er sehr leicht am Norwegerpullover, dem zerzausten Bart, der ebenfalls zerzausten Frisur und den leicht wässrigen Augen unter den enorm dichten Augenbrauen, denen an Länge zum Zerzausen auch nicht mehr viel fehlte. Der Bast hing ihm in blutigen Fetzen von den Schaufeln. Bellend röhrte er eine Heiligenstatue an, die ruhig von einem Dachfirst aus nach unten auf ihn blickte. Er schüttelte den Kopf was einige Bastfetzen davonfliegen ließ. Beinahe meinte man, er würde jeden Moment seinen mächtigen Elchpenis ausschachten, die Gebirge faltiger Vorhaut zu entfalten um all seine Pheromone in den Wind zu setzen. So konnte er seinen Talgdrüsen die Arbeit überlassen, die Luft mit seiner übermächtigen Geilheit zu schwängern, um alle Weibchen in der Umgebung mit aufgeblähten Nüstern in die geilste Stimmung zu versetzen, die sie bislang gekannt hatten. Übermächtig, willenlos hinrasend die stärksten und dicksten Schwänze erwartend, um sie in ihren Lusthöhlen zu vergraben und sie auszusaugen bis auf den letzen Tropfen. Die nächstbeste Frau wollte er solcherart in höchster egoistischer Brunft einfach bespringen, ihr seinen zügellosen Herren tiefer als jemals zuvor in die Vulva zu treiben, am Kelch ihrer Lust zu reiben bis er eimerweise Sperma in sie vergoss, alles das, bevor er röhrend und allein um die nächste Ecke, und endlich, in einem gesuchten Antiquariat verschwand, das Bestiarium eines alten Meisters zu finden. Genauer gesagt, das Bestiarium des Abdul Alhazred, jenes verrückten Arabers, der auch das berühmt berüchtigte Necronomicon geschrieben hatte, das Buch des Teufels und seiner höllischen Heerscharen. Ein gleich monströses wie gefährliches Werk, das jeden seiner Leser früher oder später in den Wahnsinn oder in noch schlimmeres trieb. Alhazreds Bestiarium war ein milderer Ableger, ein Buch, das die Dämonen und andere Wesen aus noch unentdeckten und unerforschten Teilen der Wüste illustrierte. Es zeigte ihre schrecklichen Körper, wenn sie sich manifestierten und beschrieb ihre abscheulichen Gewohnheiten bis hin zu ihrer bevorzugten Nahrung, die meist aus menschlichen Organen und Fleisch bestand. Ein Buch, das nur die grauenvolle Oberfläche zeigte, scheinbar aber keinerlei Magie besaß. Sofern man nicht durch Zufall oder allzu große Neugier einen Schritt zu weit ging. Dann gab es auch hier kein Zurück mehr.

Die sichtlich genervte Kellnerin stieß indes zur Schläferzelle, meinte Annie Lennox wär doch was. Josef war inzwischen völlig klar, warum der Wirt Araber war; ebenso wie ihm klar war, dass sie sich tatsächlich immer so einfach verrieten wie im Film. Er meinte blöder als wie bloß ein falsches Bier zu servieren, konnte es wohl nicht laufen. Und schon war dem Wirt die ganze Aufmerksamkeit dieses einen, zufällig hereingeschneiten Gastes sicher. Und am Ende war ausgerechnet der Gast von der Staatssicherheit. Die fanden ihre Körner ja zumeist auch nur zufällig wie die blinden Hühner. Selbe Arbeitsweise. Pick, pick. Scharr, scharr. Aber jetzt Annie Lennox? Warum nicht RuPaul? Oder Donna Summer? Zu plakativ? Zuwenig musikalisch?

„Entschuidigst, i muas oabeitn a no, i muas orechnan, die Hearn.“ (20)

Sichtlich genervt sauste die Kellnerin wieder in die Gaststube, die beiden von der Schläferzelle sahen sich an wie zwei Schafe und meckerten sich auf Arabisch an.

Langsam fragte Josef sich, ob er hier wirklich sicher saß, oder ob das Plastik schon unter der Jacke des einen auf ihn wartete. Eine Explosion in Kürze seinen Leib in herumfliegende Fleischfetzen und Innereien verwandeln würde, die an Wände, Pflastersteine und Gastgartenmöbel klatschen würden. Sein Geschlecht in einen Teller herrlich duftenden Salonbeuschels mit Serviettenknödel patschen würde. Die Dame dahinter würde soßenbeschmiert aufkreischen, während Josefs harte Knochenteile die Fensterscheiben der Cafes in der näheren Umgebung wie Geschosse zerschlagen würden, Emailbehältnisse von Einspännern, Melangen und kleinen Braunen zersplittern und Passanten lebensgefährlich treffen würden. Das Stakkato einzelner Zähne aus seinem weggesprengten Mund grübe sich wie eine dentine Maschinengewehrsalve in die Brust einer dunkelhaarig gut gelaunten Kellnerin, perforierte hellrote Löcher in ihre frisch blütenweiß sauber gestickte Servierschürze, was ihren Gesichtsausdruck überrascht wirken lassen würde, ehe sie in sich zusammensänke. Ein tödliches Zahnstakkato.

Indes zog ein Engländer, ausgestattet mit dem Kopf einer vollreifen Pelati, einer sonnengereiften San Marzano, wirklich zum Platzen reif, mit seiner Frau, wahrscheinlich Frau, vorbei, erklärte ihr das „Marvellous von genau hier“ sehr enthusiastisch, sehr genau, und auch sehr anschaulich. „This, darling, this is truly marvellous! Look at the headstones! What gorgeous shiny headstones! A pavement all over!“

Headstones? Hatte der Engländer nicht mehr alle Sinne beisammen? Kopfstein hieß doch cobble-stone im englischen wenn Josef sich richtig erinnerte. Der Englischunterricht war zu seinen Schulzeiten damals nicht gerade praxisnah gewesen, erschöpfte sich mehr in der profanen Liga von bananas, oranges, apples, tomatoes und so weiter, von vegetables und fruits. Egal. Wenn einen blankgescheuerte Pflastersteine derart aus der Fassung bringen konnten, dann hatte man ohnehin nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder alle Socken in der Kommode. Alle Kulis im Sekretär. Alle Gewürze am Bord. Oder alle Nudeln in Asien.

Mittlerweile war die Kellnerin wieder zur Stelle, pries die EEls. Die EEls, ja die EEls, die wären auch gut, sagte sie. Josef sah auf sein halbvolles Glas Pisse und fragte sich, ob er davon schon so besoffen sein könnte. Eher nicht, dennoch vermochte er sich keinen Reim mehr auf die Geschehnisse am Nebentisch zu machen. Maximal wollte man sich als Pop-Agentur tarnen, wozu dann aber hektisch versuchen, sich Musikvideos runterzuladen? Noch dazu so dilettantisch? Irgendein Businessplan, ein mit Terminen vollgestopfter Organizer wäre doch authentischer gewesen. Er sah wie die Kellnerin sogar noch die Enter-Taste für den einen drückte, den Bildschirm für den anderen richtig hindrehte. Das war alles mehr Schläfer denn Zelle, geschweige denn Terror.

Und dann sah er sie. Ihm blieb der Mund offen, und das perfekte Bild konnte so unbehelligt an ihm vorüberziehen, ohne festgehalten zu werden. Seine Kamera war weggepackt in der Tasche seiner Jacke, er griff schnell danach, bekam den Knopf nicht auf, wusste am Weiterziehen der traurigen Gestalt, dass er es nicht schaffen konnte. Verdammt! Was tun? Das Motiv des Jahrhunderts sausen lassen? Nein. Dazu fiel ihm noch etwas ein. Die Tasche auf, Kamerasack raus, auf, Kamera raus, Bier ansetzen, auf zwei Züge weg damit, die unverschämten drei fünfzig waren schon geparkt, und auf, und wo war sie jetzt, war sie links oder war sie rechts? Erst einmal geradeaus, da hinein, nein, da vorn, nein, hinten, ja, doch, da war noch ein Eck, obwohl, nein, doch vorn, aber die schräge Gasse da, ja das könnte sein, weiter, ja das hatte die Haltung, dieser dunkle Fleck dort, dieses nichts mehr, dieses abgeschlossen mit dem Leben haben, ja jeden Tag machte man trotzdem weiter, nur weil er so war, so kam, so zu sein hatte, der Tag; jeden Tag ohne Lust, mechanisch, nur weil es eben ein neuer Tag war, ein weiterer, den man durchzustehen hatte, ein weiterer, den man abhaken konnte. Ja das musste sie sein. Die Körperhaltung war eindeutig, die schwarze Kleidung, er vermeinte auch die Tasche auszumachen. Schneller schritt er aus, immer schneller, die Kamera im rechten Winkel haltend, im Voraus zoomend, ins Display schauend, ob es klappen könnte. Schließlich, an einer Abzweigung die elegant schräg abbog, erreichte er sie, schwitzte schon einigermaßen und drückte schnell zweimal, ab ohne bemerkt zu werden. Heftig atmend hielt er inne, sah sich die Fotos im Display an. Eins war verschwommen, zu verschwommen wahrscheinlich, eins schien brauchbar, man sah worum es ihm bei dem Foto ging. Ihre riesige schwarze Einkaufstasche, auf der in schlichten weißen, aber großen Lettern die Worte SUPER SHOPPER standen.

So war das gewesen, an diesem Tag, im letzten Sommer in Wien.

(18)

Eine Situation

(19)

„Danke für die Asche, gnädige Frau.“

(20)

„Entschuldigt, ich muss arbeiten auch noch, ich muss abrechnen, die Herren.“

Unter den Bäumen des Himmels

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