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6. THAILAND; Traum, der

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Suvarnabhumi

Ankommen und da sein. Am Suvarnabhumi. In Bangkok. Oder vielmehr noch dreißig Kilometer davon entfernt. Von Bangkok. Ein Flughafen wie eine Spinne. Erbaut auf dem Kobrasumpf, auf dem Nong Ngu Hao, ein zischelndes Schlängeln im Metall. Heute goldenes Land. Land von Gold. Die Luft in der Fluggastbrücke war von dumpfer Hitze. Sie schmeckte nach Verbrennung und totem Sumpf. Förderbänder, die auf ein gemeinames Ziel zusteuerten, zuzusteuern schienen, unaufhörlich fuhren, fuhren in ihr Eigenstes. Fuhren tief hinein. Kein Mensch wusste das. Das Förderband verschwand unter den Füßen. Aber es verschwand nicht einfach. Es fuhr tief hinein in die Eingeweide des Flughafens, den Untergrund unbekannter Tiefen, wo sich die metallenen Bänder ineinander verschlangen und neue Rolltreppen und Förderbänder gebaren.

Hitze in der Hose, wen wundert´s, in geilgrau langer Unterwäsche gestartet, bei Minus zehn Grad, lebensnotwendig, die zweite Haut aus hundert Prozent Baumwolle. Hier, obwohl klimatisiert, galt es, überflüssige Textilien so schnell wie möglich loszuwerden. Es war höchste Zeit, unangenehmes Dampfen an den Ober- und Unterschenkeln war bereits länger spürbar. Die Füße in den dicken Socken begannen zu jucken. Die Reproduktionen von Gemälden verschiedenster Künstler heimischer Provenienz neben dem Förderband passierend, hielt Josef Ausschau nach dem Piktogramm, das Männern Erleichterung verhieß, versprach, und in den meisten Fällen auch hielt. Jedes Einzelne der Bilder strafte Europas Dünkel Lügen. Die Werke waren wunderbar. Hervorragend. Glaswände dazwischen offerierten Raucherparadiese, die man nicht betreten wollte. Man sah nur Gliedmaßen im Nebel. Wusste nicht, zu wem sie gehörten. Manchmal tauchte auch ein verschwommenes Gesicht hinter der Scheibe im Rauchgrau auf. Kurz. Moderne Poltergeistphänomene. Bewegungen erzeugten Wirbel im Grau. Ein Francis Bacon des modernen Lebens.

Endlich tauchte das bekannte Piktogramm auf. Josef verließ das Förderband und bog rechts in die Herrentoilette ein. Die lange Reihe weißer Pissbecken in genormter Höhe wurde von einem längeren, erheblich tiefer gesetzten abgeschlossen. In Josefs Heimat, der letzten Operettenrepublik weltweit, gab es so etwas nicht. Zumindest hatte er noch nie zuvor ein tiefergelegtes Pissoir gesehen. Eine Formel eins Geschichte? Der Sinn des Ganzen war ihm nicht klar. Ein Sportpissbecken? Dafür war es wieder zu schmal und ohne Spoiler. Egal. Erst mal in eine Kabine. Dankenswerterweise ohne Münzschloss, also für jedermanns Notdurft offen. Zuhause konnte so was schon mal in die Hose gehen. Ohne Wechselgeld. Am Geisterbahnhof. Während die computergenerierte Tussi zum hundertsten Mal die Verspätung irgendeines Intercitys um eine geschlagene Stunde annoncierte, hatte er sich in die Hose geschissen. Vor der Clotür, aber ohne Kleingeld halt. Fructoseintoleranz. Überfallsartiger Dünnschiss. Ohne Ankündigung. Das war wirklich scheisse gewesen. Gott sei Dank lange her. Josef schloss die Tür, hing den Rucksack an den Haken. In der komisch lang geformten Kackschüssel stand das Wasser beinah bis zum Rand, was erst einmal das Schließen des Toilettendeckels dringend anriet. Dann rasch die Jacke ausziehen, der Schweiß stand Josef mittlerweile schon auf der Stirn, tropfte von den Brauen. Er öffnete den Rucksack, holte seine orangefarbenen Kunststoffclogs heraus. Raus aus dem überhitzten Goretex Schuhwerk und sofort die Hosen runter. Die baumwollene Leibwäsche gleich hinterher. Der Wäschehügel auf der Closchüssel wuchs. Josef wechselte zu einem frischen, zu einem vor allem dünnen Slip, ließ Unterhemd und Socken weg, stopfte die überflüssige Wäsche in den Rucksack, zog den Beutel zu und klemmte die Jacke unter die Klappe. Nachdem alles Gebrauchte sicher verstaut und alles Frische angezogen war, konnte auch der Toilettendeckel wieder geöffnet werden, ohne dass die Gefahr bestand, dass etwas von seinen Sachen in die Schüssel fiel. Josef ergriff die Gelegenheit und nutzte das Ding bestimmungsgemäß. Er zuckte kurz zusammen, weil sein langer Schwanz mit dem Kopf ins Wasser tauchte, stöhnte aber bald zufrieden und erleichtert, erschrak aber darob, weil er vergessen hatte, dass er hier nicht zuhause war. Tonales public kacking also. Was sollte es schon? Niemand sah was da jetzt im Wasser schwamm. Außer Josef selber. Er drückte den Spülknopf, worauf die ganze Schüssel mit einem mächtigen Brausen abgesaugt wurde. Josef erschrak noch einmal. Jetzt wusste wohl jeder draußen an den Pissoirs, dass er, Josef, hier geschissen hatte. In Bangkok. Am Flughafen. Er mochte so etwas nicht. Josef beschloss, noch ein Weilchen zu warten, bevor er die Tür öffnete und hinausging. Eigentlich war das vollkommen lächerlich, da die Wahrscheinlichkeit, dass ihn ausgerechnet hier, auf diesem einen Clo im Flughafen von Bangkok, jemand erkennen sollte, ähnlich groß war, wie die Chance auf einen Sechser im Scheiß-Eurolotto. Josef schulterte also den Rucksack, stellte erstaunt fest, dass die Closchüssel schon wieder randvoll mit sauberstem Wasser war, und öffnete mutig die Tür. Ein schwarzer Businessman stand an der Pisswand, neben ihm ein kleiner Asiate. Augenblicklich wusste Josef, wofür das tiefergelegte Pissbecken gut war. Für den Nachwuchs, so dieser ein Sohn, und dem Topf gerade erst entwachsen war. Rasch bog Josef wieder hinaus in den langen Gang voller thailändischer Kunst und pflegeleichter Plastikblumen und stellte sich wieder aufs Transportband. Rechts. Rechts stehen, links gehen. Josef genoss die Fahrt, rollte gemütlich der Immigrationsfront entgegen. Dort gab es mehrere Schalter. An jedem blickte einem eine kleine, runde Kamera entgegen. An manchen, an den besetzten, auch ein Beamter. Josef wählte eine kurze Schlange. Das hatte genau denselben Effekt wie an der Supermarktkasse zuhause. Nur hatte der Homeboy da vorne nicht nur vergessen, sein Einreiseformular im Flugzeug auszufüllen, nein er hatte es überhaupt vergessen. Irgendwo. Die Hose hing ihm unter dem Arsch und die Sonnenblende seiner Baseballkappe im Genick und Josef war froh, dass nur die Kamera und nicht er das Gesicht des hippen Hoppers sah, ansehen musste. Die Wartezeit wurde dadurch jedenfalls unverhältnismäßig verlängert. Bis ausgedeutscht war, um was es ging, bis ein Formular da war, und bis der hoppe Hipper Daten aus seiner Bauchtasche zutage förderte, weil sie ihm im Kopf nicht geläufig waren, das dauerte eben. Der Beamte wies ihn beim Ausfüllen auch immer wieder darauf hin, dass er mit den Füßen in den roten Markierungen stehen bleiben musste. Das passierte sehr lautstark und von heftigen Bewegungen des Zollbeamten untermauert. Durchaus hielt man es für möglich, dass der Beamte jeden Augenblick eine Pistole ziehen könnte, um dem Uneinsichtigen zu zeigen, wo es hier langging. Das Stehen in den roten Markierungen, das Vorbeugen bis zum Schalter, das zwang dem Körper einen unnatürlichen, rechten Winkel auf. Wie abgehackt der Körper, quasi knapp ober dem schwabbeligen Hip-Hop-Hintern einfach Zack! Und ab. Und weil der Hosenbund unter diesem Hintern hing, zog das die Shorts soweit hinunter, dass man entweder den Anfang oder das Ende der Ritze sehen konnte. Das war Ansichtssache. Und das wollte man gar nicht. Da waren Pickel drum rum. Auf dem weißen Schwabbelarsch. Rote. Mit schwarzen und gelben Punkten in der Mitte. Manche schon aufgekratzt schorfig. Josef hoffte, dass das, modisch betrachtet, ähnlich stilsicher gekleidete Mädel hinter dem Hopper, nicht zu ihm gehörte, oder zumindest nicht den gleichen Intelligenzquotienten mit ihm teilte, also im Kopf etwas klarer war. Sie war es. Stellte sich hin und schwupp, war durch. Erleichtert trat Josef in die roten Folienfüße vor dem Schalter und reichte dem Beamten Formular und Pass. Der schaute kurz, stempelte und klammerte das Formular in den Pass den er ihm wieder aushändigte.

„Transfer?“

„Transfer?“

Josef wusste nicht was gemeint war.

„You stay in Bangkok?“

„No.“

„Transfer. First just the left side and then right.“

Der Beamte deutete nach hinten. Für Josef sah das verkehrt aus, wenn er zwischen den provisorischen Stellwänden hindurch spähte, er sagte aber nichts. Das war auch gut so, denn das „then right“ leitete ihn haargenau zur unvermeidlichen Gepäck- und Körperkontrolle. Danach wurde dann scharf links abgebogen, und man war wieder auf Kurs. In einer Shopping Mall, in der es alles gab, was Josef überhaupt nicht gebrauchen konnte. Und noch mehr.

Der Mann bellte wie ein Hund und rotierte auf dem elektrischen Putzbuggy inklusive Wischmopp durch die Shoppinghalle. Er hatte eine Glatze und Speckfalten im Genick. Das sah weniger nach Stier denn nach Schweinchen aus. Er steckte in beigen Shorts und einem hellblau linierten Kurzarmhemd. Die Ärmel waren kürzer als die Schweißflecken darunter. „Ich schieße auf euch alle! Ich scheiß euch gleich auf den Putz! Scheiße!“ Das Vokabular war echt beschissen. Der Mann litt entweder an einer speziellen Form von Jetlag, oder er hatte den Bordservice trockengelegt. Mit unabsehbaren Folgen. Ziellos cruiste er zwischen den Shops herum, den Mopp ritterlich vorgestreckt wie eine Lanze. Hektisch drehte er am Lenkrad herum, vollführte viel zu scharfe Kurven, kippte beinah um dabei. Er bumpte herum wie in einem Autoscooter, touchierte einen Stand mit Sweeties, fuhr retour und bumpte gegen Duty Free. Bump bump. „Scheiße auf euch alle!“ Und die Security machte Jump jump. Der Putzbuggy verformte sich tatsächlich zu einem Autoscooter, einem blauen Autoscooter mit schwarzer Gummimanschette und silbrigem Kühlergrill. Ein Putzkübel klapperte quer über den Platz. Eine Frau kreischte und zog ihren Nachwuchs aus der Gefahrenzone. Das Mädchen, gefangen in einem rosagepunktet aufgetüllten Kleidchen, plärrte sofort los. Und Bump! Dahinter wurde der Securitymann, schwingenden Mopps, direkt in ein Süßwarengeschäft hineingeschossen. Geradewegs an Josef vorbei. Drinnen gingen einige Bonbongläser geräuschvoll zu Boden, gefüllte Seidenkracher hüpften aus der Tür an Josef vorbei. Seit einer Ewigkeit waren ihm diese Köstlichkeiten nicht mehr untergekommen. Flink griff er nach ein paar dieser kühl knackigen Knuspererlebnisse, die zu seinen Füßen herumkollerten. Er wusste, dass sie mit Kakao und Haselnussmasse gefüllt waren. Rasch steckte er sie ein. Niemand bemerkte es. Alle Aufmerksamkeit galt dem durchgedrehten Scooterfahrer.

„Wuff! Ha, Schisser!“ Blech verformte sich knirschend weiter, wuchs nach oben. Es schloss den Körper des Mannes irgendwie ein, verwuchs mit ihm und drückte ihn, zylindrisch sich verjüngend, in die Höhe. „Wuff!“ Übergroße gelbe Knöpfe ploppten aus der Hemdbrust, eine rote Masche wuchs um seinen Hals herum, und sein vom Alkohol aufgeschwemmter Schädel wurde noch größer. Die Backen pausten auf, die Augen bekamen starke Bögen nach oben. Der blaue Scooter hatte sich ganz zu einer Halbkugel verformt, auf der der Pausenclown nun keinerlei Halt mehr fand. Er schaukelte darauf über den spiegelglatten Boden, und in dem spitzen Hütchen, das ihm aus der Glatze wuchs, klingelte es unaufhörlich. Jede Menge Blei im Boden, kreiselte er als blaubäuchig klingelndes Männchen den Rolltreppen entgegen, wild, aber sinnlos mit dem Mopp herumwirbelnd. Die Leute duckten sich, sprangen zur Seite. Er repetierte sein Lieblingswort im Takt der einzelnen Stufen, über die er hinunterpolterte, eine nach der anderen. Die Securitymannschaft stürzte in hellster Aufregung hinterher. „Wuff!“ Josef starrte der wilden Jagd noch bis zu ihrem völligen Verschwinden nach, dann wandte er sich nach rechts. Hier erweckte die Gastronomie einen eher pikanten Eindruck denn links, wo es mehr nach Kaffe und Kuchen aussah. Schnell am Burgerking vorbei, nach Chinesisch stand ihm auch nicht der Sinn. Danach folgte pronto Pizza und quicke Nudeln, noch weiter hinten wurde es etwas Continental, aber das traute er Asiaten nicht wirklich zu. Erst das letzte Lokal sah nach Thai aus, Mango Tree, stilvoll schlicht eingerichtet, versprach es ebensolch stringenten Geschmack auf der erlauchten Zunge. Es war auch wesentlich ruhiger hier, weniger Fluggäste verirrten sich ganz nach hinten. Eine rechte Wohltat, und man konnte, vom Sitzen aus, in die Halle hinuntersehen, von der aus man zu den verschiedenen Gates kam. Josef setzte sich und wurde als erstes darauf hingewiesen, dass es nur kleine, keine großen Biere gebe. Kein gutes Offert gleich zu Anfang für Josef. Denn er hasste nicht nur kleine Biere. Er hasste alle kleinen Dinge. Nach Josefs Meinung sollten alle Dinge eine gewisse Größe aufweisen. Kleine Biere waren für ihn nicht mehr als ein finanztechnischer Kunstgriff. Das erwies sich auch hier als richtig. Das kleine Bier kostete letztlich hundertfünfundsiebzig Baht. Am Suvarnabhumi in Bangkok. Da zahlte man mindestens die Architektur mit. Wenn Josef den ganzen Aufenthalt auf dem Flughafen hätte verbringen müssen, dann wäre er auch gleich wieder vorbei gewesen. Ein permanentes, und vor allem galoppierendes, finanzielles Abebben. Die stilvoll dazu gereichten Frühlingsrollen waren sehr cross, aber auch sehr vegetarisch gehalten. Die gummösen Glasnudeln waren, ohne nennenswerte Gemüsebeilage, in knusprigen Teig verpackt. Ohne Fleisch natürlich. Korrekt. Por Pia Phak. Der Preis dafür ähnlich exclusiv wie der für das kleine Bier. Hundertfünfundvierzig Baht. Heiß. Da schreist du schon, bevor du überhaupt hingreifst! Burn Baby burn! Schon ohne Chilisauce. Scharf. Sehr scharf. Die Fingerspitzen glühten, die Zungenspitze wartete. Auf den Schmerz. Papillös wie monetär. Das war exact jenes gastronomische Missverhältnis, auf das jeder Gast mit Leichtigkeit verzichten konnte. Auch Josef. Mango Tree. Naja, Nomen ist halt auch nicht mehr immer Omen. Oder man musste es anders lesen. Man go tree. Geh schiffen. Such dir einen Baum. Bezahlt ist schon.

Josef hielt das Trinkgeld knapp und ging zurück zu den Shops, wo er noch eine Schachtel getrockneter Jackfrucht kaufen wollte. Aber nirgendwo konnte er die dried Jackfruit mehr ausmachen, überall nur noch Durian, Stinkfrucht, und die war ihm zu riskant. Er meinte, Fische die stanken, schmeckten ja auch nicht nach Ambrosia, oder? Dieser angeblich süß hervorragend gute Duriangeschmack mit Pfirsicharomen, stand deren intensivem Geruch nach stark beanspruchten Synthetiksocken mit einem Spritzer Fischsoße krass entgegen. Dem traute Josef nicht. Das gleubte er nicht wirklich. Warum hatte er die Jackfruit nicht gleich gekauft? Gleich, wie er sie gesehen hatte? Ach ja, der durchgeknallte Typ hatte abgelenkt. Ordentlich. Durian, Durian, nichts als Durian. Josef ging den Stand systematisch durch, umrundete ihn dabei mehrmals und kam frustriert auch wieder mehrmals am Ausgangspunkt an. Er gab auf.

„Excuse me. Do you have Jackfruit too?“

Wortlos griff die Verkäuferin aus dem Stapel, direkt vor ihm, ein farbenfroh gelb grünmetallen schimmerndes Ding mit dem Bild einer dicken Jackfrucht drauf.

„Hundredfive Baht“, tat sie emotionslos kund. Konsterniert betrachtete Josef die achtzig Gramm cholesterinfreies Nettogewicht. Tatsächlich stand auch Jackfruit groß darauf. Aber darüber, da stand Durio. Das war aber nur die Herstellerfirma. Die verkaufsfördernd schick gestapelten Schachteln verdeckten aber die Front zu zwei Dritteln. Auf Augenhöhe konnte man so nur mehr Durio und darunter Dried lesen. Der Rest, in dem Fall die Hauptsache für einen Fremden, einen frischen Farang auf gut thailändisch, war verdeckt. Josef nahm sich vor nächstesmal eher zu fragen, zahlte und packte die Schachtel umständlich in seinen Rucksack. Er fuhr mit der Rolltreppe eine Etage tiefer und folgte den Hinweisen zum Gate C vier. Das Gate war relativ schnell erreicht, das Overhead-Display informierte über den Flug Nummer PG neunhundertsechs nach Koh Samui USM mit der Boarding Time um vierzehn fünfundfünfzig. Abflug fünfzehn fünfundreißig. Ankunft sechzehn vierzig. Bangkok Air. Verspätung durfte es keine geben. Josef wollte die letzte Fähre nach Koh Pah Ngan gleich im Anschluss an den Flug erreichen. Die fuhr um siebzehn dreißig ab und brachte ihn für dreihundert THB in zwanzig Minuten nach Koh Pah Ngan. Das Ticket war reserviert, der Transfer auch, es sollte also nichts schief gehen. Im Moment war noch Zeit genug.

Die Entertainmentwelle am BKK schien nicht mehr zu bremsen zu sein. An jeder Ecke beim Gate C vier, und mit Sicherheit auch bei allen anderen Gates, hing ein Samsung Flachbild, leicht über Kopfhöhe, und bot ein schlechtes Bild und sich überlagernde Töne. Dazwischen gab’s auch ein paar LG Schirme in derselben Qualität. Damit man das Bild halbwegs scharf und frei von Bewegungsunschärfen sehen konnte, musste man gehörigen Abstand nehmen, und dort redete einem dann der nächste Fernseher quasi ins Bild. Das gab dann also Jay Leno und eine blonde Tussi across the Survival Man vom Discoverychannel, der zeigte, wie man Cocosnüsse schält und knackt, ganz superschlau.

„Uh!“ Die Tussi gab sich gerade wasserstoffblond, und der Überlebensexperte drosch synchron mit einer abmontierten Schiffsschraube auf die Cocosnuss ein.

„Kreisch!“

Josef musste etwas Unschärfe in Kauf nehmen, näher an den Tropenexperten ran, diese überspannte Millionärszicke im Ohr war nicht auszuhalten. Die lachte demnächst noch über den eigenen kleinen Zeh, der schief aus den pinkfarbenen Manolo Blahnik Knotted Slingback Sandals stak. „Ups! Whats going up down there? Tic tac toe? Ooeee Jay!“

Josef wünschte ihr ein paar kräftige Besenreißer an die schlanken Fesseln. Mister Survive hatte inzwischen die Nuss geknackt, nicht sehr schön, aber doch gekonnt, und sich mit Cocoswasser angepatzt. „As matters stand, no problem. Anyway, we had to go for some sunblocker now.“ Er mantschte mit seinen Fingern in der Cocosnusshälfte herum und schmierte sich mit der oberflächlichen Pulpe das Gesicht ein. Ein paar dicke weiße Klumpen darin erweckten den Eindruck, als ob ihm gerade jemand die volle Ladung ins Gesicht gespritzt hätte. „It´s very effective.“ Das Manolo Girl kreischte gerade wieder besonders begeistert im Hintergrund. Zweifellos ein Survival Porno. Get fucked by a coconut. Ob der Typ selber wusste, wie er gerade aussah? Wahrscheinlich nicht. Unverzagt ging er daran, das restliche Mark aus der Cocosnuss zu kratzen und zu essen. Josef faszinierte es immer wieder, wie lange die Akkus der Cams bei derartigen, quasi echten Dokus eigentlich hielten. Praktisch ewig. Dafür wurde alles andere zum Problem. Vom Sonnenhut bis zur Menüfolge aus rohen Muscheln und unter konkaven Glasscherben gerösteten Riesenmaden. Das Leben ging schon seltsame Wege. Und das Gate ging auf, die Boardingtime war angebrochen. Josef sah schnell auf die Uhr. Vierzehn fünfzig. Überpünktlich. Das sah gut aus. Josef ließ sich in die Menschenschlange und von dieser in die Maschine schleusen. Pünktlich um fünfzehn fünfunddreißig hob sie ab, in Richtung Koh Samui. Der Flug war praktisch ein Start und ein Landeanflug mit einem Snack und zwei schnellen Bierdosen dazwischen. Die Gepäckausgabe fraß mit stoischer Ruhe wichtige Zeit weg, Josef schien die schwarzen Plastikfahnen am Anfang des Förderbands eine halbe Ewigkeit angestarrt zu haben, bis endlich ein Koffer hereinrutschte, das Förderband überhaupt erst in Bewegung setzte. Während Josef auf die Zeiger seiner Uhr starrte, kam dann natürlich eine Menge an Gepäckstücken zum Vorschein, nur nicht sein blauer Tramperrucksack. Ein Liebespaar, das offenbar alle Zeit der Welt hatte, weil es sich immer wieder selbstvergessen abknutschte, klaubte sich entspannt seine Rucksäcke vom Band, während Josef immer nervöser wurde. Er musste den Transferbus rechtzeitig erreichen, die Strecke auf der Einundvierzigsechsundneunzig war noch zwölf Komma sieben Kilometer lang, grob gesagt musste er von Bo Phut nach Mae Nam, was sich eben in zwölf Komma sieben Kilometern niederschlug. Und die Fähre um siebzehn Uhr dreißig war die letzte nach Koh Pah Ngan. Wenn er sie nicht erwischte, hieß es auf Zimmersuche zu gehen. Und das bedeutete, eine Nacht ungewollt für gutes Geld zu verschlafen. Das Pärchen schlenderte hinaus. Ein unsägliches Ding von Hartschalentrolley holperte aufs Gepäckband. Josef wartete. Es war bereits fünf. Sollte der sehr unerwünschte aber doch nicht unhäufige Fall eingetreten sein? Das Gepäck irgendwo, nur nicht hier? Es wurde von Wien aus durchgecheckt. Irgendwo in den Gedärmen vom BKK hängen geblieben? An einer einzigen blöden Schnalle, einem unvorsichtigen Gurt? Dann So long good time. Hello sad time. Endlich kam der Rucksack an. Zur Sicherheit noch ein schneller Blick auf das Namensschild, dann jagte Josef zum Ausgang. Der Transferbus stand noch da, den Fahrer beeindruckte Josefs Eile nicht.

„Booking sheet?“

Natürlich. Josef suchte hektisch in seinen Papieren herum, sah die Fähre schon auf Nimmerwiedersehen davonbrausen.

„Hier, ah, here. Okay? Please.“

Es war okay. Der Thai stopfte den Rucksack hinten rein und Josef in die Mitte des Busses. Das verliebte Pärchen von vorhin saß bereits, daneben ein fülliger Herr, der ziemlich amerikanisch aussah. Er trug eines dieser Hawaihemden, die knallrot weiße Version mit diesen ornamental übergroßen Hibiskusblüten drin und einen Strohhut auf dem Kopf. Der Bus fuhr los. Josef atmete auf. Zehn nach fünf. Blieben noch genau zwanzig Minuten. Das war nur bei wenig Verkehr zu schaffen, und danach sah es nicht gerade aus. Ein Laster, der Holzverschlag randvoll mit Durians, dieselte an ihnen vorbei, jede Menge Vespas schwirrten wie die Bienen um ihn rum. Vor ihnen Limousinen und Pickups, kleine Autos schien man hier nicht zu schätzen. Der Kleinbus musste anhalten. Die Hitze ließ die Auspuffgase an den Hecks der Autos flimmern. Ein schwüles Wabern von dünnen, schwarzen Rändern umflort. Josef bemerkte erst jetzt, dass er klatschnass vom eigenen Schweiß war. Und noch etwas bemerkte er. Ein kräftiges Krabbeln am Rücken. Unter dem T-Shirt, knapp über dem Hosenbund bewegte sich etwas sehr bestimmt und heftig. Er erschrak und fasste nach hinten. Eigentlich dumm, weil jedes Insekt dann sofort zustechen würde. Sobald man es bedrängte. Josef hatte Glück. Es war ein sehr großer Käfer, der sich entschlossen mit den Widerhaken seiner schwarzglänzenden Beine an Josefs Haut festhielt. Ein kräftiger Bursche, der wild mit den Beinen ruderte, nachdem ihn Josef von seiner Haut abgelöst hatte. Er sah ganz hübsch aus, länglich oval gestreckt mit braun orange glänzenden Deckflügeln und blauschwarzem Bauch. Die schwarzen langen Fühler pendelten auf und ab. Der Käfer schaffte es sich aus Josefs Griff zu befreien und fiel auf die Gummimatte. Das Hawaihemd packte den Krabbler und beförderte ihn nach draußen, kurz bevor der Bus wieder losfuhr. Hoffentlich überlebte der Käfer diese Behandlung, geriet nicht unter die Räder. Nach mehreren Stop and Goes kam der Bus dann doch noch in ein gleichmäßiges Tempo und sie erreichten den Pier gerade noch, wurden in beispielloser Hektik durchgeschleust und auf den Catamaran gepfercht. Die Fähre war mit Menschen total angefüllt, ein Berg von Rucksäcken der Passagiere nach Koh Tao stapelte sich unter Deck, ein weiterer Haufen oben, vorn an Deck, versammelte alles an Gepäck, das wie Josef nach Koh Pah Ngan wollte. Im Gedränge, dem chaotisch anmutenden Gebrüll auf Thai und dem völlig sinnlosen Versuch seinen Rucksack nicht aus den Augen zu verlieren, entschwanden die drei Kurzzeitbegleiter sehr rasch aus Josefs Blickfeld. Unruhe erfasste ihn. Eben erst auf dem Flughafen seiner Habseligkeiten wieder habhaft geworden, waren sie nun schon wieder in einer unüberschaubaren Menge von Gepäckstücken untergegangen. Keinerlei Kontrolle möglich. Ein Seil flog an Josef vorbei, ein Thai fing es auf, schimpfte etwas zu Josef herüber. Wahrscheinlich stand er im Weg. Das Seil wurde verstaut. Josef gab es auf, seinen Rucksack sichern zu wollen. Er würde schon wieder rechtzeitig zum Vorschein kommen. Die Fähre fuhr los. So wurde wenigstens die Luft etwas kühler. Zumindest wirkte das im Fahrtwind so.

Unter den Bäumen des Himmels

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