Читать книгу Verscharrt auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 8

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Als ihn sein Handy mit dem Gitarrenriff von Smoke on the water weckte, fühlte Petersen sich komplett gerädert. Sein Traum von Lars Petersen als Rock-Heroe war jäh ausgeträumt. Er musste sich beeilen. Onno würde zu Hause frühstücken und nur noch einen Kaffee mit ihm trinken, also mussten Brötchen her. Auf dem Weg durch die Zedeliusstraße zur Inselbäckerei sog er die klare Meeresluft tief in sich ein. Auf der Straße begegneten ihm nur E-Karren einiger Handwerksbetriebe, die sich jetzt sputen mussten, um zum Saisonbeginn alle Arbeiten zum Abschluss zu bringen. Aus dem rötlichen E-Karren der Inseltischlerei donnerte ihm ein kräftiges „Moin Sheriff“ entgegen. Petersen kannte den Gesellen vom „Störtebeker“. Er gehörte zur allabendlichen Knobelrunde beim Magister. Die knallgelb gestrichene Eingangstür der Bäckerei war geöffnet. Zum ersten Mal waren wieder Tische und Stühle auf der Terrasse aufgebaut. In der Saison wurde hier ein gutes Frühstück angeboten. Auch Petersen, der, mal von Silvester abgesehen, noch keine richtige Saisonerfahrung besaß, nahm sich vor, hier einmal zu frühstücken. Im Verkaufsraum war niemand zu sehen. Petersen brummte, um sich bemerkbar zu machen, ein tiefes „Moin.“

„Komme sofort“, flötete es aus dem Hinterraum.

Sogleich erschien eine äußerst attraktive Blondine mit einer braunen Bäckerschürze. Als sie Petersen erblickte, lief ihr Gesicht leicht rot an, auch Petersen war verunsichert. Es war die nette Verkäuferin vom letzten Jahr, die ihn einmal als „Insel-Clapton“ bezeichnet hatte. Vielleicht wäre etwas zwischen ihnen gelaufen, wenn da nicht die Sache mit Mona gewesen wäre.

Petersen durchbrach als Erster die peinliche Stille:

„Wo sind Sie denn die letzten Wochen gewesen? Ich habe Sie vermisst.“

Noch einmal errötete die Verkäuferin um einiges mehr.

„Ich war zu Hause in Greifswald. Ich bin hier keine Ganzjahreskraft. Außerdem waren Sie ja mit anderen Dingen beschäftigt.“

War das jetzt eine Anspielung auf seine Arbeit im Fall Dunker oder spielte sie auf die Sache mit Mona an? Petersen versuchte seine Verunsicherung zu unterdrücken.

„Ja, ja jetzt ist es wieder ruhiger.“

Mehr brachte Petersen nicht zustande. Beim Rausgehen ärgerte er sich über sich selbst, so ein bescheuerter Satz! In solchen Dingen war er oft hilflos. Auf den Treppenstufen der Terrasse drehte er sich noch einmal um und machte eine ungelenke Handbewegung, die ein Winken darstellen sollte. Hierbei übersah er eine Stufe und hätte sich fast auf die Schnauze gelegt. Bloß weg hier, bevor es noch peinlicher wird! Schnurstracks trat er den Heimweg zur Charlottenstraße an. Onnos Fahrrad stand bereits im Fahrradständer vor dem rot geklinkertem Haus mit dem großen Polizeischild neben der Eingangstür.

Während Petersen frühstückte, kontrollierte Siebelts die eingegangenen Mails. Lachend drehte er sich zu Petersen um:

„Da ist sie wieder die Fahrradnummer! Der Bürgermeister bittet noch einmal, die Kontrollen in der Fußgängerzone in der beginnenden Saison zu verstärken.“

Petersen legte sein Marmeladenbrötchen aus der Hand:

„Weißt du, was wir machen? Wir machen Symbolpolitik. Wenn der neue Kollege da ist, gehen wir mit drei Mann in die Zedeliusstraße und machen da ‘ne große Kontrollshow.“

„Is‘ ja gut“, stutzte Siebelts, „aber warum ist das Symbolpolitik?“

„Das haben wir in Bremen auch immer gemacht. Wenn die Bevölkerung unzufrieden war, haben wir so eine Schwerpunktaktion gemacht, einen Monat lang, ordentlich Wirbel mit Presse usw.“

„Das is‘ ja nix Schlechtes oder?“

„Nein, natürlich nicht, was nur verschwiegen wird, ist, dass aus anderen Bereichen die Beamten abgezogen werden. Also, was du auf der einen Seite gewinnst, verlierst du auf der anderen, ein Nullsummenspiel.“

„Ich find‘ die Idee für uns aber trotzdem gut“, beharrte Siebelts.

„Na klar, da wird die Insel noch längere Zeit von sprechen. Wir lassen uns per Foto ablichten, machen einen Artikel für den Inselkurier. Es gibt keine Verwarnungen, gleich Bußgeld, unter dem Motto: Die Polizei greift hart durch.“

Siebelts lachte:

„Du bist so ‘n Trickser, warum bist du eigentlich nicht Polizeipräsident in Bremen geworden?“

„Weil ich nicht in der SPD bin.“

„Na ja, außerdem hast du ja auch noch anderen Scheiß gebaut.“

Bei diesen Worten verfinsterte sich Petersens Gesicht. Bei den Ereignissen, die zu seinem Straf- und Disziplinarverfahren geführt hatten, verstand er keinen Spaß. Die Wunde saß zu tief. Er war immerhin Leiter einer Ermittlungsgruppe mit der höchsten Aufklärungsquote im Drogenbereich gewesen und wurde seiner Meinung nach durch eine Intrige ans Messer geliefert. Siebelts, der das versteinerte Gesicht von Petersen bemerkt hatte, wiegelte sofort ab.

„Entschuldigung, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich

weiß, dass dir übel mitgespielt wurde. Schwamm drüber!“

„Geschenkt“, murmelte Petersen.

Siebelts lenkte das Gespräch wieder in eine andere Bahn:

„Jede Wette, wenn wir das mit der Fahrradkontrolle durchziehen, das meiste Bußgeld holen wir von den Insulanern selbst.“

Petersen nickte:

„Ich denke, wir sollten jetzt mal zur Strandkorbhalle gehen. Mal sehen, wie weit die Spusi ist“

Siebelts stimmte ihm zu. Beide griffen sich ihre Uniformmützen und machten sich auf den Weg. Auf der Promenade erwartete sie ein toller Ausblick. Im Fahrwasser nach Bremerhaven konnte man ein großes Kreuzfahrtschiff erkennen, während im Wangerooger Fahrwasser ein Supertanker der offenen Nordsee entgegen fuhr. Petersen genoss diesen Moment. Beide blieben einen Moment stehen.

„Onno, ist das für dich eigentlich immer noch was Besonderes, dieser Ausblick, oder nimmst du das als Insulaner gar nicht mehr wahr?“, fragte Petersen seinen Kollegen.

Ohne zu zögern kam die Antwort:

„Ich muss einmal am Tag am Strand gewesen sein, sonst fehlt mir was. Das ist einfach so drin.“

Sie gingen jetzt am Schwimmbad vorbei, das gerade renoviert wurde, direkt auf die Auffahrt zur Strandkorbhalle. Das Rolltor war etwa zur Hälfte geöffnet. Petersen sah sofort, dass die drei Beamten am Einpacken waren.

„Was, ihr seid schon fertig? Das war’s oder was?“ Petersen machte einen ziemlich enttäuschten Eindruck. Der Leiter des Teams ging auf Petersen zu:

„Wir können hier nichts mehr machen. Wir müssen unsere Fundstücke im Labor untersuchen. Täterspuren haben wir hier ja nicht. An der Baggerstelle am Strand hat der Kollege nichts mehr gefunden. Hier im Sand allerdings haben wir noch eine verrostete Blechmarke gefunden. Du weißt ja, ich bin mit Prognosen immer vorsichtig, aber das könnte so ‘ne Blechmarke sein, wie sie Soldaten immer tragen und die Gewehrreste, da tippe ich auch auf 2. Weltkrieg. Beim Bund gab es, so glaube ich, nicht so ‘ne Gewehre. Alles Weitere wird dann in unserem Bericht stehen.“

Onno versprach, den Transport zum Anleger zu organisieren.

Petersen konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Also kein neuer Fall, sondern irgendein vermisster Soldat aus dem 2. Weltkrieg. Vielleicht könnte man seine Identität für die Angehörigen rauskriegen, aber das wär’s dann schon gewesen. Von hinten kam Onno auf ihn zu:

„Na, Lars, das war’s dann wohl, kein aufregender Mordfall. Ich sag ja, halt ‘ne Strandleiche aus dem Krieg.“

„Ist ja gut“, murmelte Petersen.

Missmutig stapfte er die Promenade entlang in Richtung Pudding. Auf dem unteren Teil der Promenade wurde für die neue Saison die Bungee-Anlage aufgebaut. Auf den gelben Bannern stand „Guido’s Bungee Jump and Fly“. Guido aus Hannover, der dieses Geschäft betrieb, war teilweise auch mal Gast im „Störtebeker“ gewesen. Petersen erinnerte sich, wie der Magister ihn als „Jumping Jack Flash“ vorstellte.

Kurz vorm „Strandkorb“ kam ihm doch glatt ein Angestellter der Gemeinde mit dem Fahrrad entgegen. Normalerweise hätte Petersen um diese Jahreszeit nichts gemacht oder nur „absteigen“ gerufen, aber jetzt musste er seinen Frust rauslassen, zumal gerade die Gemeinde ständig Fahrradkontrollen forderte.

„Na, können wir denn keine Verkehrsschilder lesen?“, raunzte Petersen den Gemeindeangestellten an, der mittlerweile von seinem Fahrrad abgestiegen war.

„Ich bin in Eile, Entschuldigung, aber ich muss zum Schwimmbad, da gibt es ein Problem bei der Renovierung“, stotterte der ertappte Verkehrssünder.

Petersen hatte sich jetzt wieder etwas beruhigt und ärgerte sich, den Mann überhaupt angehalten zu haben.

„Beim nächsten Mal gibt es ein Bußgeld, Tschüss“, gab er dem sichtlich erleichterten Mann mit auf den Weg. „Was bin ich nur für ein Weichei?“, grummelte Petersen in seinen 3-Tage-Bart.

Langsam bog er beim Café Pudding rechts in die Zedeliusstraße ein. Im Pizza- und Eisladen wurde sauber gemacht. Die bald beginnenden Osterferien warfen ihre Schatten voraus. Petersen entschloss sich kurz im Inselbuchladen vorbei zu schauen. In der hinteren Ecke des Ladens fand er Literatur über die Welt der Nordsee, Inselkrimis und sonstige maritime Literatur. Das Buch über den Untergang der Pamir, was hier angeboten wurde, war ihm bereits bekannt, auch das Werk über Seemachtpolitik im 20 Jhdt. hatte er gelesen. Im Bereich der „Seeräuberliteratur“ gab es ebenfalls nichts Aktuelles. Hier musste er immer auf dem neuesten Stand sein, um den Magister zu übertrumpfen. Es war ein leidenschaftlicher Wettstreit zwischen den beiden, um neue Erkenntnisse in der Seeräuberforschung. Hier ging es immer darum, aktuelle Publikationen der Seeräuberforschung zu kennen, um dann gegenüber dem Anderen aufzutrumpfen. Ins Auge fiel ihm im letzten Regal ein großer Band mit dem Titel „Bomben über Wangerooge“. Augenscheinlich handelte es sich hier um eine Abhandlung der Geschichte Wangerooges im 2. Weltkrieg. Obwohl das Buch einen stolzen Preis hatte, entschied er sich, den Band zu kaufen. Bewaffnet mit der Einkaufstüte aus dem Buchladen trat er wieder auf die Zedeliusstraße. Hinter ihm hörte er die Stimme des Bürgermeisters:

„Moin Herr Petersen, Polizisten interessieren sich auch für Literatur?“

Petersen meinte etwas Abschätziges in der Formulierung zu erkennen.

„Lieber Herr Bürgermeister, es gibt auch denkende Polizisten, man sollte es kaum glauben.“

Bürgermeister Depken berührte ihn an der Schulter seiner Uniformjacke:

„Nichts für ungut, Herr Petersen, ich wollte mich nicht über Sie lustig machen.“

„Geschenkt“, antwortete Petersen.

Er war mit Bürgermeister Depken das eine oder andere Mal im Fall Dunker aneinander geraten und wollte die Sache jetzt nicht eskalieren lassen.

Depken wollte aber augenscheinlich etwas Anderes.

„Sagen Sie mal, es gibt da wieder eine neue Leiche, haben meine Mitarbeiter erzählt? Müsste ich irgendwas wissen?“

Petersen spürte sofort, worauf Depken anspielte. Dieser hatte sich im Fall Dunker von Petersen schlecht informiert gefühlt. Er war augenscheinlich immer noch der Meinung, dass die Polizei den Bürgermeister ständig informieren müsse. Petersen teilte diese Ansicht nicht und war deshalb auch mit Depken in Streit geraten. Trotzdem wollte er jetzt den Ball flach halten.

„Keine Angst, nichts Aktuelles. Wir haben Skelettreste gefunden, wahrscheinlich aus dem Krieg. Wenn sich die Techniker und die Gerichtsmedizin das genauer angesehen haben, wissen wir mehr.“

„Da bin ich aber erleichtert. Jetzt, wo die Saison beginnt,

können wir keine Schreckensnachrichten gebrauchen. Wenn Sie mehr wissen, sagen Sie mir bitte Bescheid.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Depken. In Petersen machte sich ein wenig Ärger bemerkbar. Halblaut grummelte er:

„Von wegen, ich bin nicht dein Gemeindebüttel.“

Die nächsten zwei Tage war auf dem Revier des Wangerooger Polizeipostens „tote Hose“. Siebelts und Petersen machten Büroarbeit und kurze Streifengänge, um Flagge zu zeigen.

In seiner Freizeit vertiefte sich Petersen in die Welt des 2. Weltkrieges auf Wangerooge. Völlig überrascht war er von der Tatsache, welch überragende Rolle Wangerooge bei der Luftverteidigung des Deutschen Reiches gespielt hatte. Er sog die historischen Fakten quasi in sich hinein und vergaß die Welt um sich herum. Zwei Tage las er bis spät in die Nacht, wobei er sich zu einigen Sachverhalten Fragen notierte. Irgendwie kam es ihm vor wie in seiner Studentenzeit, in der er nächtelang Exzerpte von historischer Fachliteratur angefertigt hatte. Eigentlich wollte er mal Lehrer für Geschichte werden, doch sein Leben hatte einen anderen Verlauf genommen.

Verscharrt auf Wangerooge

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