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Sven Temming hatte sich nur mit Mühe von der einstigen Betriebsratsvorsitzenden trennen können. Er wollte nichts mit den Querelen der Vergangenheit zu tun haben und sich schon gar nicht mit ehemaligen Mitarbeitern über die Probleme des Familienbetriebs unterhalten. Das heutige Geschäftsleben ließ keinen Platz für nostalgische Gefühle. Den Druck, der auf ihm lastete, empfand er als immer unerträglicher. Die Konkurrenz auf den Weltmärkten war gnadenlos, und der Brexit im vergangenen Jahr, als Großbritannien den Ausstieg aus der EU zu realisieren begann, bereitete ihm allergrößte Kopfschmerzen. Ganz zu schweigen von den USA und den Exporten nach China, die längst nicht mehr so gut florierten wie in den Jahren zuvor. Nein, er wollte sich nicht mit Klatsch und Tratsch, Gerüchten und Befindlichkeiten aus der Vergangenheit befassen.

Dass ausgerechnet heute noch ein Gesprächstermin mit einem jungen Mitarbeiter anstand, der darauf bestanden hatte, seine Beschwerden direkt bei ihm, dem geschäftsführenden Gesellschafter, vorzutragen, kam ihm wenig gelegen.

Dieser Adam Jarowski, der in einem der unzähligen Labore arbeitete, war ein ziemlich unangenehmer Bursche. Weder ein Vieraugengespräch mit dem Teamleiter, noch der Versuch einer Schlichtung durch den Betriebsrat hatte etwas gefruchtet. Temming überflog die Aktennotizen, die man ihm zu diesem Fall angefertigt hatte: Jarowski war demnach 32 Jahre alt und vor sechs Jahren als Chemielaborant eingestellt worden. Er las weiter: »Beste Abschlusszeugnisse, jedoch Aktivist einer Umweltschutzorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Produkte der chemischen Industrie kritisch zu beleuchten. Verdacht, dass er Dokumente an die Organisation weitergibt. Darauf angesprochen, reagiert er zornig und droht mit Gewaltanwendung.«

Rausschmeißen, dachte Sven Temming. So schnell wie möglich. Er würde mit diesem Kerl kurzen Prozess machen. Natürlich würde sich der Betriebsrat querstellen. Für einen Moment musste er an die Dame von heute Nachmittag denken, die eingeräumt hatte, oft mit seinem Großvater im Clinch gelegen zu haben. Personalangelegenheiten waren immer eine heikle Sache, die Sven Temming hasste wie die Pest.

Ein paar Minuten später führte die Sekretärin aus dem Vorzimmer den blassgesichtigen jungen Mann herein, der einen verschüchterten Eindruck machte und nicht zu dem Bild passte, das sich Temming aufgrund des Aktenstudiums von ihm zurechtgelegt hatte. Rein äußerlich kein Revoluzzer. Temming taxierte ihn, ohne jedoch Negatives festzustellen. Jeans und Hemd sauber, die Haare kurz. Auch kein Piercing und keine Tätowierungen – also nichts, was Temming verabscheute. Die Hand bei der Begrüßung feucht-kalt. Temming bot ihm einen Platz am Besuchertisch an, setzte sich ebenfalls und stellte klar: »Es kommt nicht alle Tage vor, dass jemand den Weg hierher findet.« Seine Stimme klang hart und entschieden. »Also, junger Mann, was erwarten Sie von mir?«

»Zunächst vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen«, begann Jarowski, wurde aber sofort unterbrochen.

»Zeit hab ich eigentlich keine, kommen Sie deshalb zur Sache.«

Temming nahm zufrieden zur Kenntnis, dass er sein Gegenüber offenbar eingeschüchtert hatte. Oder war das gespielt? Dem Kerl traute er alles zu.

Jarowski spielte nervös mit seinen Fingern. »Ich werde gemobbt«, rang er sich zu einer direkten Antwort durch. »Über mich werden Gerüchte und Lügen verbreitet …«

»… die natürlich nicht stimmen«, fuhr ihm Temming barsch über den Mund. »Es stimmt also nicht, dass Sie als Aktivist irgendeiner ultralinken Organisation öffentlich gegen die Chemieindustrie Stimmung machen?«

»Nein«, erwiderte Jarowski trotzig. »Deshalb bin ich hier. Ich möchte betonen, dass ich zu keiner Zeit …«

Wieder ließ ihn Temming nicht ausreden: »Sie wollen also behaupten, alles, was Ihr Teamleiter recherchiert hat, sei Lug und Trug. Dass er sich demnach alles aus den Fingern gesogen hat, um Sie loszuwerden.«

»So scharf würde ich das nicht formulieren.« Jarowski wurde kleinlaut.

»Wie dann? Sie bringen doch gerade zum Ausdruck, dass Herr Mulzenbach – das ist ja wohl Ihr Teamleiter – ein Lügner ist.«

»Es liegt mir fern …«

Temming war fest entschlossen, keine Widerrede zuzulassen: »Herr Jarowski, entschuldigen Sie bitte, aber was erwarten Sie von Ihrem ziemlich kühnen Vorstoß bei mir? Dass ich sage, ich hätte Verständnis für Ihre – mit Verlaub gesagt – etwas merkwürdige Freizeitbeschäftigung, bei der Sie wohl alles daran setzen, Ihren Arbeitgeber in Misskredit zu bringen? Soll ich sagen: Schön, dass Sie sich für die Umwelt stark machen, zu deren Erhalt im Übrigen die chemische Industrie auch einen Beitrag leistet? Oder haben Sie vergessen, wie unsere Ernten aussähen, wenn wir nicht Unkraut und Schädlinge bekämpfen könnten?«

»Das will ich doch gar nicht bestreiten, aber …«

»Nichts aber!«, wurde Temming noch deutlicher. »Wenn es da ein Aber gibt, dann gibt es nur eines, Herr Jarowski: Sie verlassen unser Unternehmen.«

Jarowski umklammerte die Armlehnen seines Stuhles, als müsse er inneren Druck ablassen. »Sie wollen damit sagen, dass …«

»… dass Sie zum nächstmöglichen Termin entlassen sind. Und ich möchte nicht auch noch aufgedeckt bekommen, dass durch Sie interne Papiere nach außen gedrungen sind.«

Jarowski sprang auf. »Sie wollen mir auch noch Betriebsspionage andichten?«

Temming blieb gelassen. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Aber da könnten sehr schnell auch Schadensersatzforderungen im Raum stehen.« Er räusperte sich. »Also, Herr Jarowski. Ich betrachte unser Gespräch als beendet. Selbstverständlich steht es Ihnen frei, mit Hilfe Ihrer Gewerkschaft oder eines Anwalts gegen uns vorzugehen.«

Jarowski schien es die Sprache verschlagen zu haben. Er stand vor dem Tisch wie ein Schuljunge, den der Rektor gerade zurechtgewiesen hatte.

Temming überlegte, ob diese Reaktion gespielt oder echt war. Er legte nach: »Sie sollten sich aber rechtliche Schritte genau überlegen, denn – wie gesagt – es könnte bittere Folgen für Sie haben.«

Jarowski schwankte zwischen unbändigem Zorn, maßloser Enttäuschung und eingeschüchtertem Verhalten.

»Sie können gehen«, schnarrte ihm die Stimme entgegen. Unpersönlich, gnadenlos.

Das wirst du mir büßen, dachte Jarowski und verließ wortlos und türeschlagend das Chefbüro.

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