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Orangen

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Bevor er nach dem Unterricht nach Hause fuhr, er beeilte sich, das Schulgelände zu verlassen, ohne Frau Michelbach noch einmal zu begegnen, er wollte es nicht übertreiben, fuhr er bei dem türkischen Obst- und Gemüsehändler vorbei, um Orangen zu kaufen. Lenzendorf kaufte gern ein, wenn er wusste, was er wollte. Und bei Ilhans Istanbul Palace brauchte er nicht warten. Hier kaufte er auch anderes Obst und Gemüse. Hin und wieder auch Lamm und frischen Knoblauch. Er mochte Knoblauch nicht nur wegen seines Geschmacks, sondern auch wegen seines Geruchs, er hielt einem Menschen vom Leib.

Im Supermarkt kaufte er nicht gern ein, weil er da zu vielen Menschen begegnete, nicht nur denen, die er nicht kannte, sondern auch die vielen, die ihn kannten, die ihn von der Schule kannten. Als Lehrer eines Gymnasiums war man Teil des öffentlichen Lebens, ob man wollte oder nicht. Lenzendorf wusste, dass er es nicht wollte.

Aber das hatte er erst herausgefunden, als es bereits zu spät war. Er wusste jedoch nicht, ob er sich anders entschieden hätte, wenn er es vorher gewusst hätte, dass er manche Menschen eben nicht besonders ... mochte ... aber, dass musste er zu seiner Verteidigung sagen, viele machten es ihm sehr leicht, sie nicht zu mögen.

Er hasste es vor einem Regal oder an der Kasse von der Seite angesprochen zu werden. Sobald er in der Öffentlichkeit war, war Lenzendorf keine Privatperson mehr, sondern in einer kleinen Stadt wie Bad Langenhagen war er sofort, wenn er das Haus verlassen hatte, der Lehrer Herr Lenzendorf vom Gymnasium. Darauf hatte ihn im Studium und im Referendariat niemand vorbereitet, dass man als Lehrer eine Person des öffentlichen Lebens war. Erschwerend kam hinzu, dass viele Eltern vollkommen unsensibel und distanzlos und schamlos waren. Das galt nicht nur für zufällige Begegnungen auf der Straße oder beim Einkaufen. Die Leute, deren Kinder er unterrichtete, erzählten ihm ungefiltert und schamlos Dinge über ihre Kinder und über sich selbst, die ihn nicht nur nicht interessierten, sondern die er abstoßend und widerlich fand. Er wollte das meiste davon nicht wissen und er hasste es, diese Informationen dann doch zu haben. Nein, eigentlich wollte er nichts von dem hören und wissen ... nichts.

Viele kannten kein Grenzen und wollten Lenzendorf als Gesprächshure benutzen. Sie ließen alle Hemmungen fallen und enthüllten sich auf schamlose Art und Weise, sie waren dann vollkommen schmerzfrei und hemmungslos ... und diese Informationen waren dann in seinem Kopf und blockierten Platz für andere Gedanken ...

Warum nur tun die das, fragte sich Lenzendorf dann und schüttelte innerlich den Kopf.

Doch Lenzendorf scheute sich nicht, wenn es zwingend notwendig war, den Leuten ihren Platz im Universum aufzuzeigen ... ihre Bedeutung für das große Ganze. Es war schmerzlich für die meisten, aber unvermeidbar ... ihnen zu zeigen und zu erklären, wie unbedeutend ihr Kind und sie selbst waren ... im großen und ganzen Universum ... ein Sandkorn und ein anderes am Strand ...

Ob Lenzendorf dafür immer die passenden Worte fand, wusste er nicht wirklich. Manche dieser Gespräche fanden kein wirkliches und einvernehmliches Ende ... wenn Eltern einfach das Klassenzimmer verließen und irgendwelche Unflätigkeiten vor sich hin flüsterten oder auch schon einmal schrien ... blieb er ganz ruhig. Meistens.

Andererseits hatte es auch den Vorteil, dass die meisten Leute ihn in seiner Rolle als Lehrer wahrnahmen. Dass er ein Privatleben hatte, trat meist in den Hintergrund. Er wurde zumeist als Lehrer angesprochen, selten als Eric Lenzendorf.

Und: Sein Privatleben ging niemanden etwas an.

Das hatte wirklich Vorteile.

Im Istanbul Palace fand er, was er brauchte.

An diesem Mittwoch Orangen.

Alles andere kam am Freitag zu ihm, freiwillig und durchdrungen von Erwartungen, Verlangen und Erregung.

Und hier im Istanbul Palace unterhielt man sich nicht einmal über das Wetter.

Wie angenehm.

Lächelnd verließ er den Markt.

Lenzendorfs Komfortzone

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