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Die Philosophen und der Sex

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Foucault und andere identifizieren zwei Probleme, mit denen sich Philosophen in der Antike beschäftigen: die natürliche Kraft des sexuellen Begehrens mit der daraus folgenden Neigung zum Exzess und die Machtbeziehungen, die sich aus der Aufteilung in die aktive und die passive Rolle ergeben.31 Das erste Problem führt zur Formulierung eines Ideals der Mäßigung innerhalb einer weitgefächerten Ästhetik der Existenz. Mäßigung kann, wie man glaubte, durch eine Lebensweise erreicht werden, die Diät, Bewegung und verschiedene Praktiken der Selbstdisziplin umfasst. Das zweite Problem führt zur Regulierung von Liebe und Sex zwischen Männern und Jünglingen. Aktive und passive Rollen sind kein Problem in Beziehungen erwachsener Männer zu Frauen oder Sklaven, denn die untergeordnete passive Rolle wird für Frauen – auch Ehefrauen – und für Diener oder Sklaven als selbstverständlich angesehen. Für Knaben kann diese Rolle jedoch ein Problem sein, da sie zumindest potenziell den erwachsenen Männern ebenbürtig sind. Einige Philosophen (zum Beispiel Demosthenes32) schlagen deshalb vor, das Alter der jugendlichen Liebhaber sowie die Umstände und Ziele ihrer Beziehungen zu Männern zu regulieren. Andere (zum Beispiel Platon33) ziehen die Transzendierung des Begehrens und letztlich die Abschaffung körperlicher Liebe in erotischen Beziehungen zwischen Männern und Knaben vor.

Aspekte des griechischen und römischen Denkens über den Sex, die über die Jahrhunderte großen Einfluss entfalten, sind das Misstrauen gegenüber dem sexuellen Begehren und die Unterordnung der sexuellen Lust unter andere Lüste, was mit dem niedrigen Status des Körpers im Vergleich zur Seele korrespondiert. Sex wird nicht als an sich böse angesehen, aber als potenziell gefährlich: nicht nur im Exzess, sondern auch wegen seiner natürlichen Gewalt (der Orgasmus wird manchmal als Form des epileptischen Anfalls beschrieben) und wegen der mit ihm verbundenen Verausgabung (man schreibt ihm eine schwächende Wirkung insbesondere auf Männer zu – daher das Verbot sexueller Betätigung von Soldaten vor einer Schlacht). Und schließlich ist da seine Verbindung zum Tod (der Akt der Fortpflanzung gemahnt an die eigene Sterblichkeit).34

Die Pythagoreer im 6. Jahrhundert v. Chr. verfechten die Reinheit des Körpers um der Seele willen. Ihr Einfluss macht sich besonders im späteren Denken von Sokrates und Platon bemerkbar. Platon distanziert sich zwar von einer generellen Ablehnung körperlicher Lust, macht aber einen sorgfältigen Unterschied zwischen niedrigen und höheren Lüsten und siedelt die sexuelle Lust bei den niedrigen an.35 Obwohl das Begehren beherrscht werden muss, befürwortet Platon die Entfesselung und nicht die Zurückhaltung der Macht des Eros (in ihren höchsten Ausprägungen), um den menschlichen Geist mit dem Guten, Schönen und Wahren zu vereinen. Sofern körperliche Freuden in diesem Streben genossen werden, ist nichts gegen sie einzuwenden. Aber Platon glaubt, dass der Geschlechtsverkehr die Macht des Eros mindere, höhere Wirklichkeiten zu betrachten und zu lieben; letzten Endes behindere er sogar den Austausch von Zärtlichkeit und Respekt in Liebesbeziehungen.

Auch Aristoteles unterscheidet niedrige und höhere Lüste, wobei er die Lust des Berührens am unteren Ende der Skala ansiedelt, weil sie mit den Tieren geteilt wird.36 Weniger weltabgewandt als Platon befürwortet Aristoteles beim Sex eher die Mäßigung als die Transzendenz. Die höchsten Formen von Freundschaft und Liebe scheinen jedoch sexuelle Aktivität oder auch nur den platonischen Eros nicht mehr zu benötigen.37 Aristoteles liegt die Vorstellung der Gleichheit oder Gegenseitigkeit in Beziehungen zwischen Frauen und Männern fern, und er lehnt den utopischen Entwurf dazu ab, den Platon in der Politeia und den Nomoi vorstellt.

Von allen griechisch-römischen Philosophien hat der Stoizismus vermutlich die größte Auswirkung auf spätere Entwicklungen gezeitigt. Musonius Rufus, Epiktet, Seneca und Mark Aurel zum Beispiel vertreten entschieden die Ansicht, dass der menschliche Wille die Kraft habe, die Emotionen zu regulieren, und halten eine solche Regulierung um des inneren Friedens willen für wünschenswert. Sie halten sexuelles Begehren genau wie die Gefühle von Angst und Wut für an sich irrational, störend und anfällig für den Exzess. Deshalb muss es, wie sie sagen, abgemildert und in ein größeres Ganzes der menschlichen Erfahrungen und Absichten eingebettet werden. Niemals sollte ihm um seiner selbst willen gefrönt werden, sondern nur insofern, als es einem rationalen Zweck diene und dadurch auf sein wahres Ziel gerichtet sei – die Zeugung von Nachkommen. Folglich ist der Geschlechtsverkehr selbst in der Ehe nur moralisch gut, wenn er der Fortpflanzung dient.38 Später wird man dies als die »prokreative Norm« für den Sex bezeichnen.

Mit den späteren Stoikern taucht nach Foucault die »Konjugalisierung« der sexuellen Beziehungen auf.39 Das heißt, das sexuelle Begehren folgt einem fundamentalen natürlichen Drang nicht nur zur Fortpflanzung, sondern auch zur Gemeinschaft der Ehepartner. In der Folge entwickelt sich die Norm: »Kein Sex außerhalb der Ehe«. Die Ehe wird zum zentralen Ort, an dem Selbstbeherrschung und ein tugendhaftes Leben praktiziert werden. Sie wird als natürliche Pflicht angesehen, von der es nur unter besonderen Umständen Ausnahmen gibt, etwa wenn jemand die Verantwortung des Lebens als Philosoph auf sich nimmt. Plutarch vertritt später die Position, dass die Ehe, nicht homosexuelle Beziehungen, der primäre Ort der erotischen Liebe und Freundschaft sei.40

Im Großen und Ganzen gehört gerade die freie Sexualität, die das alte Griechenland charakterisiert, nicht zum griechisch-römischen Vermächtnis an die Nachwelt. Die vorherrschenden Themen, die in den späteren Traditionen aufgegriffen werden, haben mit Misstrauen und Kontrolle zu tun. Weder den griechischen noch den römischen Denkern ist es gelungen, die Sexualität mit den tiefsten Erkenntnissen über menschliche Beziehungen in Einklang zu bringen. Ob dies im Prinzip überhaupt möglich ist, war auch für andere Traditionen eine unausgesprochene Frage.

Verdammter Sex

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