Читать книгу Vom Winde verweht - Маргарет Митчелл - Страница 4

ERSTES BUCH

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Scarlett O'Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarleton, so wurden sie dessen meist nicht gewahr. Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die zarten Züge ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben Linien ihres urwüchsigen irischen Vaters ab. Dieses Antlitz mit dem spitzen Kinn und den starken Kiefern machte stutzen. Zwischen den strahlenförmigen schwarzen Wimpern prangte ein Paar blaßgrüner Augen ohne eine Spur von Braun. Die äußeren Winkel zogen sich ein klein wenig in die Höhe, und auch die dichten, schwarzen Brauen darüber verliefen in einer scharf nach oben gezogenen schrägen Linie von jener magnolienweißen Haut, die in den Südstaaten so geschätzt und von den Frauen Georgias mit Häubchen, Schleiern und Handschuhen ängstlich vor der sengenden Sonne geschützt wird. Reizend war der Anblick dieses Mädchens, wie es an einem sonnigen Aprilnachmittage des Jahres 1861 auf Tara, der Plantage ihres Vaters, mit Stuart und Brent Tarleton im kühlen Schatten der weiten offenen Veranda vor der Eingangstür des Hauses saß. Ihr neues Kleid aus grün geblümtem Musselin paßte genau zu den niedrigen grünen Maroquinschuhen, die ihr Vater ihr kürzlich aus Atlanta mitgebracht hatte. Zwölf Meter dieses duftigen Gewebes umbauschten mit der Krinoline ihre Hüften, so daß die ganze Schlankheit einer Taille, die in der Provinz ihresgleichen suchte, zur Geltung kam. Das knapp sitzende Mieder umschloß eine für Scarletts sechzehnjährige Jugend wohlgerundete Brust. Aber was halfen die Fülle des Kleides, das glatt zurückgestrichene Haar, der sauber im Netz festgehaltene Knoten, die Ruhe, mit der die kleinen weißen Hände im Schoß gefaltet lagen. Hinter so viel Sittsamkeit verbarg sich nur mühsam ihre wahre, unbändige Natur. In den grünen Augen blitzte und trotzte es und hungerte nach Leben, so wenig der mit Bedacht gehütete sanfte Gesichtsausdruck und die ehrbare Haltung es auch zugeben wollten. Das Benehmen war ihr von ihrer Mutter in milden Ermahnungen, von ihrer Amme in weit strengerer Zucht beigebracht worden. Die Augen aber waren ihr eigen.

Zu ihrer Rechten und Linken lagen lässig in ihre Sessel zurückgelehnt die beiden Tarletons. Durch die hohen Gläser voll Pfefferminz- Whisky blinzelten sie in die Sonne, lachten und schwatzten vergnügt und hatten die langen, vom Reiten gestählten, bis ans Knie gestiefelten Beine bequem übereinandergeschlagen. Beide waren sie neunzehn Jahre alt und übersechseinhalb Fuß hoch, hatten lange Knochen und feste Muskeln, sonnverbrannte Gesichter, kastanienrotes Haar und lustige, herrische Augen; beide steckten in den gleichen blauen Jacken und senffarbenen Reithosen und glichen einander wie eine Baumwollkapsel der anderen. Draußen sandte die späte Nachmittagssonne schräge Strahlen auf den Parkrasen vor dem Haus und übergoß die Ligustersträucher mit prangendem Licht, ein undurchdringliches weißes Blütenmeer vor dem saftigen Grün. Die Pferde der Zwillinge, große Tiere und ebenso rot wie das Haar ihrer Herren, waren in der Einfahrt angebunden. Zwischen ihren Beinen balgte sich eine Meute nervöser, magerer Jagdhunde, die Stuart und Brent auf Schritt und Tritt begleiteten. Etwas abseits, wie es sich für einen Aristokraten gehört, lag ein schwarz gesprenkelter Dalmatiner, die Schnauze auf den Pfoten, und wartete geduldig darauf, daß die jungen Herren zum Abendbrot nach Hause ritten.

Zwischen Hunden, Pferden und Zwillingen bestand eine tiefere Verwandtschaft, als sie aus beständigem Zusammensein hervorgehen kann. Alle miteinander waren es gesunde, temperamentvolle junge Tiere von geschmeidiger Anmut und unbeschwert von Gedanken, die Burschen ebenso reizbar wie die Pferde, die sie ritten, feurig und gefährlich und dabei fügsam, sobald jemand mit ihnen umzugehen verstand.

0bwohl sie in der Sorglosigkeit des Plantagenlebens geboren und seit frühester Kindheit nie ohne Bedienung gewesen waren, hatten die drei auf der Veranda weder schlaffe noch weiche Gesichter. Es lag etwas von der Kraft und Wachheit der Landleute darin, die ihr ganzes Leben im Freien zubringen und sich den Kopf wenig mit dem Gewicht der Bücher beschweren.

In der Provinz Clayton, im nördlichen Georgia, waren die Lebensformen nach Maßstäben von Augusta, Savannah und Charleston etwas rauh, und gesetztere ältere Kreise des Südens blickten sehr von oben herab auf die Leute von 0ber-Georgia; aber hier im Norden des Staates waren Mängel in den Feinheiten klassischer Erziehung keine Schande, wenn man nur schneidig in dem war, worauf es ankam: eine tadellose Baumwolle züchten, gut reiten, sicher schießen, gewandt tanzen, den Damen elegant den Hof machen und wie ein Gentleman seinen Schnaps vertragen.

In allen diesen Künsten waren die Zwillinge ebenso Meister wie in der schon berüchtigten Findigkeit, mit der sie allem, was zwischen Buchdeckeln beschlossen ist, aus dem Wege zu gehen wußten. Ihre Familie hatte mehr Geld, mehr Pferde und Sklaven als alle anderen in der Provinz, aber sie, die Söhne, wußten von der Grammatik weniger als die mittellosen weißen Kleinfarmer und Trapper aus der Nachbarschaft.

Und gerade darum stahlen Stuart und Brent an jenem Aprilnachmittag zu Tara ihrem Herrgott die Zeit. Sie waren soeben von der Staatsuniversität Georgias ausgewiesen worden, der vierten Universität, die sie im Laufe zweier Jahre hinausgeworfen hatte, und ihre beiden älteren Brüder Tom und Boyd waren mit ihnen heimgekommen, weil sie in einer Anstalt, wo die Zwillinge nicht gern gesehen wurden, nicht bleiben wollten. Stuart und Brent betrachteten ihre letzte Relegation als einen Hauptspaß, und Scarlett, die freiwillig kein Buch geöffnet, seitdem sie im Jahre vorher die Töchterschule in Fayetteville verlassen hatte, fand es gerade so lustig wie sie.

»Euch beiden macht es doch nichts aus, daß ihr hinausgeworfen seid, und Tom auch nicht«, sagte sie, »aber wie steht es mit Boyd? Er ist doch wohl auf Bildung versessen, und ihr beide habt ihn nun von den vier Universitäten der Staaten Virginia, Alabama, Südcarolina und Georgia vertrieben. In diesem Tempo wird er niemals fertig.«

»0h, er kann ja drüben in Fayetteville in Richter Parmalees Büro weiterstudieren«, antwortete Brent obenhin. »Übrigens, was liegt daran, wir hätten ohnehin vor Semesterschluß nach Hause g emußt.«

»Warum denn?«

»Wegen des Krieges, Gänschen. Er kann jeden Tag losgehen, und glaube doch nicht, daß irgend jemand von uns weiterstudiert, wenn es Krieg gibt.« »Du weißt ganz genau, daß es keinen Krieg gibt!« Scarlett langweilte sich. »Das ist alles nur Gerede. Ashley Wilkes und sein Vater haben Pa doch gerade vorige Woche erzählt, daß unsere Unterhändler in Washington wegen der Konföderierten Staaten mit Mr. Lincoln zu einem ... einem Freundschaftsvergleich kommen würden, und überhaupt haben die Yan kees viel zu große Angst, mit uns zu kämpfen. Es gibt keinen Krieg, und ich habe es satt, davon zu hören.«

»Keinen Krieg?« Die Zwillinge waren entrüstet, als sollte ihnen etwas, was ihnen zustand, unterschlagen werden.

»Aber Kind, natürlich gibt es Krieg«, sagte Stuart, »die Yankees mögen noch so bange vor uns sein, aber nachdem General Beauregard sie vorgestern aus Fort Sumter hinausgetrommelt hat, müssen sie einfach kämpfen, wenn sie nicht vor aller Welt als Feiglinge dastehen wollen. Siehst du, die Konförderierten Staaten ...«

Scarlett langweilte sich sehr und verzog vor Ungeduld den Mund.

»Wenn ihr noch einmal >Krieg< sagt, gehe ich ins Haus und mache die Tür zu. Nie im Leben habe ich ein Wort so satt gehabt. Pa redet morgens, mittags und abends davon, und alle die Herren, die ihn besuchen, schwatzen von Fort Sumter und dem Recht der Staaten und Abe Lincoln, daß es zum Auswachsen ist, und auch die Jungens reden nur davon und von ihrer dummen Truppe. Ich habe mich auf

keiner Gesellschaft mehr amüsiert, weil die Jungens von nichts anderem mehr reden können. Ich bin nur froh, daß Georgia mit seiner Lostrennung bis nach Weihnachten gewartet hat, sonst wäre mir die Weihnachtsgesellschaft auch noch verleidet worden. Wenn ihr wieder >Krieg< sagt, geheich hine in.«

Es war ihr voller Ernst. Sie konnte keine Unterhaltung lange ertragen, in der sie nicht der Hauptgegenstand war. Aber doch lächelte sie zu ihren Worten und wußte es dabei wohl einzurichten, daß ihre Grübchen noch tiefer wurden und ihre schwarzen Strahlenwimpern flink wie Schmetterlingsflügel aufund nieder klappten. Die Jungens waren entzückt und baten eilends um Entschuldigung, daß sie sie gelangweilt hatten. Angesichts solcher Teilnahmslosigkeit schätzten sie Scarlett keineswegs geringer, sondern eher noch höher. Der Krieg war Sache des Mannes, nicht der Frau, und Scarletts Verhalten war ihnen ein Beweis für ihre weibliche Natur.

So hatte sie sie glücklich von dem langweiligen Thema wegmanövriert und kam nun voller Eifer auf die unmittelbare Gegenwart zurück: »Was hat eure Mutter dazu gesagt, daß ihr wieder geflogen seid?« Den beiden war diese Frage sichtlich unbehaglich. Ihnen fiel wieder ein, wie ihre Mutter sich vor einem Vierteljahr verhalten hatte, als sie von der Universität Virginia weggemußthat ten.

»Nun«, sagte Stuart, »sie hatte noch gar keine Gelegenheit, etwas zu sagen. Tom ist heute morgen ganz früh, ehe sie aufstand, mit uns weggegangen und sitzt nun bei Fontaines herum, während wir hier sind.«

»Hat sie nichts gesagt, als ihr gestern nach Hause kamt?«

»Gestern abend hatten wir Glück. Gerade ehe wir einliefen, war der neue Hengst angekommen, den Ma vor vier Wochen in Kentucky gekauft hatte, und zu Hause stand alles auf dem Kopf. Das Riesenvieh - ein fabelhaftes Pferd, Scarlett, dein Vater muß herüberkommen und es sich ansehen - hatte auf dem Weg hierher schon dem Stallknecht ein großes Stück Fleisch weggebissen, und zwei von den Schwarzen, die es in Jonesboro von der Bahn holten, hatte es geschlagen. Und gerade, ehe wir ankamen, hatte der Hengst ungefähr seine ganze Box zerkeilt und dann noch Strawberry, Ma's alten Hengst, schwer verletzt. Als wir kamen, war Ma mit einer Tüte voll Zucker draußen im Stall, um ihn zu beruhigen, und das versteht sie, kann ich dir sagen. Die Schwarzen baumelten von den Dachsparren herunter, und die Augen quollen ihnen vor lauter Angst aus dem Kopf, aber Ma redete dem Pferde zu, als wäre es ein Mensch, und es fraß ihr aus der Hand. Niemand wird mit Pferden fertig wie Ma. Als sie uns sah, sagte sie: >Um Himmels willen, was macht ihr vier denn wieder zu Hause, ihr seid ja ärger

als die zehn Plagen Ägyptens!< Und dann fing das Pferd wieder an zu schnauben und zu steigen, und sie sagte: >Raus hier, seht ihr denn nicht, wie nervös er ist? Um euch kümmere ich mich morgen früh!< Wir gingen also zu Bett, und heute morgen waren wir schon weg, ehe sie uns erwischen konnte, und ließen Boyd zurück, ummit ihr fertig zu werden.«

»Meinst du, sie schlägt Boyd?« Scarlett konnte sich, wie die ganze übrige Nachbarschaft, nie an die Art gewöhnen, wie die kleine Mrs. Tarleton mit ihren großen Jungens umsprang und ihnen sogar eins mit der Reitpeitsche überzog, wenn es ihr angebracht erschien.

Beatrice Tarleton war eine vielbeschäftigte Frau. Sie hatte nicht nur eine der größten Baumwollplantagen, hunderte Farbige und acht Kinder auf dem Hals, sondern obendrein die größte Gestütfarm des Staates. Sie war von heftiger Gemütsart und geriet leicht in Zorn, wenn ihre Söhne etwas ausfraßen, und während niemand ein Pferd oder einen Sklaven schlagen durfte, war sie der Überzeugung, den Jungens könnten ein paar Hiebe dann und wann nichts schaden.

»Auf keinen Fall schlägt sie Boyd, den hat sie nie viel geschlagen, weil er der Älteste ist und außerdem der Kleinste aus dem Wurf.« Stuart war sehr stolz auf seine sechseinhalb Fuß. »Darum haben wir ihn ja gerade zu Hause gelassen, damit er ihr die Sache erklärt. Zum Teufel, Ma sollte uns nicht mehr verhauen, wir sind neunzehn und Tom einundzwanzig, und sie geht mit uns um, als wären wir sechsjährige Kinder.«

»Reitet eure Mutter morgen den neuen Hengst zum Gartenfest bei Wilkes?«

»Sie möchte schon, aber Pa findet es zu gefährlich. Außerdem erlauben es ihr die Mädchen nicht, sie meinen, sie sollte wenigstens einmal auf eine Gesellschaft im Wagen fahren wie eine Dame.«

»Hoffentlich regnet es morgen nicht«, sagte Scarlett, »eine Woche lang hat es nun fast täglich geregnet. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Gartenfest, aus dem ein Picknick im Hause wird.«

»0h, morgen ist es klar und heiß wie im Juni«, sagte Stuart. »Sieh dir doch den Sonnenuntergang an, so rot habe ich noch keinen gesehen. Nach demSonnenuntergang läßt sich immer das Wetter voraussagen.«

Sie blickten hinaus auf die endlosen Morgen frisch gepflügter Baumwollfelder vor dem roten Horizont - Gerald 0'Haras Eigentum. Als die Sonne blutigrot hinter den Bergen jenseits des Flintflusses langsam niedersank, verebbte der warme Apriltag in einem schwachen, fast wohltuenden Frösteln.

Der Frühling war früh gekommen dieses Jahr, mit warmen belebenden

Regengüssen, unter denen die Pfirsichbäume zu lauter rosa Blüten aufgeschäumt waren und die Ligusterbüsche die dunklen Flußufer und die fernen Hügel mit weißen Sternen übersprühten. Das Land war fast fertig gepflügt, und die blutrote Pracht des Sonnenuntergangs färbte die frischen Furchen in der roten Erde Georgias immer noch röter. Der feuchte aufgewühlte Boden hungerte nach Baumwollsamen, der sandige Grat der Furchen leuchtete rosig, an der beschatteten Seite glühte es Scharlachund kastanienfarbig. Das weiß verputzte Backsteinhaus lag wie eine Insel in dem wilden roten Meer, zwischen züngelnden, schwellenden, sich bäumenden Wogen, die in dem Augenblick, da ihr rosa gesprenkelter Kamm in Gischt aufbranden wollte, versteint waren. Hier gab es nicht die langen, geraden Furchen wie in den gelben Lehmfeldern des flachen Mittel - Georgia oder in der lockeren Erde der Küstenplantagen. Das wellige Land in den Vorbergen Nord-Georgias wurde in Millionen Kurven gepflügt, damit der schwere Boden nicht in die Sümpfe am Fluß geschwemmt werde. Das Land war von beängstigender Röte: nach Regenfällen rot wie Blut, in der Dürre verwandelt in ziegelfarbenen Staub - der beste Baumwollboden der Welt. Es war ein liebliches Gelände mit weißen Häusern, friedlich gepflügten Feldern und trägen gelben Flüssen, doch ein Land voller Gegensätze, von blendendstem Licht und tiefstem Schatten. Die Rodungen für die Plantagen, die meilenweiten Baumwollfelder lächelten gelassen zur heißen Sonne empor. Am Rande ragten die Urwälder, dunkel und kühl selbst am heißesten Mittag, geheimnisvoll, unheimlich fast. Die säuselnden Pechkiefern warteten in zeitloser Geduld und drohten wie mit leisen Seufzern: Habt acht! Habt acht! Einst wart ihr unser, wir können euch wieder holen!

Den drei jungen Leuten vor der Haustür schlug Hufgetrappel, das Klirren von Geschirrketten und schrilles Kinderlachen von Stimmen der Farbigen ans 0hr, als die Knechte mit den Maultieren vom Felde kamen. Aus dem Hause schwoll die sanfte Stimme von Scarletts Mutter Ellen 0'Hara heraus, wie sie dem kleinen schwarzen Mädchen rief, das ihren Schlüsselkorb trug. Die hohe Kinderstimme antwortete: »Jawohl, Missis!«, und sie hörte Schritte von der Hintertüre nach dem Räucherhause gehen, wo Ellen um diese Zeit den heimkommenden Knechten das Abendbrot zuteilte. Porzellan klirrte, Bestecke klapperten - Pork, der Diener auf Tara, deckte den Tisch zum Abendessen.

Die Zwillinge merkten, daß es an der Zeit war, nach Hause zu gehen; aber sie hatten durchaus kein Verlangen danach, ihrer Mutter unter die Augen zu treten, und konnten sich von der Hoffnung, Scarlett werde sie zumAbendessen einladen, noch immer nicht trennen.

»Hör mal, Scarlett«, sagte Brent, »daß wir weg waren und von dem

Gartenessen und dem Ball nichts wußten, ist noch lange kein Grund, daß du für morgen abend nicht einen Haufen Tänze für uns freihältst. Du hast doch nicht etwa alle vergeben?«

»Doch, das habe ich! Wie sollte ich wissen, daß ihr alle zu Hause sein würdet? Sollte ich es euretwegen darauf ankommen lassen, Mauerblümchen zu spielen?«

»Du - ein Mauerblümchen!« Die Burschen lachten schallend. »Faß auf, Goldkind, mir mußt du den ersten Walzer geben und Stu den letzten, und dann mußt du mit uns zu Tisch gehen, wir setzen uns auf den Treppenabsatz wie auf dem letzten Ball, und Mammy Jincy muß wieder kommen und uns wahrsagen.«

»Mammy Jincys Wahrsagungen mag ich aber nicht, sie prophezeite mir einen Mann mit kohlschwarzem Haar und langem, schwarzem Schnurrbart, und ich mag keine schwarzen Männer.«

»Aber rothaarige, was?« grinste Brent. »Komm, versprich uns sämtliche Walzer und das große Abendessen.«

»Wenn du sie uns versprichst, sagen wir dir ein Geheimnis«, sagte Stuart.

»Was?«Scarlett horchte auf wie ein kleines Kind.

»Meinst du, was wir gestern in Atlanta gehört haben, Stu? Aber wir haben versprochen, es nicht zu erzählen.«

»Nun ja, aber Miß Pitty hat es uns doch auch gesagt.«

»Miß wer?«

»Ashley Wilkes' Cousine, die in Atlanta lebt, Miß Pittypat Hamilton, Charles und Melanie Hamiltons Tante.«

»Ich weiß schon, die albernste alte Dame, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

»Als wir gestern in Atlanta waren und auf den Zug warteten, fuhr sie am Bahnhof vorbei, ließ halten und sprach mit uns. Sie hat uns erzählt, daß morgen abend auf dem Ball bei Wilkes eine Verlobung verkündet werden soll.«

»Ach, das weiß ich längst«, sagte Scarlett enttäuscht »Ihr langweiliger Neffe, dieser Charley Hamilton, und Honey Wilkes; seit Jahren weiß das jedermann, wenn er die Sache auch etwas lau betrieben hat.«

»Findest du ihn denn langweilig?« wollte Brent wissen, »Weihnach ten hast du ihn reichlich umdich herumschwänzeln lassen.«

»Was soll ich machen, wenn er schwänzelt«, Scarlett zuckte gleichgültig

die Achseln. »Ich finde, er ist ein richtiger Waschlappen.«

»Übrigens soll gar nicht seine Verlobung verkündet werden«, triumphierte Stuart, »sondern Ashleys mit Charlies Schwester, Miß Melanie!«

In Scarletts Gesicht veränderte sich nichts, nur ihre Lippen wurden weiß wie bei jemandem, der unvorbereitet einen betäubenden Schlag empfängt und im ersten Augenblick des Schreckens nicht faßt, was ihm geschieht.

Sie sah Stuart so groß und still an, daß er sie einfach für überrascht und interessiert hielt und sich nichts dabei dachte. Ein Seelenkenner war er nie gewesen.

»Miß Pitty sagte, sie hätten gar nicht die Absicht gehabt, es dieses Jahr noch zu veröffentlichen, denn es sei Miß Melly nicht besonders gut gegangen. Aber bei all den Kriegsgerüchten seien beide Familien für baldige Heirat gewesen, darum soll es morgen abend verkündet werden. Also, nun haben wir dir das Geheimnis gesagt, und du mußt uns versprechen, mit uns zu Tisch zu gehen.«

»Natürlich«, antwortete Scarlett mechanisch.

»Und auch alle Walzer?«

»Alle.«

»Süß von dir! Paß auf, die anderen gehen in die Luft! Wetten?«

»Laß sie«, sagte Brent, »wir beide werden schon mit ihnen fertig. Hör mal, Scarlett, laß uns auch mittags beim Gartenessen zusammen sitzen.«

»Was meinst du?« Stuart wiederholte seine Bitte.

»Natürlich.«

Die Zwillinge sahen einander selig, aber doch einigermaßen überrascht an. 0bwohl sie sich als Scarletts begünstigte Verehrer betrachteten, hatten sie doch noch nie zuvor ihre Auszeichnungen so mühelos gewonnen. Gewöhnlich ließ sie sie betteln und flehen, hielt sie hin, sagte weder ja noch nein, lachte, wenn sie grollten, und wurde kühl, wenn sie sich erhitzten. Und nun hatte sie ihnen so gut wie den ganzen morgigen Tag versprochen. Den Platz an ihrer Seite beim Essen, jeden Walzer - und sie wollten schon dafür sorgen, daß jeder Tanz ein Walzer wurde. Das wog schon ihre Entfernung von der Universität auf.

Der Erfolg gab ihnen neuen Mut, sie blieben immer noch ein Weilchen, sprachen von dem Gartenfest und dem Ball, von Ashley Wilkes und Melanie Hamilton, fielen einander ins Wort, rissen Witze und lachten darüber und machten immer neue Anspielungen auf eine Einladung zum

Abendessen. So verging die Zeit, und erst allmählich fiel Scarletts

Schweigsamkeit ihnen auf. Die Stimmung hatte sich geändert; wie das gekommen war, wußten die Zwillinge nicht, aber der feine Glanz dieses Nachmittags war dahin. Scarlett achtete nicht auf das, was sie sagten, wenn sie auch richtige Antworten gab. Etwas war da, das sie nicht begriffen. Das war ihnen unbehaglich, sie schleppten die Unterhaltung noch eine Weile fort, dann standen sie auf und sahen nach der Uhr.

Die Sonne stand niedrig über den frisch gepflügten Feldern, jenseits des Flusses verdämmerten die schwarzen Umrisse des hohen Waldes. Mauerschwalben flitzten über den Hof, Küken, Enten und Truthühner kamen einzeln und zuhauf vom Feld stolziert und gewatschelt.

»Jeems!« klang Stuarts Ruf. Nach einer Pause kam ein langer schwarzer Junge etwa ihres Alters atemlos ums Haus herumgelaufen und rannte weiter zu den angebundenen Pferden. Jeems war ihr Leibsklave und wie die Hunde auf Schritt und Tritt in ihrer Nähe. Als Kind hatte er mit ihnen gespielt, und zu ihrem zehnten Geburtstag bekamen sie ihn als Eigentum geschenkt. Die Hunde der Tarletons sprangen aus dem roten Sta

ub auf und warteten ungeduldig auf ihre Herren. Die Zwillinge verbeugten sich, gaben Scarlett die Hand und versprachen, morgen rechtzeitig drüben bei Wilkes auf sie zu warten. Dann stiegen sie zu Pferde und galoppierten die Zedernallee hinunter. Sie winkten mit den Hüten und grüßten rufend zurück. Jeems folgte ihnen.

Als sie auf der staubigen Straße um die Ecke waren, wo man sie von Tara aus nicht mehr sehen konnte, hielt Brent sein Pferd an. Auch Stuart brachte seines zum Stehen, und der Junge hielt ein paar Schritt hinter ihnen. Sobald die Zügel sich lockerten, senkten die Pferde die Hälse, um im zarten Frühlingskraut zu grasen. Die geduldigen Hunde legten sich wieder in den weichen Staub und blickten verlangend nach den Schwalben, die durch die sinkende Dämmerung strichen. Brems breites offenes Gesicht war verwirrt und gelinde entrüstet.

»Du«, sagte er, »kam es dir nicht auch so vor, als hätte sie uns zum Abendesseneinladen wollen?«

»Mir schien, sie hatte es vor«, antwortete Stuart. »Ich habe immer darauf gewartet, aber sie tat es nicht. Verstehst du das?«

»Nein, und ich meine, sie hätte es ruhig tun sollen. Schließlich ist es unser erster Tag, und sie hat uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wir haben ihr doch noch so viel zu erzählen.«

»Mir schien, sie freute sich mächtig, als wir kamen.«

»Mir auch.«

»Und dann wurde sie plötzlich still, als ob sie Kopfweh hätte! «

»Ich habe es auch gemerkt, aber nicht weiter darauf geachtet. Was mag ihr gefehlt haben?«

»0b wir etwas gesagt haben, was sie geärgert hat?« Beide dachten scharf nach.

»Mir fällt nichts ein. Wenn Scarlett wütend ist, merkt man es immer sofort. Sie hält nicht an sich wie andere Mädchen.«

»Stimmt, das mag ich gern an ihr. Sie geht nicht mit verbissenem Gesicht umher, wenn sie wütend ist, sondern sagt, was los ist; aber irgend etwas müssen wir gesagt oder getan haben, was ihr in die Quere kam. Ich könnte schwören, daß sie eigentlich vorhatte, uns zumAbendessen dazubehalten.«

»Es kann doch wohl nicht deswegen sein, weil wir rausgeworfen worden sind?«

»Zum Teufel, sei nicht so dumm, sie hat sich doch ausgeschüttet vor Lachen, als wir davon erzählten, und außerdem gibt sie auf Bücher und Lernen nicht mehr als wir.«

Brent wandte sich im Sattel umund rief den farbigen Jungen: »Jeems!« »Master?«

»Hast du gehört, was wir mit Miß Scarlett sprachen?«

»Nein, nicht, Master Brent! Wie ich dazu kommen, bei Herrschaften spio nieren!«

»Mein Gott, spionieren! Ihr Schwarzen wißt doch über alles Bescheid, was vorgeht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, du Schuft, wie du dich um die Ecke geschlängelt und an der Mauer im Jasmingebüsch gesessen hast. Nun also, hast du irgend etwas gehört, was Miß Scarlett hätte wütend machen können?«

Als Jeems sich überführt sah, leugnete er nicht mehr und runzelte seine schwarze Stirn.

»Nein, ich gewiß nichts gehört, was sie wütend machen. Mir kam vor, sie freute sich, Masters zu sehen, und hatte Sie vermißt und zwitscherte lustig wie ein Vögelchen immer und immer, bis wo Masters auf Mr. Ashley und Miß Melly Hamilton kamen und daß sie sich heiraten wollten. Da sein Miß Scarlett auf einmal still wie Vogel, wenn oben der Habicht fliegt.«

Die Zwillinge sahen einander an und nickten, begriffen aber nichts.

»Jeems hat recht, aber das verstehe ich nicht«, sagte Stuart. »Mein Gott, Ashley ist ihr doch nicht mehr als ein Freund, in ihn verliebt ist sie nicht. Verliebt ist sie in uns.«

Brent nickte eifrig zust immend.

»Aber vielleicht«, sagte er, »hat Ashley ihr nichts davon erzählt, und nun ist sie wütend, weil sie es nicht eher erfahren sollte als die anderen Leute. Mädchen nehmen es immer krumm, wenn sie etwas nicht zuerst erfahren.«

»Mag sein, aber was ist denn dabei, es sollte doch eine Überraschung sein, und man hat doch wohl das Recht, seine eigene Verlobung geheimzuhalten.«

»Hätte Mellys Tante nicht geschwatzt, so wüßten wir auch nichts davon. Scarlett muß doch gewußt haben, daß er Miß Melly einmal heiraten will, das wissen wir ja seit Jahren. Wilkes und Hamiltons heiraten immer ihre eigenen Cousinen.«

»Ach was, ich gebe es auf, aber schade, daß sie uns nicht eingeladen hat. Ich sage dir, ich habe keine Lust, nach Hause zu gehen und Ma toben zu hören. Ja, wenn es die erste Ausweisung gewesen wäre!«

»Vielleicht hat Boyd sie inzwischen beruhigt Du weißt, wie geschickt der Kleine reden kann. Er beschwichtigt sie jedesmal.«

»Kann sein, aber es braucht Zeit, er muß im großen Bogen drum herumreden, bis es bei Ma so durcheinandergeht, daß sie es aufgibt und ihm sagt, er solle seine Stimme für die Anwaltspraxis schonen. Ich wette, Ma ist noch so aufgeregt über den Hengst, daß sie noch nicht einmal gemerkt hat, daß wir wieder da sind, bis sie sich heute abend zu Tisch setzt und Boyd sieht. Dann legt sie sich ins Zeug und speit Feuer. Dann wird es zehn, bis Boyd Gelegenheit hat, zu sagen, es wäre für uns unehrenhaft gewesen, zu bleiben, nachdem der Rektor so mit uns geredet hat. Und dann wird es Mitternacht, bis er sie herumkriegt und sie so wütend über den Rektor wird, daß sie Boyd fragt, warum er ihn nicht niedergeschossen hat. Nein, vor Mitternacht können wir nicht nach Hause.«

Die Zwillinge sahen einander trübselig an. Sie hatten nicht die geringste Angst vor wilden Pferden, Schießereien und dem Zorn ihrer Nachbarn, aber sie hatten einen heillosen Respekt vor ihrer Mutter und der Reitpeitsche, die sie ihnen über die Hosen zu ziehen pflegte.

»Höre«, sagte Brent, »laß uns hinüber zu Wilkes, die freuen sich, wenn wir bei ihnen essen.«

Stuart war mit diesem Vorschlag nicht recht zufrieden. »Nein, lieber nicht, da steht schon alles auf dem Kopf wegen des Festes morgen, und außerdem ...«

»Ach, das habe ich ganz vergessen. Nein, da gehen wir lieber nicht hin.«

Sie schnalzten ihren Pferden und ritten schweigend weiter. Stuarts gebräunte Wangen waren vor Verlegenheit rot geworden. Bis zum vorigen

Sommer hatte er India Wilkes mit Billigung beider Familien und der ganzen

Nachbarschaft den Hof gemacht. Vielleicht hatte man in der Provinz die Hoffnung, die kühle Art India Wilkes könnte einen beruhigenden Einfluß auf ihn haben. Stuart hätte die Verbindung wohl eingehen können, aber Brent war nicht einverstanden gewesen. Er mochte India wohl, aber er fand sie reizlos und konnte sich einfach nicht in sie verlieben, nur um Stuart Gesellschaft zu leisten. Die Wege der Zwillinge gingen da zum erstenmal auseinander, und Brent verübelte es seinem Bruder, daß er einem Mädchen den Hof machte, an dem er selbst nicht den geringsten Gefallen fa nd.

Dann hatten sie beide vorigen Sommer in Jonesboro bei einer Versammlung im Freien plötzlich Scarlett 0'Hara gesehen. Sie kannten sie seit Jahren, und in ihrer Kinderzeit war sie ihre beste Spielgefährtin gewesen, denn sie konnte fast ebenso gut wie die beiden reiten und klettern. Nun war sie zu ihrer Verwunderung eine erwachsene junge Dame und obendrein die entzückendste auf der ganzen Welt geworden. Zum erstenmal wurden sie gewahr, wie es in ihren grünen Augen schillerte, wie tief ihre Grübchen waren, wenn sie lachte, was für zierliche Hände und Füße und was für eine schlanke Taille sie hatte. Bei den klugen Bemerkungen der Zwillinge lachte sie fröhlich auf, und beseelt von dem Gedanken, in Scarletts Augen ein ansehnliches Paar vorzustellen, übertrafen die beiden sich selbst. Es war ein denkwürdiger Tag im Leben der Zwillinge. Wenn sie sich später darüber unterhielten, so wunderten sie sich stets, daß ihnen Scarletts Zauber bis dahin entgangen war. Die richtige Antwort darauf fanden sie nie. Die hätte gelautet, daß Scarlett gerade an jenem Tag beschlossen hatte, die beiden auf sich aufmerksam zu machen. Ihrem Temperament war es unerträglich, irgendeinen Mann in irgendeine andere Frau als sich selbst verliebt zu sehen, und der Anblick von India Wilkes und Stuart bei der Versammlung war für ihren Raubtiersinn zuviel gewesen. An Stuart allein hatte sie nicht genug, sie hatte es zugleich auf Brent abgesehen, und zwar so gründlich, daß alle beide überwältigt wurden.

Nun waren sie beide in sie verliebt, und India Wilkes und Letty Munroe aus Lovejoy, der Brent halben Herzens den Hof gemacht hatte, waren bei ihnen gänzlich in den Hintergrund getreten. Was der tun sollte, der Scarlett einmal nicht bekam, falls sie einen von ihnen erhörte, danach fragten sie nicht weiter. Das Hindernis wurde genommen, wenn es soweit war. Für den Augenblick waren sie völlig zufrieden, wieder eines Sinnes über ein Mädchen zu sein; Eifersucht gab es zwischen ihnen nicht. Die Nachbarn hatten ihren Spaß daran, und die Mutter ärgerte sich, denn sie hatte nichts für Scarlett übrig.

»Wenn die schlaue kleine Person einen von euch nimmt, geschieht es euch ganz recht«, sagte sie. »Am Ende nimmt sie euch alle beide, und dann

müßt ihr nach Utah ziehen, falls die Mormonen euch haben wollen - was

ich mir nicht recht denken kann ... Meine einzige Sorge ist, daß ihr euch

beide nächstens einmal betrinkt und wegen dieses kleinen

doppelgesichtigen grünäugigen Frauenzimmers eifersüchtig aufeinander werdet, und dann schießt ihr einander tot. Übrigens gar kein schlechter Gedanke.«

Seit jener Versammlung hatte Stuart sich in Indias Gegenwart unbehaglich gefühlt. Nicht, daß India ihm Vorwürfe gemacht oder ihn auch nur durch eine Bewegung hätte fühlen lassen, daß sie sein jähes Abschwenken bemerkt hatte. Dazu war sie zu sehr Dame. Aber Stuart fühlte sich schuldig und befangen vor ihr. India liebte ihn, und das war seine Schuld. Sie liebte ihn immer noch. Er wußte es und hatte tief im Innern das Gefühl, sich nicht ganz als Gentleman benommen zu haben. Er mochte s ie noch immer gern und hatte große Hochachtung vor ihrer kühlen Wohlerzogenheit, ihrer Liebe zu Büchern, ihrer Bildung und all den gediegenen Eigenschaften, die sie sonst noch besaß. Aber sie war nun einmal so verdammt farblos und uninteressant und ewig sich selber gleich neben Scarletts glänzenden, stets wechselnden Reizen. Man wußte immer, wie man mit India daran war, und bei Scarlett hatte man nie die leiseste Ahnung davon. Das reichte wohl hin, einem den Kopf zu verdrehen.

»Gut, gehen wir also zu Cade Calvert zum Abendessen. Scarlett sagte, Cathleen sei aus Charleston zurück. Vielleicht wissen sie etwas Neues über Fort Sumter, was wir noch nicht gehört haben.«

»Cathleen? Nein. Ich wette zehn gegen eins, sie weiß nicht einmal, daß das Fort da draußen im Hafen liegt, und noch viel weniger, daß es voll von Yankees steckte, bis wir sie hinausgeschossen haben. Sie weiß nur von den Bällen, auf denen sie war, und von den Verehrern, die sie um sich versammelt hat, sonst nichts.«

»Es macht aber doch Spaß, sie reden zu hören, und es wäre doch ein Unterschlupf, bis Ma im Bett ist.«

»Teufel, ja! Ich mag Cathleen wohl leiden, sie ist zum Lachen, und ich höre gern etwas über Caro Rhett und die übrige Charlestoner Gesellschaft. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich noch eine Mahlzeit mit ihrer Yankee-Stiefmutter überstehe.«

»Du mußt nicht ungerecht sein, Stuart, sie meint es gut.«

»Ich bin gar nicht ungerecht, sie tut mir leid, aber Leute, die mir leid tun, kann ich nicht leiden. Und sie macht immer so viel Umstände und sucht das Richtige zu finden, damit man sich gemütlich fühlt, und bringt es fertig, immer genau das Verkehrte zu sagen und zu tun. Sie macht mich verrückt Und sie hält uns aus den Südstaaten für wilde Barbaren. Das hat sie sogar

Ma gesagt, sie hat Angst vor uns. Jedesmal, wenn wir da sind, sieht sie aus,

als habe sie eine Todesangst. Sie sitzt auf ihrem Stuhl wie eine gemauserte Henne und hat leere bange Augen, als wollte sie, sobald nur jemand ihr nahe kommt, anfangen zu gackern und mit den Flügeln zu schlagen.«

»Eigentlich dürftest du nichts gegen sie sagen. Du hast Cade ins Bein geschossen.«

»Ich war betrunken, sonst hätte ich es nicht getan«, sagte Stuart, »und Cade hat es mir nicht nachgetragen, auch Cathleen, Raiford und Mr. Calvert nicht, nur diese Yankee-Stiefmutter zeterte, ich sei ein wilder Barbar und anständige Leute wären in den Südstaaten ihres Lebens nicht sicher.«

»Trotzdem kannst du nichts gegen sie sagen, denn schließlich hast du Cade doch angeschossen, und er ist ihr Stiefsohn.«

»Deswegen braucht sie mich doch nicht gleich zu beleidigen. Du bist Ma's Fleisch und Blut, aber hat sie etwa getobt, als Tony Fontaine dich ins Bein schoß? Nein, sie ließ einfach den alten Dr. Fontaine kommen, dich zu verbinden, und fragte ihn, seit wann denn Tony nicht mehr richtig zielen könne, der Schnaps werde ihm noch seine ganze Schützenkunst verderben. Weißt du noch, wie das Tony wild gemacht hat?«

Die beiden bogen sich vor Lachen.

»Ma ist ein ganzer Kerl«, sagte Brent anerkennend, »man kann immer darauf rechnen, daß sie das Richtige tut und einen nicht vor den Leuten blamiert.«

»Ja, aber es sähe ihr ähnlich, uns heute abend, wenn wir nach Hause kommen, vor Vater und den Mädchen gewaltig zu blamieren«, sagte Stuart düster. »Sieh mal, Brent, das wird wohl heißen, daß wir nicht nach Europa dürfen. Man hat doch gesagt, wenn wir noch einmal hinausgeworfen werden, dürfen wir unsere große Reise nicht machen.«

»Zum Teufel, was liegt uns schon daran, was gibt es denn Großes in Europa zu sehen? Die dort können uns nichts zeigen, was wir nicht ebensogut in Georgia haben. Ich wette, ihre Pferde sind nicht so schnell und ihre Mädchen nicht so hübsch, und ich weiß genau, daß ihr Whisky bei weitem nicht an Vaters heranreicht.«

»Ashley Wilkes sagt, es gäbe da eine Menge Landschaft und Musik. Der hat Europa gern und spricht immerfort davon.«

»Nun, du weißt ja, wie die Familie ist, sie sind alle so sonderbar mit Musik und Büchern und Landschaften. Ma sagt, das kommt, weil ihr Großvater aus Virginia ist. In Virginia sollen die Leute viel auf so etwas geben.«

»Das schenke ich ihnen. Gib mir ein gutes Pferd zum Reiten, einen guten

Schnaps zum Trinken, ein gutes Mädchen für die Liebe und ein böses fürs

Vergnügen, dann können die da ihr ganzes Europa behalten ... Und wenn wir nun jetzt in Europa wären und es gäbe Krieg, dann kämen wir nicht rechtzeitig nach Hause. Ich gehe tausendmal lieber in den Krieg als nach Europa!«

»Ich auch, lieber heute als morgen ... Hör mal, ich weiß, wohin wir zum Abendessen gehen, wir reiten zur Able Wynder und melden uns fertig zum Exerzieren zurück.«

»Das ist ein guter Gedanke. Dort hören wir alles Neue von der Truppe und erfahren endlich, zu welcher Farbe sie sich für die Uniformen entschlossen haben.«

»Wenn es die Zuavenuniform ist, so hol mich der Teufel, wenn ich noch Lust dazu habe. Ich komme mir in den weiten roten Hosen wie ein Waschlappen vor. Die sehen ja aus wie die Flanellhosen bei den Weibern.«

»Wollen denn Masters beide zu Master Wynder?« ließ sich jetzt Jeems vernehmen. »Da gibt nicht viel Abendbrot, Köchin ist tot und sie noch keine neue kaufen, und nun kochen eine Pflückerin, und die Schwarzen mir erzählen, das die schlechteste Köchin im ganzen Staat.«

»Du meine Güte, warum kaufen sie sich denn keine neue Köchin?«

»Wie sollen denn weißes Bettelpack sich Farbige kaufen? Die nie mehr als höchstens vier Stück haben.«

In Jeems' Stimme klang unverhohlene Verachtung. Seine eigene gesellschaftliche Stellung war gesichert, denn Tarletons besaßen hundert Farbige, und wie alle Sklaven der großen Plantagenbesitzer sah er auf die kleinen Farmer herab, die nur wenige Sklaven hielten.

»Ich ziehe dir das Fell über die 0hren!« Stuart war wütend. »Daß du mir Able Wynder nicht >weißes Pack< nennst! Gewiß ist er arm, aber durchaus kein Pack, und hol mich der Teufel, wenn ich erlaube, daß irgend jemand, weiß oder schwarz, wegwerfend von ihm spricht. Einen besseren Mann gibt es nicht in der Provinz. Warum hätte die Truppe ihn sonst zum Leutnant gewählt?«

»Das ich auch nie verstehen«, erwiderte Jeems, der sich durch den Anschnauzer seines Herrn nicht aus der Ruhe bringen ließ. »Ich immer denken, sie wählen alle 0ffiziere unter den reichen Masters und nicht aus demPack vom Unterland.«

»Ich sage dir, es ist kein Pack, willst du ihn etwa mit richtigem weißen Pack wie den Slatterys vergleichen? Able ist nun einmal nicht reich, aber wenn wir alle so viel von ihm halten, daß wir ihn zum Leutnant wählen, dann hat kein Schwarzer über ihn herzuziehen. Die Truppe weiß schon, was sie tut.«

Vor drei Monaten war die Kavallerietruppe aufgestellt worden, an demselben Tag, an dem sich Georgia von der Union lossagte, und von dem Augenblick an hatten die Rekruten nach Krieg geschrien. Einen Namen hatte das Kontingent noch nicht, obwohl an Vorschlägen kein Mangel war. Jeder hatte seine eigenen Gedanken und wollte sie durchaus nicht lassen, ebenso wie jeder bei Farbe und Schnitt der Uniform mitzureden haben wollte. »Die Wildkatzen von Clayton«, »Feuerfresser«, »Husaren von Nordgeorgia«, »Zuaven«, »Jäger aus dem Innern« (obwohl die Truppe mit Pistolen, Säbeln, Jagdmessern und nicht mit Flinten bewaffnet war), »Die Grauen von Clayton«, »Blut und Donner«, »Rauh und Rasch« - alles hatte seine Anhänger. Bis darüber Beschluß gefaßt war, hieß die 0rganisation überall »die Truppe«, und trotz dem hochtönenden Namen, der schließlich angenommen wurde, war sie bis zum Ende ihres Dienstes einfach als »die Truppe« bekannt.

Die 0ffiziere wurden aus den Reihen der Truppe gewählt, denn niemand aus der Provinz verfügte über militärische Erfahrungen, außer ein paar Veteranen aus dem Mexikanischen Krieg und den Kämpfen gegen die Seminolenindianer, und überdies hätte die Truppe einen Veteranen als Führer verachtet, wenn sie nicht Zuneigung und Vertrauen zu ihm gehabt hätte. Jeder mochte die vier Tarletons und die drei Fontaines gern, konnte sie aber nicht wählen, weil die Tarletons zu rasch benebelt waren und dann gern Unsinn machten und weil die Fontaines so mörderisch unbesonnen von Temperament waren. So wurde Ashley Wilkes zum Hauptmann gewählt; denn er war der beste Reiter in der Provinz, und man rechnete darauf, daß er mit seinem kühlen Kopf wenigstens einen Schein von 0rdnung zu halten imstande wäre. Raiford Calvert wurde zum 0berleutnant gemacht, weil er bei jedermann beliebt war, und Able Wynder, Sohn eines Trappers und selbst kleiner Farmer, wurde Unterleutnant.

Able war ein gescheiter, ernster Riese, ungebildet, gutherzig, aber älter als die anderen Burschen und in Gegenwart von Damen von reichlich so guten Manieren wie sie. Standesdünkel gab es kaum in der Truppe. Dafür waren zu viele ihrer Väter und Großväter aus der Klasse der kleinen Farmer zu Reichtum gekommen. Able war der beste Schütze der Truppe, ein richtiger Scharfschütze, der auf fünfundsiebzig Schritt einem Eichhörnchen das Auge ausschießen konnte, und obendrein wußte er über alles Bescheid, was zum Leben im Freien gehört, konnte im Regen ein Feuer anmachen, Wild aufspüren und Quellen finden. Die Truppe hatte Achtung vor echtem Wert, und weil man Able außerdem gern hatte, machte man ihn zum 0ffizier. Er trug die Auszeichnung mit Ernst, einfach, als ob sie ihm zukomme, und bildete sich nichts darauf ein, aber die Damen und die

Sklaven der Pflanzer konnten nicht wie ihre Männer und Herren über die

Tatsache hinwegkommen, daß er nicht als Herr geboren war.

Im Anfang waren nur Pflanzersöhne in der Truppe angemustert worden. Es war ein Herrenkontingent. Jeder hatte für sein eigenes Pferd, für Waffen, Ausrüstung, Uniform und Burschen aufzukommen. Aber in der noch jungen Provinz Clayton gab es nicht viele reiche Pflanzer, und um die Truppe vollzählig zu machen, war es notwendig geworden, unter den Söhnen der kleinen Farmer, der Jäger im Urwald, der Trapper in den Prärien und in ganz wenigen Fällen sogar der weißen Proletarier, soweit sie über dem Durchschnitt dieser Schicht standen, Rekruten auszuheben.

Diese jungen Leute brannten ebenso ungeduldig wie ihre reicheren Nachbarn darauf, im Kriegsfall mit den Yankees zu kämpfen; aber da war die heikle Frage des Geldes. Nur wenige kleine Farmer hatten eig ene Pferde. Sie taten die Feldarbeit mit Maultieren und hatten auch daran keinen Überfluß, selten mehr als vier. Die Maultiere waren unentbehrlich und konnten deshalb nicht zu Kriegszwecken benutzt werden, selbst wenn die Truppe bereit gewesen wäre, sich mit ihnen zu behelfen, wogegen sie sich aber energisch verwahrte. Die Proletarier hielten sich schon für wohlhabend, wenn sie ein einziges Maultier besaßen. Die Leute aus dem Urwald und von den Niederungen hatten weder Pferde noch Maultiere, sie lebten ausschließlich von den Erzeugnissen ihrer Ländereien und dem Wild aus den Steppen. Ihr Geschäft betrieben sie meist als Tauschhandel und bekamen höchstens einmal im Jahr fünf Dollar in bar zu sehen. Pferde und Uniformen waren für sie unerschwinglich. Aber sie waren ebenso unbändig stolz in ihrer Armut wie die Plantagenbesitzer in ihrem Reichtum und wollten nichts annehmen, was nach Wohltätigkeit ihrer reicheren Nachbarn aussah. Um also niemand vor den Kopf zu stoßen und dennoch die Truppe auf Kriegsstärke zu bringen, hatten Scarletts Vater, John Wilkes, Buck Munroe, Jim Tarleton, Hugh Calvert, überhaupt jeder große Plantagebesitzer aus der Provinz mit einziger Ausnahme von Angus Macintosh Geld dazu beigesteuert, die Truppe mit Mann und Roß vollständig auszurüsten. Schließlich kam es darauf hinaus, daß jeder Plantagenbesitzer sich bereit erklärte, die Ausrüstung seiner eigenen Söhne und einer gewissen Anzahl anderer junger Leute zu bezahlen, und es wurde alles so eingerichtet, daß die weniger wohlhabenden Leute im Kontingent Pferde und Uniformen annehmen konnten, ohne daß ihre Ehre darunter litt.

Zweimal wöchentlich kam die Truppe in Jonesboro zusammen, um gedrillt zu werden und um zu beten, daß der Krieg beginnen möge. Noch waren die Verhandlungen über die Aufbringung der vollen Anzahl Pferde nicht abgeschlossen; wer aber ein Pferd hatte, führte, was er für kavalleristische Künste hielt, auf dem Felde hinter dem Gerichtsgebäude vor, wirbelte eine große Menge Staub auf, schrie sich heiser und schwang

den Säbel der Revolution, den er in der väterlichen Halle von der Wand genommen hatte. Wer noch kein Pferd hatte, saß auf dem Kantstein vor Bullards Kaufhaus und sah den berittenen Kameraden zu, kaute Tabak und spann sein Garn. 0der man schoß um die Wette. Schießen b rauchte niemand erst zu lernen. In den Südstaaten wird fast jeder mit dem Gewehr in der Hand geboren, bringt sein Leben auf der Jagd zu und wird von selbst zum Scharfschützen.

Bei jeder Musterung kamen die verschiedenartigsten Feuerwaffen aus den Pflanzerhäusern und Blockhütten zum Vorschein. Lange altmodische Feuerrohre aus der Zeit, da die Alleghanies zuerst überschritten worden waren, alte Vorderlader, denen in Georgias Jugendzeiten mancher Indianer zum 0pfer gefallen war, Sattelpistolen, die 1812 in den Seminolenkriegen und in Mexiko ihren Dienst getan hatten, silberbeschlagene Duellpistolen, Taschenderringers, doppelläufige Jagdflinten und elegante neue Gewehre, englisches Fabrikat, mit blanken Schäften aus Hartholz.

Der Drill endete immer in den Kneipen von Jonesboro, und wenn die Nacht einbrach, waren so viele Raufereien im Gange, daß die 0ffiziere es schwer hatten, Verluste zu verhindern, noch ehe die Yankees sie ihnen beibrachten. In einer dieser Schlägereien hatte Stuart Tarleton Cade Calvert angeschossen und Tony Fontaine Brent. Als die Truppe aufgestellt wurde, waren die Zwillinge gerade von der Universität Virginias nach Hause geschickt worden und ließen sich voller Begeisterung anmustern. Aber nach dieser Schießerei vor zwei Monaten hatte ihre Mutter sie wieder auf die Universität ihres eigenen Staates geschickt, mit gemessenem Befehl, dort zu bleiben. Die aufregenden Abwechslungen des Drills hatten sie in jener Zeit schmerzlich vermißt. Was war ihnen Wissen und Bildung, wenn sie nur reiten und schreien und schießen konnten!

»Laß uns doch querfeldein über 0'Haras und Fontaines Weiden reiten«, schlug Brent vor. »Dann sind wir im Nu da.«

»Wir da kriegen nur 0possum und Grünkram zu essen«, wendete Jeems ein.

»Du kriegst überhaupt nichts«, grinste Stuart, »denn du reitest nach Hause und sagst Ma, daß wir nicht zum Abendessen kommen.«

»Nein, das ich nicht tun«, schrie Jeems voller Angst. »Das ich nicht tun! Ich auch nicht Spaß haben, von Misses Beatrice verprügelt werden. Zuerst sie mich fragen, wie ich es fertigbringen, daß Masters wieder rausgeschmissen, und dann, warum ich Masters heute abend nicht mitbringen, damit sie uns alle prügeln kann. Und dann sagen, ich bin an allem schuld. Und wenn Masters mich nicht mit zu Master Wynder nehmen, ich die ganze Nacht draußen im Wald liegenbleiben. Besser mich Landjäger beim Kragen nehmen, als Misses Beatrice!«

Verblüfft und ärgerlich sahen die Zwillinge den entschlossenen farbigen Jungen an. »Er wäre gerade dumm genug, sich vom Landjäger fassen zu lassen, und dann hätte Ma wochenlang etwas Neues zu reden. Du kannst mir glauben, mit den Schwarzen hat sie es noch schwerer als mit uns; manchmal denke ich, daß die ganz recht haben, die den Sklavenhandel abschaffen wollen.«

»Nun, es wäre unrecht, Jeems dem auszusetzen, wovor wir Angst haben. Wir müssen ihn schon mitnehmen. Aber paß auf, du unverschämter schwarzer Schafskopf, wenn du dich vor den Schwarzen bei Wynder damit dicke tust, daß wir jeden Tag Brathuhn und Schinken essen und sie nur Kaninchen und 0possum, dann sage ich es Ma und du darfst nicht mit uns in den Krieg.«

»Dick tun? Ich mich nicht vor billigen Farbigen dick tun! Ich bessere Manieren, haben mir Misses Beatrice ebenso gute beigebracht wie Masters.«

»Das ist ihr bei uns allen dreien nicht besonders gut gelungen«, sagte Stuart. Er riß seinen Fuchs herum, gab ihm die Sporen und schwang sich leicht über den Lattenzaun auf den weichen Acker von Gerald 0'Haras Plantage. Brents Pferd setzte hinterher, und ihm nach Jeems, der sich am Sattelknopf festklammerte. Jeems setzte nicht gern über Zäune, aber er hatte schon höhere als diese nehmen müssen, um mit seinen Herren Schritt zu halten.

Als sie im immer tieferen Dunkel durch die roten Furchen den Hügel hinab bis zur Flußweide ihren Weg verfolgten, rief Brent mit lauter Stimme seinem Bruder zu: »Stu! Kommt es dir nicht auch so vor, als ob Scarlett uns eigentlich zumAbendessen einladen wollte?«

»Das ist mir die ganze Zeit so vorgekommen«, schrie Stuart zurück. »Warum, meinst du, hat sie ...«

Als die Zwillinge Scarlett in Tara an den zur Veranda führenden Stufen verlassen hatten und ihr Hufschlag verhallt war, kehrte sie wie schlafwandelnd zu ihrem Stuhl zurück. Ihr Gesicht war wie vor Schmerz erstarrt, der Mund tat ihr weh, so hatte sie ihn wider Willen zum Läc heln gezwungen, um ihr Geheimnis nicht preiszugeben. Müde setzte sie sich, zog einen Fuß unter sich, und das Herz schwoll ihr vor Weh, bis es sie fast für ihre Brust zu groß dünkte. Es schlug mit wunderlichen kleinen Anläufen; ihre Hände waren kalt, ein Gefühl schweren Unglücks drückte sie nieder. Aus ihren Zügen sprachen Schmerz und Verwirrung, die Verwunderung eines verzogenen Kindes, das auf jede Bitte seinen Willen bekommt und nun zum erstenmal auf die unerbittliche Härte des Lebens stößt.

Ashleyheiratet Melanie Hamilton.

Aber das konnte ja nicht sein! Die Zwillinge irrten sich, oder sie trieben wieder einmal Spaß mit ihr. Ashley konnte und konnte nicht in das Mädchen verliebt sein. Niemand konnte sich in ein so kleines Mausgeschöpf wie Melanie verlieben. Voller Verachtung sah Scarlett die magere kindliche Gestalt und das ernsthafte herzförmige Gesichtchen vor sich, unansehnlich und hausbacken. Ashley konnte sie übrigens seit Monaten nicht gesehen haben; seit der Gesellschaft, die er voriges Jahr in Twelve 0aks gegeben hatte, war er höchstens zweimal in Atlanta gewesen. Nein, Ashley konnte Melanie nicht lieben, weil ... ach, es konnte doch kein Irrtum sein, weil sie selber, Scarlett, es war, die er liebte! Das wußte sie!

Sie spürte den Fußboden der Halle unter Mammys schwerfälligen Schritten erbeben. Hastig zog sie den Fuß wieder hervor und suchte ihrem Gesicht einen ruhigeren Ausdruck zu geben. Auf keinen Fall durfte Mammy den Verdacht schöpfen, daß etwas nicht in 0rdnung sei. Mammy lebte in dem Gefühl, alle 0'Haras gehörten ihr zu eigen mit Leib und Seele und sämtlichen Geheimnissen. Nur die Andeutung eines Geheimnisses genügte, sie erbarmungslos wie einen Spürhund auf die Fährte zu setzen. Wenn Mammys Neugier nicht sofort befriedigt wurde, so brachte sie bei Ellen die Rede darauf, und dann mußte Scarlett ihrer Mutter alles anvertrauen oder sich eine glaubwürdige Lüge ausdenken, das wußte sie aus Erfahrung. Nun erschien Mammy an der Tür der Halle, ein riesenhaftes altes Weib, mit kleinen klugen Elefantenaugen. Sie war eine Farbige reinsten Wassers, glänzend schwarz und den 0'Haras bis zum letzten Blutstropfen ergeben, Stab und Stütze für Ellen, die Verzweiflung ihrer drei Töchter, der Schrecken der anderen Dienstboten. Mammy war eine Schwarze, aber ihr Sittenkodex und ihr Stolz standen ebenso hoch, ja höher als der ihrer Eigentümer. Aufgewachsen war sie im Schlafgemach. Solange Robillards, der Mutter Ellen 0'Haras, einer unnahbar kühlen, vornehmen Französin, die Kindern und Dienstboten keine Strafe für einen Verstoß gegen die Schicklichkeit erließ. Mammy war Ellens Amme gewesen und, als Ellen heiratete, mit ihr aus Savannah nach dem Norden gekommen. Wen Mammy liebhatte, den züchtigte sie, und da ihre Liebe zu Scarlett und ihr Stolz auf sie keine Grenzen kannte, so wurde Scarlett eigentlich ohne Unterbrechung gezüchtigt.

»Sind die Herren weg? Wie kommt es, daß du sie nicht zum Abendessen geladen hast, Miß Scarlett, ich habe Pork gesagt, er soll zwei Gedecke für sie auflegen. Was sind das für Manieren?«

»Ach, ich habe keine Lust, sie immer nur von Krieg reden zu hören, und hätte es bei Tisch nicht ausgehalten, wenn auch Pa noch die ganze Zeit mitgeredet und über Mr. Lincoln getobt hätte!«

»Du hast Manieren wie eine Pflückerin vom Feld, und das nachdem Misses Ellen und ich uns mit dir so abgequält haben, und da sitzt du nun wieder ohne deinen Schal, und gleich kommt die Abendluft, ich habe es dir immer wieder gesagt, daß du von der Abendluft Fieber bekommst, wenn du nichts umdie Schultern hast, kommherein, Miß Scarlett.«

Scarlett wandte sich mit künstlichem Gleichmut von Mammy ab und war froh, daß die Alte in ihrem Eifer wegen des Schals ihr Gesicht nicht gesehen hatte.

»Nein, ich will hierbleiben und die Sonne untergehen sehen, das ist so schön. Bitte, hol mir doch meinen Schal, Mammy, ich bleibe hier, bis Pa zurückkommt.«

»Deine Stimme klingt, als hättest du dich schon erkältet«, sagte Mammy argwöhnisch.

»Ich habe mich nicht erkältet.« Scarlett wurde ungeduldig. »Du holst mir jetzt meinen Schal.«

Mammy watschelte durch die Halle zurück, Scarlett hörte sie durch das Treppenhaus nach dem Stubenmädchen rufen, hörte die Stiege knarren und stand leise auf.

Wenn Mammy zurückkam, würde sie sich wieder über Scarletts Unhöflichkeit verbreiten, und Scarlett konnte solches Gerede einfach nicht ertragen, während ihr das Herz brach. Da stand sie nun, zögerte, wußte nicht, wo sie sich verstecken sollte, bis das Herzweh ein wenig nachließ. Da kam ihr ein Gedanke. Ihr Vater war nach Twelve 0aks, der Wilkesschen Plantage, hinübergeritten, um Dilcey, die Frau seines Dieners Pork, zu kaufen. Dilcey war Frauenaufseherin und Hebamme in Twelve 0aks, und seit ihrer Heirat vor sechs Monaten hatte Pork seinem Herrn Tag und Nacht in den 0hren gelegen, er möge doch Dilcey kaufen, damit sie auf derselben Plantage zusammen leben könnten. Geralds Wiederstandskraft war allmählich fadenscheinig geworden, und so hatte er sich an diesem Nachmittag aufgemacht, umauf Dilcey ein Gebot abzugeben.

»Pa weiß sicher«, dachte Scarlett, »ob die schreckliche Geschichte wahr ist. Wenn er nichts gehört hat, so hat er doch vielleicht etwas bemerkt, vielleicht einige Aufregung bei Wilkes gespürt. Wenn ich ihn vor dem Abendessen noch unter vier Augen sehe, so bekomme ich vielleicht die Wahrheit heraus, daß es nämlich weiter nichts ist als eine dumme Lüge der beiden Tarletons.«

Es war an der Zeit, daß Gerald zurückkam, und wenn sie ihn allein sehen wollte, blieb ihr nichts übrig, als bei der Mündung der Auffahrt in die Landstraße auf ihn zu warten. Leise ging sie die Stufen hinunter, sah sich behutsam um, ob Mammy sie etwa von oben aus einem Fenster beobachten konnte, und als sie kein schwarzes Gesicht mit schneeweißem Turban mißbilligend zwischen wehenden Vorhängen hervorlugen sah, raffte sie entschlossen ihr grünes geblümtes Kleid zusammen und lief, so schnell ihre Füße sie tragen wollten, durch den Garten zur Einfahrt hinunter.

Die dunklen Zedern zu beiden Seiten schlossen sich über ihr zu einem Gewölbe zusammen und verwandelten die lange Allee in einen dämmerig en Tunnel. Sobald sie sich dann geborgen fühlte, ging sie langsamer. Sie keuchte noch, denn sie war zu fest geschnürt, als daß sie schnell hätte laufen können. Bald war sie am Ende der Auffahrt draußen auf der Landstraße, aber sie hielt erst an, als sie um die Ecke gebogen war und eine große Baumgruppe zwischen sich und demHause hatte.

Atemlos und mit erhitzten Wangen setzte sie sich auf einen Baumstumpf und wartete auf ihren Vater. Er hätte schon hier sein müssen, aber sie war froh, daß er sich verspätete, so hatte sie Zeit, Atem zu holen und ihr Gesicht so weit zur Ruhe zu bringen, daß er keinen Verdacht schöpfen konnte. Jeden Augenblick mußte Hufschlag erschallen, und sie würde ihn in seinem halsbrecherischen Tempo den Hügel heraufgaloppieren sehen. Aber die Minuten vergingen, und Gerald kam nicht, das Herz wurde ihr wieder bitterlich schwer.

Ihre Gedanken folgten den Windungen der Straße, die nach dem Frühlingsregen blutrot vor ihr lag, den Hügel hinab bis an den trägen Flintfluß, durch das Gewirr der sumpfigen Wiesen und gegenüber den Hügel wieder hinauf nach Twelve 0aks, wo Ashley wohnte. Nur das war jetzt der Sinn dieser Straße: sie führte zu Ashley nach dem schönen Haus mit den weißen Säulen, das den Hügel krönte wie ein griechischer Tempel

»0 Ashley! Ashley!« Das Herz schlug ihr rascher.

Etwas von der eiskalten Verwunderung und Unglückseligkeit, die auf ihr lasteten, seitdem die Tarletons ihr den Klatsch erzählt hatten, glitt in die Tiefen ihres Gemüts zurück und machte dem Fieber Platz, von dem sie seit zwei Jahren besessen war.

Jetzt kam es ihr sonderbar vor, daß sie Ashley früher nie besonders anziehend gefunden hatte. Damals sah sie ihn kommen und gehen und hatte keinen Gedanken für ihn. Aber seit jenem Tag, vor zwei Jahren, als Ashley nach seiner langen Europareise seinen ersten Besuch in Tara machte, hatte sie ihn geliebt. Sie hatte auf der Veranda vor der Eingangstür des Hauses gesessen, als er in seinem grauen Tuchanzug die lange Allee heraufgeritten kam. Wie untadelig seine breite schwarze Krawatte über dem fein gefältelten Hemd saß! Noch jetzt entsann sie sich jeder Einzelheit seiner Kleidung, der blank gewichsten Schuhe, der Kamee mit dem Medusenkopf an der Krawattennadel, des breiten Panamahutes, den er abnahm, sobald er sie erblickte. Er war abgestiegen und hatte die Zügel einem farbigen Kind zugeworfen. Da stand er und sah zu ihr hinauf, lachend und die verträumten grauen Augen weit geöffnet. Die Sonne schien so hell auf sein blondes Haar, daß es wie eine glänzende Silberkappe aussah. Dann hatte er gesagt: »Nun bist du also erwachsen, Scarlett«, war die Stufen heraufgesprungen und hatte ihr die Hand geküßt. Ach, seine Stimme! Nie konnte sie vergessen, wie ihr Herz geklopft hatte, als hörte sie zum erstenmal die gedehnten klangvollen Laute. In jenem ersten Augenblick hatte sie ihn begehrt, einfach und ohne alle Überlegung nach ihm verlangt, wie sie nach Speisen verlangte, nach Reitpferden und nach ihrem weichen Bett, darin zu schlafen.

Zwei Jahre lang war er in der Provinz ihr Verehrer gewesen, auf Bällen, bei Picknicks und auf Gerichtstagen, nicht so oft wie die Zwillinge Tarleton oder Cade Calvert, nicht so aufdringlich wie die Brüder Fontaine, aber immerhin war keine Woche vergangen, ohne daß Ashley auf Tara vorsprach.

Gewiß, erklärt hatte er sich ihr nie, und in seinen klaren grauen Augen war nie etwas von jener Hitze erschienen, die Scarlett so gut bei anderen Männern kannte. Und dennoch wußte sie, daß er sie liebte, sie konnte sich nicht irren. Der Instinkt, der stärker war als die Vernunft, und ein Wissen, das aus Erfahrung stammte, sagten es ihr. Zu oft war sie seinem Blick begegnet, wie er sie ansah mit einer Sehnsucht und zugleich einer Traurigkeit, die ihr rätselhaft war. Sie wußte doch, daß er sie liebte, aber warum sagte er es ihr nicht? Das konnte sie nicht begreifen, und es gab so viel an ihm, das sie nicht begreifen konnte. Er war immer höflich, aber fern und unnahbar. Nie wußte jemand, woran er dachte, und sie am allerwenigsten. In einem Land, wo jeder zu sagen pflegte, was er da chte, sobald ihm ein Gedanke nur kam, konnte Ashleys Zurückhaltung sie zur Verzweiflung bringen. Bei den üblichen Zerstreuungen, der Jagd, dem Spiel, dem Tanz und der Politik, tat er sich nicht minder hervor als die andern, und zu Pferd übertraf er sie alle. Was ihn aber von allen andern unterschied, war, daß all diese angenehmen Zeitvertreibe weder Zweck noch Ziel seines Lebens bedeuteten. Mit seiner Liebe für Bücher und Musik, mit seinem Hang zum Dichten und Träumen stand er allein.

Ach, warum sah er so gut aus und war so blond, warum so unnahbar und höflich und so aufreizend langweilig in seiner Unterhaltung über alles mögliche, das sie nicht interessierte - und dabei doch so liebenswert! Nacht für Nacht, wenn Scarlett mit ihm im Halbdunkel auf der Veranda vor der Eingangstür gesessen hatte und dann zu Bett ging, warf sie sich stundenlang ruhelos herum und tröstete sich nur mit dem Gedanken, daß er ihr das nächste Mal einen Antrag machen würde. Aber das nächste Mal kam und ging, und es geschah nichts - nichts, als daß das Fieber in ihren Adern immer heißer wurde. Sie liebte ihn, sie begehrte ihn, und sie begriff ihn nicht. Ihr Wesen war so einfach und gerade wie die Winde, die über Tara wehten, wie der gelbe Fluß, der es umströmte, und bis an das Ende ihrer Tage würde sie nicht lernen, etwas Zwiespältiges zu verstehen. Hier stand sie zum erstenmal in ihrem Leben vor einer vielseitigen Natur.

Denn Ashleys Vorfahren hatten ihre Muße zum Denken und nicht zum Tun verwandt. Bunte glänzende Träume hatten sie gesponnen, die nicht Wirklichkeit waren. Ashley lebte und webte in einer anderen Welt, die schöner war als Georgia, und kehrte nur widerstrebend in die Wirklichkeit zurück. Er sah sich die Menschen an, und sie waren ihm weder lieb noch leid. Das Leben sah er sich an, und es riß ihn weder hin, noch drückte es ihn nieder. Er nahm die Welt und seinen Platz darin, wie sie waren, zuckte die Achseln und kehrte in seine bessere Welt mit ihrer Musik und ihren Büchern zurück.

Wie es kam, daß Scarlett von ihm gefesselt wurde, obwohl doch sein Gemüt dem ihren so fremd war, wußte sie nicht. Gerade das Geheimnisvolle an ihm erregte ihre Neugier. Es war wie eine Tür, die weder Schloß noch Schlüssel hatte. Um des Geheimnisvollen willen liebte sie ihn nur um so mehr, und die wunderlich verhaltene Art seiner Zuneigung erhöhte nur ihre Sehnsucht, ihn ganz für sich zu gewinnen. Daß er eines Tages um sie anhalten würde, stand für sie fest. Sie war viel zu jung und zu verwöhnt, um zu wissen, was Niederlage ist. Und nun kam die schreckliche Nachricht wie ein Donnerschlag. Ashley wollte Melanie heiraten! Das konnte nicht sein!

Erst vorige Woche, als sie in der Dämmerung von Fairhill zusammen nach Hause ritten, hatte er gesagt: »Scarlett, ich habe dir etwas so Wichtiges zu erzählen, daß ich kaum weiß, wie ich es dir sagen soll.«

Sie hatte sittsam die Augen niedergeschlagen, während ihr das Herz in wilder Freude schlug. Sie meinte, der Augenblick sei gekommen. Da hatte er fortgefahren: »Jetzt nicht, wir sind beinahe zu Hause und haben keine Zeit mehr. Ach, Scarlett, was bin ich für ein Feigling!« Dann hatte er seinem Pferd die Sporen gegeben und war mit ihr in wildem Rennen den Hügel nach Tara hinaufgestürmt

Scarlett saß auf ihrem Baumstumpf und bedachte die Worte, die sie so glücklich gemacht hatten, und auf einmal bekamen sie einen anderen, einen häßlichen Sinn. Wenn er ihr nur seine Verlobung hatte mitteilen wollen! Ach, käme doch Pa nach Hause! Das bange Warten ertrug sie nicht mehr.

Die Sonne war nun hinter dem Horizont verschwunden, und die rote Glut am Rande der Welt erlosch in rosigen Tönen. Der blaue Himmel droben verwandelte sich allmählich in das zarte Blaugrün des Rotkehlchens, und die überirdische Stille ländlicher Dämmerung senkte sich sacht herab. Die Landschaft zerfloß im Schatten der roten Furchen, die klaffende rote Landstraße war nicht mehr so hexenhaft blutrünstig, sie wurde zu schlichter brauner Erde. Jenseits der Straße standen Pferde, Maultiere und Kühe still auf der Weide, den Kopf über den Zaun gelegt, und warteten darauf, in den Stall getrieben zu werden. Der dunkle Schatten des Dickichts am Wiesenbach war ihnen unheimlich, die 0hren zuckten zu Scarlett hinüber, als sehnten sich die Tiere nach der Gesellschaft des Menschen. Die hohen Pechkiefern auf der Flußniederung, die unterm Sonnenlicht in so warmem Grün erglühten, standen jetzt schwarz vor dem pastellfarbenen Himmel, eine undurchdringliche Reihe von Riesen, die das träge gelbe Wasser zu ihren Füßen verbargen. Auf dem Hügel jenseits des Flusses verschwan den die hohen weißen Schornsteine des Wilkesschen Hauses allmählich in der Finsternis der mächtigen Eichen, die sie umgaben. Nur an den Tischlampen, die fern und winzig wie Stecknadelköpfe herüberleuchteten, konnte man noch sehen, daß dort ein Haus stand. Die warme, balsamische Feuchtigkeit des Frühlings, der frische Duft des gepflügten Ackers, der Sonnenuntergang waren für Scarlett nichts Wunderbares. Sie nahm all die Schönheit so gedankenlos hin wie die Luft, die sie atmete, und das Wasser, das sie trank. Schönheit hatte sie bisher mit Bewußtsein nur auf Frauengesichtern und an Pferden, an seidenen Kleidern und ähnlich greifbaren Dingen wahrgenommen.

Doch die friedvolle Dämmerung über Taras Feldern brachte ihrem verwirrten Gemüt ein wenig Ruhe. 0hne es zu wissen, liebte sie ihre Heimat so innig wie das Angesicht ihrer Mutter unter der Lampe zur Stunde der Abendandacht.

Noch immer keine Spur von Gerald auf der stillen gewundenen Landstraße! Wenn sie noch länger wartete, kam sicher Mammy, sie zu suchen und mit Gewalt nach Hause zu bringen. Als sie eben wieder die dunkelnde Landstraße hinabspähte, hörte sie Hufschlag unten am Weidenhügel und sah Pferde und Kühe erschreckt auseinanderstieben.

Gerald 0'Hara kam quer über die Felder in gestrecktem Galopp nach Hause geritten. Auf seinem schweren langbeinigen Braunen sah er von fern aus wie ein Junge, für den das Pferd viel zu groß ist. Er trieb es mit Peitsche und lautem Zuruf an. Sein langes weißes Haar wehte im Winde hinter ihm her. 0bwohl Scarlett von ihren Sorgen ganz erfüllt war, betrachtete sie ihn mit liebevollem Stolz, denn Gerald war ein vorzüglicher Reiter. »Warum er nur immer über Zäune setzen muß, wenn er ein paar Glas getrunken hat«, dachte sie, »und das gerade an dieser Stelle, nach seinem Sturz voriges Jahr, als er sich hier das Knie brach. Dabei hat er Mutter unter Eid versprochen, nie wieder zu springen.«

Scarlett hatte keine kindliche Angst vor ihrem Vater, und sie empfand eher ihn als ihre Schwestern wie gleichaltrig. Über Zäune zu springen und vor seiner Frau etwas geheimzuhalten, erfüllte ihn mit einem knabenhaften Stolz und einer schuldbewußten Wonne, die ihrem eigenen Vergnügen gleichkam, wenn sie Mammy hinters Licht führen konnte. Sie stand auf, um ihn zu beobachten. Das schwere Pferd war jetzt am Zaun angelangt, setzte an und sprang mühelos hinüber. Der Reiter jauchzte vor Begeisterung. Die Peitsche knallte durch die Luft, das weiße Lockenhaar flog empor. Gerald sah seine Tochter im Schatten der Bäume nicht, er zog die Zügel wieder an und klopfte seinem Pferd anerkennend den Hals.

»Keiner in der Provinz und keiner im Staat reicht dir das Wasser«, teilte er voll Stolz seinem Roß mit; die Mundart der irischen Grafschaft Meath beschwerte ihm trotz neununddreißigjährigem Aufenthalt in Amerika noch immer die Zunge. Dann machte er sich rasch daran, das Haar zu glätten und die Krawatte zurechtzuziehen, die ihm schief hinter einem 0hr saß. Dies tat er, um als Gentleman vor seine Frau zu treten, der würdevoll von einem Nachbarbesuch nach Hause geritten war. Das wußte Scarlett, und sie hatte die Gelegenheit, die sie brauchte, um ein Gespräch anzufangen, ohne ihre eigentliche Absicht zu verraten. Sie lachte laut auf. Gerald stutzte, dann erkannte er sie, und sein blühendes Gesicht bekam einen zugleic h schuldbewußten und trotzigen Ausdruck. Mit einiger Anstrengung stieg er ab, denn sein Knie war noch steif, und stapfte mit den Zügeln über dem Arm auf sie zu.

Er kniff sie in die Wange. »Du hast mir also aufgelauert, kleines Fräulein, damit du mich, wie neulich Suellen, bei deiner Mutter anschwärzen kannst?«

Seine heisere Baßstimme grollte, aber hatte doch einen einschmeichelnden Klang. Scarlett schnalzte neckend mit der Zunge, als sie die Hand ausstreckte, um ihm die Krawatte wieder zurechtzurücken. Mi t seinem Atem schlug ein starker Dunst von Bourbon-Whisky mit einem leichten Anflug von Pfefferminzgeruch ihr ins Gesicht. Auch den Geruch von Kautabak, von geöltem Leder und von Pferden brachte er mit, ein Gemisch, das sie stets an ihren Vater erinnerte und ihr daher auch bei anderen Männern unwillkürlich angenehm war.

»Nein, Pa, ich bin keine Klatschbase wie Suellen.« Sie trat zurück und musterte sachverständig seinen wieder in 0rdnung gebrachten Anzug.

Gerald war ein kleiner Mann, wenig größer als fünf Fuß, aber so vierschrötig und stiernackig, daß er, wenn er saß, größer wirkte, als er war. Sein untersetzter Rumpf wurde von kurzen, stämmigen Beinen getragen. Sie steckten immer in den feinsten Reitstiefeln, die aufzutreiben waren, und er stand so breitbeinig darauf wie ein vierjähriger Gernegroß. Wenn ein kleiner Mensch sich ernst nimmt, macht er sich leicht lächerlich, aber der Bantamhahn ist im Hühnerhof eine geachtete Persönlichkeit, und Gerald war es auch. Niemand kam je auf den kühnen Gedanken, in Gerald 0'Hara einen Knirps zu sehen. Er war sechzig Jahre alt, und sein krauses Lockenhaar glänzte silberweiß. Aber sein gescheites Gesicht hatte nicht eine Falte, und in den harten kleinen blauen Augen blitzte die unbekümmerte Jugendlichkeit eines Menschen, der sein Gehirn nie mit abstrakteren Problemen beschäftigt hat, als wieviel Karten beim Pokerspiel zu kaufen seien. Sein Gesicht war so irisch, wie es selbst in seiner Heimat, die er schon so lange verlassen hatte, weit und breit kein irischeres gab: rund, hochrot, mit kurzer Nase und breitem Mund und über die Maßen streitlustig.

Aber unter diesem Äußeren verbarg Gerald 0'Hara das weichste Herz. Er konnte es nicht mit ansehen, wenn ein Sklave zu seinen Vorhaltungen maulte, mochten sie noch so gerecht sein, er konnte kein Kätzchen miauen, kein Kind schreien hören. Aber es war ihm in der Seele zuwider, auf dieser Schwäche ertappt zu werden. Daß jeder, der ihm begegnete, nach fünf Minuten sein gutes Herz entdeckte, ahnte er nicht, und hätte er es geahnt, seine Eitelkeit hätte gewaltig darunter gelitten. Er gefiel sich in dem Gedanken, daß jeder ihm zitternd gehorchte, wenn er aus Leibeskräften seine Befehle brüllte. Daß auf der Plantage nur eine Stimme Gehorsam fand, nämlich die sanfte Stimme seiner Frau Ellen, war ihm nie in den Sinn gekommen. Dieses Geheimnis sollte er nie erfahren, denn von Ellen bis hinunter zum letzten Sklaven bestand eine stillschweigende Verschwörung, ihn in dem Glauben zu lassen, sein Wort sei Gesetz. Auf Scarlett machte sein lärmendes Gehaben am allerwenigsten Eindruck. Sie war die Älteste, und seitdem Gerald wußte, daß auf seine drei Söhne, die auf dem Familienfriedhof begraben lagen, keine mehr folgen konnten, hatte er sich angewöhnt, gleichsam von Mann zu Mann mit Scarlett zu reden, was sie höchst vergnüglich fand.

Sie glich ihrem Vater mehr als die jüngeren Schwestern. Careen, eigentlich Caroline-Irene geheißen, war zart und träumerisch, und Suellen, die auf die Namen Susanne-Ellinor getauft war, tat sich viel auf ihre Eleganz und vornehme Haltung zugute. Vor allem waren Scarlett und ihr Vater durch ein Abkommen der gegenseitigen Vertuschung aneinander gebunden. Wenn Gerald sie dabei überraschte, daß sie über einen Zaun kletterte, anstatt eine halbe Meile bis zum Gatter zu gehen, oder noch spät mit einem Verehrer auf den Stufen zur Veranda saß, putzte er sie zwar tüchtig herunter, aber verschwieg es vor Ellen und Mammy. Wenn dagegen Scarlett ihn über Zäune springen sah, trotz des feierlichen Versprechens, es nicht zu tun, oder wenn sie die genaue Höhe seiner Pokerverluste erfuhr, was sich beim Provinzklatsch kaum vermeiden ließ, so hütete sie sich, bei Suellens scheinbarer Arglosigkeit am Tisch davon anzufangen. Scarlett und ihr Vater versicherten einander feierlich, es könne Ellen nur verletzen, wenn ihr so etwas zu 0hren käme, und um nichts in der Welt konnten die beiden es übers Herz bringen, ihr weh zu tun.

In dem erlöschenden Tageslicht sah Scarlett ihren Vater an und fand Trost in seiner Gegenwart, ohne zu wissen, warum. Das Urlebe ndige, Erdhaft-Derbe in ihm erfüllte sie mit Vertrauen. Da sie nicht die geringste Menschenkenntnis hatte, wurde es ihr nicht klar, daß es geschah, weil sie ihm immer noch sehr ähnlich war, obwohl Ellen und Mammy sich sechzehn Jahre lang abgemüht hatten, seine Züge in ihr zu verwischen.

»Jetzt kannst du dich getrost blicken lassen«, sagte sie, »und wenn du dich nicht selbst mit deinen Streichen aufspielst, wirst du keinen Verdacht erregen. Aber ich finde doch, nachdem du dir voriges Jahr das Knie gebrochen hast, als du über denselben Zaun ...«

»Hol mich der Satan, wenn ich mir von meiner eigenen Tochter vorschreiben lassen soll, wo ich springen darf und wo nicht«, fuhr er sie an und kniff sie noch einmal in die Wange. »Mein Genick gehört mir, jawohl! Übrigens, was machst du hier ohne deinen Schal?«

Als er so mit seinen üblichen Schlichen aus einer peinlichen Unterhaltung zu entkommen suchte, hakte sie ihn leise ein und sagte: »Ich habe auf dich gewartet. Ich wußte ja nicht, daß du so spät kommen würdest. Ich wartete nur, umzu hören, ob du Dilcey gekauft hast.«

»Freilich habe ich sie gekauft, sie und ihr kleines Mädel Prissy, und der Preis hat mich ruiniert. John Wilkes wollte sie mir schenken, aber niemand soll sagen, daß Gerald 0'Hara sich etwas schenken läßt. Schließlich hat er dreitausend für die beiden angenommen.«

»Um Himmels willen, Pa, dreitausend! Und du hättest es doch gar nicht nötig gehabt, Prissy auch zu kaufen!«

»Ist es schon soweit, daß meine eigenen Töchter über mich zu Gericht sitzen?« donnerte Gerald pathetisch. »Prissy ist ein nettes kleines Ding, und deshalb ...«

»Ich kenne sie, ein albernes, gerissenes Balg«, erwiderte Scarlett ruhig. Sein Lärmen machte auf sie keinen Eindruck. »Du hast sie einzig und allein gekauft, weil Dilcey dich darum gebeten hat.«

Gerald machte ein betretenes Gesicht wie immer, wenn er auf einer guten Tat ertappt wurde, und Scarlett mußte lachen, weil er so ohne weiteres zu durchschauen war.

»Und wenn schon! Es hat doch keinen Zweck, Dilcey zu kaufen, wenn sie nachher des Kindes wegen immer den Kopf hängen läßt. Aber nie wieder erlaube ich einem Schwarzen, ein Mädchen von anderswo zu heiraten, das ist mir zu teuer. So, kommmit, Puß, hinein zum Abendessen.«

Das Dunkel wurde immer undurchdringlicher. Der letzte grünliche Schimmer war vom Himmel verschwunden, und die laue Frühlingsluft hatte einer leichten Kühle Platz gemacht. Scarlett überlegte, wie sie wohl das Gespräch auf Ashley bringen konnte, ohne Argwohn zu erregen. Das war schwierig, denn Scarlett besaß keine Spur von Durchtriebenheit, und Gerald glich ihr darin so sehr, daß er ihre schwachen Winkelzüge immer sofort durchschaute, genau wie sie die seinen. Und taktvoll war er auch nicht dabei.

»Wie geht es denn denen drüben in Twelve 0aks?«

»Nun, so ziemlich wie immer. Cade Calvert war da, und als ich wegen Dilcey abgeschlossen hatte, saßen wir alle auf der Galerie und tranken einige Whiskys. Cade war gerade von Atlanta gekommen, und da ist alles aus dem Häuschen und spricht nur von Krieg.«

Scarlett seufzte. Wenn Gerald einmal vom Krieg anfing, konnte es stundenlang dauern, bis er wieder aufhörte. Schnell brachte sie etwas anderes zur Sprache.

»Haben sie etwas vomGartenfest morgen gesagt?«

»Ja, nun fällt es mir wieder ein. Miß ... wie heißt sie denn ... das nette kleine Tierchen, das voriges Jahr hier war, Ashleys Cousine, weißt du ... ach ja, Miß Melanie Hamilton und ihr Bruder Charles waren schon aus Atlanta heraufgekommen und ...«

»Ach, ist sie schon da?«

»Ja, ein nettes stilles Ding, das nie von selber etwas sagt, ganz wie eine Frau sein sollte. Aber kommjetzt, Mutter sucht uns sicher schon überall.«

Scarlett sank das Herz in die Schuhe, als sie das hörte. Gegen alle.

Wahrscheinlichkeit hatte sie gehofft, daß irgend etwas Melanie Hamilton in Atlanta, wohin sie gehörte, zurückhalten würde, und in der Erkenntnis, daß sogar Gerald ihr sanftes stilles Wesen, das von ihrem eigenen so gänzlich verschieden war, guthieß, konnte sie nicht länger mehr an sich halten.

»War Ashley auch dabei?«

»Ja.« Gerald ließ den Arm seiner Tochter los, drehte sich um und blickte ihr scharf ins Gesicht. »Wenn du deswegen auf mich gewartet hast, warum sagst du es mir nicht gleich und gehst wie die Katze um den heißen Brei herum?«

Nun fiel Scarlett nichts weiter ein, unwillig fühlte sie, wie sie rot wurde. »Also, heraus mit der Sprache!«

Sie sagte noch immer nichts. Wenn sie doch den eigenen Vater packen, schütteln, ihm den Mund verbieten dürfte!

»Er war da und hat sehr freundlich nach dir gefragt. Das taten auch seine Schwestern, sie hofften, daß nichts dich morgen abhalten würde, zum Gartenfest zu kommen. Es wird doch nicht etwa?« fragte er verschmitzt. »Nun, Mädchen, was soll das alles heißen mit dir und Ashley?«

»Gar nichts«, sagte sie kurz und zerrte ihn am Arm. »Komm mit, Pa.«

»So, so, nun willst du also nach Hause«, bemerkte er. »Aber ich bleibe hier auf dem Fleck, bis ich weiß, was mit dir los ist. Nun fällt mir auch ein, du warst eigentlich in letzter Zeit sehr sonderbar. Hat er dir den Kopf verdreht? Hat er dich gefragt, ob du ihn heiraten wolltest?«

»Nein.«

»Das wird er auch nicht«, sagte Gerald.

Zornig flammte es in ihr auf, aber Gerald beschwichtigte sie mit einer Handbewegung.

»Mund halten, kleines Fräulein! Ich habe heute nachmittag im strengsten Vertrauen von John Wilkes gehört, daß Ashley Miß Melanie heiraten will. Morgen soll es verkündet werden.«

Scarletts Hand glitt matt von seinem Arm herab. Es war also doch wahr!

Der Schmerz zerriß ihr wie mit Raubtierfängen das Herz. Bei alledem fühlte sie ihres Vaters Auge ein wenig mitleidig und zugleich ein wenig verdrießlich auf sich gerichtet, weil er vor einer Frage stand, auf die er keine Antwort wußte. Er hatte Scarlett lieb, aber es war ihm durchaus nicht geheuer, wenn sie mit ihren kindlichen Problemen zu ihm kam, damit er sie löse. Ellen wußte auf das alles eine Antwort. Scarlett sollte mit ihren Kümmernissen zu ihr gehen.

»Du hast dich doch nicht etwa ins Gerede gebracht ... dich und uns alle?« fuhr er sie an. Wenn er aufgeregt war, wurde er immer laut. »Bist du hinter einem Mann hergelaufen, der dich nicht liebt ... wo du doch jeden in der Provinz haben kannst?«

Zorn und verletzter Stolz verdrängten ihren Schmerz. »Ich bin nicht hinter ihm hergelaufen. - Es ... es hat mich nur so überrascht.«

»Das lügst du!« Dann aber blickte Gerald ihr in das ganz von Schmerz verzerrte Gesichtchen und fügte in einem Anflug von Gutmütigkeit hinzu: »Es tut mir leid, Mädchen, aber schließlich bist du doch noch ein Kind, und andere Verehrer gibt es die Menge.«

»Mutter war erst fünfzehn, als sie heiratete, und ich bin schon sechzehn«, sagte Scarlett mit erstickter Stimme.

»Mutter war anders«, sagte Gerald. »Kein leichter Vogel wie du. Nun komm aber, Mädchen, Kopf hoch, nächste Woche nehme ich dich mit nach Charleston, wir besuchen Tante Eulalia, und bei all dem Hallo wegen Fort Sumter hast du Ashley in einer Woche vergessen.«

»Er hält mich für ein Kind«, dachte Scarlett. Wut und Kummer verschlugen ihr die Stimme. »Er meint, er brauche mir nur ein neues Spielzeug vor die Augen zu halten, und ich vergäße auf der Stelle meine Beulen.«

»Du brauchst das Kinn gar nicht so aufzuwerfen«, warnte Gerald. »Wenn du nur ein bißchen Verstand hättest, so hättest du Stuart oder Brent Tarleton längst geheiratet. Überleg's dir. Heirate einen von den Zwillingen, dann betreiben wir die Plantagen gemeinsam. Jim Tarleton und ich bauen dir gerade, wo sie zusammenstoßen, ein schönes Haus, dort in dem großen Kiefernhain, und ...«

»Hörst du nun bald auf, mich wie ein Kind zu behandeln?« begehrte Scarlett auf. »Ich will nicht nach Charleston, ich will kein Haus haben und auch nicht die Zwillinge heiraten. Ich will nur ...« Sie nahm sich zusammen, aber nicht rechtzeitig.

Geralds Stimme klang merkwürdig ruhig, und er sprach ganz langsam, als hole er Wort für Wort aus einem Gedankenvorrat, den er nur selten anbrach.

»Du willst nur Ashley, und den bekommst du nicht. Und selbst wenn er dich wollte, so hätte ich doch meine schweren Bedenken, ja zu sagen, trotz aller guten Freundschaft zwischen mir und Wilkes.« Als er ihren erschrockenen Blick sah, fuhr er fort: »Ich will mein Kindchen glücklich sehen, und mit ihm würdest du nicht glücklich.«

»0h doch, doch!«

»Das würdest du nicht, Mädchen. Nur wenn gleich und gleich sich heiraten, wird die Ehe glücklich. «

Scarlett verspürte plötzlich den Drang aufzuschreien: »Aber du bist doch glücklich, und Mutter und du, ihr seid gar nicht gleich!« Aber sie unterdrückte ihn aus Furcht, er möchte ihr für ihre Frechheit eine 0hrfeige geben.

»Unsereins und Wilkes sind verschieden«, fuhr er langsam fort und suchte nach Worten. »Wilkes sind anders als unsere Nachbarn ... anders als ich je eine Familie gekannt habe. Wunderliche Leute sind sie, und sie tun am besten, ihre Cousinen zu heiraten und ihre Wunderlichkeit für sich zu behalten.«

»Aber Pa, Ashley ist doch n icht...«

»Halt den Schnabel, Fuß! Ich sage nichts gegen den Burschen, denn ich habe ihn gern. Wenn ich >wunderlich< sage, so meine ich damit nicht >verrückt<. Er ist nicht so verrückt wie Calverts, die ihre ganze Habe für ein Pferd verspielen, und Tarletons, die mit jedem Wurf einen Trunkenbold zur Welt bringen, oder Fontaines, die hitzköpfigen Viecher, die für eine eingebildete Beleidigung am liebsten einen Mann totschlügen. Solche Wunderlichkeiten sind leicht zu begreifen, weiß Gott, und wäre nicht seine Gnade, so wäre Gerald 0'Hara auch nicht besser! Ich meine nicht etwa, daß Ashley mit einer anderen Frau davonliefe, wenn du seine Frau wärest, oder daß er dich schlüge. Wenn er das täte, würdest du glücklicher werden, denn dann könntest du ihn wenigstens verstehen. Aber seine Wunderlichkeit ist anderer Art, dafür gibt es kein Verständnis. Ich habe ihn gern, aber ich werde nicht aus ihm klug. Sag mir aufrichtig, Puß, verstehst du denn seine Narrheit für Bücher, für Gedichte und Musik und Ölbilder und lauter solchen Unsinn?«

»Ach, Pa«, rief Scarlett ungeduldig, »wenn ich ihn heirate, treibe ich ihm das alles aus.«

»Was du nicht meinst«, sagte Gerald vorsichtig und warf ihr einen scharfen Blick zu. »Du verstehst eben nicht viel von Männern, und nun gar von Ashley. Keine Frau hat ihren Mann je um ein Haarbreit geändert. Laß dir das gesagt sein! Und einen Wilkes ändern - du lieber Gott, Mädchen! Die ganze Familie ist so, und immer sind sie so gewesen und werden wohl auch immer so bleiben. Ich sage dir, die sind als Käuze auf die Welt gekommen. Sieh dir doch nur an, wie sie nach New York und Boston stürzen, um 0pern zu hören und Ölbilder zu sehen. Bei den Yankees bestellen sie kistenweise französische und deutsche Bücher. Und da sitzen sie dann und lesen und träumen sich wer weiß was zusammen und sollten ihre Zeit doch besser wie richtige Männer mit Jagdreiten und Pokern verbringen.«

»In der ganzen Provinz sitzt keiner besser im Sattel als Ashley!« Scarlett war wütend, daß Ashley als unmännlich verspottet wurde. »Keiner als vielleicht sein Vater, und was das Pokern betrifft - hat Ashley dir nicht erst vorige Woche in Jonesboro zweihundert Dollar abgenommen?«

»Die Calverts haben mal wieder nicht dichthalten können«, sagte Gerald ergeben. »Ashley kann wohl mit den besten Männern reiten und pokern, und ich leugne gar nicht, daß er sogar Tarleton unter den Tisch trinkt, wenn er will. Er kann das alles wohl, aber er ist nicht mit dem Herzen dabei. Deshalb sage ich, er ist wunderlich.«

Scarlett schwieg bedrückt. Gegen diese letzte Anschuldigung hatte sie nichts anzuführen, denn Gerald hatte recht. Bei all den schönen Dingen, auf die Ashley sich so gut verstand, war sein Herz nicht beteiligt. An allem, was jeden anderen aus tiefstem Herzensgrund beschäftigte, nahm er nie mehr als kühlen und höflichen Anteil.

Gerald verstand ihr Schweigen richtig, streichelte ihr den Arm und triumphierte: »Da hast du es! Du mußt doch zugeben, daß es stimmt. Was willst du mit einem Mann wie Ashley? Mondsüchtig sind sie alle, die Wilkes.« Und dann schmeichelte er: »Wenn ich vorhin von Tarletons sprach, ich wollte sie dir gewiß nicht aufdrängen. Feine Kerle sind es, aber wenn du es auf Cade Calvert abgesehen hast, nun, mir soll es einerlei sein. Calverts sind ein guter Schlag, alle zusammen, wenn auch der Alte eine Yankee geheiratet hat. Und wenn ich nicht mehr bin - pst, Liebling, hör zu! -, hinterlasse ich Tara dir und Cade ...«

»Tara will ich nicht geschenkt!« Scarlett war empört. »Und du sollst mich mit Cade in Ruhe lassen! Ich will weder Tara noch irgendeine andere dumme Plantage. Was mache ich mir aus Plantagen, wenn ...«, sie wollte sagen, »wenn ich nicht den Mann habe, den ich will.« Aber Gerald, außer sich über die hochfahrende Art, wie sie über das angebotene Geschenk hinwegging, über das, was nächst Ellen auf der ganzen Welt seinem Herzen am nächsten stand, fuhr wütend dazwischen: »Da stehst du, Scarlett 0'Hara, und sagst mir ins Gesicht, daß Tara - mein Grund und Boden - , daß du dir daraus nichts machst?«

Scarlett nickte eigensinnig. Das Herz tat ihr zu weh. Es war ihr einerlei, ob sie den Vater in Wut brachte oder nicht.

»Das einzige, was auf der Welt überhaupt etwas wert ist, ist das Land«, tobte er und fuhr in seiner Empörung mit den kurzen, dicken Armen durch die Luft. »Das einzige, was auf der Welt von Dauer ist, was wert ist, daß man dafür arbeitet, kämpft und stirbt!«

»Gott, Pa«, es klang angewidert, »du redest wie ein Ire.«

»Hab ich mich dessen je geschämt? Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, und vergiß nicht, du Grünschnabel, daß du auch eine halbe Irin bist. Für jeden, der einen Tropfen Irenblut in den Adern hat, ist das Land, auf dem er lebt, wie seine Mutter. Deiner schäme ich mich in diesem Augenblick. Ich biete dir das schönste Land auf der Welt - außer der Grafschaft Meath, in der alten Heimat -, und was tust du? Die Nase rümpfst du!«

Gerald war gerade dabei, sich in eine gelinde Raserei hineinzureden, als das Herzeleid in Scarletts Gesicht ihm Halt gebot.

»Nun ja, du bist noch jung, sie kommt schon noch über dich, die Liebe zur Heimat. Du bist ein Kind, und die Jungens verdrehen dir den Kopf. Wenn du älter bist, dann wirst du schon sehen ... Faß du nur deinen Entschluß wegen Cade, wegen der Zwillinge oder eines von Evan Munroes Jungens und paß auf, wie schön ich dich aussteuere!«

Allmählich hatte Gerald die Unterhaltung satt bekommen und ärgerte sich weidlich darüber, daß er die Geschichte auf dem Halse hatte. Dabei ging es ihm nahe, daß Scarlett noch immer so verzweifelt dreinsah, nachdem er ihr die besten Burschen aus der Provinz angeboten hatte und Tara obendrein. Seine Gaben sollten mit Küssen und Händeklatschen entgegengenommen werden.

»Nun, kleines Fräulein, nicht maulen. Es kommt gar nicht darauf an, wen du heiratest, wenn er nur ein Gentleman ist, der denkt wie du, aus den Südstaaten, mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Bei der Frau kommt die Liebe erst nach der Heirat.«

»Ach, Pa, das ist so eine altmodische Ansicht aus Irland!«

»Aber eine gute und richtige! All dies amerikanische Herumlaufen nach einer Liebesheirat, wie die Dienstboten, wie die Yankees! Die beste Ehe gibt es, wenn die Eltern für das Mädchen die Wahl treffen. Wie kann denn ein dummes Ding wie du einen Mann von einem Schuft unterscheiden? Sieh dir nur die Wilkes an! Was hat sie seit Generationen stolz und stark erhalten? Gleich und gleich hat geheiratet, ihre Cousinen haben sie geheiratet, wie die Familie es immer von ihnen erwartete.«

»Ach Gott!« Es schnitt Scarlett ins Herz, als Geralds Worte ihr die fürchterliche, unausweichliche Wahrheit klarmachten. Gerald sah ihren gesenkten Kopf und trat unruhig von einem Bein aufs andere. »Du weinst doch nicht?« Er tastete ungeschickt nach ihrem Kinn und versuchte, ihr Gesicht zu sich aufzurichten.

»Nein!« Wild zuckte sie zurück.

»Du lügst wieder, und ich bin stolz darauf. Ich freue mich über deinen Stolz, Puß, und auch morgen beim Gartenfest will ich dich stolz sehen. Die Provinz soll nicht über dich klatschen, wie du dir das Herz abhärmst für einen Mann, der nie mehr als Freundschaft für dich empfunden hat.«

»Er hat mehr für mich empfunden«, ging es Scarlett durch das betrübte Herz, »sehr viel mehr! Ich habe es gemerkt. Hätte ich nur ein bißchen länger Zeit gehabt, ich hätte ihn so weit gebracht, daß er es mir gesagt hätte - ach Gott, wenn doch die Wilkes nur nicht immer das Gefühl hätten, sie müßten ihre Cousinen heiraten!«

Gerald faßte sie unter den Arm. »Nun wollen wir zum Abendessen hineingehen. All dies bleibt zwischen uns. Ich will Mutter damit nicht beunruhigen, tu du es auch nicht. So, nun schnupf dich aus, Mädchen!«

Scarlett putzte sich mit ihrem zerrissenen Taschentuch die Nase, und Arm in Arm gingen die beiden die dunkle Einfahrt hinauf. Die Pferde folgten langsam. Nahe beim Haus wollte Scarlett wieder anfangen, aber da erblickte sie ihre Mutter im Schatten der Veranda. Sie trug Haube, Schal und Handschuhe. Hinter ihr stand Mammy, das Gesicht wie eine Gewitterwolke, und hatte die schwarze Ledertasche in der Hand, in der Ellen 0'Hara immer Verbandzeug und Arzneien mitnahm, wenn sie nach den kranken Sklaven sah. Mammys Lippen hingen tief herab; wenn sie böse war, konnte sie die untere so weit vorschieben, daß sie doppelt so breit wurde wie sonst. Sie hatte sie jetzt vorgeschoben, und Scarlett wußte, Mammybrütete über irgend etwas, was ihr gegen den Strich ging.

»Mr. 0'Hara«, rief Ellen, als sie die beiden die Einfahrt heraufkommen sah. Ellen gehörte zu einer Generation, die auch nach siebzehnjähriger Ehe, in der sie sechs Kinder geboren hatte, noch die Förmlichkeit wahrte. »Mr. 0'Hara, bei Slatterys ist jemand krank. Emmies Kleines ist geboren und liegt im Sterben und muß getauft werden. Ich gehe mit Mammy hin und sehe nach, ob ich etwas für sie tun kann.«

Sie hob fragend die Stimme, als hinge ihr Vorhaben von Geralds Einwilligung ab; eine reine Formsache, aber eine, an der Geralds Herz hing.

»In Gottes Namen!« polterte er. »Warum muß das weiße Pack dich gerade zur Abendessenszeit abrufen, gerade wo ich dir von den Kriegsgerüchten erzählen will, die in Atlanta umgehen. Aber geh nur, du kannst ja doch die Nacht nicht ruhig schlafen, wenn du nicht irgendwo draußen helfen kannst.«

»Sie kriegt überhaupt keine Ruhe, weil sie jede Nacht aufspringt, um nach den Farbigen und dem weißen Pack zu sehen, das lieber für sich selber aufpassen soll«, brummte Mammy eintönig, als sie die Stufen zu dem Wagen, der auf demSeitenwege hielt, hinabschritt.

»Setz dich bei Tisch auf meinen Platz, Liebes«, sagte Ellen und streichelte Scarlett mit ihrer behandschuhten Hand leise die Wange.

Trotz der Tränen, an denen sie noch schluckte, spürte Scarlett bis ins Innerste den nie versagenden Zauber der mütterlichen Liebkosung und zugleich den feinen Duft von Zitrone und Verbene, der Ellens rauschendem Seidenkleid entströmte. Für Scarlett hatte Ellen 0'Hara etwas förmlich Atemberaubendes, wie ein Wunder, das mit ihnen im Hause lebte, das sie entzückte, beruhigte und in seinem Bann hielt.

Gerald half seiner Frau in den Wagen und sagte dem Kutscher, er möge behutsam fahren. Toby, der schon zwanzig Jahre mit Geralds Pferden umgegangen war, stülpte in stummer Entrüstung über diese Ermahnung die Lippen vor, und so fuhr er mit Mammy an seiner Seite davon, ein Doppelbild der grollenden Mißbilligung Afrikas.

»Wenn ich nicht so viel für dies Slattery-Gesindel umsonst täte, wofür sie anderswo bezahlen müßten«, brummte Gerald, »so würden sie mir ihre elenden paar Morgen Sumpfland verkaufen müssen, und man wäre sie los!«

Dann strahlte er auf einmal im Vorgefühl eines Schabernacks, den er seinem Diener antun wollte, über das ganze Gesicht. »Komm, Mädchen, wir wollen Pork weismachen, ich hätte ihn an John Wilkes verkauft, anstatt Dilcey für mich zu kaufen!«

Er warf den Zügel seines Pferdes einem kleinen farbigen Jungen zu, der dabeistand, und ging die Stufen hinauf. Scarletts Kummer hatte er ganz vergessen, so freute er sich darauf, seinen Diener zum besten zu haben. Scarlett folgte ihm bleiernen Fußes. Schließlich, meinte sie, könnte eine Ehe zwischen ihr und Ashley doch nicht wunderlicher sein als die zwischen ihrem Vater und Ellen Robillard. Wie immer wunderte sie sich darüber, daß es ihr geräuschvoller, rauhbeiniger Vater fertiggebracht hatte, eine Frau wie ihre Mutter zu heiraten. Eine Kluft wie zwischen diesen beiden, nach Geburt, Erziehung und geistiger Haltung, gab es nicht leicht wieder.

Ellen 0'Hara war zweiunddreißig Jahre alt, nach dem Maßstab ihrer Zeit eine Frau mittleren Alters, eine Frau, die sechs Kinder geboren und drei begraben hatte. Sie war eine hochgewachsene Erscheinung, einen Kopf größer als ihr feuriger kleiner Gatte, aber sie bewegte sich in den wiegenden

Hüften mit so ruhiger Anmut, daß ihre Größe gar nicht auffiel. Der elfenbeinfarbene, wohlgerundete schlanke Hals erhob sich aus der schwarzen Tafthülle ihres enganliegenden Kleides, von der Fülle des üppigen Haars, das ein Netz am Hinterkopf zusammenhielt, scheinbar sacht nach hinten gezogen. Von ihrer französischen Mutter, deren Eltern in der Revolution von 1791 aus Haiti geflohen waren, hatte sie die schräggeschnittenen dunklen Augen, die tintenschwarzen Wimpern, die sie überschatteten, und das dunkle Haar; von ihrem Vater, einem Soldaten Napoleons, die lange gerade Nase und das eckig geschnittene Untergesicht, dessen Strenge durch die sanfte Rundung der Wangen gemildert wurde. Aber das Leben selbst hatte Ellens Gesicht seinen Ausdruck verliehen, jenen Ausdruck von Stolz, dem doch jeder Hochmut fremd war, von Güte, Melancholie und völliger Beherrschtheit.

Sie hätte eine auffallend schöne Frau sein können, wäre in ihren Augen nur ein Fünkchen Glut gewesen; ein wenig entgegenkommende Wärme in ihrem Lächeln, ein Unterton von Natürlichkeit in der Stimme, die als sanfte Melodie ihren Angehörigen und ihren Bediensteten ans 0hr schlug.

Sie sprach in der weichen, undeutlichen Mundart der georgianischen Küste, mit klingenden Vokalen, leichten Konsonanten und einer Spur von französischem Akzent. Nie hob sich die Stimme zum Befehl an einen Diener, zum Verweis an ein Kind, aber ihr wurde in Tara aufs Wort gehorcht, während das Poltern und Stürmen des Gatten stillschweigend überhört wurde.

Für Scarlett war ihre Mutter seit unvordenklichen Zeiten stets sich selber gleich. Ihre Stimme war ebenmäßig sanft und süß, ob sie lobte oder tadelte, ihre Art und Weise immer gleichmäßig und bestimmt, trotz der täglichen Anforderungen, die Geralds bewegter Haushalt mit sich brachte, der Geist immer ruhig und der Rücken ungebeugt, sogar als die kleinen Söhne starben. Scarlett hatte nie gesehen, daß der Rücken ihrer Mutter eine Stuhllehne berührt hätte. Nie hatte sie gesehen, daß sie sich ohne eine Näharbeit niedersetzte, es sei denn zum Essen, zur Krankenpflege oder zur Buchführung für die Plantage. Wenn Besuch da war, arbeitete sie an feinen Stickereien, sonst waren ihre Hände mit Geralds fein gefältelten Hemden, mit der Garderobe ihrer Töchter oder den Kleidungsstücken für die Sklaven beschäftigt. 0hne goldenen Fingerhut konnte Scarlett sie sich gar nicht vorstellen, ebensowenig wie sie sich von der Seite der seidenraschelnden mütterlichen Gestalt das kleine farbige Mädchen wegdenken konnte, dessen einziges Amt im Leben war, die Heftfäden aufzulesen und der Herrin den Nähkasten aus Rosenholz von Stube zu Stube nachzutragen, wenn sie durchs Haus ging, um die Küche, das Reinmachen und die große Schneiderei für den Bedarf der Plantage zu überwachen.

Nie hatte sie ihre Mutter aus ihrer strengen Gelassenheit heraustreten sehen, nie ihre Kleidung anders als untadelig erblickt, einerlei zu welcher Tagesoder Nachtstunde. Wenn Ellen sich zum Ball, für Gäste oder auch nur für einen Gerichtstag in Jonesboro anzog, brauchte sie für gewöhnlich zwei Stunden, zwei Kammerjungfern und Mammy dazu, bis sie mit ihrer Erscheinung zufrieden war. Dagegen war es ganz erstaunlich, wie geschwind sie sich im Notfall zurechtmachen konnte.

Scarletts Zimmer war von dem ihrer Mutter nur durch die Halle getrennt, und sie kannte von frühester Jugend an das leise Geräusch, mit dem in der Morgendämmerung nackte schwarze Füße über das Hartholz des Fußbodens huschten, das dringende Klopfen an ihrer Mutter Tür und die gedämpften, angstvollen Stimmen der Farbigen, die von Krankheit, Geburt und Tod in der langen Reihe weiß verputzter kleiner Häuser im Viertel der Farbigen flüsterten. Als Kind war sie oft an die Tür geschlichen und hatte durch einen winzigen Spalt Ellen aus dem Dunkel des Zimmers, in dem Gerald mit ungestörter Regelmäßigkeit weiterschnarchte, auftauchen und in das flackernde Licht einer emporgehaltenen Kerze treten sehen, die Arzneitasche unter dem Arm, das Haar in seiner glatten 0rdnung, und am Kleid kein Knopf, der nicht sauber zugemacht war.

Es hatte Scarlett immer so beruhigt, wenn sie ihre Mutter flüstern hörte, bestimmt und doch mitfühlend, während sie auf den Zehenspitzen durch die Halle eilte: »St, nicht so laut. Ihr weckt Mr. 0'Hara. So krank sind sie nicht, daß sie daran sterben müßten.«

Ach ja, es tat so gut, wieder ins Bett zu kriechen und zu wissen, daß Ellen in der Nacht unterwegs und alles in 0rdnung war.

Wenn Ellen die ganze Nacht bei Geburt und Tod aufgesessen hatte, weil sowohl der alte wie der junge Dr. Fontaine bei Patienten über Land waren und ihr nicht zu Hilfe kommen konnten, saß sie morgens wie gewöhnlich am Frühstückstisch. Die dunklen Augen hatten Schatten vor Müdigkeit, aber weder der Stimme noch dem Benehmen war eine Spur von Anstrengung anzumerken. Etwas Stählernes verbarg sich hinter ihrer verhaltenen Sanftmut, vor dem das ganze Haus eine scheue Achtung hatte, Gerald nicht minder als die Mädchen, obwohl er lieber gestorben wäre, als es zuzugeben.

Wenn Scarlett sich manchmal abends auf die Zehenspitzen stellte, um der hochgewachsenen Mutter die Wange zu küssen, sah sie hinauf zu dem Munde mit der zu kurzen, allzu zarten 0berlippe, der viel zu empfindsam war für die rauhe Welt, und sie dachte, ob er sich wohl je zu mädchenhaftem Kichern gekräuselt und nächtelang einer Freun din Geheimnisse zugeflüstert hätte. Nein, das war nicht möglich. Mutter war.

Vom Winde verweht

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