Читать книгу Vom Winde verweht - Маргарет Митчелл - Страница 6

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Nun waren sie oben, und das weiße Haus stand in seinem ma kellosen Ebenmaß vor ihnen, mit hohen Säulen, breiten Veranden und flachem Dach, schön wie eine Frau, die ihrer Schönheit so gewiß ist, daß sie gegen jedermann huldreich und gut sein kann. Scarlett liebte Twelve 0aks sogar noch mehr als Tara, denn die Jahre hatten ihm eine Würde verliehen, die Geralds Haus noch fehlte. Die breite, gewundene Auffahrt stand voll von Reitpferden und Wagen und von abund aussteigenden Gästen, die mit ihren Freunden Grüße wechselten. Grinsende Farbige, aufgeregt wie immer, wenn Gäste kamen, führten die Pferde in den Wirtschaftshof, wo ihnen Geschirr und Sättel abgenommen wurden. Schwarze und weiße Kinder schwärmten kreischend über den frisch ergrünten Rasen, spielten Hüpfen und Verstecken und prahlten damit, wieviel sie essen wollten. In der weiten Halle, die von der Hausfront bis nach hinten durchging, wimmelte es von Menschen. Als der 0'Harasche Wagen vorfuhr, sah Scarlett Mädchen in Krinolinen, so bunt wie Schmetterlinge die Treppe zum zweiten Stock hinaufgehen und herunterkommen. Einzeln und paarweise sah sie sie stehenbleiben und sich über das Treppengeländer lehnen, hörte sie lachen und den jungen Leuten unten in der Halle zurufen. Durch die offenen Glastüren sah sie die alten Damen würdevoll in ihren schwarzen Seidenkleidern im Wohnzimmer sitzen, wie sie sich fächelten und einander von Babys und Krankheiten erzählten und wer wen geheiratet hätte und warum. Der Wilkessche Diener Tom eilte geschäftig mit einem silbernen Tablett durch die verschiedenen Räume und bot grinsend mit ei ner Verbeugung jungen Herren in rehfarbenen und grauen Hosen und feingefältelten Batisthemden hohe Gläser mit Pfefferminzwhisky an. In der sonnigen Vorderveranda drängten sich die Gäste. Es war wohl die ganze Provinz da, dünkte es Scarlett. Die vier Tarletonjungens und ihr Vater lehnten an den hohen Säulen, die Zwillinge Stuart und Brent nebeneinander, unzertrennlich wie immer, Boyd und Tom mit ihrem Vater James Tarleton. Mr. Calvert stand dicht neben seiner Yankeegattin, die nach fünfzehn Jahren in Georgia immer noch nirgends so recht hingehörte. Alle waren sehr höflich und freundlich zu ihr, weil sie ihnen leid tat, aber keiner konnte vergessen, daß zu dem Urfehler ihrer Abstammung auch noch die Tatsache kam, daß sie bei Mr. Calverts Kindern Erzieherin gewesen war. Die beiden Calvertsjungen Raiford und Cade waren da mit ihrer blonden Schwester Cathleen, einer blendenden Erscheinung, die sich mit dem dunklen Joe Fontaine neckte und mit Sally Munroe, seiner hübschen Verlobten. Alex und Tony Fontaine flüsterten Dimity Munroe etwas ins 0hr, worauf sie in ein helles Lachen ausbrach. Von weit her waren Leute gekommen, von dem zehn Meilen entfernten Lovejoy, von Fayetteville und von Jonesboro, einige sogar aus Atlanta und Macon. Die Wände wollten ob der Menge schi er bersten, ein unendliches Schwatzen und Lachen, Kichern und Kreischen klangen bald lauter, bald leiser ins Freie hinaus.

Auf den Stufen vor der Eingangstür stand hochaufgerichtet John Wilkes in seinem Silberhaar und strahlte den stillen Zauber und die herzliche Gastfreundschaft aus, die warm und nie versagend wie die georgianische Sommersonne waren. Neben ihm stand Honey Wilkes - Honey genannt, weil sie von ihrem Vater an bis zum letzten Ackerknecht unterschiedslos jeder mit diesem Kosenamen anredete - und begrüßte geziert und kichernd die ankommenden Gäste.

Honeys nervöses und gar zu augenfälliges Bestreben, jedem Mann, der in Sicht kam, zu gefallen, stand in scharfem Gegensatz zu der vornehmen Haltung ihres Vaters. Scarlett kam der Gedanke, daß am Ende doch etwas Wahres an alledem sei, was Mrs. Tarleton gesagt hatte. Der gutaussehende Teil der Familie waren zweifellos die Männer. Die dichten tiefen Wimpern, zwischen denen John Wilkes' und Ashleys Augen so schön standen, waren bei Honey und ihrer Schwester India spärlich und farblos geraten. Honey hatte den eigentümlichen wimperlosen Blick eines Kaninchens, und India konnte man nur als häßlich bezeichnen.

India war nirgends zu sehen, Scarlett vermutete sie in der Küche, wo sie wahrscheinlich den Dienstboten die letzten Anweisungen gab. Arme India, dachte Scarlett. Sie hat sich seit dem Tode ihrer Mutter so mit dem Haushalt plagen müssen, daß sie es mit Ausnahme von Stuart Tarleton zu keinem Verehrer gebracht hat; und schließlich ist es nicht meine Schuld, wenn er mich hübscher findet als sie.

John Wilkes kam die Treppe herunter und bot Scarlett den Arm. Als sie aus dem Wagen stieg, bemerkte sie, wie Suellen plötzlich in ihren Bewegungen geziert wurde. Sie mußte wohl Frank Kennedy irgendwo in der Menge entdeckt haben.

Schrecklich, wenn man sich keinen besseren Verehrer einspannen kann als diese alte Jungfer in Hosen! dachte sie verächtlich, als sie den Fuß auf den Boden setzte und John Wilkes ihren Dank zulächelte. Frank Kennedy kam eilig an den Wagen, um Suellen herauszuhelfen, worauf diese sich so stolz gebärdete, daß Scarlett sie hätte ohrfeigen mögen. Mochte Frank Kennedy auch mehr Land sein eigen nennen als irgendwer in der Provinz, mochte er auch ein sehr gutes Herz haben, was bedeutete all das dagegen, daß er schon vierzig war, hager und nervös, und einen dünnen gelbbraunen Backenbart trug und ein altjüngferliches, umständliches Wesen hatte. Doch Scarlett dachte an ihr Vorhaben, schluckte die Verachtung herunter und begrüßte ihn mit so strahlendem Lächeln, daß er mit dem für Suellen ausgestreckten Arm plötzlich innehielt und in beglückter Verwunderung Scarlett anstarrte.

Während Scarlett leichthin mit John Wilkes plauderte, suchten ihre Augen in der Menge nach Ashley, aber vor dem Hause war er nirgends zu sehen. Dutzende von Stimmen begrüßten sie, Stuart und Brent Tarleton kamen auf sie zu. Die Munroemädchen stürzten herbei und begeisterten sich für ihr Kleid, und im Handumdrehen stand sie im Mittelpunkt eines lauter und lauter sprechenden Kreises, in dem jeder versuchte, den anderen zu überschreien. Wo war Ashley? Und Melanie und Charles? Sie bemühte sich, nicht aufzufallen, während sie überall herumschaute und in die Halle und das lachende Menschengewühl darin spähte.

Als sie so plaudernd und lachend mit raschen Blicken Haus und Hof absuchte, fiel ihr Auge auf einen Fremden, der allein in der Halle stand und sie mit so kühler Unverschämtheit ansah, daß sie augenblicklich stutzte, teils in weiblicher Freude darüber, daß sie einen Mann auf sich aufmerksam gemacht hatte, teils in dem verlegenen Gefühl, daß ihr Kleid vorn zu tief ausgeschnitten sei. Er sah gar nicht mehr jung aus, mindestens wie fünfunddreißig, und war sehr groß und kräftig. Scarlett meinte, sie hätte nie einen so breitschultrigen Mann mit so gewaltigen Muskeln gesehen, fast schon zu kräftig, um vornehm zu sein. Als ihr Auge dem seinen begegnete, lächelte er und zeigte dabei tierhaft weiße Zähne unter seinem kurz

geschnittenen schwarzen Schnurrbart. Er war dunkelhäutig,

sonnenverbrannt wie ein Seeräuber. Seine Augen waren kühn und schwarz wie die eines Piraten, der sich überlegt, ob er eine Galeone versenken, ob er ein Mädchen rauben soll. Kühle Verwegenheit lag in seinem Gesicht, und ein zynischer Humor spielte um den Mund, als er ihr zulächelte. Scarlett verschlug es den Atem. Eigentlich sollte ein solcher Blick sie beleidigen, und sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie sich nicht beleidigt fühlte. Wer das sein mochte, wußte sie nicht; aber unleugbar sprach aus seinem dunklen Gesicht vornehme Abstammung. Man sah es an der dünnen Habichtnase über den vollen roten Lippen, der hohen Stirn und den weit auseinanderstehenden Augen. Widerstrebend nur wandte sie den Blick ab, ohne wiederzulächeln; und er drehte sich um, als jemand rief: »Rhett! R hett Butler, komm her! Du sollst das hartherzigste Mädchen in Georgia kennenlernen.«

Rhett Butler? Der Name kam ihr bekannt vor und erinnerte sie an irgendeine herrliche Skandalgeschichte, aber ihre Gedanken waren bei Ashley und gingen der Sache nicht weiter nach.

»Ich muß hinauf und mir das Haar richten«, sagte sie zu Stuart und Brent, die versuchten, sie von der Menge abzuschneiden. »Wartet hier auf mich und lauft gefälligst nicht mit einem anderen Mädchen davon, sonst werde ich böse.«

Sie gewahrte, daß Stuart heute Schwierigkeiten machen würde, sobald sie mit jemand anderem flirtete. Er hatte getrunken und trug die hochfahrende, kampflustige Miene zur Schau, die nichts Gutes bedeutete, wie sie aus Erfahrung wußte. In der Halle blieb sie stehen, sprach mi t Freunden und begrüßte India, die gerade mit unordentlichem Haar und winzigen Schweißtropfen auf der Stirn aus dem Hinterhause auftauchte. Arme India! Es war schon sehr schlimm, wenn Haar und Wimpern farblos waren und das Kinn als Zeichen einer eigenwilligen Natur vorstand und man obendrein noch nicht zwanzig Jahre alt war und doch schon als alte Jungfer galt. 0b India wohl sehr böse war, daß sie ihr Stuart weggenommen hatte? Es hieß, sie sei noch immer in ihn verliebt, aber man konnte nie genau wissen, was in einem Wilkes vorging. Trug sie es Scarlett nach, so ließ sie es doch niemals merken und behandelte ihre Nebenbuhlerin mit der gleichen zurückhaltenden, liebenswürdigen Höflichkeit, die sie ihr stets gezeigt hatte.

Scarlett sagte ihr einige freundliche Worte und schickte sich an, die breite Treppe hinaufzugehen. Da hörte sie sich von einer schüchternen Stimme beim Namen gerufen, drehte sich um und erblickte Charles Hamilton. Er war ein gutaussehender Junge mit einem Gewirr von weichen braunen Locken auf der weißen Stirn und tiefbraunen, reinen, sanften Augen wie ein Schäferhund. In seinen senfgelben Hosen und seinem schwarzen Rock war er sehr elegant, auf seinem gefältelten Hemd saß die breiteste, modernste schwarze Krawatte, die man sich vorstellen ko nnte. Eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht, als Scarlett sich ihm zuwandte. Mit Mädchen war er schüchtern, und wie die meisten schüchternen Männer bewunderte er so lebhafte, selbstsichere Mädchen wie Scarlett aufs höchste. Sie hatte bisher nie mehr als oberflächliche Höflichkeit für ihn gehabt, und so benahm ihm die strahlende Freundlichkeit, mit der sie ihn begrüßte und ihm ihre beiden Hände entgegenstreckte, fast den Atem.

»Ach, Charles Hamilton, hübscher alter Junge! Ich wette, Sie sind den weiten Weg von Atlanta nur hergekommen, um mir das arme Herz zu brechen.«

Charles stotterte fast vor Aufregung, als er die warmen kleinen Hände in den seinen hielt und ihr in die schillernden Augen sah. So sprachen Mädchen stets mit anderen Burschen, aber nie mit ihm. Er begriff nicht, warum die Mädchen ihn immer wie einen jüngeren Bruder behandelten und sehr freundlich mit ihm waren, sich aber nie dazu herbeiließen, ihn zu necken. Von jeher wünschte er sich, daß die Mädchen auch mit ihm flirten und scherzen sollten wie mit den anderen Burschen, die viel weniger gut aussahen als er und zudem mit den Gutem dieser Welt längst nicht so gesegnet waren. Geschah das aber ganz selten einmal, so fielen ihm nie passende Antworten ein, und er starb vor Verlegenheit über seinen hilflos verschlossenen Mund. Danach lag er nächtelang wach, und all die reizenden Galanterien, die er hätte sagen können, kamen ihm nachträglich in den Sinn. Aber eine zweite Gelegenheit dafür bot sich nie, denn nach einem oder zwei vergeblichen Versuchen ließen die Mädchen stets von ihm ab. Sogar mit Honey, mit der er sich in dem unausgesprochenen Einverständnis befand, daß sie einander im nächsten Herbst heiraten wollten, war er scheu und still. Zuzeiten hatte er das niederdrückende Gefühl, daß Honeys kokette Art, ihn als Eigentum zu behandeln, ihm nicht eben zur Ehre gereichte. Sie war so hinter den Männern her, daß er sich wohl vorstellen konnte, wie sie mit jedem, der ihr Gelegenheit gab, ebenso umspringen würde. Die Aussicht, sie zu heiraten, erregte ihn nicht sonderlich. Die wildromantischen Gefühle, die sich, nach seinen geliebten Büchern zu urteilen, für einen Liebhaber schickten, vermochte sie nicht in ihm zu erwecken. Er hatte sich immer danach gesehnt, von einem schönen hinreißenden Geschöpf voll Feuer und Gefahr geliebt zu werden, und nun neckte ihn Scarlett 0'Hara damit, daß er ihr das Herz bräche!

Er suchte nach Worten, fand aber keine, und so war er insgeheim froh, daß sie ohne Unterlaß auf ihn einredete und ihn der Notwendigkeit enthob, Entgegnungen zu finden. Es war zu schön, umwahr zu sein!

»So, nun rühren Sie sich nicht vom Fleck, bis ich wiederkomme. Wir wollen beim Essen zusammen sitzen. Und daß Sie mir nicht mit den anderen Mädchen anfangen, ich bin furchtbar eifersüchtig!« klang es kau m glaubhaft von den roten Lippen zwischen den beiden Grübchen, während dichte schwarze Wimpern sich sittsam über grüne Augen senkten.

»0 nein«, brachte er schließlich leise heraus und ahnte nicht, daß sie ihn dabei wie ein Kalb aussehend fand, das auf den Metzger wartet.

Sie schlug ihm leicht mit dem zusammengefalteten Fächer auf den Arm und wandte sich die Treppe hinauf. Da fiel ihr Blick noch einmal auf den Mann namens Rhett Butler, der ein paar Schritte von Charles entfernt allein stand. 0ffenbar hatte er die ganze Unterhaltung gehört, denn tückisch wie ein Kater lachte er sie an, und wieder schweiften seine Augen, völlig bar der Ehrerbietung, die sie gewohnt war, über sie hin.

»Heiliger Strohsack!« In ihrer Entrüstung gebrauchte Scarlett im stillen Geralds Lieblingsfluch. »Er tut, als ob er wüßte, wie ich ohne Hemd aussehe!« Damit warf sie den Kopf zurück und ging nach oben. In dem Schlafzimmer, wo die Damen abgelegt hatten, fand sie Cathleen Calvert, die sich vor dem Spiegel putzte und auf die Lippen biß, damit sie röter aussähen. An ihrem Gürtel steckten frische Rosen, die zu ihren Wangen paßten, und ihre kornblumenblauen Augen sprühten vor Erregung.

»Cathleen«, sagte Scarlett und versuchte, sich die Taille höher hinaufzuziehen, »wer ist eigentlich dieser gräßliche Butler da unten?«

»Ja, weißt du denn das nicht?« flüsterte Cathleen aufgeregt und hatte dabei ein scharfes Auge auf das Nebenzimmer, wo Dilcey mit der Mammy der Wilkesschen Mädchen schwatzte. »Es muß für Mr. Wilkes ein peinliches Gefühl sein, ihn hier zu haben, aber er war gerade zu Besuch bei Mr. Kennedy in Jonesboro, ich glaube in Baumwollgeschäften, und da mußte Mr. Kennedyihn natürlich mit hierherbringen.«

»Was ist denn mit ihm?« »Man verkehrt nicht mit ihm.« »Wahrhaftig?«

Scarlett hatte daran ein Weilchen schweigend zu kauen. Noch nie war sie mit jemandem, mit dem man nicht verkehrt, unter einem Dach zusammen gewesen. Das war sehr aufregend.

»Was hat er denn getan?«

»0 Scarlett, er hat einen ganz schrecklichen Ruf. Er heißt Rhett Butler und stammt aus Charleston. Seine Eltern gehören da zu den besten Familien, aber mit ihm verkehren sie nicht mehr. Caro Rhett hat mir vorigen Sommer von ihm erzählt. Er ist aus West-Point rausgeschmissen worden. Stell dir vor! Wegen etwas so Schummeln, daß Caro es nicht wissen darf, und dann war da noch die Geschichte mit dem Mädchen, das er nicht geheiratet hat. Ja, weißt du denn gar nichts davon? Also, dieser Mr. Butler ist in Charleston mit einem Mädchen im Einspänner spazierengefahren. Ich weiß nicht, wer sie war, aber ich habe so meinen Verdacht. Aus sehr guter Familie kann sie nicht gewesen sein, sonst wäre sie nicht so spät nachmittags ohne Begleitung mit ihm ausgefahren, und denk mal, sie blieben beinahe die ganze Nacht und gingen schließlich zu Fuß nach Hause. Sie behaupteten, das Pferd sei ihnen durchgegangen und hätte den Wagen zertrümmert und sie hätten sich im Walde verirrt. Und nun rate, was geschah!«

»Das kann ich nicht raten, erzähle!« sagte Scarlett begeistert und machte sich auf das Schlimmste gefaßt.

»Den nächsten Tag hat er sich geweigert, sie zu heiraten.«

»Ach!«Scarlett war enttäuscht.

»Er sagte, er habe ihr nichts getan und sehe nicht ein, warum er sie heiraten sollte. Natürlich hat ihr Bruder ihn gefordert, und Mr. Butler hat gesagt, lieber ließe er sich totschießen, als eine dumme Gans zu heiraten. Und dann kam das Duell, und Mr. Butler hat den Bruder des Mädchens getötet und mußte aus Charleston weg, und nun kann er nirgends mehr verkehren«, schloß Cathleen triumphierend und eben noch rechtzeitig, denn Dilcey kam zurück, um das Kleid ihrer Schutzbefohlenen einer Prüfung zu unterziehen.

»Hat sie ein Kind gekriegt?« flüsterte Scarlett Cathleen ins 0hr.

Cathleen schüttelte heftig den Kopf. »Aber ruiniert war sie trotzdem«, zischelte sie zur ück.

Wenn doch nur Ashley mich kompromittieren wollte, dachte Scarlett plötzlich. Er wäre zu sehr Gentleman, ummich dann nicht zu heiraten.

Und doch hatte sie das uneingestandene Gefühl, man müsse vor Rhett Butler Achtung haben, weil er sich geweigert hatte, eine dumme Gans zu heiraten.

Scarlett saß auf einem hohen Liegestuhl aus Rosenholz im Schatten einer riesigen Eiche hinter dem Hause, umwogt von Falten und Rüschen, unter denen zwei Zoll ihrer grünen Maroquinschuhe - das Äußerste, was eine Dame zeigen durfte - zum Vorschein kamen. Einen kaum berührten Teller hatte sie in der Hand und sieben Kavaliere um sich herum. Das Gartenfest war auf seinem Höhepunkt angelangt. Gelächter und lustige Worte, das Geklirr von Silber und Porzellan und würzige Bratendüfte erfüllten die warme Luft. Wenn der leichte Wind sich drehte, zogen Rauchwolken von den Feuerstellen über die Gesellschaft hin und wurden von den Damen mit lustigem Schreckensgeschrei und heftigem Gewedel ihrer Palmenfächer begrüßt.

Die meisten jungen Damen saßen mit ihren Herren auf den Bänken an den langen Tischen. Aber Scarlett hatte erkannt, daß ein Mädchen nur zwei Seiten und auf jeder nur Platz für einen einzigen Mann hat, und deshalb hatte sie vorgezogen, sich abseits zu setzen und soviel Männer wie möglich umsich zu versammeln.

Auf dem Rasen in der Laube saßen die verheirateten Damen, ehrbar in ihren dunklen Kleidern inmitten all der Lustigkeit und Buntheit ringsum. Wer verheiratet war, einerlei in welchem Alter, fand sich für immer von den helläugigen Mädchen, den Kavalieren und all ihrer Jugendlichkeit geschieden. Verheiratete Frauen, die noch umworben wurden, gab es im Süden nicht. Von Großmama Fontaine, die von dem Vorrecht ihres Alters, aufzustoßen, unbekümmerten Gebrauch machte, bis zu der sieb zehnjährigen Alice Munroe, die gegen die Übelkeit einer ersten Schwangerschaft ankämpfte, hatten sie zu endlosen genealogischen und gynäkologischen Gesprächen ihre Köpfe zusammengesteckt, was solche Gesellschaften zu sehr willkommenen, unterhaltsamen Lehrkursen machte. Scarlett sah von oben auf sie herab und fand, sie sähen aus wie ein Schwärm fetter Krähen.

Verheiratete Frauen durften sich nie amüsieren. Daß sie selbst, wenn Ashley sie heiratete, auch ohne weiteres in die Lauben und in die Salons verbannt würde, zu den gesetzten Matronen in glanzloser Seide, ausgeschlossen von Spaß und Spiel - der Gedanke kam Scarlett nicht. Ihre Phantasie trug sie, wie die meisten Mädchen, nur bis an den Altar und keinen Schritt darüber hinaus. Außerdem war sie jetzt zu unglücklich, um solchenVorstellungen nachzuhängen.

Sie senkte die Augen auf den Teller und aß zierlich von einem angebrochenen Biskuit mit einer Eleganz und einem so völligen Mangel an Appetit, daß Mammy ihre Freude daran gehabt hätte. Bei allem Überfluß a n Verehrern hatte sie sich noch nie im Leben so unglücklich gefühlt wie jetzt. Alle ihre Pläne von gestern abend waren gescheitert. Zu Dutzenden hatten sich die Kavaliere zu ihr gesellt, nur Ashley nicht, und all die Befürchtungen von gestern kamen wieder über sie. Ihr Herz schlug bald rasch, bald träge, ihre Wangen waren einmal flammenrot, dann wieder weiß. Ashley hatte keinerlei Anstalten gemacht, in ihren Bannkreis zu treten, und seit ihrer Ankunft hatte sie keinen Augenblick unter vier Augen mit ihm gehabt, ja, seit der ersten Begrüßung hatte sie überhaupt noch nicht mit ihm sprechen können. Als sie den Hintergarten betrat, war er auf sie zugekommen, aber mit Melanie am Arm, die ihm kaum bis zur Schulter reichte.

Melanie war ein zartgebautes, zierliches Mädchen, gleich einem Kind, das mit den viel zu großen Reifröcken der Mutter Verkleiden spielt, eine Vorstellung, die durch den scheuen, fast furchtsamen Blick ihrer großen Augen noch verstärkt wurde. Die Wolke ihres dunklen lockigen Haares war unter einem Netz streng gefaßt, eine dunkle Masse, die auf der Stirn in eine Spitze wie eine Witwenhaube auslief und das herzförmige Gesichtchen noch herzförmiger erscheinen ließ. Mit den zu breiten Backenknochen und dem allzu spitzen Kinn war es ein süßes, schüchternes, aber keineswegs schönes Gesicht, und Melanie verstand nicht durch weibliche Verführungskünste über seine Unscheinbarkeit hinwegzutäuschen. Sie sah aus, wie sie war, schlicht wie die Erde, gut wie das Brot, durchsichtig wie Quellwasser. Aber trotz dieser Unansehnlichkeit und der Kleinheit ihrer Gestalt lag in ihren Bewegungen, eine gelassene Würde, die sie weit über ihre siebzehn Jahre hob und ihr etwas seltsam Eindrucksvolles verlieh. Ihr graues 0rgandykleid mit der kirschroten Atlasschärpe verhüllte in Rüschen und duftigen Stoffwolken den kindlich unentwickelten Körper. Der gelbe Hut mit den langen kirschroten Bändern ließ ihre elfenbeinfarbene Haut erglühen. In ihren braunen Augen war etwas von dem stillen Glanz eines winterlichen Waldsees, aus dessen Tiefe die dunklen Gewächse durch das ruhigeWasser heraufschimmern.

Sie hatte Scarlett mit schüchterner Zuneigung angelächelt und ihr gesagt, wie hübsch ihr grünes Kleid sei, und es war Scarlett schwergefallen, auch nur höflich zu antworten, so heftig war ihr Verlangen, mit Ashley allein zu sein. Seitdem hatte Ashley auf einem Hocker zu Melanies Füßen gesessen, fern von den anderen Gästen, hatte sich ruhig mit ihr unterhalten und dabei das leichte, versonnene Lächeln gezeigt, das Scarlett so sehr an ihm liebte. Unter seinem Lächeln war ein kleiner Funken in Melanies Augen aufgesprungen, und das machte die Sache noch schlimmer, denn nun mußte sogar Scarlett zugeben, daß sie beinahe hübsch aussah. Als Melanie zu Ashley aufblickte, war ihr Gesicht wie von innen erleuchtet. Hatte je ein liebendes Herz sich auf einem Antlitz gezeigt, so jetzt bei Melanie Hamilton.

Scarlett gab sich Mühe, die Augen von den beiden abzuwenden, aber es gelang ihr nicht. Nach jedem Blick dorthin war sie mit ihren Kavalieren doppelt lustig. Sie lachte und sagte gewagte Dinge, neckte und warf den Kopf zurück, daß die 0hrringe klirrten. Wohl hundertmal sagte sie »Ach Unsinn, dummes Zeug!« und schwur, sie wolle nie etwas von alldem glauben, was Männer ihr sagten. Ashley aber bemerkte es nicht, er blickte nur zu Melanie hinauf und sprach weiter, und Melanie sah zu ihm hinab mit einem Ausdruck, der strahlend bewies, daß sie sein war.

So kam es, daß Scarlett sich unglücklich fühlte. Wer nur das Äußere wahrnahm, mochte meinen, nie habe ein Mädchen weniger Grund dazu gehabt. Unbestritten war sie die Königin des Tages. Zu jeder anderen Zeit hätte ihr das Aufsehen, das sie bei den Männern erregte, zusammen mit dem Herzweh der anderen Mädchen, ungeheures Vergnügen bereitet.

Charles Hamilton wich trotz der vereinten Bemühungen der Zwillinge Tarleton nicht von ihrer Seite. Er hielt ihren Fächer in der einen Hand und seinen unberührten Teller in der andern und vermied es hartnäckig, Honeys Blick zu begegnen, der die Tränen nahe waren. Cade hatte es sich zu ihrer Linken bequem gemacht und sah Stuart mit glimmenden Augen an.

Schon schwelte die Glut zwischen ihm und den Zwillingen, schon waren gereizte Worte hin und her gegangen. Frank Kennedy scharwenzelte um Scarlett herum wie eine Henne um ein Küken und rannte zwischen den Eichen und den Tischen hin und her, um Scarlett mit Leckerbissen zu versorgen, als ob nicht schon ein Dutzend Diener zu diesem Zweck da wären. Suellens dumpfer Groll begann ihre vornehme Zurückhaltung zu durchbrechen, und sie schoß feindselige Blicke auf Scarlett. Die kleine Carreen hätte weinen mögen. Trotz Scarletts ermutigenden Worten von heute morgen hatte Brent nur »Hallo, Schwesterchen« zu ihr gesagt und sie am Haarband gezupft, ehe er seine volle Aufmerksamkeit Scarlett zuwandte. Gewöhnlich war er doch so nett zu ihr und behandelte sie mit einer heiteren Ehrerbietung, bei der sie sich ganz erwachsen vorkam; und Carreen träumte insgeheim von dem Tage, da sie ihr Haar aufstecken und einen langen Rock anziehen und ihn wirklich als Verehrer betrachten konnte. Aber nun sah es aus, als gehörte er Scarlett ganz und gar. Die Munroemädchen verbargen mühsam ihren Kummer über die Unaufmerksamkeit der beiden dunklen Fontaines, die mit im Kreise um Scarlett standen und sich an sie heranzuschlängeln suchten, sobald einer der andern Miene machte aufzustehen. Mit erhobenen Augenbrauen funkten sie ihre Mißbilligung über Scarletts Benehmen zu Hetty Tarleton hinüber. »Schamlos« war das einzig richtige Wort dafür. Alle drei zugleich nahmen die jungen Damen ihre Spitzenschirmchen in die Hand, sagten, sie hätten nun genug gegessen, berührten mit leichtem Finger den Arm des zunächststehenden Herrn und begehrten in holden Tönen den Rosengarten, den Brunnen und das Sommerhaus zu sehen. Dieser strategische Rückzug in guter 0rdnung entging keiner der anwesenden Damen und jedem der anwesenden Männer.

Scarlett kicherte in sich hinein, als sie drei Männer ihren Zauberkreis verlassen sah, um den Damen Dinge zu zeigen, die ihnen von Kindheit auf vertraut waren, und warf einen scharfen Blick auf Ashley, um zu sehen, ob er es bemerkt habe. Der aber spielte mit den Enden von Melanies Schärpe und lächelte zu ihr hinauf. Scarletts Herz zog sich vor Weh zusammen. Sie hätte Melanies Elfenbeinhaut bis aufs Blut zerkratzen mögen.

Als ihre Blicke weiterschweiften, begegneten ihre Augen denen Rhett Butlers, der abseits mit John Wilkes sprach. Er hatte sie beobachtet, und jetzt lachte er sie an. Scarlett hatte das unbehagliche Gefühl, daß unter allen Anwesenden nur dieser Mann, mit dem man nicht verkehrte, ihre wilde Lustigkeit durchschaute und sein hämisches Vergnügen daran fand. Auch ihn hätte sie mit Wonne zerkratzen mögen. »Wenn ich nur dieses Fest bis heute mittag überstehe«, dachte sie, »dann gehen alle Mädels zu einem Schläfchen hinauf, und ich bleibe hier und komme endlich dazu, mit Ashley zu reden. Er muß doch bemerkt haben, wie begehrt ich bin.« Noch mit einer anderen Hoffnung suchte sie ihr Herz zu trösten: »Natürlich muß er gegen Melanie aufmerksam sein, denn schließlich ist sie seine Cousine, und so unbeliebt, wie sie ist, wäre sie ohne ihn ein Mauerblümchen. «

Sie schöpfte wieder Mut und verdoppelte ihre Bemühungen um Charles, dessen glühende braune Augen nicht von ihr abließen. Es war ein wundervoller Tag, ein Traumtag für ihn. Er hatte sich in Scarlett verliebt. Vor diesem neuen Gefühl wich Honey wie in einen dichten Nebel zurück.

Honey war ein laut zwitschernder Spatz, Scarlett ein schillernder Kolibri. Sie zog ihn vor, stellte Fragen an ihn und gab selbst Antworten darauf, so daß er gescheit wirkte, ohne selbst ein Sterbenswörtchen zu erfinden. Die anderen ärgerten sich und wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie mußten sich ernstlich anstrengen, um höflich zu bleiben und die wachsende Wut hinunterzuschlucken. Überall glomm es unter der Asche, und wäre Ashley nicht gewesen, Scarlett hätte einen richtigen Triumph gefeiert.

Als der letzte Bissen aufgegessen war, hoffte Scarlett, India werde nun aufstehen und den Damen vorschlagen, sich ins Haus zurückzuziehen. Es war zwei Uhr, und die Sonne schien warm, aber India war nach den dreitägigen Vorbereitungen so müde, daß sie froh war, sitzen zu dürfen und dabei einem tauben alten Herrn aus Fayetteville ihre Bemerkungen ins 0hr schreien zu können.

Eine träge Schläfrigkeit legte sich über die Gesellschaft. Die Farbigen gingen herum und deckten die langen Tische, an denen man gespeist hatte, ab. Gelächter und Gespräch wurden stiller, alle warteten darauf, daß die Gastgeberin das Zeichen zum Ende der Festlichkeit geben möge. Palmenfächer wedelten auf und ab, und einige alte Herren waren vor Hitze und Sattheit eingenickt. In dieser Pause zwischen der Geselligkeit des Morgens und dem abendlichen Ball machten sie alle den Eindruck von gemessenen, friedlichen Leuten. Nur die jungen Männer hatten immer noch etwas von der ruhelosen Kraft, die bis vor kurzem die ganze Gesellschaft belebt hatte. Unter der Schlaffheit des Mittags lauerten Leidenschaften, die jeden Augenblick tödlich aufflammen und ebenso schnell ausbrennen konnten. Die Unterhaltung wollte eben völlig einschlafen, als plötzlich alles durch Geralds zornig erhobene Stimme aus dem Halbschlummer geschreckt wurde. Er stand in einiger Entfernung von den Speisetischen und war auf demHöhepunkt eines Streites mit John Wilkes angelangt.

»Heiliger Strohsack, Mann! Für friedliche Einigung mit den Yankees beten? Nachdem wir die Schufte aus Fort Sumter hinausgefeuert haben? Friedlich? Die Südstaaten sollten mit den Waffen in der Hand zeigen, daß sie sich nicht beleidigen lassen und daß sie sich nicht mit gütiger Erlaubnis der Union von ihr trennen, sondern aus eigener Kraft befreien!«

»Mein Gott«, dachte Scarlett, »nun können wir alle bis Mitternacht hier sitzen bleiben.«

Im Handumdrehen hatte sich alle Schläfrigkeit verflüchtigt. Die Männer sprangen von Bänken und Stühlen auf, die Stimmen begannen einander zu überschreien. Den ganzen Morgen hatte auf Mr. Wilkes' Bitte, die Damen nicht zu langweilen, niemand von Politik und Kriegsgefahr gesprochen. Aber nun hatte Gerald das Eis gebrochen, und alle anwesenden Männer vergaßen die Ermahnung.

»Natürlich wollen wir kämpfen ...« »Diese verfluchten Yankees, diese Spitzbuben ...« »Wir verhauen sie in einem einzigen Monat...« »Einer von uns prügelt zwanzig von ihnen windelweich ...« »Friedlich? ... Sie lassen uns ja nicht in Frieden!« »Wie Mr. Lincoln unsere Unterhändler beleidigt hat ... Wochenlang hat er sie warten lassen und versprochen, Fort Sumter zu räumen!« »Sie wollen den Krieg, nun, er soll ihnen bald zum Halse heraushängen!« Lauter als alle anderen donnerte Gerald. Scarlett hörte ihn brüllen: »Die Rechte der Südstaaten, Teufel noch mal!« Er ereiferte sich gewaltig und kam endlich auf seine Kosten, seine Tochter aber durchaus nicht. All dies Gerede war ihr gründlich verhaßt, weil sich die Männer nun stundenlang damit beschäftigen und sie vorläufig keine Gelegenheit mehr finden würde, Ashley unter vier Augen zu sprechen. Natürlich gab es keinen Krieg, das wußten die Männer alle. Sie redeten nur gern und hörten sich so gern reden.

Charles Hamilton war nicht mit den andern aufgesprungen und fand sich plötzlich mit Scarlett allein. Da lehnte er sich enger an sie und flüsterte mit der Kühnheit neugeborener Leidenschaft: »Miß 0'Hara ... Ich ... ich hatte schon beschlossen, daß ich nach Südcarolina zur Truppe gehen wollte, falls es Krieg gäbe. Mr. Wade Hampton stellt eine Reitertruppe auf, und da wollte ich natürlich dabeisein. Er ist ein großartiger Kerl und war der beste Freund meines Vaters.«

Scarlett sah ihn verwundert an und dachte: »Wie können Männer nur so dumm sein, zu glauben, daß ein Mädchen sich für so etwas interessiert.« Er meinte, sie finde vor lauter Begeisterung keine Worte, und fuhr immer kühner fort:

»Wenn ich nun gehe, sind ... sind Sie dann traurig ... Miß 0'Hara?«

»Dann weine ich jede Nacht mein Kissen naß.« Es sollte schnippisch klingen, er aber nahm es ernst und errötete vor Freude. Sie hatte die Hand in den Falten ihres Kleides verborgen, er tastete sich heran und drückte sie fest, von seiner eigenen Kühnheit und ihrer Zuneigung überwältigt.

»Wollen Sie dann für mich beten?«

»Der Schafskopf!« dachte Scarlett bitter und schaute sich verstohlen um, ob nicht jemand sie von dieser Unterhaltung erlöse.

»Wollen Sie es tun?«

»Ja ... gewiß, mindestens drei Rosenkränze jeden Abend!«

Rasch blickte Charles umher, hielt den Atem an und straffte die Muskeln. Sie waren so gut wie allein. Eine solche Gelegenheit bot sich vielleicht nie wieder. Und wenn Gott sie ihm noch einmal bescheren sollte, vielleicht versagte ihm dann die Kraf t.

»Miß 0'Hara ... ich muß Ihnen etwas sagen. Ich ... ich liebe Sie!«

»Hmmm?« machte Scarlett und versuchte durch die Menge der Streitenden zuAshley hindurchzublicken.

»Ja!« flüsterte Charles, außer sich vor Entzücken, daß sie weder gelacht hatte noch in 0hnmacht gefallen war. »Ich liebe Sie! Sie sind das ... das ...«, zum erstenmal in seinem Leben löste sich ihm die Zunge, »das schönste Mädchen, das ich je gekannt habe, das süßeste und gütigste, so lieb wie Sie war noch niemand zu mir. Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Ich kann ja nicht annehmen, daß Sie jemand wie mich lieben können, aber wenn Sie mir ein ganz klein wenig Mut machen, will ich alles tun, damit Sie mich lieben. Ich will...«

Charles hielt inne, er konnte sich nichts ausdenken, das stark genug wäre, Scarlett die Tiefe seines Gefühls zu beweisen, und so sagte er dann einfach: »Ich möchte Sie heiraten.«

Mit einem Ruck war Scarlett wieder auf der Erde, als das Wort »heiraten« an ihr 0hr schlug. Gerade hatte sie an Heiraten und an Ashle y gedacht und blickte Charles mit schlecht verhehlter Gereiztheit an. Was mußte auch dieses Kalb ihr gerade jetzt seine Gefühle aufdrängen, da ihr vor lauter eigenen Gedanken und Gefühlen fast der Kopf platzte? Sie blickte ihm in die braunen Augen und sah nicht die Schönheit der ersten scheuen Knabenliebe, die darin lag, nicht die Verzückung eines Traumes, der Wirklichkeit werden will, nicht die wilde, selige Zärtlichkeit, die ihn wie eine Flamme durchfuhr. Scarlett war es gewöhnt, daß Männer ihr einen Heiratsantrag machten, sehr viel anziehendere Männer als Charles Hamilton, die Lebensart genug besaßen, ihr nicht gerade bei einem Gartenessen, wenn sie wichtigere Dinge im Kopf hatte, damit zu kommen. Sie sah nur den zwanzigjährigen Jungen, der rot wie eine Rübe geworden war und sich sehr tölpelhaft ausnahm. Sie hätte ihm das gern gesagt, aber ganz von selbst kamen ihr die Worte, die Ellen sie für solche Fälle gelehrt hatte. Sie schlug gewohnheitsmäßig die Augen nieder, und leise ging es über ihre Lippen:

»Mr. Hamilton, ich bin mir der Ehre wohl bewußt, die Sie mir dadurch erweisen, daß Sie um meine Hand anhalten, aber es kommt alles so plötzlich, daß ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.«

Auf diese Weise vermied man es geschickt, die Eitelkeit eines Mannes zu kränken, und behielt ihn doch am Bändel. Charles biß darauf an, als wäre solcher Köder etwas Neues und ihm als erstem zugeworfen.

»Ich kann ewig warten! Ich möchte Sie nur haben, wenn Sie Ihrer selbst ganz sicher sind. Bitte, Miß 0'Hara, sagen Sie mir, daß ich hoffen darf!«

Scarletts scharfe Augen erblickten Ashley, der bei Melanie sitzen geblieben war und zu ihr emporlächelte. Wenn nur dieser Dummkopf, der nach ihrer Hand tastete, einen Augenblick still sein wollte, vielleicht konnte sie dann verstehen, worüber die beiden sprachen. Charles' Worte verwischten die Stimmen, denen sie so angestrengt lauschte.

»Seht«, zischte sie ihn an und kniff ihn in die Hand, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

Charles fuhr zusammen, im ersten Augenblick fühlte er sich zurückgestoßen und errötete, dann sah er ihren Blick auf seiner Schwester ruhen und wurde wieder froh. Scarlett fürchtete, jemand möchte seine Worte vernehmen. Natürlich war sie verlegen und in Todesangst, belauscht zu werden. Charles fühlte eine Männlichkeit in sich aufwallen, wie er sie noch nie gespürt hatte. Er hatte ein Mädchen in Verlegenheit gebracht. Das war berauschend, und er suchte seinem Gesicht einen unbekümmerten Ausdruck zu geben und erwiderte vorsichtig Scarletts Händedruck, um zu zeigen, daß er ein Mann von Welt sei und ihre Bedenken verstünde.

Sie fühlte es nicht einmal, denn deutlich hörte sie jetzt Melanies süße Stimme, die ihr höchster Zauber war: »Ich fürchte, über Mr. Thackerays Werke bin ich anderer Meinung als du. Er ist ein Zyniker. Ich glaube, er ist weniger Gentleman als Mr. Dickens.«

Wie kann man nur so etwas Albernes sagen! Scarlett hätte vor Erleichterung lachen mögen. Sie ist eben doch ein Blaustrumpf, und was Männer von einem Blaustrumpf denken, weiß ja jeder. Das Interesse eines Mannes kann man doch nur dadurch wecken, daß man von ihm spricht und allmählich die Unterhaltung auf sich selber lenkt. Hätte Melanie gesagt: »Du bist doch fabelhaft!« oder »Wie du nur auf solche Gedanken kommst! Mein dummer Kopf würde platzen, schon allein bei dem Versuch, über so etwas nachzudenken!« - dann hätte Scarlett Grund gehabt, sich zu ängstigen. Nun fühlte sie ihre Aussichten so sehr steigen, daß sie Charles ein strahlendes Gesicht zuwandte und vor Freude lächelte. Dieser Bewe is ihrer Zuneigung beseligte ihn. Er griff nach ihrem Fächer und fächelte sie so stürmisch, daß ihr Haar in Unordnung geriet.

»Ashley, wie denkst du darüber?« klang es aus der Gruppe der erhitzten Männer heraus. Er stand auf und entschuldigte sich. Keiner von den anderen sieht doch so gut aus, dachte Scarlett, als sie sah, wie gut ihm seine lässige Bewegung stand. Sogar die älteren Männer hielten inne, umihm zuzuhören.

»Nun, meine Herren, wenn Georgia kämpft, gehe ich mit. Warum wäre ich sonst in die Truppe eingetreten?« sagte er, die grauen Augen weit geöffnet. Alles Verträumte war daraus verschwunden, und eine Spannkraft lag darin, wie Scarlett sie nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte. »Aber ich hoffe wie Vater, daß es nicht zum Kampf kommt und die Yankees uns in Frieden lassen ...« Er hob lächelnd die Hand, als die Fontaines und Tarletons durcheinanderzureden begannen wie weiland die Leute beim Turmbau zu Babel. »Ja, ja, ich weiß, wir sind beleidigt und betrogen worden. Hätten wir aber in der Haut der Yankees gesteckt und wollten sie sich ihrerseits von der Union lossagen, wie hätten wir uns dann wohl verhalten? Ungefähr ebenso!«

»Das sieht ihm wieder einmal ähnlich«, dachte Scarlett. »Immer muß er sich in die anderen hineinversetzen.« Für sie hatte alles nur eine einzige Seite. Manchmal war Ashleyeinfach unverständlich.

»Wir wollen nicht so hitzköpfig sein und uns zum Krieg hinreißen lassen. Das meiste Elend in der Welt ist vom Krieg gekommen. Und jedesmal, wenn ein Krieg glücklich vorbei war, wußte niemand mehr so recht, umwas es eigentlich gegangen war.«

Scarlett rümpfte die Nase. An Ashleys Mut zweifelte zum Glück niemand, sonst wäre die Sache bedenklich gewesen. Schon erhob sich um ihn herum ein unwilliges, gefährliches Lärmen leidenschaftlich widerstreitender Stimmen.

Auf dem Rasenplatz unter den Bäumen stieß der taube alte Herr aus Fayetteville India an. »Was geht da eigentlich vor? Worüber reden sie?«

»Über Krieg!« trompetete ihm India durch die hohle Hand ins 0hr. »Sie wollen mit den Yankees kä mpfen!«

»Krieg, sagen Sie?« Er suchte nach seinem Spazierstock und erhob sich mühsam aus seinem Stuhl, aber mit so viel Energie, wie er seit Jahren nicht gezeigt hatte. »Ich will ihnen sagen, was Krieg ist. Ich habe ihn mitgemacht.« Mr. McRae kam selten dazu, vom Krieg zu erzählen, meistens brachten ihn seine Frauensleute vorzeitig zum Schweigen. Eilig stapfte er auf die Gruppe zu und schwenkte mit erhobener Stimme den Stock. Da er die anderen nicht hören konnte, war er bald unbestrittener Herr desSchlacht feldes.

»Ihr jungen Eisenfresser, hört mich an. Wir wollen keinen Krieg. Ich war im Kriege und weiß, wie das ist. Ich bin im Seminolenkrieg gewesen und war dumm genug, auch noch in den mexikanischen zu gehen. Ihr meint, da reitet man ein hübsches Pferd, die Mädchen streuen euch Blumen und ihr kommt als Held nach Hause. Nein, meine Herren! Hunger hat man und bekommt Masern und Lungenentzündung, weil man im feuchten Gras liegen muß. Und sind es nicht Masern und Lungenentzündung, so ist es das Gedärm. Ja, meine Herren, was der Krieg einem da nicht alles antut ... Durchfall und so was ...«

Die Damen wurden rot bis unter die Haarwurzeln. Mr. McRae war das Überbleibsel eines rauheren Zeitalters. »Hole rasch deinen Großvater«, zischte eine seiner Töchter einem jungen Mädchen zu. »Wahrhaftig!« flüsterte sie den aufgeregten Matronen um sie her zu, »jeden Tag wird es schlimmer mit ihm. Wollen Sie mir glauben, heute morgen sagte er zu Mary - sie ist erst sechzehn -: >Nun, kleines Fräulein ...<« Der Rest wurde noch leiser geflüstert, während die Enkelin sich entfernte, um Mr. McRae auf seinen schattigen Platz zurückzuführen.

Unter all den aufgeregt lächelnden Mädchen und leidenschaftlich debattierenden Männern war offenbar nur einer, der nicht aus der Ruhe zu bringen war. Scarlett sah Rhett Butler an einen Baum gelehnt dastehen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Seit Mr. Wilkes ihn verlassen hatte, war er allein und hatte, als das Gespräch sich erhitzte, kein Wort mehr gesprochen. Unter dem kurz geschnittenen schwarzen Schnurrbart verzogen sich spöttisch die roten Lippen, ein Strahl belustigter Geringschätzung glomm in den schwarzen Augen, als höre er prahlenden Kindern zu. Ein unangenehmes Lächeln, fand Scarlett. Er hörte ruhig zu, bis Stuart Tarleton mit zerzaustem Haar und blitzenden Augen wiederholte: »In einem Monat haben wir sie verprügelt! Gentlemen kämpfen immer besser als der Pöbel. Ein Monat ... nein, eine einzige Schlacht ...«

»Meine Herren«, sagte Rhett Butler in der klingenden, verschliffenen Mundart von Charleston, ohne sich aus seiner bequemen Haltung zu rühren oder die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen. »Darf ich ein Wort dazu sagen?« Sein Tonfall war ebenso geringschätzig wie seine Blicke, aber verschleiert durch eine Höflichkeit, mit der er sich gleichsam über sich selbst lustig machte. Man wandte sich ihm mit jener Verbindlichkeit zu, die man immer für einen Außenseiter bereit hatte.

»Hat irgendeiner der Herren schon einmal daran gedacht, daß es südlich der Mason-Dixon-Linie keine einzige Waffenfabrik gibt und wie wenig Eisengießereien wir hier im Süden haben? Wie wenig Wollspinnereien, Baumwollwebereien, Gerbereien? Haben Sie daran gedacht, daß wir kein einziges Kriegsschiff haben und daß die Yankeeflotte uns binnen einer Woche die Häfen sperren kann, so daß wir unsere Baumwolle nicht mehr verschiffen können? Aber natürlich ... an all das haben die Herren längst gedacht.«

Der hält wahrhaftig die Jungens für lauter Esel! Scarlett war empört. Das Blut stieg ihr heiß in die Wangen. Mehrere junge Leute warfen das Kinn empor. John Wilkes kam wie zufällig, aber eilig an seinen Platz neben dem Sprechenden zurück, als wollte er den Anwesenden damit deutlich machen, daß dieser Mann sein Gast war, und sie außerdem an die anwesenden Damen erinnern. »Das Schlimmste bei uns Südstaatlern ist«, fuhr Rhett Butler fort, »daß die meisten nicht genug gereist sind oder nicht genug aus ihren Reisen gelernt haben. Von Ihnen, meine Herren, sind natürlich alle weit herumgekommen. Was aber haben Sie gesehen? Europa, New York, Philadelphia, und die Damen waren natürlich in Saratoga.« Er machte eine leichte Verbeugung nach der Damengruppe unter den Bäumen. »Sie haben die Hotels und die Museen, die Bälle und die Spielbank gesehen. Und dann sind Sie mit der Überzeugung nach Hause gekommen, so schön wie hier im. Süden sei es doch nirgends auf der Welt. Was mich betrifft ich bin zwar in Charleston geboren, habe aber die letzten Jahre im Norden verbracht.« Ein Lächeln entblößte seine weißen Zähne, als wäre es ihm wohlbekannt, d aß alle Anwesenden seine Geschichte wüßten, und als machte er sich nicht das geringste daraus. »Ich habe vieles gesehen, was Sie alle nicht gesehen haben. Die Tausende von Einwanderern, die gern gegen freie Beköstigung und ein paar Dollar Sold für die Yankees fechten würden, die Fabriken, die Gießereien, die Werften, die Bergwerke ... all das, was wir nicht haben. Wir haben ja nur unsere Baumwolle, unsere Sklaven und unseren Hochmut. Die werden in einem Monat mit uns fertig.«

Einen gespannten Augenblick lang herrschte Schweigen. Rhett Butler zog ein feines Leinentaschentuch hervor und stäubte sich nachlässig den Ärmel. Dann erhob sich ein unheilverkündendes Geraune und Gemurmel ringsum. Das Summen von der Gruppe unter den Bäumen her glich dem eines aufgeschreckten Bienenschwarms. Auch Scarlett spürte, wie ihr der Zorn in die Wangen stieg, aber zugleich schoß durch ihren nüchternen Kopf der Gedanke, daß alles, was dieser Mann da sagte, höchst verständig klinge und richtig sein könne. Sie hatte zwar noch nie eine Fabrik gesehen und kannte auch niemanden, der eine gesehen hatte. Aber selbst wenn er die Wahrheit redete, so war er doch kein Gentleman, denn man sprach solche Dinge nicht auf einer Gesellschaft aus, auf der man zum Vergnügen weilte.

Stuart Tarleton kam mit gesenkten Brauen heran, und Brent folgte ihm auf dem Fuße. Die Zwillinge wußten sich selbstverständlich zu benehmen und würden schwerlich auf einem Gartenfest eine ernstliche Szene machen, aber trotzdem gerieten die Damen in eine wohlige Erregung - es kam so selten vor, daß sie einen Streit selber miterlebten; meistens lernten sie ihn nur vomHörensagen kennen.

»Herr«, sagte Stuart dumpf, »was wollen Sie damit sagen?«

Rhett sah ihn höflich, aber etwas belustigt an. »Ich will damit«, antwortete er, »dasselbe sagen wie Napoleon - Sie haben vielleicht von ihm gehört? - Er sagte einmal: >Gott ist immer auf der Seite der stärksten Bataillone!<«

Dann wandte er sich zu John Wilkes und sagte verbindlich: »Sie haben mir versprochen, mir Ihre Bibliothek zu zeigen; wäre es unbescheiden, wenn ich darum bäte, sie jetzt sehen zu dürfen? Denn ich muß leider heute nachmittag schon zeitig nach Jonesboro zurück.«

Er schlug leicht die Hacken zusammen und verbeugte sich nach allen Seiten wie ein Tanzlehrer. Die Verbeugung war für einen Mann von solchem Körperbau voller Anmut und dabei so frech wie ein Schlag ins Gesicht. Dann schritt er erhobenen Hauptes mit John Wilkes quer über den Rasen, und sein aufreizendes Lachen hallte bis zu der Gruppe bei den Tischen zurück. Für einen Augenblick herrschte verblüfftes Schweigen, dann begann das Stimmengewirr von neuem. India stand müde von ihrem Platz unter den Bäumen auf und ging auf den erbosten Stuart Tarleton zu. Scarlett hörte nicht, was sie sagte, aber bei dem Blick, mit dem sie ihn ansah, empfand sie so etwas wie einen Gewissensbiß. Es war derselbe Blick der Zusammengehörigkeit, mit dem auch Melanie Ashley anschaute - nur daß Stuart ihn nicht erwiderte. Einen Augenblick lang dachte Scarlett, er hätte India vielleicht längst geheiratet, wenn sie, Scarlett, im vorigen Jahre nicht so mit ihm geflirtet hätte. Dann aber beruhigte sie sich bei dem Gedanken, es sei doch nicht ihre Schuld, wenn andere Mädchen ihre Männer nicht festzuhalten verstünden.

Endlich lächelte Stuart zu India hinunter, ein gezwungenes Lächeln, und nickte mit dem Kopf. India hatte ihn wahrscheinlich gebeten, keinen Streit mit Mr. Butler anzufangen. Unter den Bäumen entstand ein Durcheinander, während die Gäste sich erhoben. Die Mütter riefen nach den Kinderfrauen und den kleinen Kindern und versammelten ihre Brut, um Abschied zu nehmen. Die jungen Mädchen brachen gruppenweise auf und gingen lachend und schwatzend ins Haus, um oben in den Schlafräumen ihre Siesta zu halten. Alle Damen überließen jetzt die Laube und den Schatten der Eichen den Männern; nur Mrs. Tarleton wurde von Gerald, Mr. Calvert und anderen zurückgehalten, die wegen der Pferde für die Truppe endlich eine Zusage zu erlangen hofften.

Ashley schlenderte zu Scarlett und Charles hinüber, er hatte ein halb nachdenkliches, halb belustigtes Lächeln um den Mund. »Ein hochnäsiger Teufel, nicht wahr?« bemerkte er und sah Butler nach. »Er sieht aus wie ein Borgia.«

Geschwind dachte Scarlett nach, ob ihr eine Familie dieses Namens in der Provinz, in Atlanta oder in Savannah bekannt wäre. »Die kenne ich nicht. Ist er mit ihnen verwandt? Was sind das für Leute?«

Über Charles' Gesicht huschte ein verlegener Ausdruck: Ungläubigkeit, Scham und Liebe rangen miteinander. Die Liebe siegte, als ihm aufging daß ein Mädchen nichts weiter brauchte, als anmutig, sanft und schön zu sein, aber keine Bildung obendrein, die ihrem Zauber nur allzu leicht schaden könnte. Er antwortete also rasch: »Die Borgias waren Italiener.«

»Ach«, Scarlett hatte das Interesse verloren, »Fremde!« Sie zeigte Ashley ihr reizendstes Lächeln, aber er sah sie gerade nicht an. Sein Blick lag auf Charles, voller Verständnis und ein wenig mitleidig.

Scarlett stand auf dem Treppenabsatz und lugte vorsichtig über das Geländer nach unten in die Halle. Sie war leer. Aus den Schlafzimmern im oberen Flur kam das endlose Summen leiser Stimmen. Es schwoll an und schwoll wieder ab, und zwischenhinein erscholl Gelächter. Auf den Betten und Diwans der sechs großen Schlafzimmer ruhten die Mädchen sich aus. Das Kleid hatten sie abgelegt, das Korsen gelockert, die Haare flossen geöffnet über den Rücken herab. Ein Nachmittagsschlummer war auf dem Lande Sitte, und selten war er so nötig wie auf solchen Gesellschaften, die den ganzen Tag dauerten, frühmorgens begannen und in einem Ball ihren Höhepunkt fanden. Eine halbe Stunde schwatzten und lachten noch die Mädchen miteinander, dann schlossen die Kammerjunfern die Fensterläden, und in dem warmen Halbdunkel verlor sich das Gespräch im Flüstern und schließlich ganz im Schweigen, das nur durch sanfte, regelmäßige Atemzüge belebt ward.

Scarlett hatte sich davon überzeugt, daß Melanie mit Honey und Hetty Tarleton auf dem Bett lag, dann schlich sie auf den Flur und ging die Treppe hinunter. Aus dem Treppenfenster konnte sie die Gruppe der Männer unter den Bäumen sitzen sehen, wie sie aus hohen Gläsern tranken. Dort blieben sie nun bis zum späten Nachmittag. Sie suchte die Schar mit den Augen ab, aber Ashley war nicht darunter. Dann horchte sie und vernahm seine Stimme, er nahm noch vorn in der Einfahrt Abschied von davonfahrenden Frauen und Kindern.

Das Herz schlug ihr bis zum Halse, geschwind lief sie die Treppe hinunter. Wenn sie nun Mr. Wilkes traf? Wie sollte sie sich dafür entschuldigen, im Hause herumzustöbern, während alle anderen Mädchen schliefen? Nun, sie mußte es darauf ankommen lassen. Als sie die untersten Stufen erreichte hatte, hörte sie die Dienstboten im Speisezimmer hin und her gehen und nach den Anweisungen des ersten Dieners Tisch und Stühle hinaustragen und das Zimmer für den Tanz vorbereiten. Auf der andern Seite der Halle stand die Tür der Bibliothek offen, lautlos lief sie hinüber. Dort konnte sie warten, bis Ashley mit Abschiednehmen fertig war, und ihn dann anrufen, wenn er hereinkam. Die Bibliothek lag im Halbdunkel da, die Vorhänge waren zum Schutz gegen die Sonne geschlossen. Der dämmerige Raum mit seinen hohen Wänden, bis obenhin voller Bücher, bedrückte sie.

Für eine Zusammenkunft, wie sie sie erhoffte, hätte sie sich diesen 0rt sicher nicht ausgesucht. Große Büchermengen bedrückten sie immer, ebenso wie die Leute, die viele Bücher lasen ... Alle solche Leute mit einer einzigen Ausnahme: Ashley. Schwere Möbel standen vor ihr im Halbdunkel, hochlehnige Stühle mit tiefen Sitzen und breiten Armlehnen für die großen Wilkesschen Männer, niedrige weiche Samtsessel und Schemel für die Mädchen. Ganz am anderen Ende des langen Raumes ragte vor dem Kamin das mächtige Sofa, Ashleys Lieblingsplatz, wie ein schlafendes Riesentier.

Sie schloß die Tür bis auf einen schmalen Spalt und versuchte, den raschen Schlag ihres Herzens zu beruhigen. Sie suchte sich genau auf das zu besinnen, was sie sich gestern abend vorgenommen hatte, Ashley zu sagen, aber es war ihr völlig entschwunden. Hatte sie sich überhaupt etwas ausgedacht und wieder vergessen? 0der hatte nach ihrem Plan Ashley etwas zu ihr sagen sollen? Sie konnte sich nicht erinnern, ein plötzlicher kalter Schauder überkam sie. Wenn nur ihr Herz aufhören wollte, ihr in den 0hren zu dröhnen, vielleicht fiel ihr dann etwas ein. Aber sein Pochen wurde nur noch schneller, als sie hörte, wie Ashley zur Haustür hereinkam.

Ihr fiel nichts anderes ein, als daß sie ihn liebte - alles an ihm, vom stolz emporgetragenen Haupt bis zu den schlanken dunklen Schuhen. Sie liebte sein Lachen, auch wenn sie es nicht verstand, liebte sein beunruhigendes Verstummen im Gespräch. Ach, käme er doch jetzt herein und nähme sie in die Arme, dann brauchte sie gar nichts mehr zu sagen. Er mußte sie doch lieben ... »Vielleicht, wenn ich bete?« Sie kniff die Augen fest zusammen und leierte vor sich hin: »Ave Maria, Gnadenvolle ...«

»Nun, Scarlett?« Ashleys Stimme drang durch das Dröhnen in ihren 0hren zu ihr und stürzte sie in äußerste Verwirrung. Er stand in der Halle und schaute durch den Türspalt zu ihr herein, ein belustigtes Lächeln auf den Lippen.

»Vor wemversteckst du dich? Vor Charles oder vor den Tarletons?«

Sie schluckte. Er hatte also bemerkt, wie die Männer sie umschwärmt hatten! Wie unaussprechlich lieb stand er da mit seinen lächelnden Augen; wie aufgeregt sie war! Sie konnte nicht sprechen, sie streckte nur die Hand aus und zog ihn herein. Er trat ein, erstaunt, aber voller Neugierde. In ihrer Erscheinung lag etwas Gespanntes, in ihren Augen eine Glut, wie er sie nie an ihr gesehen hatte, und sogar in dem gedämpften Licht war die Röte ihrer Wangen sichtbar. Unwillkürlich schloß er die Tür hinter sich und faßte ihre Hand.

»Was ist?« fragte er fast flüsternd.

Als seine Hand sie berührte, erbebte sie. Jetzt würde es geschehen, genau wie sie es sich erträumt hatte. Tausend zusammenhanglose Gedanken schossen ihr durch den Sinn, nicht einen davon konnte sie fassen und in Worte kleiden. Sie konnte nur bebend zu ihm aufblicken. Warum sagte er nichts?

»Was ist?« wiederholte er. »Willst du mir ein Geheimnis sagen?«

Plötzlich hatte sie ihre Sprache wiedergefunden, und ebenso plötzlich fiel Ellens jahrelange Erziehung von ihr ab, und Geralds irisches Blut brach ohne Hemmung aus ihr hervor.

»Ja ... ein Geheimnis. Ich liebe dich.«

Einen Augenblick war es so überwältigend still zwischen ihnen, als hätten beide aufgehört zu atmen. Dann kam ihr zitterndes Wesen zur Ruhe, und Glück und Stolz erfüllten sie ganz. Warum hatte sie das nicht eher getan? Wieviel einfacher war dies als all die damenhaften Winkelzüge, die man sie gelehrt hatte. Und nun suchten ihre Augen die seinen.

Seine Augen waren bestürzt, ungläubig und ... was noch? So hatte Gerald geblickt an dem Tage, da sein Lieblingspferd sich das Bein gebrochen hatte und er es erschießen mußte. Warum kam ihr das jetzt in den Sinn? Ein dummer Gedanke! Warum sah Ashley so sonderbar aus und sagte nichts? Dann fiel etwas wie eine Maske über sein Gesicht. Er lächelte galant.

»Genügt es dir denn nicht, jedes andern Mannes Herz heute gewonnen zu haben?« sagte er in dem alten, zärtlichen Neckton. »Nun, mein Herz hat dir immer gehört, das weißt du. Du hast dir die Zähne daran gewetzt.«

Da ging etwas verkehrt ... ganz verkehrt! So war es nicht geplant. Aus dem tollen Gedankensturm in ihrem Hirn begann eine Vorstellung Gestalt zu gewinnen. Irgendwie ... aus irgendeinem Grunde ... handelte Ashley so, als dächte er, sie wollte nur mit ihm spielen. Dabei wußte er, daß das nicht der Fall war. Darüber täuschte sie sich nicht.

»Ashley ... Ashley ... sag mir ... du mußt ... ah, neck mich jetzt nicht! Gehört mir dein Herz? Ach Liebster, ich liebe ...«

Rasch fuhr er ihr mit der Hand über die Lippen, die Maske war verschwunden.

»So etwas darfst du nicht sagen! Nein, das darfst du nicht, Scarlett! Du meinst es auch gar nicht so. Du wirst dir nie verzeihen, daß du es gesagt hast, und mir nicht, daß ich es gehört habe.«

Heftig zuckte sie mit dem Kopf zurück. Ein heißer Strom jagte durch sie hin.

»Dir habe ich nie etwas zu verzeihen. Ich sage dir, ich liebe dich, und ich weiß, auch du mußt mich gern haben, weil ...« Sie hielt inne. Nie vorher hatte sie solches Elend in einem Gesicht gesehen. »Ashley, du hast mich lieb ... ja, nicht wahr?«

»Ja«, sagte er dumpf, »ich habe dich lieb.«

Hätte er gesagt, er hasse sie, sie hätte sich nicht mehr erschrecken können. Wortlos zupfte sie ihm am Ärmel.

»Scarlett«, sagte er, »laß uns hinausgehen und vergessen, daß wir je so etwas zueinander gesprochen haben.«

»Nein«, flüsterte sie, »ich kann nicht. Was meinst du damit? Willst du mich denn nicht ... heiraten?«

Er erwiderte: »Ich heirate Melanie.«

Da merkte sie auf einmal, daß sie auf dem niedrigen Samtsessel saß und Ashley auf dem Schemel zu ihren Füßen. Ihre beiden Hände hielt er ganz fest in den seinen. Er sagte allerlei - sie konnte keinen Sinn darin finden. Ihr Hirn war leer, verschwunden waren alle Gedanken, die es eben noch durchzogen hatten, seine Worte machten nicht mehr Eindruck als Regentropfen auf einer Fensterscheibe. Sie schlugen an taube 0hren, eindringliche, zärtliche Worte, Worte des Mitleids, wie sie ein Vater zu einem Kinde spricht, wenn es sich weh getan hat.

Der Klang von Melanies Namen rief sie ins Bewußtsein zurück. Sie blickte in seine kristallgrauen Augen. In ihnen lag wieder jene Ferne, die sie von jeher verwirrt hatte - dazu ein Ausdruck, als hasse er sich selber.

»Vater will die Verlobung heute abend verkünden. Wir heiraten bald. Ich härte es dir sagen sollen, aber ich dachte, du wüßtest es. Ich dachte, jeder wüßte es seit Jahren. Mir ist es nie im Traum eingefallen, daß du ... du hast so viele Verehrer. Ich dachte, Stuart...«

Sie begann wieder zu leben, zu fühlen, zu begreifen. »Aber du hast doch gerade gesagt, du hättest mich gern.« Seine warmen Hände taten ihr weh.

»Liebes, soll ich denn durchaus sagen, was dir weh tun mu ß?« Ihr Schweigen drängte ihn weiter.

»Wie kann ich es dir begreiflich machen, mein Liebes? Du bist so jung und unbedacht, du weißt nicht, was Ehe heißt.«

»Ich weiß, daß ich dich liebe.«

»Liebe genügt für eine glückliche Ehe nicht, wenn zwei Menschen so verschieden sind wie wir beide. Du willst den Mann ganz, Scarlett, Leib und Seele, Herz und Sinn. Wenn du das nicht alles bekommst, wirst du unglücklich. Ich könnte mich dir aber nicht ganz geben. Und ich brauchte auch nicht deinen Geist und deine Seele ganz. Das müßte dich verletzen, und du müßtest mich hassen - bitterlich hassen. Hassen würdest du die Bücher, die ich lese, die Musik, die ich liebe, weil sie mich dir auch nur für Augenblicke wegnähmen. Und ich ... vielleicht habe ich ...«

»Liebst du sie?«

»Sie ist wie ich, sie ist von meinem Blut, und wir verstehen einander. Scarlett! Scarlett! Kann ich dir nicht begreiflich machen, daß es überhaupt keinen Frieden in der Ehe geben kann, wenn zwei Menschen nicht gleicher Art sind?«

Das hatte schon einmal jemand gesagt: »Gleich muß sich mit gleich verheiraten, sonst gibt es keine glückliche Ehe.« Wer war das doch? Es war ihr, als seien tausend Jahre vergangen, seit sie das gehört hatte, aber noch immer fand sie keinen Sinn darin.

»Aber du hast doch gesagt, du hättest mich gern!«

»Ich hätte es nicht sagen sollen.«

In einem Winkel ihres Hirns flammte ein schwelendes Feuer auf, Wut fing an, alles in ihr zu übertäuben.

»Da du nun einmal so gemein warst, es zu sagen ...«

Er erbleichte. »Es war gemein von mir, es zu sagen, denn ich will Melanie heiraten. Dir habe ich Unrecht getan und ihr noch mehr. Ich hätte es nicht sagen sollen; ich wußte, du würdest mich nicht verstehen. Wie sollte ich dich nicht gern haben - dich, die du alle Lebensleidenschaft hast, die mir fehlt? Dich, die du mit einer Heftigkeit, die mir versagt ist, lieben und hassen kannst? Du bist ja so elementar wie Feuer und Sturm und alles Wilde, und ich ...«

Sie dachte an Melanie und sah plötzlich ihre ruhigen braunen Augen vor sich mit dem Blick aus weiter Ferne, ihre gelassenen kleinen Hände in den schwarzen Spitzenhandschuhen, ihr sanftes Schweigen. Und dann brach ihre Wut los, die gleiche Wut, die Gerald zum Mord getrieben hatte und andere irische Vorfahren zu anderen Missetaten, die ihnen den Kop f gekostet hatten. Von den wohlerzogenen Robillards, die gefaßt und schweigend alles ertragen konnten, was die Welt ihnen auferlegte, war jetzt keine Spur mehr in ihr.

»Warum sagst du es nicht, du Feigling? Du hast Angst, mich zu heiraten! Du willst dein Leben lieber mit dem blöden Schäfchen verbringen, das den Mund nur auftut, um ja und nein zu sagen, und solche Bälger aufziehen wird, die auch nicht bis drei zählen können wie sie! Warum ...«

»So etwas darfst du nicht über Melanie sagen!«

»Ich darf nicht? Verdammt! Wer bist du, daß du mir vorschreibst, was ich darf? Du Feigling, du Lump, du ... du hast mir vorgetäuscht, daß du mich heiraten wolltest ...«

»Sei gerecht«, flehte seine Stimme. »Habe ich je ...«

Sie wollte nicht gerecht sein, obwohl sie sehr gut wußte, daß er die Wahrheit sprach. Nie hatte er bei ihr die Grenzen der Freundschaft überschritten. Und als sie daran dachte, stieg neuer Zorn in ihr auf, der Zorn verletzten Stolzes und gekränkter Eitelkeit. Sie war ihm nachgelaufen, und er wollte nichts von ihr wissen. Er zog ihr ein dummes kleines Milchgesicht wie Melanie vor. Ach, wäre sie doch Ellens und Mammys Vorschriften gefolgt und hätte ihn niemals auch nur fühlen lassen, daß sie ihn gern hatte ... lieber alles andere als diese brennende Schande!

Mit geballten Fäusten sprang sie auf die Füße, auch er stand auf und blickte auf sie herab. In seinem Gesicht lag all die stumme Trauer eines Menschen, der einer qualvollen Wirklichkeit ins Gesicht sehen muß.

»Ich hasse dich bis in den Tod, du Lump ... du niedriger ... niederträchtiger ...« Wie hieß das Wort, nach dem sie suchte? Ihr fiel nichts ein, was arg genug für ihn war.

»Scarlett, bitte ...«

Er streckte die Hand gegen sie aus, da schlug sie ihn mit aller Kraft ins Gesicht. Es klatschte wie ein Peitschenhieb durch den stillen Raum. Auf einmal war all ihre Wut dahin, und nur Trostlosigkeit blieb im Herzen zurück.

Die rote Spur ihrer Hand zeichnete sich deutlich auf seinem bleichen, müden Gesicht ab. Er sagte nichts, hob nur ihre schlaffe Hand an seine Lippen und küßte sie. Ehe sie etwas sagen konnte, war er fort und schloß leise die Tür hinter sich.

Jäh setzte sie sich wieder nieder, unter der Nachwirkung ihrer Wut zitterten ihr die Knie. Nun war er fort, und die Erinnerung an den Schlag in sein Gesicht würde ihr nun ihr Lebtag keine Ruhe mehr lassen.

Sie hörte den weichen, gedämpften Laut seiner Tritte die lange Halle hinunter verklingen, und die ganze Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte, kam über sie. Sie hatte ihn für immer verloren. Nun mußte er sie hassen und jedesmal, wenn er sie sah, sich daran erinnern, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, während er doch nicht das leiseste getan hatte, umihr Hoffnungen zu machen.

»Ich bin nicht besser als Honey Wilkes«, dachte sie plötzlich und besann sich, wie jeder, sie selbst mehr als die anderen, über Honeys schamloses Betragen verächtlich gelacht hatte. Sie sah Honey sich kokett winden und hörte ihr läppisches Kichern, wenn sie sich den Burschen in den Arm hängte. Diese Vorstellung stachelte die Wut aufs neue in ihr an, die Wut auf sich selbst, auf Ashley, auf die ganze Welt. Wie sie sich haßte! Sich und alle, mit der Raserei ihrer sechzehnjährigen, durchkreuzten, gedemütigten Liebe. Nur sehr wenig wahre Zärtlichkeit war in dieser Liebe gewesen. Der größte Teil war Eitelkeit, selbstgefälliges Vertrauen in den eigenen Zauber. Nun hatte sie verloren. Größer aber als das Gefühl ihres Verlustes war die Angst, sich vor den andern an den Pranger gestellt zu haben. Hatte sie sich auffallend benommen wie Honey? Lachte jedermann über sie? Bei dem Gedanken erbebte sie von neuem.

Ihre Hand fiel auf einen kleinen Tisch neben ihr und geriet dabei an eine winzige Porzellanschale für Rosen, an die sich zwei Porzellanengel schmiegten. Sie hätte fast aufgekreischt, nur um die Stille zu durchbrechen, so lautlos war das Zimmer. Irgend etwas mußte sie tun, oder sie verlor den Verstand. Sie packte die Schale, und mit bösartigem Schwung schleuderte sie sie quer durch das Zimmer gegen den Kamin. Sie flog knapp an de r hohen Sofalehne vorbei und zerschellte klirrend am Marmor.

»Dies«, sagte eine Stimme aus der Tiefe des Sofas, »geht zu weit.«

Nie im Leben hatte sie sich so erschrocken. Der Mund war ihr so trocken, daß sie keinen Laut herausbrachte. Sie klammerte sich an die Stuhllehne, denn ihr wankten die Knie, als Rhett Butler sich von dem Sofa, auf dem er gelegen hatte, erhob und sich mit übertriebener Höflichkeit vor ihr verbeugte.

»Schlimm genug, wenn einem der Mittagsschlaf durch eine Szene gestört wird, wie ich sie mit anhören mußte. Soll ich da auch noch mein Leben in Gefahr bringen?«

Er war es leibhaftig. Er war kein Geist. Aber, die Heiligen mochten sie bewahren, er hatte alles mit angehört! Sie nahm alle Kraft zusammen und gab sich einen Anschein von Würde.

»Mein Herr, Sie hätten sich bemerkbar machen müssen.«

»So?« Seine weißen Zähne glänzten, die kühnen dunklen Augen lachten sie an. »Aber Sie haben sich doch hier eingedrängt. Ich mußte auf Mr. Kennedy warten, und da mir schien, ich wäre im Hintergarten viel leicht nicht ganz erwünscht, war ich so rücksichtsvoll, meine unwillkommene Gegenwart hierher zu verlegen, wo ich glaubte ungestört zu sein. Aber leider ...«, er zuckte die Achseln und lachte leise.

Das Blut begann ihr wieder zu sieden bei dem Gedanken, daß dieser freche, unverschämte Kerl alles gehört hatte - Worte, von denen sie wünschte, sie wären nie über ihre Lippen gekommen.

»Sie Horcher ...«, begann sie zornig.

»Horcher hören oft höchst unterhaltsame, lehrreiche Dinge«, lächelte er. »Aus einer langen Erfahrung im Horchen weiß ich ...«

»Herr«, sagte sie, »Sie sind kein Gentleman!«

»Eine passende Bemerkung«, antwortete er leichthin. »Und Sie, mein Fräulein, sind keine Lady!« Er fand sie offenbar sehr ergötzlich, denn er lachte wieder leise vor sich hin. »Wer so etwas sagt und tut, wie ich eben mit angehört habe, ist keine Dame mehr. Indessen haben Damen nur selten Reiz für mich gehabt. Sie haben nie den Mut oder den Mangel an Kinderstube, zu sagen, was sie denken. Und das wird mit der Zeit sehr langweilig. Sie aber, meine liebe Miß 0'Hara, sind ein Mädchen von bewunderungswürdigem Temperament. Ich nehme den Hut vor Ihnen ab. Welche Reize der elegante Mr. Wilkes für ein Mädchen von so stürmischem Naturell haben kann, ist mir freilich unbegreiflich. Er sollte Gott auf den Knien danken für ein Geschöpf mit Ihrer - wie drückte er sich noch aus? - >Lebensleidenschaft<; da er aber nur ein mattherziger Jämmerling ist ...«

»Sie sind nicht wert, ihm die Schuhe zu säubern!« schrie sie wütend.

»Und Sie wollen ihn Ihr Leben lang hassen!« Er ließ sich aufs Sofa zurückfallen, und sie hörte ihn wieder lachen.

Hätte sie ihn umbringen können, sie hätte es getan, statt dessen aber ging sie mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, aus dem Zimmer und schlug die schwere Tür hinter sich zu.

So schnell rannte sie die Treppe hinauf, daß sie meinte, ihr schwänden die Sinne. Sie blieb stehen, packte krampfhaft das Geländer, ihr Herz hämmerte so wild vor Zorn, Gekränktheit und Anstrengung, daß ihr war, als müsse es ihr Kleid zersprengen. Sie versuchte tief zu atmen, aber dafür hatte Mammy sie zu fest geschnürt. Wenn sie nun ohnmächtig wurde, und man fand sie hier auf dem Treppenabsatz, was sollten die Leute denken? 0h, die dächten sich schon ihr Teil, Ashley und dieser gemeine Butler und die gräßlichen Mädchen, die alle so eifersüchtig waren! Zum erstenmal in ihrem Leben hätte sie gern Riechsalz bei sich gehabt wie die anderen Mädchen, aber sie hatte nie auch nur ein Riechfläschchen besessen. Sie war immer so stolz darauf gewesen, daß ihr nie schwindelte. Es ging einfach nicht an, daß sie jetzt ohnmächtig wurde.

Allmählich kam sie wieder zu sich. In einer Minute fühlte sie sich sicher wieder wohl, und dann würde sie leise in das kleine Ankleidestübchen neben Indias Zimmer gehen, ihr Korsett lockern, ins Zimmer schlüpfen und sich auf eins der Betten neben die schlafenden Mädchen legen.

Sie suchte ihr klopfendes Herz und ihr Gesicht zu beruhigen. Sie mußte ja wie eine Irre aussehen. Sollte eines der Mädchen wach sein, so merkte es sicher sofort, daß etwas los war, und das durfte nie und nimmer geschehen.

Durch das breite Erkerfenster auf dem Treppenabsatz sah sie immer noch die Herren unter den Bäumen und im Schatten der Laube auf ihren Stühlen sich rekeln. Wie sie sie beneidete! Herrlich, ein Mann zu sein und nie solchen Jammer durchmachen zu müssen, wie sie ihn eben erlebt hatte! Während sie dastand und mit heißen Augen, noch immer ein wenig schwindlig, die Männer beobachtete, hörte sie raschen Hufschlag in der vorderen Auffahrt. Kies prasselte, eine aufgeregte Stimme erklang. Wieder stob Kies, und quer durch ihr Gesichtsfeld galoppierte ein Reiter über den grünen Rasen auf die träge Gruppe unter den Bäumen zu.

Ein verspäteter Gast? Warum aber ritt er quer über den Rasen, der Indias Stolz war? Sie konnte ihn nicht erkennen, aber als er sich aus dem Sattel schwang und John Wilkes am Arm packte, sah sie die Aufregung an jedem Zoll seiner Gestalt. Die Schar umdrängte ihn. Trotz der Entfernung hörte sie den Tumult der fragenden, laut rufenden Stimmen und empfand die fieberhafte Spannung der Männer. Dann erhob sich über dem verworrenen Geräusch Stuart Tarletons Stimme und frohlockte »Yee - aay - eel«, als wäre er auf der Jagd. 0hne es zu wissen, hörte sie zum ersten Male den Kriegsruf der R ebellen.

Die vier Tarletons, hinter ihnen die Fomaineschen Jungens, lösten sich von den übrigen, liefen eilig nach dem Stall und riefen dabei gellend: »Jeems! Jeems! Pferde satteln!«

Einem von ihnen muß das Haus brennen, sagte sich Scarlett. Feuer hin, Feuer her, sie mußte jetzt ins Schlafzimmer zurückgelangen, ehe sie entdeckt wurde.

Ihr Herz hatte sich beruhigt, auf Zehen schlich sie die Stufen hinauf in den lautlosen Flur. Schwere warme Schläfrigkeit lag über dem Hause, als schliefe es selbst ruhig wie die Mädchen bis zum Abend, um dann mit Musik und Kerzen zur vollen Schönheit aufzublühen. Vorsichtig hob sie die Tür des Ankleidezimmers ein wenig an, öffnete sie und schlüpfte hinein. Ihre Hand lag noch hinter ihr auf der Klinke, als Honey Wilkes' Stimme leise, fast flüsternd, durch den Spalt der gegenüberliegenden Schlafzimmertür zu ihr drang: »Ich finde, Scarlett hat sich heute so schamlos benommen, wie ein Mädchen überhaupt nur kann.«

Scarletts Herz begann wieder seinen wilden Tanz, unbewußt stemmte sie die Hand dagegen, als wollte sie es mit Gewalt unterdrücken. »Horcher hören oft höchst lehrreiche Dinge«, äffte sie eine Erinnerung. Sollte sie sich leise wieder entfernen? 0der sich bemerkbar machen und Honey in Verlegenheit bringen, wie sie es verdient hatte? Da hörte sie wieder etwas und hielt inne. Ein ganzes Gespann Maultiere hätte sie nicht wegzerren können, als sie Melanies Stimme vernahm.

»Ach, Honey, nicht doch! Nicht so unfreundlich sein! Sie ist eben temperamentvoll und lebhaft. Ich fand sie sehr reizend.«

»0ho!« Scarlett krallte die Nägel in ihre Taille ein. »Dies schüchterne kleine Persönchen tritt für mich ein!«

Das war mühsamer anzuhören als Honeys gehässige Stichelei. Scarlett hatte nie einem weiblichen Wesen getraut und außer ihrer Mutter k einer Frau andere als selbstsüchtige Antriebe zugebilligt. Melanie war Ashleys sicher, da konnte sie sich solch selbstlose Denkungsart leisten. Das war echt Melanie, dachte Scarlett, auf solche Weise mit ihrer Eroberung großzutun und sich zugleich in den Ruf eines sanften Gemütes zu bringen. 0ft hatte Scarlett sich, wenn sie mit Männern andere Mädchen durchhechelte, desselben Kniffes bedient, und er hatte die dumme Männerwelt jedesmal unfehlbar von ihrer Sanftmut und Selbstlosigkeit überzeugt.

»Nun, mein Fräulein«, erhob Honey patzig die Stimme, »dann mußt du blind sein.«

»Seht, Honey«, zischte Sally Munroes scharfe Stimme. »Man hört dich ja im ganzen Haus.«

Gedämpft fuhr Honey fort: »Du hast doch gesehen, wie sie mit jedem Mann, den sie erwischen konnte, ins Zeug ging ... sogar mit Mr. Kennedy, und er ist doch der Verehrer ihrer eigenen Schwester. So etwas habe ich nie erlebt! Und ganz sicher hatte sie es auf Charles abgesehen.« Honey verfiel in ein gereiztes Kichern: »Und du weißt doch, Charles und ich ...«

»Wahrhaftig?«flüsterten erregte Stimmen.

»Nun, erzählt es, bitte, niemand ... noch nicht!«

Das Getuschel nahm zu, Bettfedern krachten. Melanie flüsterte, wie glücklich sie sei, daß Honey ihre Schwester werden sollte.

»Ich freue mich aber gar nicht darauf, Scarlett zur Schwester zu bekommen«, ertönte bekümmert Hetty Tarletons Stimme. »Was ist sie nur für ein unglaublicher Draufgänger. Sie ist mit Stuart so gut wie verlobt. Brent sagt zwar, sie gebe keinen Deut um ihn, aber Brent ist natürlich auch in sie verliebt.«

»Wenn ihr mich fragt«, tuschelte Honey geheimnisvoll, »ich sage euch, es gibt nur einen, aus dem sie sich wirklich etwas macht, und das ist Ashley.«

Als das Getuschel der Fragen und Antworten immer heftiger wurde, ging ein Frösteln der Angst und Scham durch Scarletts Brust. Honey war eine dumme Gans, ein albernes, einfältiges, unerfahrenes Ding, soweit es sich um Männer handelte; für andere Frauen aber hatte sie einen Spürsinn, den Scarlett unterschätzt hatte. Neben der Schmach, die sie hier auf ihrem Lauscherposten erlitt, waren die Demütigung und der verletzte Stolz, die sie bei Ashley und Rhett Butler in der Bibliothek gepeinigt hatten, nur Nadelstiche. Männern konnte man zutrauen, daß sie den Mund hielten, sogar solchen wie Mr. Butler, aber Honey Wilkes gab Laut wie ein Jagdhund, und dann wußte die ganze Provinz noch vor sechs Uhr alles. Gestern abend erst hatte Gerald gesagt, er wolle nicht, daß die Provinz über seine Tochter lache. Und wie nun alle lachen würden! Der kalte Schweiß brach ihr aus. Melanies gemessene, friedliche Stimme erhob sich ein bißchen vorwurfsvoll über die der andern:

»Honey, du weißt, daß das nicht wahr ist. Es ist lieblos von dir.«

»Es ist doch so, Melly, und wärest du nicht immer so darauf aus, etwas Gutes an Leuten zu entdecken, an denen gar nichts Gutes ist, dann hättest du es auch gesehen. Und ich freue mich, daß es so ist. Es geschieht ihr ganz recht. Scarlett 0'Hara hat immer nur überall Unfrieden gestiftet und versucht, andern Mädels die Freunde wegzuschnappen. Du weißt ganz gut, daß sie India ihren Stuart weggeschnappt hat und ihn jetzt nicht einmal will. Heute hat sie es nun mit Mr. Kennedy und Ashley und Charles versucht ...«

»Ich muß nach Hause!« dachte Scarlett. »Ich muß einfach nach Hause!«

Könnte doch Zauberei sie nach Tara entrücken und in Sicherheit bringen! Könnte sie doch bei Ellen sein, nur sie sehen, sie am Rock fassen und in Ellens Schoß weinen und ihr ganzes Herz ausschütten! Hörte sie nur noch ein Wort, so stürzte sie hinein, das wußte sie, und riß ganze Hände voll von Honeys dünnen blaßblonden Haaren aus und spie Melanie Hamilton ins Gesicht, um ihr zu zeigen, was sie von ihrer Nächstenliebe hielt. Aber sie hatte sich heute schon gemein genug benommen, ganz wie »weißes Pack« ... daher rührte überhaupt das ganze Unheil!

Mit den Händen drückte sie ihre Röcke ganz fest an sich, damit sie nicht raschelten, und entwischte verstohlen wie ein Tier. Nach Hause! Damit jagte sie hinunter in die Halle an verschlossenen Türen und stillen Zimmern vorbei. Sie mußte nach Hause. Schon war sie an der Haustür, da stutzte sie. Ihr war eingefallen - sie konnte ja nicht nach Hause. Weglaufen konnte sie nicht! Sie mußte hindurch, durch alle Bosheit der Mädchen, durch ihre eigene Schmach und all das Herzweh. Lief sie weg, so gab sie ihnen nur neue Waffen in die Hand.

Mit der geballten Faust schlug sie gegen die hohe weiße Säule neben sich und wünschte sich, Simson zu sein, um das ganze Twelve 0aks samt allen Menschen darin in Grund und Boden reißen zu können. Sie sollten es noch zu fühlen bekommen. Sie wollte es ihnen schon zeigen! Sie wollte ihnen noch weher tun, als sie ihr getan hatten. Für den Augenblick war Ashley vergessen. Er war nicht mehr der große, träumerische Junge, den sie liebte, sondern gehörte zu der ganzen Wilkesschen Sippe, zu Twelve 0aks, zur Provinz - sie haßte sie alle, weil sie sie auslachten. Mit sechzehn Jahren ist die Eitelkeit stärker als die Liebe; in ihrem heißen Herzen hatte nichts anderes mehr Raumals der Haß.

»Ich will nicht nach Hause. Ich bleibe hier und lasse es sie fühlen. Mutter sage ich nichts davon, nein, keinem Menschen.« Sie raffte sich zusammen, um ins Haus zurückzukehren. Die Treppe hinauf in ein anderes Schlafzimmer. Als sie sich in der Halle umwandte, sah sie Charles am andern Ende ins Haus treten. Er erblickte sie und kam rasch auf sie zu, sein Haar war zerzaust, sein Gesicht vor Aufregung so rot wie eine Geranienblüte.

»Wissen Sie, was geschehen ist?« rief er ihr schon von weitem entgegen. »Haben Sie es gehört? Paul Wilson kommt eben von Jonesboro herübergeritten! «

Er hielt atemlos inne. Sie entgegnete nichts, sie starrte ihn nur an.

»Mr. Lincoln hat die Männer aufgerufen, Soldaten - Freiwillige meine ich - fünfundsiebzigtausend!«

Schon wieder Mr. Lincoln! Dachten denn die Männer nie an wirklich Wichtiges? Dieser dumme Junge erwartete von ihr, sie solle sich über Mr. Lincolns Possen aufregen, während ihr das Herz brach und ihr Ruf so gut wie zerstört war. Jetzt starrte Charles sie an. Ihr Gesicht war weiß wie Papier, ihre schmalen Augen sprühten grünes Feuer wie Smaragde. Solches Feuer hatte er nie in einem Mädchengesicht gesehen, solche Glut noch nie in einem menschlichen Auge.

»Ich bin so ungeschickt, ich hätte es Ihnen zarter beibringen sollen. Ich habe vergessen, wie empfindsam Damen sind. Es tut mir leid, daß ich Sie so erschreckt habe. Kann ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«

»Nein.« Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande.

»Wollen wir uns auf die Bank setzen?« Er nahm ihren Arm. Sie nickte, und er geleitete sie behutsam die Stufen hinunter und führte sie nach der Bank unter der großen Eiche im Vorgarten. »Wie zart und zerbrechlich Frauen sind«, dachte er, »schon die Erwähnung von Krieg und Greuel benimmt ihnen die Sinne.« Dabei fühlte er sich sehr männlich und verdoppelte seine Fürsorge. Sie sah so seltsam aus. Auf ihrem bleichen Gesicht lag eine wilde Schönheit, die ihm das Herz zusammenzog. Wäre es möglich, daß der Gedanke, er würde in den Krieg gehen, ihr Kummer machte? Nein, das war zu anmaßend, das konnte er nicht glauben. Warum sah sie ihn dann aber so wunderlich an? Warum zitterten ihr die Hände, während sie an ihrem Spitzentaschentuch zerrte? Und die dichten kohlschwarzen Wimpern zuckten auf und nieder, wie es bei den Mädchen, von denen man in Romanen las, vor Schüchternheit und Liebe geschah.

Er räusperte sich dreimal, um etwas zu sagen, und es mißlang ihm jedesmal. Er schlug die Blicke nieder, weil ihre grünen Augen die seinen so starr durchdrängen, als sähe sie ihn gar nicht.

»Er hat eine Menge Geld«, dachte sie schnell, indem ein Gedanke ihr durchs Hirn zog. »Er hat keine Eltern, die mir das Leben schwermachen würden, er lebt in Atlanta, und wenn ich ihn jetzt auf der Stelle heirate, kann ich Ashley zeigen, daß ich mir nicht das mindeste aus ihm mache, daß ich nur mit ihm gespielt habe, und Honey würde es einfach umbringen. Einen anderen Verehrer kriegt sie nie und nimmer, und jedermann würde sich über sie totlachen. Und Melanie könnte ich auch damit weh tun, weil sie Charles liebhat. Und Stu und Brent könnte ich damit kränken.« Sie wußte nicht recht, warum sie eigentlich alle kränken wollte. Nun ja, sie hatten boshafte Schwestern. »Und es würde sie alle kränken, wenn ich in einem schönen Wagen mit vielen hübschen Kleidern hierher auf Besuch käme und hätte mein eigenes Haus daheim. Dann lachen sie nie wieder über mich.«

»Das bedeutet natürlich Kampf«, sagte Charles nach mehreren weiteren schüchternen Versuchen. »Aber grämen Sie sich nicht, Miß Scarlett, in einem Monat ist es vorbei, dann kriegen sie das Heulen. Jawohl! Das Heulen! Um alles in der Welt muß ich dabeisein. Heute wird wohl nicht viel aus dem Ball werden; die Truppe hat Appell in Jonesboro. Die vier Tarletons bringen die Nachricht herum. Ich weiß, den Damen wird es leid tun.«

Sie sagte »Ach«, weil ihr nichts Besseres einfiel, aber es genügte. Allmählich fand sie ihr Gleichgewicht wieder, und die Gedanken begannen sich zu sammeln. Auf allen ihren Gefühlen lag es wie Rauhreif, sie meinte, sie würde nie wieder wann empfinden können. Warum nicht diesen hübschen, errötenden Jungen nehmen? Er war so gut wie jeder andere. Und ihr war es so einerlei. An nichts lag ihr mehr etwas, ihr Leben lang, und wenn sie neunzig Jahre alt würde.

»Ich kann mich noch nicht entschließen, ob ich mit Mr. Wade Hamptons Südcarolina-Legion oder mit der Atlantaer Stadtgarde hinausgehe.«

Wieder sagte sie »0h«, ihre Augen begegneten einander, ihre bebenden Lider gaben ihm den Rest.

»Wollen Sie auf mich warten, Miß Scarlett? Es wäre himmlisch, wenn ich wüßte, Sie warteten auf mich, bis wir sie verdroschen haben!« Atemlos hing er an ihrem Munde und bemerkte, wie ihre Lippen sich in den Winkeln verzogen, sah zum erstenmal die Schatten darin und dachte, wie es wohl wäre, sie zu küssen. Ihre Hand, die innen kalt von Schweiß war, glitt in die s eine.

»Ich möchte eigentlich nicht warten«, sagte sie mit verschleierten Augen.

Er umklammerte ihre Hand, der Mund stand ihm weit offen. Durch ihre Wimpern beobachtete Scarlett ihn völlig unbeteiligt und fand, er sähe aus wie ein aufgespießter Frosch. Mehrmals fing er stotternd an, schloß den Mund und öffnete ihn wieder und wurde rot wie eine Geranie.

»Ist es denn möglich, daß Sie mich lieben?«

Sie antwortete nichts, sie blickte nur in ihren Schoß und stürzte Charles in neue Wonne und neue Verlegenheit. Vielleicht durfte der Mann ein Mädchen nicht so etwas fragen, vielleicht war es nicht mädchenhaft, darauf zu antworten. Charles hatte nie vorher den Mut gehabt, solche Fragen zu stellen, und wußte nun nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er gejubelt und gesungen und sie geküßt und auf dem Rasen Purzelbäume geschlagen und wäre dann hingelaufen und hätte jedem, Schwarz oder Weiß, erzählt, daß sie ihn liebte. So aber drückte er nur ihre Hand immer fester, bis die Ringe ihr ins Fleisch schnitten.

»Wollen Sie mich schon bald heiraten, Miß Scarlett?«

Sie fingerte an den Falten ihres Kleides.

»Wollen wir eine Doppelhochzeit mit Mel ...?«

»Nein!« sagte sie rasch, ihre Augen blitzten unheilverkündend zu ihm auf. Wieder merkte Charles, daß er etwas falsch gemacht hatte. Natürlich wollte ein Mädchen ihre eigene Hochzeit haben, ihren Ehrentag nicht teilen. Wie gut von ihr, seine Tölpeleien zu übersehen! Wäre es doch dunkel, fände er doch den Mut, den die Dunkelheit gibt, könnte er ihr doch die Hand küssen und ihr sagen, wovon sein Herz voll war!

»Wann kann ich mit Ihrem Vater sprechen?«

»Je eher, desto besser.« Sie hoffte, er würde vielleicht ihre Hand von dem lästigen Druck der Ringe erlösen, ehe sie ihn darum bitten müßte. Er sprang auf, und einen Augeblick meinte sie, er wollte einen Purzelbaum schlagen, ehe der Anstand es ihm verbot. Strahlend blickte er auf sie nieder, sein ganzes Herz in all seiner reinen Einfalt lag in den Augen. So hatte noch niemand sie angeschaut, und so sollte auch nie wieder jemand sie anschauen. Aber traumhaft losgelöst von allem, wie sie war, fand sie nur, er sähe aus wie ein Kalb.

»Ich will nun Ihren Vater suchen«, sagte er und lächelte über das ganze Gesicht. »Ich kann nicht länger warten. Willst du mich entschuldigen ... du Liebe?« Das Du wurde ihm schwer. Als er es aber einmal gesagt hatte, wiederholte er es voller Wonne immer von neuem. »Ja«, sagte sie, »ich warte hier. Hier ist es so schön kühl.« Er ging quer über den Rasen und verschwand hinter dem Hause. Sie saß allein unter der rauschenden Eiche. Von den Ställen kamen Scharen von Reitern, schwarze Diener dicht hinter ihren Herren. Die Munroes preschten vorbei und schwenkten die Hüte. Die Fontaines und Calverts ritten jauchzend die Straße hinunter. Die vier Tarletons jagten miteinander über den Rasen, und Brent rief: »Mutter, gib uns die Pferde! Yee - aay - ee!« Rasenstücke flogen, weg waren sie. Sie war wieder allein.

Vor ihr ragten die Säulen des weißen Hauses empor, als zöge es sich, würdig und unnahbar, von ihr zurück. Ihr Haus würde es nun nie werden. Nie würde Ashley sie als Braut über die Schwelle tragen. Ach, Ashley, Ashley! Was hab' ich getan? Tief unter Schichten von verletztem Stolz und kalter Berechnung regte es sich in ihr und schmerzte. Ein reifes Gefühl wurde in ihr geboren, stärker als ihre Eitelkeit und Selbstsucht. Sie liebte Ashley und wußte, wie sehr sie ihn liebte, und hatte ihn nie so heiß geliebt wie in diesem Augenblick, da sie Charles auf dem gewundenen Kiesweg verschwinden sah.

7

Innerhalb von zwei Wochen war Scarlett verheiratet, zwei Monate später war sie Witwe. Die Bande, die sie so hastig und gedankenlos geknüpft hatte, waren schnell zerrissen, aber die sorglose Freiheit ihrer Mädchentage sollte sie nie wieder kennenlernen. Witwentum war der Heirat auf dem Fuße gefolgt, und nach ihr kam zu Scarletts Schrecken bald auch die Mutterschaft.

Wenn Scarlett in späteren Jahren an diese letzten Apriltage des Jahres 1861 dachte, konnte sie sich der Einzelheiten nie mehr deutlich entsinnen. Zeit und Ereignisse schoben sich ineinander, wirr wie bei einem Alpdrücken, bar jeder Wirklichkeit und jeden Sinnes. Bis zu ihrer Todesstunde behielten die Erinnerungen an jene Tage blinde Flecken. Nebelhaft verschwand ihr besonders die Zeit zwischen ihrem Jawort an Charles und der Hochzeit. Vierzehn Tage! In Friedenszeiten wäre eine so kurze Verlobung undenkbar gewesen; der Schicklichkeit halber hätte man ein ganzes Jahr oder mindestens sechs Monate gewartet. Aber der Süden stand in Kriegsflammen, die Ereignisse brausten wie vor einem gewaltigen Winde dahin, das langsame Zeitmaß vergangener Tage war vorüber.

Ellen hatte die Hände gerungen und zum Aufschub geraten, damit Scarlett sich ihre Entscheidung gründlicher überlegte. Aber für ihre Bitten hatte Scarlett nur taube 0hren und ein abweisendes Gesicht. Heiraten wollte sie, und das schleunigst - binnen vierzehn Tagen.

Als sie erfuhr, daß Ashleys Hochzeit vom Herbst auf den 1. Mai vorverlegt worden sei, damit er ins Feld gehen könne, setzte sie das Datum für die eigene Hochzeit auf den Tag vor der seinigen fest. Ellen war nicht damit einverstanden, aber Charles trat mit neugeborener Beredsamkeit dafür ein. Er war ungeduldig, zu Wade Hamptons Legion in Südcarolina zu stoßen, und Gerald nahm für die jungen Leute Partei. Ihn hatte d as Kriegsfieber gepackt, auch freute er sich, daß Scarlett eine so gute Partie machte - und sollte etwa er junger Liebe sich in den Weg stellen, wenn der Krieg im Anzug war? Ellen gab schließlich verzweifelt nach, wie es andere Mütter im Süden auch taten. Ihre geruhsame Welt war auf den Kopf gestellt, ihr Rat, ihr Bitten und Beten war machtlos gegen die Gewalten, die sie mit sich fortrissen.

Der Süden war trunken vor Begeisterung und Erregung. Jeder glaubte, daß eine einzige Schlacht den ganzen Krieg beenden würde. Jeder junge Mann stelle sich, so rasch er konnte, um noch mit dabeisein zu können - heiratete seine Liebste, so schnell es ging, und ritt dann auf und davon nach Virginia, um die Yankees zu schlagen. Dutzende von Kriegsheiraten fanden in der Provinz statt. Für Abschiedsschmerz war kaum Zeit, jeder war zu geschäftig und aufgeregt für ernste Gedanken und Tränen. Die Damen nähten Uniformen, strickten Socken und wickelten Binden, die Männer exerzierten und schossen. Durch Jonesboro fuhren täglich Militärzüge auf ihrem Weg nordwärts nach Atlanta und Virginia. Einige Truppenabteilungen hatten bunte, scharlachrote, hellblaue und grüne Uniformen, es war die Miliz, die von der besten Gesellschaft gebildet wurde. Andere Abteilungen trugen grobe handgewebte Jacken und Bärenmützen, noch andere überhaupt keine Uniform, sondern Tuchanzüge und Batistwäsche. Alle waren halb ausgebildet, halb bewaffnet, außer sich vor Erregung und schrien durcheinander, als wären sie zu einem Picknick unterwegs. Der Anblick dieser Leute versetzte die jungen Leute der Provinz in eine wahre Panik. Sie fürchteten, der Krieg könnte aussein, bevor sie nach Virginia gelangten, und die Vorbereitungen für den Abmarsch der »Truppe«wurden beschleunigt.

Mitten in all diesem Durcheinander rüstete man zu Scarletts Hochzeit, und ehe sie es sich versah, hatte sie Ellens Hochzeitskleid und Schleier an und schritt an ihres Vaters Arm die breite Treppe in Tara hinunter, um ein ganzes Haus voller Gäste zu begrüßen. Später kam ihr alles wie ein Tra um vor, die vielen hundert Kerzen, die an den Wänden flammten, das liebevolle, ein wenig beunruhigte Gesicht der Mutter, in dem die Lippen sich in stummem Gebet für das Glück der Tochter bewegten, Gerald, hochrot von Branntwein und von Stolz, daß seine Tochter sowohl Geld wie einen vornehmen und alten Namen in die Familie brachte - und Ashley, der unten an der Treppe stand, mit Melanie am Arm.

Als sie sein Gesicht sah, dachte sie: »Dies alles kann nicht wahr sein. Es kann nicht sein. Es ist ein böser Traum. Nachher wache ich auf und sehe, daß alles nur ein Traum war. Jetzt darf ich nicht daran denken, sonst fange ich vor all den Leuten an zu schreien. Ich kann jetzt überhaupt nicht denken. Das tue ich später, wenn ich es aushallen kann - wenn ich seine Augen nicht mehr sehe.«

Alles war wie ein Traum, der Weg durch die Reihen lächelnder Menschen, Charles' rotes Gesicht, sein Stottern und ihre eigenen Antworten, die so erschreckend klar und kalt herauskamen. Und dann die Glückwünsche, die vielen Verwandtenküsse, die Tischreden, der Tanz - alles, alles wie ein Traum. Sogar Ashleys Kuß auf ihre Wange, sogar Melanies sanftes Flüstern: »Nun sind wir wirklich und wahrhaftig Schwestern«, kamen ihr unwirklich vor. Selbst die Aufregung, die der 0hnmachtsanfall von Charles' rundlicher, gefühlvoller Tante Miß Pittypat Hamilton hervorrief, wirkte wie ein Alpdruck.

Als aber Ball und Gläserklingen endlich zu Ende waren, als der Morgen dämmerte und all die Gäste aus Atlanta, die in das Herrenhaus und das Haus des Aufsehers gepfercht werden konnten, sich auf Betten, Sofas und am Boden ausgebreiteten Strohsäcken zur Ruhe gelegt hatten und die Nachbarn nach Hause gefahren waren, um sich für den nächsten Tag und die Hochzeit in Twelve 0aks vorzubereiten, da zerbrach die traumhafte Entrücktheit wie Kristall an der Wirklichkeit. Wirklich aber war der errötende Charles, der im Nachthemd aus ihrem Ankleidezimmer zum Vorschein kam und dem erschrockenen Blick auswich, mit dem sie ihn über das heraufgezogene Laken anstarrte.

Natürlich wußte sie, daß verheiratete Leute in demselben Bett schlafen, aber sie hatte noch nie näher darüber nachgedacht. Bei Vater und Mutter war das etwas ganz Natürliches, auf sich selbst hatte sie die Tatsache nie bezogen. Nun wurde ihr zum erstenmal seit jenem Gartenfest wirklich klar, was sie auf sich genommen hatte. Der Gedanke, dieser fremde Junge, den sie eigentlich gar nicht hatte heiraten wollen, sollte zu ihr ins Bett steigen,während ihr das Herz brach vor Reue über ihre Übereilung und vor Schmerz, Ashley auf immer verloren zu haben, war mehr, als sie ertragen konnte. Ab er zögernd näher kam, flüsterte sie heiser: »Wenn du mir nahe kommst, schreie ich. Das tue ich! So laut ich kann! Mach, daß du wegkommst!Untersteh dich nicht, mich anzurühren!«

Charles Hamilton verbrachte also die Hochzeitsnacht auf einem Sessel in der Ecke, nicht einmal so unglücklich, denn er verstand die zarte Verschämtheit seiner Braut oder glaubte doch, sie zu verstehen. Er wollte gern warten, bis ihre Angst sich verlöre, nur ... nur - er seufzte, während er sich verrenkte, um eine bequeme Lage zu finden - er mußte ja so sehr bald schon in den Krieg!

War ihre eigene Hochzeit für sie schon gespenstisch gewesen, Ashleys Hochzeit war es noch mehr. Scarlett stand in dem apfelgrünen Kleid für den »zweiten Tag« im Salon zu Twelve 0aks mitten im Glanz von vielen hundert Kerzen, umdrängt von der gleichen Menschenmenge wie am Abend vorher, und sah Melanie Hamiltons schlichtes Gesichtchen zu Schönheit erglühen, als sie Melanie Wilkes wurde. Nun war Ashley auf immer dahin. Ihr Ashley. Nein, jetzt nicht mehr der ihre. War er es jemals gewesen? Alles ging so durcheinander in ihrem Sinn, ihr Kopf war so müde, so verworren. Er hatte gesagt, daß er sie liebte. Was hatte sie denn eigentlich getrennt? Wenn sie sich nur darauf besinnen könnte! Sie hatte die Klatschmäuler der Provinz durch ihre Hochzeit mit Charles zum Schweigen gebracht, aber was lag daran? Es war ihr damals so wichtig vorgekommen, jetzt war es so völlig gleichgültig. Das einzige, worauf es ankam, war Ashley. Nun war er fort und sie an einen Mann verheiratet, den sie nicht liebte, den sie sogar verachtete.

Amschlimmsten ward die Erkenntnis, daß sie allein an allem schuld war. Ellen hatte versucht, sie zurückzuhalten, aber sie hatte nicht hören wollen.

So vertanzte sie die Nacht von Ashleys Hochzeit wie betäubt, sprach mechanisch allerlei, lächelte und verwunderte sich über die Dummheit der Menschen, die sie für eine glückliche Braut hielten und nicht sahen, daß ihr das Herz gebrochen war. Nun, Gott sei Dank, daß sie es nicht sehen konnten.

Als Mammy ihr dann beim Ausziehen geholfen hatte und hinausgegangen war, als Charles schüchtern in der Tür des Ankleidezimmers auftauchte, unsicher, ob er auch die zweite Nacht in dem Roßhaarstuhl zubringen mußte, brach sie in Tränen aus. Sie weinte, bis Charles zu ihr ins Bett stieg und sie zu trösten suchte, weinte wortlos, bis ihr keine Tränen mehr kamen, weinte sich schließlich an seiner Schulter in den Schlaf.

Wäre nicht Krieg gewesen, so wäre jetzt eine Woche gefolgt mit Besuchen in der ganzen Provinz, mit Bällen und Gartenfesten zu Ehren der beiden Jungverheirateten Paare, ehe diese nach Saratoga oder nach White Sulphur auf die Hochzeitsreise gingen. Wäre nicht Krieg gewesen, so hätte Scarlett die verschiedenen Kleider für den »dritten«, »vierten« und »fünften Tag« bei Fontaines, Calverts und Tarletons auf den Gesellschaften, die ihr zu Ehren dort gegeben wurden, anziehen können. Jetzt aber gab es weder Gesellschaften noch Flitterwochen. Acht Tage nach der Hochzeit reiste Charles ab, um sich dem 0berst Wade Hampton zu stellen, und vierzehn Tage später marschierte Ashley mit der »Truppe« ab, und die ganze Provinz war vereinsamt.

In diesen vierzehn Tagen sah Scarlett Ashley niemals allein und wechselte kein Wort unter vier Augen mit ihm, nicht einmal in dem schrecklichen Augenblick des Abschieds, als er auf dem Wege zur Bahn in Tara vorsprach. Melanie mit Haube und Schal hing, erfüllt von ihrer neuerworbenen Frauenwürde, an seinem Arm, und die ganze Einwohnerschaft von Tara, Schwarze wie Weiße, kamen heraus, um Abschied zu nehmen von Ashley, der jetzt in den Krieg zog.

Melanie sagte: »Du mußt Scarlett einen Kuß geben, sie ist jetzt meine Schwester.« Und Ashley beugte sein von Qual gespanntes Gesicht herab und berührte mit kalten Lippen ihre Wangen. Scarlett hatte kaum Freude an dem Kuß, so verdroß es sie, daß Melly ihn dazu auffordern durfte. Melanie selbst erstickte sie fast in ihrer Abschiedsumarmung.

»Du besuchst mich doch in Atlanta bei Tante Pittypat, nicht wahr? Ach, Liebes, wir hätten dich so gern bei uns, wir möchten doch Charles' Frau besser kennenlernen!«

Fünf Wochen verstrichen, in denen Briefe von Charles aus Südcarolina ankamen, scheue, überschwengliche, zärtliche Briefe, in denen er von seine r Liebe, von seinen Zukunftsplänen für die Zeit nach dem Kriege schrieb, von seiner Sehnsucht, um Scarletts willen ein Held zu werden, und von seiner Verehrung für seinen 0berst Wade Hampton. In der siebenten Woche kam ein Telegramm von 0berst Hampton persönlich, und dann ein gütiger, würdiger Kondolenzbrief. Charles war tot. Der 0berst hätte eher telegraphieren wollen, aber Charles hatte seine Krankheit leichter genommen und wollte seine Familie nicht beunruhigen. Der unselige Junge war nicht nur um die Liebe betrogen worden, die er sich erobert zu haben meinte, sondern auch um seine hochfliegenden Hoffnungen auf Ruhm und Ehre in der Schlacht. Er starb einen schmählichen, raschen Tod an einer Lungenentzündung infolge von Masern, ohne näher an die Yankees herangekommen zu sein als bis in das Feldlager in Südcarolina.

Nach der gehörigen Zeit wurde Charles' Sohn geboren und Wade Hampton Hamilton genannt, weil es gerade Mode war, einen Jungen nach dem Vorgesetzten seines Vaters zu nennen. Scarlett hatte vor Ver zweiflung geweint, als sie merkte, daß sie schwanger war, und zu sterben gewünscht Aber sie trug das Kind ohne alle Beschwerden aus, brachte es leicht zur Welt und erholte sich so rasch, daß Mammy ihr insgeheim sagte, es sei einfach unvornehm - Damen müßten dabei mehr leiden. Sie empfand wenig Zärtlichkeit für das Kind, wenn sie auch diese Tatsache verbarg. Sie hatte es nicht haben wollen und sein Erscheinen übelgenommen. Und nun, da es da war, kam es ihr unmöglich vor, daß es von ihr geboren, daß es ein Teil ihrer selbst sein sollte.

0bwohl sie sich körperlich von Wades Geburt in wiederum unvornehm kurzer Zeit erholte, war ihr Gemüt trotz der Bemühungen der ganzen Plantage, sie aufzumuntern, wie betäubt. Ellen ging mit faltiger, sorgenvoller Stirn umher, Gerald fluchte noch häufiger als sonst und brachte ihr aus Jonesboro Geschenke mit, die nichts fruchteten, so daß der alte Dr. Fontaine zugab, daß er nicht mehr recht ein noch aus wisse, nachdem sein Stärkungsmittel aus Schwefel, Zuckersirup und Kräutern versagt hatte. Er teilte Ellen unter vier Augen mit, die Ursache für Scarletts abwechselnd reizbare und schwermütige Stimmung sei in gebrochenem Herzen zu suchen. Hätte Scarlett sich äußern wollen, sie hätte ihnen sagen können, daß ihr Leiden ganz anderer und viel komplizierterer Natur sei. Sie verschwieg ihnen, daß eine maßlose Langeweile, Fassungslosigkeit gegenüber der Tatsache, daß sie wirklich Mutter war, und vor allem Ashleys Abwesenheit ihr dies schmerzliche Aussehen gaben.

Ihre Langeweile war schmerzhaft und verfolgte sie auf Schritt und Tritt. Seitdem die »Truppe« im Feld stand, hatten alle Vergnügungen, alles gesellige Leben der Provinz aufgehen. Alle unterhaltenden jungen Männer waren fort - die vier Tarletons, die beiden Calverts, die Fontaines, die Munroes und alles aus Jonesboro, Fayetteville und Lovejoy, was jung und nett war. Nur die älteren Männer, die Krüppel und die Frauen waren zurückgeblieben und brachten die Zeit mit Stricken und Nähen zu, mit dem Anbau von immer mehr Baumwolle und Getreide, mit der Aufzucht von immer mehr Schweinen, Schafen und Kühen für das Heer. Einen richtigen Mann bekam man nie zu Gesicht, außer Suellens etwas angejahrten Verehrer Kennedy, den Leiter der Intendantur, der allmonatlich kam, u m die erforderlichen Bestände zu requirieren. Die Herren dieser Behörde waren wenig aufregend, und der Anblick von Franks schüchternem Liebeswerben ging Scarlett so auf die Nerven, daß sie Mühe hatte, höflich zu bleiben. Wenn er und Suellen es doch endlich einmal überstanden hätten!

Aber selbst wenn die Herren der Intendantur amüsanter gewesen wären, es hätte Scarlett doch nicht geholfen. Sie war Witwe, und ihr Herz lag im Grabe. So nahm wenigstens jeder an und erwartete von ihr, daß sie sich demgemäß betrage. Das reizte sie unbeschreiblich, denn sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich keines Zuges an Charles entsinnen außer seines Blickes zu ihrem Jawort, der dem eines verendenden Kalbes glich. Und sogar dieses Bild verblaßte. Aber sie war Witwe und mußte ihre Haltung wahren. Die Vergnügungen der jungen Mädchen waren nicht mehr für sie da. Sie mußte die Trauernde, Unnahbare spielen. Ellen hatte ihr das ernst vorgehalten, nachdem sie Franks Leutnant dabei ertappt hatte, wie er für Scarlett die Gartenschaukel stieß, bis sie vor Lachen schrie. Tiefbekümmert hatte Ellen ihr gesagt, wie leicht eine Witwe ins Gerede komme. Ihr Betragen müsse doppelt so vorsichtig sein wie das einer verheirateten Frau.

Scarlett hörte folgsam auf die sanfte Stimme ihrer Mutter und dachte bei sich: »Gott allein weiß, daß schon eine Frau überhaupt keine Freude mehr hat. Witwen aber täten besser daran, sich begraben zu lassen.«

Als Witwe mußte man scheußliche schwarze Kleider tragen, keine bunten Farben durften sie beleben, keine Blumen, kein Band, keine Spitzen, nicht einmal Schmuck, nur dunkle 0nyxbroschen und Halsketten aus dem Haar des Verstorbenen. Der schwarze Kreppschleier ihrer Haube mußte bis zu den Knien hinabreichen und durfte erst nach dreijähriger Witwensc haft bis auf Schulterhöhe gekürzt werden. Eine Witwe durfte niemals lebhaft plaudern, nie laut lachen. Selbst lächeln durfte sie nur mit gramvoller Miene. Aber das schlimmste war: sie durfte sich auf keine Weise anmerken lassen, daß sie an männlicher Gesellschaft Vergnügen fände. Sollte je ein Mann so unerzogen sein, kundzutun, daß er sie leiden mochte, so mußte sie ihm mit einer würdigen Anspielung auf ihren verstorbenen Mann eine gründliche Abfuhr erteilen. Ja, gewiß, dachte Scarlett müde, es kommt wohl vor, daß eine Witwe später einmal wieder heiratet, wenn sie alt und runzelig geworden ist Aber der Himmel mag wissen, wie sie das unter den Späheraugen ihrer Nachbarn fertigbringt; meistens ist es dann auch ein alter, grämlicher Witwer mit einer großen Plantage und einem Dutzend Kinder.

Ja, für eine Witwe war es für immer mit dem Leben vorbei. Die Leute waren zu dumm, wenn sie ihr immer wieder vorredeten, was für ein Trost der kleine Wade Hamilton ihr nun sein müsse, da Charles von ihr gegangen sei. Zu dumm, wenn sie meinten, sie hätte jetzt etwas, wofür sie leben könnte! Alle redeten davon, wie süß dieses Vermächtnis der Liebe sei, und sie ließ sie bei ihrem Glauben. Ihr aber lag dieser Gedanke am allerfernsten. Wade bedeutet ihr wenig; manchmal fiel es ihr schwer, sich daran zu erinnern, daß er wirklich ihr eigen sei.

Jeden Morgen, wenn sie aufwachte, war sie im Halbschlummer auf einen Augenblick wieder Scarlett 0'Hara. Die Sonne lag hell auf der Magnolie vor ihrem Fenster, die Spottdrosseln sangen, der gute Duft von bratendem Speck stieg ihr sacht in die Nase. Sie war wieder sorglos und jung. Dann hörte sie das hungrige Jammergeschrei, und jedesmal - aber auch jedesmal kam dann ein erschrockener Augenblick, da sie dachte: »Was, ist denn ein Baby im Haus?« Dann fiel ihr ein, daß es ihr eigenes war. Es war sehr schwer, sich darein zu finden.

Und Ashley! Ach, vor allem Ashley! Zum erstenmal in ihrem Leben haßte sie Tara, haßte sie die lange rote Landstraße, die den Hügel hinab bis an den Fluß führte, haßte sie die roten Felder mit der sprießenden grünen Baumwolle. Jeder Fußbreit Erde, jeder Baum, jeder Bach, jeder Feldweg erinnerte an ihn. Er gehörte einer anderen Frau an und war im Krieg, aber sein Gesicht ging in der Dämmerung auf den Wegen um, lächelte ihr aus verträumten grauen Augen im Schatten der Veranda zu. Nie hörte sie Hufschlag die Straße über den Fluß aus Twelve 0aks heraufkommen, ohne einen wonnevollen Augenblick lang zu denken: Ashley!

Jetzt haßte sie auch Twelve 0aks und hatte es doch einst so geliebt. Sie haßte es, und trotzdem zog es sie hin. Dort konnte sie John Wilkes und die Mädchen von ihm erzählen hören - konnte zuhören, wenn sie seine Briefe aus Virginia vorlasen. Sie taten ihr weh, aber sie mußte sie hören.

Indias Steifheit und Honeys dummes Geschwätz waren ihr schrecklich, und sie wußte, die Mädchen mochten sie auch nicht, aber wegbleiben konnte sie nicht. Und jedesmal, wenn sie aus Twelve 0aks heimkam, legte sie sich vergrämt auf ihr Bett und wollte zum Abendessen nicht aufstehen. Daß sie die Nahrung verweigerte, beunruhigte Ellen und Mammy mehr als alles andere. Mammy brachte ihr die verlockendsten Gerichte und legte ihr nahe, daß sie jetzt als Witwe soviel essen dürfe, wie sie wolle. Aber Scarlett hatte keinen Appetit. Als Dr. Fontaine in ernstem Ton Ellen mitteilte, ein gebrochenes Herz führe oftmals raschen Verfall herbei und es gebe Frauen, die sich ins Grab härmten, erbleichte sie, denn davor hatte sie im tiefsten Herzen gebangt.

»Eine Luftveränderung wäre das allerbeste für sie«, sagte der Arzt, dem viel daran lag, die unbequeme Patientin loszuwerden.

Scarlett machte sich also ohne Lust und Liebe mit ihrem Kinde auf und besuchte die 0'Haraschen und Robillardschen Verwandten in Savannah und dann Ellens Schwestern Pauline und Eulalia in Charleston. Aber sie kehrte einen Monat früher als beabsichtigt zurück und gab für ihre vorzeitige Rückkunft keinerlei Erklärung. In Savannah war sie freundlich aufgenommen worden; aber James und Andrew und ihre Frauen waren alt und wollten ihre Ruhe haben und von einer Vergangenheit reden, die Scarlett nicht interessierte. Ebenso war es bei Robillards, und Charleston fand sie einfach schrecklich.

Tante Pauline und ihr Mann, ein kleiner Greis von formvollendeter spröder Höflichkeit mit dem abwesenden Ausdruck derer, die in einem vergangenen Zeitalter leben, wohnten am Fluß auf einer Plantage, die noch viel einsamer lag als Tara. Der nächste Nachbar wohnte zwanzig Meilen entfernt und war nur auf düsteren Wegen durch stille Dickichte von Sumpfzypressen und Eichen zu erreichen. Die Eichen mit ihren wehenden grauen Moosschleiern erfüllten Scarlett mit Schauder und erinnerten sie an Geralds irische Gespenstergeschichten, in denen Geister in flimmernden grauen Nebeln umgingen. Zudem mußte sie dort den ganzen Tag stricken und abends 0nkel Carey zuhören, wenn er aus den belehrenden Werken Bulwer-Lyttons vorlas.

Eulalia, die in einem großen Hause auf der Schanze in Charleston hinter den hohen Mauern ihres Gartens zurückgezogen lebte, war auch nicht unterhaltend. Scarlett war den weiten Blick über wogende Felder gewohnt und fühlte sich nun wie in einem Gefängnis. Das gesellige Leben war hier lebhafter als bei Tante Pauline, aber die Gäste waren Scarlett zuwider durch die Art, wie sie sich selbst, ihre Traditionen und ihre Familien wichtig nahmen. Sie wußte sehr gut, daß man sie hier als den Sprößling einer Mesalliance ansah und es unbegreiflich fand, daß eine Robillard je einen eben eingewanderten Iren hatte heiraten können. Sie spürte, daß Tante Eulalia hinter ihrem Rücken für ihr Dasein um Entschuldigung bat. Das erregte ihren Zorn, denn sie gab nicht mehr auf Familie als ihr Vater. Sie war stolz auf Gerald und auf alles, was er ohne fremde Unterstützung nur mit Hilfe seines gescheiten irischen Kopfes geleistet hatte.

Und wie die Leute in Charleston mit Fort Sumter prahlten! Gott im Himmel, wenn die einen nicht den ersten Schuß in diesem Kriege abgefeuert hätten, so hätten es eben die anderen getan. Scarlett war die scharf akzentuierenden Stimmen 0bergeorgias gewöhnt, die gedehnten, klingenden Laute des Unterlandes kamen ihr geziert vor. Ihr war, als müßte sie schreien, wenn sie noch einmal »Paame« statt Palme, »Hoas«, statt Haus und »Maa« und »Paa« statt Ma und Pa hören mußte. Es fiel ihr so auf die Nerven, daß sie zum Entsetzen ihrer Tante während eines formellen Besuchs den irischen Dialekt Geralds nachahmte. Schließlich kehrte sie nach Tara zurück. Besser noch, sich von Erinnerungen an Ashley quälen zu lassen als von der Charlestoner Aussprache!

Ellen war Tag und Nacht geschäftig, die Ertragsfähigkeit Taras zu verdoppeln, um den Konföderierten nach besten Kräften helfen zu können.

Sie erschrak aus tiefster Seele, als ihre älteste Tochter mager, bleich und mit scharfer Zunge aus Charleston zurückkehrte. Sie wußte selbst, was ein gebrochenes Herz bedeutete, und lag Nacht für Nacht neben dem schnarchenden Gatten wach und grübelte, wie man wohl Scarletts Seelennot lindern könnte.

Charles' Tante, Miß Pittypat Hamilton, hatte ihr mehrmals geschrieben und dringend gebeten, ihr Scarlett für einen langen Besuch nach Atlanta zu schicken. Zumerstenmal zog Ellen den Vorschlag ernstlich in Erwägung.

Sie wohnte mit Melanie allein in dem großen Haus »ohne männlichen Schutz«, schrieb Miß Pittypat, »seitdem unser lieber Charles nicht mehr ist. Natürlich habe ich noch meinen Bruder Henry, aber er hat sein Heim nicht bei uns. Vielleicht hat Scarlett Ihnen von Henry erzählt. Mein Zartgefühl verbietet mir, mehr von ihm dem Papier anzuvertrauen. Wir beide, Melly und ich, würden uns viel behaglicher und sicherer fühlen, wenn Scarlett bei uns wäre. Drei einsame Frauen sind besser als zwei. Und vielleicht findet auch die liebe Scarlett wie Melly einigen Trost darin, unsere braven Jungens im hiesigen Lazarett zu pflegen. - Und natürlich haben Melly und ich große Sehnsucht, den süßen Kleinen zu sehen.«

So wurden Scarletts Trauerkleider denn von neuem in den Koffer gepackt, und sie machte sich mit Wade Hampton und seinem Kindermädchen Prissy auf den Weg, den Kopf voller Ermahnungen von Ellen und von Mammy und in der Tasche hundert Dollar in Banknoten der Konföderierten, die Gerald ihr mitgab. Sie hatte keine Lust, nach Atlanta zu gehen. Tante Pitty war nach ihrer Meinung die albernste alte Dame, die sie sich vorstellen konnte, und der bloße Gedanke, mit Ashleys Frau unter einem Dach zu wohnen, war ihr schrecklich. Aber die Heimat mit ihren Erinnerungen war ganz unerträglich geworden, und jede Veränderung war ihr willkommen.

Vom Winde verweht

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