Читать книгу Vom Winde verweht - Маргарет Митчелл - Страница 5

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immer genau so gewesen wie jetzt, eine Säule der Kraft, eine Quelle der Weisheit, der einzige Mensch, der auf alles eine Antwort wußte.

Aber Scarlett irrte sich. Vor Jahren hatte Ellen Robillard in Savannah genauso ausgelassen gekichert wie jede Fünfzehnjährige in der reizenden Küstenstadt, hatte mit Freundinnen die ganze Nacht hindurch getuschelt und Vertraulichkeiten ausgetauscht und jedes Geheimnis, bis auf eines, offenbart. Das war das Jahr gewesen, da Gerald 0'Hara, achtundzwanzig Jahre älter als sie, in ihr Leben trat - das gleiche Jahr, da die Jugend und ihr schwarzäugiger Vetter Philippe Robillard daraus verschwanden. Als Philippe mit den kecken Augen und dem wilden Wesen Savannah für immer verließ, nahm er allen Glanz aus Ellens Herzen mit und ließ dem säbelbeinigen kleinen Iren, der sie heiratete, nur die freundliche Schale zurück.

Aber für Gerald genügte sie. Er war ganz überwältigt von dem unvorstellbaren Glück, sie wirklich heiraten zu dürfen. War etwas an ihr dahin, er vermißte es nicht. Als gescheiter Mann wußte er, daß es für ihn, einen Iren aus unbekannter Familie und ohne Geld, so etwas wie ein Wunder war, die Tochter einer der reichsten, stolzesten Familien der K üste für sich zu erobern. Denn Gerald war ein Selfmademan.

Mit einundzwanzig Jahren war er aus Irland nach Amerika gekommen. Überstürzt, wie mancher bessere und mancher schlimmere Ire vor und nach ihm, mit der Kleidung, die er gerade auf dem Leibe trug, zwei Schilling außer seiner Passage in der Tasche und einem Preis auf seinem Kopf, der nach seinem Dafürhalten höher war, als seine Missetat es verdiente. Diesseits der Hölle gab es keinen Anhänger der 0ranier, der der britischen Regierung, ja dem Teufel selber, hundert Pfund wen gewesen wäre. Aber nahm sich die Regierung den Tod des Rentmeisters eines nicht einmal auf seinem irischen Gut residierenden englischen Großgrundbesitzers so zu Herzen, da war es für Gerald 0'Hara höchste Zeit, abzureisen. Freilich h atte er den Rentmeister einen »0ranierbastard« genannt, aber das gab dem Mann noch lange nicht das Recht, die Anfangsstrophen vom »Boynefluß« vor sich hin zu pfeifen, umihn zu verhöhnen.

Es war schon länger als hundert Jahre her, daß die Schlacht am Boynefluß geschlagen worden war. Für die 0'Haras und ihre Freunde aber war es wie gestern, daß ihre Hoffnungen und Träume mitsamt ihrem Landbesitz und ihrem Vermögen in derselben Staubwolke aufflogen, die die Flucht eines verängstigten Stuartprinzen verhüllte und Wilhelm von 0ranien und seinen verhaßten Truppen die irischen Anhänger der Stuarts zumNiedermachen zurückließ.

Aus diesen und anderen Gründen sah Geralds Familie den tödlichen Ausgang seines Streites nicht als tragisch an, es sei denn wegen der erns ten Folgen, die er unfehlbar haben mußte. Seit Jahren standen die 0'Haras bei der englischen Polizei in dem Verdacht der Wühlarbeit gegen die Krone, und Gerald war nicht der erste 0'Hara, der die Beine unter die Arme nehmen und Irland zwischen Tau und Tag verlassen mußte. Seiner beiden älteren Brüder James und Andrew erinnerte er sich nur dunkel als schweigsamer junger Männer, die zu sonderbaren Nachtstunden auf geheimnisvollen Wegen kamen und gingen und oft, der Mutter eine stets nagende Angst, für Wochen verschwanden. Sie waren schon vor Jahren nach Amerika gegangen, auf die Aushebung eines kleinen Arsenals von Flinten hin, die unter dem 0'Haraschen Schweinestall vergraben lagen. Nun waren sie erfolgreiche Kaufleute in Savannah - »obwohl der liebe Gott allein weiß, wo das liegen mag«, wie ihre Mutter bei der Erwähnung ihrer beiden Ältesten nie zu bemerken unterließ. Und zu ihnen sollte jetzt der junge Gerald fahren.

Er verließ sein Vaterhaus mit einem hastigen Kuß der Mutter, ihren inbrünstigen katholischen Segensworten und der Abschiedsermahnung des Vaters: »Denk daran, wer du bist, und nimm von niemandem etwas an!« Seine fünf großen Brüder sagten ihm mit einem anerkennenden, aber doch ein klein wenig gönnerhaften Lächeln Lebewohl, denn Gerald war der Jüngste und Kleinste dieser verwegenen Brut.

Seine fünf Brüder und sein Vater maßen mehr als sechs Fuß und entsprechend viel in der Breite, aber der kleine Gerald wußte mit einundzwanzig Jahren, daß fünfeinhalb Fuß Höhe alles war, was der Herr in Seiner Weisheit ihm beschieden hatte. Es sah Gerald ähnlich, daß er nie einen Kummer hieran verschwendete und sich auch nie durch diesen Mangel an Körpergröße in seinem Selbstbewußtsein beeinträchtigt fühlte. Im Gegenteil, seine feste, untersetzte Gestalt machte ihn erst zu dem, was er war, denn er lernte früh, daß kleine Leute dreist sein müssen, wenn sie sich zwischen den Großen durchsetzen wollen. Und dreist war er. Seine großen Brüder waren ein grimmiges, wortkarges Geschlecht, welches seinen endgültig verlorenen Ruhm mit einem verschwiegenen Groll und Haß trug, der nur ab und zu in bitterem Humor aufflackerte. Wäre Gerald auch so verschlossen wie sie gewesen, so wäre er den Weg der anderen 0'Haras gegangen und hätte heimlich und still mit den Aufsässigen gegen di e Regierung gewühlt. Aber er hatte »ein lautes Maul und einen Bullenschädel«, wie seine Mutter es liebevoll ausdrückte. Von Temperament war er ein Pulverfaß, seine Fäuste waren rasch geballt, und unter den großen 0'Haras stolzierte er herum wie ein kleiner Bantamgockel im Hühnerhof unter riesigen Cochinchinahähnchen. Sie hatten ihn lieb, zogen ihn gutmütig auf, um ihn zum Toben zu bringen, und bearbeiteten ihn mit ihren Fäusten nicht mehr als notwendig war, um ihm den ihm gebührendenPlatz anzu weisen.

Das Gepäck an Bildung, das Gerald mit nach Amerika nahm, war dürftig, aber er wußte es nicht. Seine Mutter hatte ihn Lesen und Schreiben gelehrt, auch rechnen konnte er gut, und damit war seine Weisheit erschöpft. Das einzige Latein, was er kannte, waren die Responsorien der Messe, die einzige Weltgeschichte war für ihn all das Unrecht, das Irland angetan worden war. In der Poesie kannte er nur Moore, in der Musik nur die irischen Lieder aus den alten Überlieferungen. Er hatte eine lebhafte Hochachtung vor Leuten, die mehr gelernt hatten als er, aber seine eigenen Lücken empfand er nie als Mangel. Wozu auch all das in einem Neuland, wo seine ungebildetsten Landsleute das größte Vermögen gemacht hatten, wo man nur danach fragte, ob jemand kräftig war und keine Arbeit scheute!

Auch James und Andrew, die ihn in ihrem Kaufhaus in Savannah unterbrachten, vermißten nichts an seiner Bildung. Seine Handschrift, sein gutes Rechnen und seine kaufmännische Gerissenheit gewann ihren Beifall. Literarische und musikalische Kenntnisse hätten nur ihre Verachtung erregt. Im Anfang des Jahrhunderts war Amerika den Iren freundlich gesonnen. James und Andrew, die damit angefangen hatten, Waren im Planwagen aus Savannah in das Innere Georgias zu bringen, hatten es jetzt zu einem Kaufhaus gebracht, und Gerald kam mit ihnen voran. Der Süden und seine Bewohner gefielen ihm, und bald gehörte er nach seiner eigenen Meinung völlig dazu. Der Süden und seine Bewohner hatten zwar manches an sich, was ihm immer unverständlich blieb; aber wie alles, was er tat, von ganzem Herzen geschah, so machte er sich auch ihre Ansichten und Gewohnheiten ganz zu eigen: Poker und Pferderennen, ihre politische Hitzköpfigkeit und ihren Ehrenkodex, die Rechte der Südstaaten und den Groll gegen die Yankees, Sklaverei und Baumwolle, Verachtung für das besitzlose Gesindel und übertriebene Höflichkeit gegen die Damen. Er hatte sogar Tabakkauen gelernt; das Whiskytrinken brauchte er nicht erst zu lernen; das konnte er von der Wiege auf.

Und doch blieb Gerald 0'Hara er selbst. Seine Lebensgewohnheiten und Ansichten veränderten sich, aber seine Eigenart wollte er nicht ändern, auch wenn er es gekonnt hätte. Er bewunderte die lässige Eleganz der reichen Pflanzer, die aus ihren moosverhangenen Königreichen auf V ollblutpferden nach Savannah geritten kamen, hinter ihnen die Equipagen ihrer nicht minder eleganten Damen und die Leiterwagen ihrer Sklaven. Bis zur Eleganz brachte es Gerald nie. Ihre gedehnten, verschleierten Stimmen schlugen angenehm an sein 0hr, er aber blieb bei seiner harten irischen Mundart. Er hatte die Grazie gern, mit der sie wichtige Angelegenheiten obenhin behandelten, ein Vermögen, eine Plantage oder einen Schwarzen auf eine Pokerkarte setzten, ihre Verluste mit sorglosem Gleichmut hinnahmen, als wären sie nicht mehr als die Pfennige, die sie den farbigen Junden zuwarfen. Aber Gerald hatte die Armut gekannt und lernte nie, mit Grazie und Humor Geld zu verlieren. Ein angenehmer Schlag waren sie, diese Georgianer von der Küste, mit ihrem raschen Aufbrausen, das sich doch in ihrer Sprache so sanft ausnahm, mit ihren scharmanten Widersprüchen und Ungereimtheiten. Gerald hatte sie gern. Der junge Ire, der eben aus einem Lande zugewandert war, wo der Wind kalt und kräftig weht, wo es keine dunstigen, fieberbrütenden Sümpfe gibt, besaß eine unverwüstliche Lebenskraft, die ihn von der trägen Aristokratie der Malarianiederungen mit ihrem subtropischen Klima ein für allemal unterschied. Was ihm nutzen konnte, lernte er; um den Rest kümmerte er sich nicht. Als nützlichste aller südstaatlichen Gepflogenheiten erkannte er bald das Pokerspiel und einen Kopf, der dem Whisky standhielt. Seine angeborene Begabung für Karten und Schnaps trug Gerald zwei seiner drei kostbarsten Besitztümer ein, seinen Diener und seine Plantage. Das dritte war seine Frau, und sie verdankte er, nach seiner Meinung, allein der unerforschlichen Güte Gottes.

Der Diener namens Pork, tiefschwarz und in den erlesensten Feinheiten der Schneiderkunst beschlagen, fiel ihm in einer Nacht zu, die er mit einem Pflanzer aus St.-Simons-Island verpokerte, einem Manne, dessen Kühnheit im Bluffen der Geralds gleichkam, dessen Kopf aber dem New-0rleans - Rum nicht in gleichem Maße standhielt. Porks früherer Besitzer erbot sich, ihn um das Doppelte zurückzukaufen, aber Gerald blieb fest. Mit dem Besitz seines ersten Sklaven und nun gar des »verdammt noch mal besten Dieners an der ganzen Küste« war die erste Stufe zur Erfüllung seiner Herzenswünsche erklommen. Gerald wollte Sklavenhalter und Großgrundbesitzer werden.

Er war entschlossen, nicht wie James und Andrew seine Tage mit Feilschen und seine Nächte bei Kerzenlicht über langen Zahlenreihen zu verbringen. Seine Brüder empfanden nicht den gesellschaftlichen Makel, der den »Händlern« anhaftete. Gerald aber tat es. Er wollte Plantagenbesitzer werden. Mit der unstillbaren Sehnsucht eines Iren, der das Land, auf dem seine Familie einst als Herren gesessen und gejagt, als verarmter Pächter bebaut hatte, verlangte er nach eigenen Morgen Landes, die sich grün vor seinen Augen dehnten. Mit einer Zielsicherheit, die keine Bedenken kannte, begehrte er ein eigenes Haus, eine eigene Plantage, eigene Pferde und eigene Sklaven. Hier in diesem neuen Lande, wo er vor den beiden Gefahren, die über seiner alten Heimat schwebten, der Steuer und der Pachtentziehung, sicher war, hier wollte er sich das alles verschaffen. Aber solchen Ehrgeiz zu haben und ihn auszuführen, war zweierlei. Die Küste Georgias war zu fest in den Händen einer in sich abgeschlossenen Aristokratie, als daß er hoffen konnte, sich je die ersehnte Stellung zu erringen.

Aber dann wirkten Schicksal und Poker zusammen und schenkten ihm die Plantage, die er später Tara nannte, und trieben ihn zugleich von der Küste weg in das 0berland im Norden des Staa tes.

An einem heißen Frühlingsabend in einer Kneipe zu Savannah wollte es der Zufall, daß Gerald das Gespräch eines Fremden in seiner Nähe mit anhörte. Der Fremde war aus Savannah gebürtig und soeben nach zwölfjährigem Aufenthalt im Innern zurückgekehrt. In der Landlotterie, durch die der Staat das große Gebiet in Mittelgeorgia, das die Indianer abgetreten hatten, aufteilte, hatte er ein Los gezogen. Er war dann hinausgefahren und hatte dort eine Plantage angelegt. Aber dann war das Haus abgebrannt, und er war seitdem des Platzes überdrüssig und wäre ihn mit tausend Freuden los gewesen.

Der Gedanke an eine eigene Besitzung beschäftigte Gerald ununterbrochen. Er ließ sich deshalb dem Manne vorstellen, und sein Interesse wuchs, als der Fremde erzählte, wie die Einwanderer nach dem Norden Georgias strömten. Gerald hatte so lange in Savannah gelebt, daß er die landläufige Auffassung, der ganze übrige Staat sei Urwald, in dem hinter jedem Busch ein Indianer lauerte, übernommen hatte. Eine Geschäftsreise im Auftrage seiner Brüder hatte ihn seinerzeit hundert Meilen den Savannahfluß aufwärts nach Augusta geführt. Dabei war er so weit ins Innere vorgedrungen, daß er sich die alten Städte westlich von Augusta ansehen konnte. Er wußte, daß die Gegend dort ebenso di cht besiedelt war wie die Küste, aber nach der Beschreibung des Fremden lag die Plantage gut hundertfünfzig Meilen westlich von Savannah im Innern, nur wenige Meilen südlich vom Chattahoocheefluß. Gerald wußte, daß das Gebiet nördlich des Flusses noch in den Händen der Cherokesen war. Deshalb verwunderte er sich höchlichst, daß der Fremde seine Vermutung, es könne dort zu Unzuträglichkeiten mit den Indianern kommen, auslachte und erzählte, wie dort blühende Städte emporwuchsen und wie die Plantagen auf demjungfräulichen Boden gediehen.

Eine Stunde später, als das Gespräch einzuschlafen drohte, schlug Gerald in einer Verschlagenheit, die die offene Unschuld seiner blauen Augen Lügen strafte, ein Spielchen vor. Als es immer später wurde und der Schnaps die Runde machte, kam der Augenblick, da alle anderen Mitspieler die Karten niederlegten und Gerald und der Fremde allein weiterspielten. Der Fremde setzte seine gesamten Spielmarken und dazu die Eigentumsurkunde seiner Plantage. Gerald tat desgleichen und legte statt des Dokumentes seine Brieftasche obendrauf. Daß der Inhalt zufällig der Firma Gebrüder 0'Hara gehörte, beschwerte sein Gewissen nicht sonderlich. Morgen früh in der Messe war Zeit genug, es zu beichten. Er wußte, was er wollte, und wenn Gerald etwas wollte, so verschaffte er es sich auf dem kürzesten Weg. Außerdem hatte er so viel Vertrauen in sein Schicksal und das Kartenglück, daß er sich keinen Augenblick überlegte, wie das Geld zurückgezahlt werden könnte, falls er überspielt werden sollte.

»Sie machen kein Geschäft damit, und ich bin froh, daß ich keine Steuern mehr dafür zu zahlen brauche«, seufzte der Verlierer, als er Tinte und Feder bestellte. »Das Haupthaus ist vor einem Jahr abgebrannt, und auf den Feldern wuchern Unterholz und Kiefernschößlinge. Aber nun gehört es Ihnen.«

»Mische nie Karten und Whisky, wenn du nicht mit irischem Whisky entwöhnt worden bist«, sagte Gerald denselben Abend zu Pork, als dieser ihm ins Bett half, und der Diener, der aus Bewunderung für seinen Herrn angefangen hatte, sich im irischen Dialekt zu versuchen, gab die gebührende Antwort in einer Mischung seines Kauderwelsch mit der Mundart der Grafschaft Meath, die jeden anderen als die beiden Eingeweihten in starke Verlegenheit gebracht hätte.

Der schlammige Flintfluß, der lautlos zwischen Mauern von Pechkiefern und mit wirren Weinranken überwucherten Flußeichen dahinströmte, umarmte gleichsam Geralds neuen Besitz von beiden Seiten. Als Gerald auf der niedrigen Kuppe stand, die das Haus getragen hatte, nahm er die hohen, grünen Schranken für eine ebenso sichtbare und angenehme Bestätigung seines Besitzrechtes über den Grund und Boden wie einen Zaun, den er mit eigener Hand errichtet hätte. Er stand auf dem verkohlten Fundament des niedergebrannten Gebäudes, schaute die lange Allee hinunter, die zur Landstraße führte, und fluchte inbrünstig, da ihm für ein Dankgebet die Freude zu tief ging. Die beiden Reihen düsterer Bäume waren sein, sein der verwahrloste Rasen, auf dem unter weißbesternten jungen Magnolienbäumen das Unkraut bis zur Gürtelhöhe wuchs. Die brachliegenden Felder, die über und über mit winzigen Kiefern und Unterholz bestanden waren, dehnten sich wellig in allen vier Himmelsrichtungen aus. Alles das gehörte Gerald 0'Hara, weil sein Irenschädel nicht so leicht zu benebeln war und weil er den Mut hatte, alles auf eine Karte zu setzen.

Gerald schloß die Augen, und in der Stille all der unbearbeiteten Morgen Landes hatte er das Gefühl, er sei nun nach Hause gekommen. Das Wohnhaus, aus weißverputzten Backsteinen, sollte sich hier erheben, wo er stand. Jenseits der Straße sollten Lattenzäune fettes Vieh und Vollblutpferde einfriedigen, und die rote Erde am Berghang, bis hinunter zur Flußweide, sollte weiß wie Eiderdaunen in der Sonne flimmern: ein riesiges Baumwollfeld. Mit seinem eigenen kleinen Anlagekapital, das er von seinen wenig begeisterten Brüdern geborgt hatte, und einer Hypothek kaufte Gerald die ersten Feldsklaven und zog auf Tara ein, wo er als Junggeselle einsam bis zu der Zeit, wo die weißen Mauern aus dem Boden steigen sollten, in demvierzimmerigen Haus des Aufsehers wohnte.

Er rodete die Felder, pflanzte Baumwolle und borgte abermals Geld von James und Andrew, um sich mehr Sklaven zu kaufen. Sie liehen es ihm und bekamen es in den folgenden Jahren mit Zinsen zurück. Allmählich vergrößerte sich die Plantage, Gerald kaufte einige Morgen hinzu, und mit der Zeit wurde das weiße Haus aus einem Traum zur Wirklichkeit.

Es wurde von Sklaven erbaut und breitete sich schwerfällig und weitläufig auf dem Hügel aus. Es gefiel Gerald ausnehmend gut, denn schon als es noch neu war, sah es ganz altersgrau aus. Die alten Eichen, unter deren mächtigen Armen die Indianer dahingezogen waren, umhegten es mit ihren dicken Stämmen, und ihre Äste, die höher reichten als d as Dach, hüllten es in dichte Schatten. Auf dem Rasen, der dem Unkraut wieder entrissen war, wuchsen üppiger Klee und Bermudagras, und Gerald sorgte dafür, daß er gut gehalten wurde. Von der Zedernallee bis zu der weißen Reihe der Sklavenhäuser hatte alles sein gediegenes, dauerhaftes Aussehen, und jedesmal, wenn Gerald um die Straßenbiegung galoppierte und sein eigenes Dach aufleuchten sah, schwoll ihm wieder das Herz vor Stolz, als sähe er es zum ersten Male.

Das alles hatte er geleistet, der kleine dickschädelige, hitzköpfige Gerald.

Mit allen seinen Nachbarn stand er auf bestem Fuß, ausgenommen die Maclntoshs, deren Ländereien zur Linken an die seinen grenzten, und die Slatterys, deren dürftige drei Morgen sich rechts, jenseits der Weide, zwischen dem Fluß und John Wilkes' Plantage erstreckten.

Maclntoshs waren Iren schottischen Ursprungs und Anhänger Wilhelms von 0ranien, wodurch sie es für alle Zeiten mit Gerald verdorben hatten, obwohl sie siebzig Jahre lang in Georgia und davor schon ein Menschenalter in Carolina gelebt hatten. Aber das erste Mitglied der Familie, das die amerikanische Küste betreten hatte, kam aus Ulster, und das genügte Gerald. Es war eine steife, zugeknöpfte Familie, die sich streng für sich hielt und nur mit ihren Verwandten aus Carolina Ehen einging. Das Gerücht, sie begünstigten die Abschaffung des Sklavenhandels, erhöhte ihre Beliebtheit keineswegs. Der alte Angus hatte zwar nie einen einzigen Sklaven freigelassen und sich sogar das unverzeihliche Vergehen zuschulden kommen lassen, einige seiner Schwarzen an durchreisende Sklavenhändler zu verkaufen, aber trotzdem wollte das Gerücht nicht verstummen. Wenn bei einem »0rangeman« ein Grundsatz mit schottischem Geiz ins Gehege kommt, so zieht der Grundsatz dabei den kürzeren.

Mit den Slatterys war es anders. Sie waren mittellose Weiße, und ihnen wurde nicht einmal die widerwillige Achtung zuteil, die Angus Maclntoshs starrköpfige Unabhängigkeit sich erzwang. Der alte Slattery, der trotz wiederholter Angebote Geralds und John Wilkes' eigensinnig an seinen paar Morgen hing, war ein jämmerlicher armer Schlucker. Seine Frau, eine kränkliche, verblichene Erscheinung mit unordentlichem Haar, hatte eine kaninchenhafte Brut von mißratenen Kindern zur Welt gebracht, die sie gewissenhaft Jahr für Jahr vermehrte. Tom Slattery besaß keine Sklaven. Mit seinen beiden ältesten Söhnen plagte er sich auf seinen paar Baumwollfeldern ab, während die Frau und die kleineren Kinder ein Stück Land zu bearbeiten suchten, welches so etwas wie einen Gemü segarten vorstellen mochte. Aus irgendwelchen Gründen mißglückte es mit der Baumwolle fortwährend, und da Mrs. Slattery beständig ein Kind erwartete, lieferte der Garten selten genug, um ihre Schar satt zu machen. So hatte man sich daran gewöhnt, Tom Slattery bei seinen Nachbarn herumlungern und um Baumwollsamen und eine Speckseite betteln zu sehen, um sich über Wasser zu halten. Mit dem bißchen Energie, das er besaß, haßte er seine Nachbarn, weil er aus ihrer Höflichkeit die Verachtung herausfühlte, haßte er vor allem die hochnäsigen Schwarzen der Reichen. Die farbigen Bediensteten der Provinz hielten sich für etwas Besseres als das »weiße Pack«, und ihr unverblümter Hohn kränkte ihn tief, während ihre gesicherte Lebensstellung seinen Neid erweckte. Im Gegensatz zu seinem kümmerlichen Dasein waren diese Schwarzen wohlgenährt und gut gekleidet, und in Alter und Krankheit wurde für sie gesorgt. Sie waren stolz auf den Namen ihrer Besitzer und zum größten Teil auch darauf, Eigentum von Leuten zu sein, die der guten Gesellschaft angehörten, während Slattery mit allgemeiner Geringschätzung betrachtet wurde. Er hätte seinen Hof an jeden Pflanzer in der Provinz für seinen dreifachen Wert verkaufen können; man hätte das Geld gern daran gewendet, um ihn los zu sein. Ihm aber war es eine Genugtuung und ein Trotz, zu bleiben und von dem Ertrag eines Ballens Baumwolle und der Wohltätigkeit seiner Nachbarn sein Leben zu fristen.

Mit allen anderen in der Provinz stand Gerald auf freundschaftlichem Fuß, und mit einigen war er eng vertraut. Wilkes, Calverts, Tarletons, Fontaines, alle freuten sich, wenn die gedrungene Gestalt auf dem schweren Schimmel ihre Auffahrt heraufgaloppiert kam. Man lächelte und ließ die hohen Gläser kommen, in die ein Gläschen Bourbon-Whisky über einen Teelöffel Zucker und etwas zerquetschte Pfefferminze gegossen war. Man mußte Gerald gern haben, und mit der Zeit entdeckten auch die Nachbarn, was die Kinder, Farbige und Hunde auf den ersten Blick herausgehabt hatten, daß hinter der lärmenden Stimme und der rauhen Formlosigkeit ein gütiges Herz, ein verständnisvolles 0hr und eine offene Brieftasche zu finden waren. Bei seiner Ankunft ging es jedesmal wie in einem Tollhaus zu. Hunde bellten, schwarze Kinder jauchzten, wenn sie ihm entgegenliefen, stritten sich darum, sein Pferd halten zu dürfen, und grinsten über seine gutmütigen Flüche. Die weißen Kinder wollten auf seinem Knie reiten, während er mit ihren Eltern über die Niedertracht der Yankees schimpfte. Die Töchter seiner Freunde vertrauten ihm ihre Liebesgeschichten an, die Söhne, die Angst hatten, ihre Spielschulden im Arbeitszimmer des Vaters zu gestehen, hatten an ihm einen Helfer in der Not.

»Das also sind Sie schon einen Monat schuldig, Sie junger Schurke!« fuhr er sie dann wohl an. »Warum, verdammt noch mal, sind Sie nicht eher zu mir gekommen?«

Sein Polterton war zu gut bekannt, als daß ihn jemand übelgenommen hätte. Die jungen Leute lächelten nur betreten und antworteten: »Ach, Mr. 0'Hara, es war mir peinlich, Ihnen damit zu kommen, und mein Vater ...«

»Ihr Vater ist unleugbar ein guter Mann, aber strenge. Darum nehmen Sie dies hier, und damit ist die Sache erledigt.«

Die Damen der Plantagenbesitzer kapitulierten zuletzt. Als aber Mrs. Wilkes, eine vornehme Dame mit einer ungewöhnlichen Gabe zu schweigen, wie Gerald sie schilderte, eines Abends, nachdem Geralds Pferd die Einfahrt hinausgetrappelt war, zu ihrem Manne sagte: »Er hat eine etwas rauhe Zunge, aber er ist ein Gentleman« - da war Gerald endgültig anerkannt. Daß er fast zehn Jahre dazu gebraucht hatte, ahnte er nicht. Von dem Augenblick an, da er Tara betreten, hatte er nie gezweifelt, daß er zur vornehmen Gesellschaft gehörte. Aber als er dreiundvierzig Jahre alt war, sehnig und strotzend von Gesundheit, daß er aussah wie ein Edelmann auf der Hetzjagd auf einem jener Farbstiche, wurde ihm klar, daß Tara, so lieb er es harte, und alle die Nachbarn mit ihren offenen Herzen und Häusern ihm nicht genügten. Er brauchte eine Frau.

Tara verlangte gebieterisch nach einer Hausfrau. Die dicke Köchin, eine Schwarze vom Feld, die nur, weil irgend jemand die Küche versorgen mußte, zur Köchin befördert war, brachte das Essen nie zur rechten Zeit auf den Tisch, und das Hausmädchen, eine frühere Pflückerin, ließ den Staub sich auf den Möbeln häufen und hatte nie reine Wäsche zur Hand, so daß jedesmal, wenn Gäste kamen, alles drunter und drüber ging. Pork, der einzige ausgebildete farbige Bedienstete auf Tara, hatte die allgemeine Aufsicht über die anderen Dienstboten, aber selbst er war im Zusammenleben mit Gerald allmählich nachlässig geworden. Er hielt Geralds Schlafzimmer in 0rdnung und servierte mit Würde bei Tisch, aber sonst ließ er so ziemlich alles gehen, wie es wollte.

Mit ihrem unfehlbaren afrikanischen Instinkt hatten die Farbige alle längst heraus, daß Gerald zu der Sorte von Hunden gehörte, die bellen und nicht beißen. Das nutzten sie schamlos aus. Fortwährend wurden zwar von Gerald schreckliche Drohungen, die Sklaven nach dem Süden zu verkaufen oder durchzupeitschen, ausgestoßen, aber noch nie war ein Sklave aus T ara verkauft worden, und gepeitscht wurde nur ein einziges Mal, weil Geralds Lieblingspferd nach einem langen Jagdtag nicht gepflegt worden war.

Gerald sah mit seinen scharfen blauen Augen, wie gut bei seinen Nachbarn der Haushalt aufgezogen war und wie die Frauen mit dem glatten Haar und den rauschenden Seidenkleidern ihre Dienstboten zu regieren verstanden. Er wußte nicht, wie gehetzt diese Frauen von Sonnenaufgang bis Mitternacht waren, wie angekettet an ihre Pflicht, Küche, Kinderzimmer, Nähstube und Waschraum unter steter Aufsicht zu halten. Er sah nur das äußere Ergebnis, und das machte ihm Eindruck.

Wie nötig er eine Frau hatte, wurde ihm eines Morgens klar, als er sich anzog, um zum Gerichtstag in die Stadt zu reiten. Pork hatte das gefältelte Hemd herausgesucht, aber es war von dem Mädchen so schlecht ausgebessert worden, das höchstens der Diener es noch tragen konnte.

»Master Gerald«, sagte Pork und rollte das geschenkte Hemd mit Danksagungen zusammen, während Gerald vor Zorn kochte, »was Sie brauken, sein eine Frau und eine dicke Menge farbige Bedienstete.«

Gerald schnauzte Pork wegen seiner Frechheit an, aber er wußte, daß er recht hatte. Eine Frau und Kinder wollte er haben, und wenn er sie sich nicht bald verschaffte, wurde es zu spät. Aber jede beliebige wollte er auch nicht heiraten, wie Mr. Calvert, der die Erzieherin seiner mutterlosen Kinder zur Frau genommen hatte. Seine Frau mußte eine Dame von Geblüt sein, mit so vornehmen Formen wie Mrs. Wilkes und der Fähigkeit, in Tara so gut zu wirtschaften wie Mrs. Wilkes auf Twelve 0aks.

Aber aus zwei Gründen war es schwierig, in die großen Familien der Provinz hineinzuheiraten. Erstens herrschte Mangel an heiratsfähigen Töchtern, und der zweite, noch schwerer wiegende Grund war, daß Gerald trotz seines fast zehnjährigen Aufenthaltes in der Gegend immer noch als Eindringling galt. Von seiner Familie wußte niemand etwas. Wenn auch die Gesellschaft in 0ber-Georgia sich nicht so unbedingt absonderte wie die Aristokraten der Küste, so wollte doch keine Familie ihre Tochter einem Manne geben, über dessen Großvater nichts bekannt war. Gerald wußte sehr wohl, daß trotz aller echten Zuneigung kaum einer der Herren, mit denen er jagte, trank und politisierte, ihn zum Schwiegersohn haben wollte. Deshalb kam er sich aber durchaus nicht etwa geringer als seine Nachbarn vor. Es gab überhaupt nichts, das je in ihm das Gefühl irgendeiner Unterlegenheit hätte erwecken können. Für ihn war es nichts weiter als ein wunderlicher alter Brauch im Lande, daß die Töchter nur in Familien hineinheiraten durften, die länger als zwei Jahrzehnte in den Südstaaten gelebt hatten, Land und Sklaven besaßen und in all der Zeit keinen anderen als den gesellschaftlich anerkannten Lastern ergeben gewesen waren.

»Pack ein, wir gehen nach Savannah«, sagte er zu Pork, »und wenn ich noch einmal >Halt's Maul< oder >Donnerkeil< von dir höre, dann verkaufe ich dich, denn solche Worte nehme selbst ich nur selten in den Mund.«

Vielleicht wußten James und Andrew Rat. Sie hörten sich die Geschichte geduldig an, machten ihm aber wenig Hoffnung. Sie hatten keine Verwandten in Savannah, die ihnen behilflich sein könnten, denn sie waren beide schon als verheiratete Leute nach Amerika gekommen. Die Töchter ihrer alten Freunde aber waren längst Ehefrauen und hatten Hausstand und Kinder.

»Du bist kein reicher Mann, und du stammst nicht aus einer großen Familie«, sagte James.

»Ich habe mein Geld gemacht, da wird es mir auch mit der großen Familie gelingen. Ich heirate nicht die erste beste.«

»Viel Glück«, bemerkte Andrew trocken.

Doch sie taten für Gerald, was sie konnten. James und Andrew waren alt und angesehen in Savannah. Sie hatten viele Freunde, und einen Monat lang schleppten sie Gerald von Haus zu Haus, zum Abendessen, zum Ball, zum Picknick.

»Nur eine einzige kommt in Frage«, sagte Gerald schließlich. »Und sie war noch nicht einmal geboren, als ich hier an Land ging.«

»Und auf wen hast du dein Auge geworfen?«

»Auf Miß Ellen Robillard.« Gerald versuchte, dies recht obenhin auszusprechen, denn Ellen Robillards ein klein wenig schräggeschnittene Augen hatten weit mehr als nur seine Blicke gefesselt. Trotz ihrer rätselhaft teilnahmslosen Art, die an einem fünfzehnjährigen Mädchen so seltsam anmutete, zog sie ihn in ihren Bann. Außerdem hatte sie etwas Verzweifeltes an sich, das ihm tief zu Herzen ging und ihn nicht losließ, so daß er sich weit sanfter und gesitteter gegen sie benahm als gegen irgendeinen andern Menschen auf der Welt.

»Du bist ja alt genug, ihr Vater zu sein!«

»Ich bin in meinen besten Jahren!« Gerald war gekränkt.

»Jerry, auf kein Mädchen in Savannah kannst du weniger rechnen als auf sie. Ihr Vater ist ein Robillard, und diese Franzosen sind stolz wie die Spanier. Ihre Mutter - Gott hab sie selig - war eine sehr vornehme Dame.«

»Was schert das mich?« Gerald wurde hitzig. »Übrigens ist die Dame tot, und der alte Robillard hat mich gern.«

»Als Mann wohl, aber als Schwiegersohn nicht.«

»Das Mädchen nimmt dich doch nicht«, warf Andrew ein. »Sie ist seit einem Jahr verliebt in ihren Vetter Philippe Robillard, einen tollen Draufgänger, obwohl ihre Familie ihr Tag und Nacht in den 0hren liegt, sie solle ihn laufen lassen.«

»Diesen Monat ist er nach Louisiana abgereist«, sagte Gerald. »Woher weißt du das?«

Gerald hatte keine Lust, ihnen anzuvertrauen, daß er diese unschätzbare Auskunft Pork verdankte, und auch nicht, daß Philippe auf den ausdrücklichen Wunsch der Familie in den Westen gefahren war.

»Sie wird schon nicht so verliebt sein, daß sie ihn nicht vergessen könnte. Mit fünfzehn weiß man noch nicht viel von Liebe.«

»Die Eltern werden den tollköpfigen Vetter immer noch lieber nehmen als dich.«

Aber James und Andrew waren sprachlos, als die Nachricht kam, daß Pierre Robillards Tochter den kleinen Iren aus dem 0berland heiraten wollte. In Savannah zerbrach man sich den Kopf über Philippes Reise nach dem Westen, aber die Klatschmäuler brachten nichts heraus. Warum Robillards reizendste Tochter einen geräuschvollen kleinen Mann mit rotem Gesicht heiraten sollte, der ihr kaum bis an die 0hren reichte, blieb ihnen allen ein Rätsel. Gerald wurde sich selbst nie recht klar darüber, wie alles gekommen war. Ihm war ein Wunder geschehen, und deshalb war er dieses eine Mal in seinem Leben aus ganzem Herzensgrund demütig, als die sehr blasse, aber ganz ruhige Ellen ihm ihre leichte Hand auf den Arm legte und sagte: »Ich will Sie heiraten, Mr. 0'Hara.«

Die Robillards, die wie vom Blitz getroffen waren, konnten wohl einiges ahnen. Nur Ellen und ihre Mammy kannten die ganze Geschichte jener Nacht, da das Mädchen herzzerreißend wie ein Kind bis Tagesanbruch geschluchzt hatte und am Morgen als entschlossene Frau wieder aufgestanden war. Mit bangen Ahnungen hatte Mammy ihrer jungen Herrin ein kleines Paket aus New 0rleans mit einer Anschrift von fremder Hand überbracht. Es enthielt ein Miniaturbildnis von Ellen - sie warf es mit einem Aufschrei zu Boden -, vier Briefe von ihrer eigenen Hand an Philippe Robillard und die kurze Mitteilung eines Priesters aus New 0rleans, der ihr den Tod ihres Vetters bei einer Schlägerei in einer Bar anzeigte.

»Sie haben ihn vertrieben. Vater, Pauline und Eulalia. Sie trieben ihn fort! Ich hasse sie alle, alle! Ich will sie nie wiedersehen! Weg will ich, weg und keinen von ihnen wiedersehen, weder die Stadt noch irgend etwas, was mich an ihn erinnert.«

Als die Nacht fast vorüber war, hatte Mammy, die sich über den Kummer ihrer Herrin selbst die Augen ausgeweint hatte, Einspruch erhoben: »Aber Liebling, das kannst du nicht.«

»Das will ich aber. Mr. 0'Hara ist ein guter Mann. Ich tue es, oder i ch gehe nach Charleston ins Kloster.«

Die Drohung mit dem Kloster gewann schließlich die Zustimmung des ganz verstörten, tiefgetroffenen Pierre Robillard. Er war strenger Presbyterianer, trotz seiner katholischen Familie, und der Gedanke, seine Tochter könnte Nonne werden, war ihm schrecklicher als die Heirat mit Gerald 0'Hara. Schließlich war ja gegen den Mann nichts weiter einzuwenden, als daß er nicht aus bester Familie stammte.

So kam es, daß Ellen Savannah den Rücken kehrte, um es niemals wiederzusehen, und mit ihrem nicht mehr jungen Mann, mit Mammy und zwanzig bediensteten Farbigen nach Tara reiste.

Im nächsten Jahr wurde das erste Kind geboren. Sie nannten es Katie Scarlett nach Geralds Mutter. Gerald war enttäuscht, weil er sich einen Sohn gewünscht hatte, aber er freute sich dann doch so sehr über die kleine schwarzhaarige Tochter, daß er jedem Sklaven auf Tara Rum ausschenken ließ und sich selbst einen tosenden, seligen Rausch antrank.

Wenn Ellen ihren jähen Entschluß je bedauerte, so bekam es jedenfalls niemand zu wissen, am allerwenigsten Gerald, der vor Stolz schier bersten wollte, sooft er sie ansah. Ellen hatte Savannah und seine Erinnerungen hinter sich gelassen, und von dem Augenblick ihrer Ankunft auf Tara an wurde Nordgeorgia ihre Heimat.

Ihr Vaterhaus, das sie auf immer verlassen hatte, war in seinen Umrissen schön und fließend wie ein Frauenleib oder wie ein Schiff mit vollen Segeln gewesen: ein blaßrosa Stuckhaus im französischen Kolonialstil, das zierlich vom Boden aufragte, mit geschwungenen Treppen und spitzenzarten Geländern; ein dämmeriges, üppiges Haus, freundlich und unnahbar. Mit ihm zugleich hatte sie die ganze Kultur zurückgelassen, die dort beheimatet war, und sie fand sich in einer so fremden Welt wieder, als hätte sie einen ganzenErdteil durchquert.

Nordgeorgia war ein rauhes Land, bewohnt von einem wetterharten Volk. Auf der Hochebene, am Fuß der Blue Ridge Mountains, wogten die rötlichen Hügel, so weit das Auge reichte. Riesige Blöcke des granitenen Kerns traten überall daraus hervor, von hageren Pechkiefern überragt. Für ihr Auge war das alles wild und unbändig. Es war die Küste gewohnt, die ruhige Urwaldschönheit der Inseln mit ihrer Hülle von weichem Moos und wucherndem Grün, den weißen Strand unter der tropischen Sonne, den weiten Blick über das flache, sandige Land mit seinen hohen zierlichen Palmen.

Hier aber war eine Gegend, die Winterfrost und Sommerhitze kannte, und die Kraft und Tüchtigkeit der Bewohner waren ihr fremd. Freundliche Leute waren es, großherzig und von guter Laune, aber derb und aufbrausend. Die Küstenbewohner konnten sich wohl rühmen, all ihre Angelegenheiten, bis zu ihren Fehden und Duellen, mit lächelnder Anmut zu betreiben; die Leute von Nordgeorgia hatten einen Schuß Gewalttätigkeit im Blut. An der Küste schien das Leben vom Alter gereift. Hier war alles jung, lustig, frisch und rauh. Die Leute von Savannah waren alle aus gleichem Guß, gleich nach Anschauung und Herkommen, während es hier ein buntes Gemisch von Typen gab. Aus den verschiedensten Gegend en waren die Leute nach Nordgeorgia gekommen, aus anderen Teilen der Provinz, aus den beiden Carolinas und Virginia, aus Europa und vom Norden her. Einige davon waren, wie Gerald, von unverbrauchtem Blut, das hier sein Glück suchte, einige, wie Ellen, Kinder alter Geschlechter, die im Vaterhaus das Leben unerträglich gefunden und in der Ferne eine Zuflucht gesucht hatten. Viele waren ohne jeden Grund eingewandert, das rastlose Blut ihrer Väter, der Pioniere in der Wildnis, das in ihren Adern nicht ruhen wollte, hatte sie hergetrieben.

All dies Volk, das hier zusammengeströmt war, gab dem ganzen Leben eine Formlosigkeit, die Ellen neu war und an die sie sich nie ganz gewöhnen konnte. Wie die Leute von der Küste jeweilig handeln würden, wußte sie aus Instinkt; wie aber einer von Nordgeorgia sich verhalten würde, war nie vorauszusagen.

Alles in dieser Gegend wurde durch die Flut des Gedeihens, die damals über den Süden kam, belebt. Die ganze Welt verlangte nach Baumwolle, und der jungfräuliche Boden der Provinz, unverbraucht und fruchtbar, wie er war, brachte sie üppig hervor. Baumwolle war das Herzblut des Landes, Baumwollaussaat und Baumwollernte der Pulsschlag der roten Erde. Aus den gekrümmten Furchen wuchsen Reichtum und Hochmut. Wenn Baumwolle schon in der ersten Generation so reich machte, wieviel reicher mußte erst die nächste werden! Die Gewißheit über den morgigen Tag gab dem Leben einen prickelnden, hohen Schwung, und die Leute genossen es so herzhaft, wie Ellen es nie begreifen konnte. Sie hatten Geld und Sklaven in Hülle und Fülle und damit Zeit genug zum Spiel, und spielen taten sie gern. Nie waren sie zu beschäftigt, um nicht um eines Jagdreitens oder eines Pferderennens willen die Arbeit liegenzulassen, und kaum eine Woche verging ohne Gartenfest und Tanz.

Ellen wollte oder konnte nie eine der Ihren werden, dazu hatte sie zuviel von sich selbst in Savannah zurückgelassen; aber sie hatte Achtung vor ihnen und lernte mit der Zeit das offene, gerade Wesen dieser Leute bewundern, die wenig Hemmungen hatten und den Mann danach einschätzten, was er wirklich war. Sie wurde die beliebteste Nachbarin in der Provinz, sie war eine gute und tüchtige Hausfrau, eine vorzügliche Mutter, eine hingebende Gattin. Die Selbstlosigkeit eines gebrochenen Herzens, das sie der Kirche hatte weihen wollen, widmete sie nun dem Dienst ihres Haushalts und dem Manne, der sie ihren Erinnerungen entrissen und der ihr nie eine Frage gestellt hatte.

Als Scarlett ein Jahr alt und so kräftig und gesund war, wie es einem so kleinen Mädchen nach Mammys Ansicht eigentlich kaum zukam, gebar Ellen ihr zweites Kind, Susan-Ellinor getauft, doch allezeit Suellen genannt, und nach einiger Zeit erschien Carreen, die unter dem Namen Caroline - Irene in die Familienbibel eingetragen wurde. Dann kamen drei kleine Jungen, die alle drei starben, ehe sie laufen gelernt hatten, und nun unter den knorrigen Zedern, hundert Schritt vom Hause entfernt, auf dem Friedhof lagen, unter drei Steinen, deren jeder die Aufschrift »Gerald 0'Hara jun.« trug.

Von dem Tage an, da Ellen auf Tara einzog, verwandelte es sich. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie bereit und imstande, die Verantwortung einer Plantagenherrin auf sich zu nehmen. Vor der Heirat mußten junge Mädchen vor allen Dingen anmutig, schön und lieb, eine Zierde sein; nach der Heirat sollten sie plötzlich einen Haushalt führen können, der hundert Köpfe und darüber zählte, weiße und schwarze. Für diese Aufgaben wurden sie erzogen. Ellen hatte die Vorbereitung auf die Ehe bekommen, wie jede wohlerzogene junge Dame sie erhielt, und obendrein hatte sie Mammy zur Seite, die dem tolpatschigsten Farbige Anstand beizubringen wußte. Sie brachte rasch 0rdnung, Würde und Anmut in Geralds Haushalt und machte Tara so schön wie nie zuvor.

Das Haus war ohne jeden Bauplan errichtet, neue Räume waren angebaut worden, wann und wo es bequem war, aber unter Ellens aufmerksamer Fürsorge gewann es einen Reiz, der für seine Planlosigkeit entschädigte. Die Zedernallee, die von der Hauptstraße nach dem Hause führte und bei keinem Heim eines georgianischen Pflanzers fehlen durfte, erhöhte mit ihrem kühlen, dunklen Schatten die freundliche Wirkung anderen Grüns.

Die Glyzinien, die von den Veranden herabflossen, hoben sich farbig von dem weißen Putz ab und vereinten sich mit dem rosa Krepp der Myrtensträucher neben der Haustür und dem weißen Blütenmeer der Magnolien auf dem Parkrasen, um die ungeschickten Linien im Umriß des Hauses auf das schönste zu verkleiden.

Im Frühling und Sommer bekamen das Bermudagras und der Klee auf dem Rasen einen so berückenden Smaragdschimmer, daß die Truthühner und weißen Gänse, die eigentlich hinter dem Hause bleiben sollten, unwiderstehlich davon angelockt wurden. Unentwegt fühlten sich die Anführer des Geflügels verstohlen nach vorn vor. Das grüne Gras, die schmackhaften Verheißungen der Jasminknospen und Zinnienbeete verführten sie immer aufs neue. Vor der Haustür stand ein farbige Junge Schildwache, um ihren Plünderungen Einhalt zu tun. Der Kleine, der mit einem zerfetzten Handtuch bewaffnet auf den Stufen saß, gehörte mit zu dem Bild von Tara. Die Waffe war reichlich unwirksam, denn es war ihm verboten, damit nach dem Hühnervolk zu schlagen; er durfte nur mit dem Tuch wedeln und die Hühner wegscheuchen. Ellen betraute Dutzende von kleinen Schwarzen mit dieser Aufgabe, der ersten verantwortlichen Stellung eines Sklaven auf Tara. Nach Vollendung ihres zehnten Jahres wurden sie zu dem alten Väterchen, dem Plantagenschuster, in die Lehre geschickt, oder zu Amos, dem Stellmacher und Zimmermann, oder zu dem Kuhhirte n Philippe, oder zu dem Maultierpfleger Cuffee. Wenn sie für keins dieser Gewerbe Begabung zeigten, so wurden sie Ackerknechte und hatten damit nach Auffassung der ein für allemal jeden Anspruch auf eine gehobene Stellung verloren.

Ellens Leben war weder leicht, noch war es glücklich. Mühelosigkeit erwartete sie vom Leben nicht, und daß ihm das Glück fehlte, war Frauenlos. Die Welt gehörte dem Mann, und so nahm sie sie hin. Dem Mann gehörte der Besitz, die Frau hatte ihn zu verwalten. Waren Haus und Plantage gut aufgezogen, so hatte der Mann die Ehre, und die Frau lobte seine Geschicklichkeit. Der Mann brüllte wie ein Stier, wenn er einen Splitter im Finger hatte, und die Frau erstickte jedes Stöhnen bei der Geburt, damit es ihn nicht störe. Die Männer waren grob in ihren Worten und oftmals bezecht. Die Frauen überhörten anstößiges Reden und brachten die Trunkenbolde ohne ein Wort der Bitterkeit zu Bett. Die Männer sagten barsch und unverblümt ihre Meinung, die Frauen waren immer freundlich, gütig und verzeihend. Ellen war in den Traditionen vornehmer Damen erzogen worden, die sie gelehrt hatten, ihre Last zu tragen, ohne von ihrem persönlichen Zauber etwas einzubüßen, und sie wollte auch ihre drei Töchter zu vornehmen Damen machen. Mit den jüngeren gelang es ihr; Suellen war so darauf aus, zu gefallen, daß sie aufmerksam und willig auf die Lehren ihrer Mutter hörte, und Carreen war schüchtern und leicht zu lenken. Aber Scarlett, ganz Geralds Kind, fand den Weg zur vollendeten Dame nur ganz mühselig.

Zu Mammys Entrüstung waren ihre liebsten Spielkameraden nicht ihre artigen Schwestern oder die wohlerzogenen Wilkesschen Mädchen, sondern die farbigen Kinder auf der Plantage und die Jungens aus der Nachbarschaft. Auf Bäume klettern und mit Steinen werfen konnte sie so gut wie der Beste unter ihnen. Mammy war ganz verstört darüber, daß Ellens Tochter sich so entfaltete, und beschwor sie häufig, »sich wie eine kleine Dame zu benehmen«. Aber Ellen betrachtete die Sachlage mit duldsamerem Auge, mehr auf lange Sicht. Sie wußte, daß aus Spielkameraden einstmals Verehrer wurden, und die erste Pflicht eines Mädchens war, zu heiraten. Sie sagte sich, daß dies alles nur die überschäumende Lebensfülle des Kindes sei und daß es immer noch Zeit sein würde, Scarlett die Künste der Anmut und des Liebreizes zu lehren.

Zu diesem Zweck vereinten Ellen und Mammy ihre Bemühungen, und als Scarlett heranwuchs, wurde sie eine gelehrige Schülerin. Viel mehr lernte sie freilich auch nicht. Trotz einer ganzen Reihe von Erzieherinnen und einem zweijährigen Aufenthalt in der nahe gelegenen Töchterschule zu Fayetteville blieb ihre Bildung höchst lückenhaft, aber kein Mädchen aus der Provinz tanzte besser als sie. Sie verstand zu lächeln, daß die Grübchen spielten, auf leichten Füßen zu gehen, daß die weiten Krinolinenröcke einladend um sie her flogen, dem Mann ins Auge zu sehen und sofort den Blick niederzuschlagen, als bebte sie in süßer Erregung. Vor allem lernte sie, ihren scharfen Verstand vor den Männern hinter einem Gesicht zu verbergen, das so sanft und harmlos dreinschauen konnte wie das eines kleinen Kindes. Ellen und Mammy mühten sich beide ab, ihr die Eigenschaften einzuimpfen, die aus ihr eine wahrhaft begehrenswerte Gattin machen sollten, Ellen mit sanften Ermahnungen, Mammy mit beständigem Tade l.

»Du mußt stiller sein, Liebling, und gesetzter«, sagte Ellen zu ihrer Tochter. »Du darfst die Herren nicht unterbrechen, wenn sie sprechen, und wenn du es zehnmal besser weißt als sie. Ein vorlautes Mädchen mögen die Männer nicht.«

»Eine kleine Dame, die die Stirn runzelt und das Kinn auf wirft und sagt >ich will< und >ich will nicht<, kriegt keinen Mann ab«, prophezeite Mammy düster, »so eine kleine Dame soll die Augen niederschlagen und sagen >gewiß doch< und >Sie haben ganz recht<.«

So gut sie vermochten, lehrten sie sie alles, was eine Dame wissen sollte; Scarlett aber begriff nur den äußeren Schein. Die Herzensanmut, aus der die äußere Form wachsen sollte, lernte sie nie und sah auch keinen Grund ein, sie zu lernen. Der äußere Schein genügte, die damenhaften Formen machten sie beliebt, und mehr verlangte sie nicht. Gerald prahlte damit, daß sie in fünf Provinzen die gefeiertste Schönheit sei, und nicht mit Unrecht. Fast alle jungen Männer aus der Nachbarschaft und viele von weither, aus Atlanta und Savannah, hatten ihr Heiratsanträge gemacht. Mit sechzehn Jahren sah sie, dank Mammy und Ellen, liebreizend und fügsam aus, in Wirklichkeit aber war sie eigensinnig und eitel. Sie hatte die leichterregbare Leidenschaftlichkeit ihres Vaters, aber von dem selbstlosen, duldsamen Wesen ihrer Mutter nur eine dünne Politur. Das wurde Ellen nie ganz bewußt, denn vor ihrer Mutter zeigte sie sich stets von der besten Seite, verbarg ihre Sprunghaftigkeit, unterdrückte ihren Zorn und war so sanft, wie sie nur konnte, denn ein vorwurfsvoller Blick der Mutter konnte sie bis zu Tränen beschämen.

Mammy hingegen gab sich keinen Täuschungen über sie hin und lag beständig auf der Lauer, sie zu durchschauen. Mammy hatte ein schärferes Auge als Ellen, und Scarlett konnte sich ihr Leben lang nicht erinnern, die alte Amme je auf die Dauer hinters Licht geführt zu haben.

Nicht daß die beiden liebevollen Erzieherinnen Scarletts rasches Blut, ihre Lebhaftigkeit und ihre Reize beklagt hätten. Auf solche Züge waren die Frauen in den Südstaaten stolz. Was ihnen Sorge machte, war das von Gerald ererbte halsstarrige, ungestüme Wesen, und zuweilen fürchteten sie, es möge mißlingen, diese verhängnisvollen Eigenschaften zu vertuschen, bis sie eine gute Partie gemacht hatte. Aber Scarlett wollte heiraten, Ashley heiraten, und sie trug geduldig die Maske scheinbarer Sittsamkeit und liebenswürdiger Gedankenlosigkeit, weil nun einmal nur diese Mittel bei den Männern ihre Wirkung taten. Darüber nachzudenken, warum das so war, reizte sie nie; sie hatte keine Ahnung, wie es in der Menschenbrust zugeht, auch nicht in der eigenen. Sie wußte nur eines: wenn sie dies und jenes tat und sagte, antworteten die Männer unfehlbar mit dieser und jener Schmeichelei. Es war nicht schwieriger als eine mathematische Formel. Mathematik war das einzige, was Scarlett in der Schule leichtgefallen war.

Noch weniger als vom Innenleben des Mannes wußte sie von dem der Frau, denn Frauen interessierten sie nicht. Eine Freundin hatte sie nie gehabt und nie entbehrt. Alle Frauen, auch ihre beiden Schwestern, waren ihre natürlichen Feinde, weil sie dieselbe Beute verfolgten ... den Mann. Alle Frauen, mit einer einzigen Ausnahme: ihre Mutter!

Ellen 0'Hara war anders. Scarlett betrachtete sie wie etwas Heiliges, das über allen anderen Menschen steht. Als Kind hatte sie ihre Mutter mit der Jungfrau Maria verwechselt, und als sie älter wurde, sah sie nicht ein, warum sie ihre Ansicht ändern sollte. Ellen war für sie der Inbegriff der vollkommenen Ruhe, wie nur der Himmel oder eben eine Mutter sie geben kann. Ihre Mutter war die verkörperte Gerechtigkeit, Wahrheit, zärtliche Liebe und tiefe Weisheit - und sie war eine vornehme Dame.

Scarlett wollte von Herzen gern so werden wie ihre Mutter; nur gab es da eine Schwierigkeit: wer gerecht und wahrhaftig, liebevoll und selbstlos war, dem entgingen die meisten Freuden des Lebens und vor allem viele Verehrer. Das Leben aber war zu kurz, als daß man so erfreuliche Dinge versäumen durfte. Später einmal, wenn sie erst Ashleys Frau und älter war, später, wenn sie für so etwas Zeit hatte, wollte sie so sein wie Ellen. Bis dahin ...

An diesem Abend vertrat Scarlett ihre Mutter bei der Mahlzeit. Aber in ihrem Gemüt gärte noch immer das Schreckliche, das sie über Ashley und Melanie gehört hatte. Sie sehnte sich voller Verzweiflung danach, daß ihre Mutter von Slatterys zurückkehren möge; ohne sie fühlte sie sich einsam und verlassen. Welches Recht hatten Slatterys mit ihren ewigen Krankheiten, Ellen gerade heute zu beanspruchen, wo doch sie, Scarlett, ihrer so dringend bedurfte!

Während des trübseligen Mahles schlug ihr Geralds dröhnende Stimme schmerzhaft ans 0hr, bis sie meinte, es nicht länger aushallen zu können. Er hatte sein Gespräch mit ihr schon wieder vollständig vergessen und hielt jetzt einen Vortrag über die neuesten Nachrichten aus Fort Sumter, wobei er hin und wieder bekräftigend mit der Faust auf den Tisch schlug und mit den Armen durch die Luft fuchtelte. Er hatte sich zur Gewohnheit gemacht, bei Tisch die Unterhaltung zu beherrschen, und meistens saß Scarlett in ihre eigenen Gedanken versunken dabei und vernahm kaum ein Wort. Aber heute konnte sie sich nicht gegen seine Stimme abschließen, so angestrengt sie auch nach dem Knarren der Wagenräder aushorchte, das Ell ens Rückkehr anzeigen mußte. Natürlich hatte sie nicht die Absicht, ihrer Mutter zu erzählen, was ihr so schwer auf dem Herzen lag. Es hätte Ellen nur befremdet und bekümmert, zu erfahren, daß ihre Tochter einen Mann begehrte, der mit einem anderen Mädchen verlobt war. Aber im Abgrund dieser ersten Tragödie, die ihr widerfuhr, hätte ihr die tröstliche Gegenwart der Mutter schon viel bedeutet. Sie fühlte sich immer geborgen, wenn Ellen bei ihr war; nichts konnte so arg sein, daß Ellen es nicht durch ihre b loße Gegenwartgelindert hätte.

Sie fuhr unvermutet von ihrem Stuhl empor, als sie Räder über die Auffahrt knirschen hörte, und sank wieder zurück, als sie um das Haus herum weiterfuhren bis in den hinteren Hof. Ellen konnte es nicht sein, denn sie wäre gleich bei der vorderen Eingangstreppe ausgestiegen. Dann klang aufgeregtes Geplapper von den Stimmen der Farbigen und schrilles Lachen von draußen herein. Durch das Fenster erblickte Scarlett Pork. Er hielt einen brennenden Kiefernscheit hoch, in dessen Licht man undeutliche Gestalten vom Leiterwagen klettern sah. In der dunklen Nachtluft schwoll das Gelächter und Geschwätze an: anheimelnde, sorglose Stimmen, sanfte Kehllaute und helle Fisteltöne. Dann kamen Schritte die Hintertreppe herauf und weiter durch den Flur, der zum Haupthause führte. In der Halle vor dem Speisezimmer blieben sie stehen, ein kurzes Geflüster, und Pork trat ein, seiner üblichen Würden vollständig bar, mit rollenden Augen und gleißenden Zähnen.

»Master Gerald«, meldete er keuchend; sein Gesicht strahlte vor Bräutigamsstolz. »Die neue Frau sein da.«

»Neue Frau? Ich habe keine neue Frau gekauft«, erklärte Gerald und heuchelte ein äußerst erstauntes Gesicht.

»Doch, doch! Master Gerald, sie sein hier draußen und mögen Sie sprechen!« Pork grinste und rang vor lauter Aufregung die Hände.

»Nun also, bring die Braut herein«, sagte Gerald.

Pork ging in die Halle zu seiner Frau, die von Wilkes' Plantage soeben angekommen war, um ein Glied des Haushaltes auf Tara zu werden. Sie kam herein, hinter ihr her, von ihrem mächtigen Katrunrock fast verborgen, ihr zwölfjähriges Mädchen, das sich an das Bein der Mutter schmiegte.

Dilcey war groß und hielt sich sehr gerade. Sie hätte in jedem Alter zwischen dreißig und sechzig sein können, so glatt war ihr unbewegliches, bronzefarbenes Gesicht. Ihren Zügen sah man deutlich das Indianerblut an, das die Merkmale des Farbigen überwog. Die rote Haut, die schmale, hohe Stirn, die hervortretenden Backenknochen und die Habichtsnase, deren unteres Ende über wulstigen Lippen hing, alles verriet die Mischung der beiden Rassen. Sie trug sich mit einer selbstbeherrschten Würde, die selbst Mammys übertraf. Mammy hatte sich ihre Würde anerzogen, Dilcey lag sie im Blut. Wenn sie sprach, klang ihre Stimme nicht so verschliffen wie bei den meisten Farbigen, auch wählte sie ihre Worte sorgfältiger aus.

»Guten Abend, junge Missis, guten Abend, Master Gerald. Es tut mir leid, daß ich Sie störe, aber ich wollen herkommen und mich bei Ihnen bedanken, weil Sie mich kaufen und mein Kind dazu. Eine Menge Herren vielleicht mich auch kaufen, aber meine Prissy nicht mit kaufen, nur damit ich nicht traurig wäre. Ich danke auch schön. Ich wollen alles für Sie tun und zeigen, daß ich es Ihnen nicht vergesse.«

»Hrr-hmm.« Gerald räusperte sich vor Verlegenheit, weil er öffentlich einer guten Tat überführt wurde.

Dilcey wandte sich zu Scarlett, und etwas wie ein Lächeln huschte um ihre Augenwinkel. »Miß Scarlett, Pork mir sagen, daß Sie Master Gerald gebeten haben, mich doch kaufen. Dafür gebe ich Ihnen meine Prissy als Ihre eigene Kammerzofe.«

Sie langte hinter sich hin und schubste das kleine Mädchen nach vorn. Es war ein schmächtiges braunes Ding, mit Beinen so mager wie Vogelbeine und einer Unzahl sorgfältig mit Zwirn umwickelter Zöpfe, die ihr steif vom Kopf abstanden. Sie hatte ein Paar scharfe Augen, denen nichts entging, und trug eine gewollt dumme Miene zur Schau.

»Danke, Dilcey«, erwiderte Scarlett. »Ich fürchte nur, da hat Mammy ein Wort mitzureden. Sie ist seit meiner Geburt meine Zofe gewesen.«

»Mammy werden alt«, sagte Dilcey mit einer Ruhe, die Mammy in Wut gebracht hätte. »Sie sein eine gute Mammy, aber Miß Scarlett sein jetzt eine junge Dame und brauchen eine gute Zofe, und meine Prissy sein seit einem Jahr bei Miß India Zofe gewesen, sie kann nähen und das Haar aufstecken wie eine Erwachsene.«

Auf einen Rippenstoß der Mutter hin machte Prissy einen Knicks und grinste Scarlett an, die nicht anders konnte als ihr wieder zulächeln. Ein gerissenes kleines Mädel, dachte sie und sagte laut: »Dank dir, Dilcey, wir sprechen weiter darüber, wenn Mrs. 0'Hara nach Hause kommt.«

»Danke, Miß, ich wünsche allen Herrschaften gute Nacht.« Damit kehrte Dilcey sich um und verließ mit dem Kinde das Zimmer, während Pork dienstbeflissen umsie hertänzelte.

Als das Abendessen abgeräumt war, nahm Gerald seinen Vortrag wieder auf, doch machte es ihm selbst keine rechte Freude mehr und den Zuhörern noch weniger. Wenn er donnernd den Krieg als unmittelbar bevorstehend bezeichnete und rhetorisch fragte, ob der Süden sich weitere Beleidigungen von den Yankees bieten lassen dürfe, bekam er darauf nur ein stilles, gelangweiltes »Ja, Papa« und »Nein, Papa« zu hören. Carreen saß auf einem Kissen unter der großen Lampe und vertiefte sich in den Roman von einem Mädchen, das nach dem Tode ihres Liebsten den Schleier genommen hatte. Stille Wonnetränen tropften ihr dabei aus den Augen, und sie sah sich im Geiste selber wohlgefällig mit der weißen Nonnenhaube. Suellen stickte »etwas für ihre Hoffnungstruhe«, wie sie es kichernd nannte, und überlegte sich, ob sie nicht doch morgen auf dem Gartenfest Stuart Tarleton ihrer Schwester abspenstig machen und mit der süßen Weiblichkeit bestricken könnte, die ihr eigen war und Scarlett so ganz abging. Scarlett aber war voll inneren Aufruhrs wegen Ashley.

Wie konnte Pa nur immer weiter über Fort Sumter und die Yankees reden, wo er doch wußte, daß ihr das Herz brach? Sie wunderte sich nach Art sehr junger Leute darüber, daß man ihren Schmerz vergessen konnte und die Welt sich trotz ihrem gebrochenen Herzen weiter drehte wie immer. Ihr schwirrte der Kopf, als brauste ein Sturmwind durch ihn hindurch, und es war so sonderbar, daß das Speisezimmer mit dem wuchtigen Mahagonitisch, den Anrichteschränken, dem schweren Silbergeschirr, mit den bunten Flickenteppichen auf dem blanken Fußboden so friedlich wie immer vor ihr lag. Die ruhigen Stunden, die die Familie hier nach dem Abendessen verbrachte, hatte Scarlett so gern, aber heute war der Anblick ihr verhaßt, und am liebsten wäre sie leise hinausgegangen durch die dunkle Halle in Ellens kleines Schreibzimmer und hätte auf dem alten Sofa ihren Kummer ausgeweint. Dieses Zimmer hatte Scarlett von allen im Hause am liebsten. Hier saß Ellen morgens an ihrem Schreibtisch, führte die Abrechnungen über die Plantage und nahm den Bericht Jonas Wilkersons, des Aufsehers, entgegen. Dort verbrachte auch die Familie ihre Mußestunden, während Ellens Gänsekiel über die Buchseiten flog, Gerald in dem alten Schaukelstuhl, die Mädchen auf den eingesessenen Sofakissen, die zu zerschlissen und abgenutzt für die Vorderzimmer waren.

Dort zu sein, allein mit Ellen, sehnte Scarlett sich jetzt, und - den Kopf imSchoßeder Mutter- ungestörtzu weinen.

Da knirschten Räder geräuschvoll durch den Kies, und schon war Ellens sanfte Stimme draußen zu vernehmen. Gespannt blickten alle auf, als sie mit ihrem wiegenden Gang hereintrat. Mit ihr kam der schwache Duft von Zitrone und Verbene, der immer den Falten ihres Kleides entströmte und den Scarlett allezeit mit dem Bild der Mutter verband. Ein paar Schritte hinter ihr folgte Mammy, die Ledertasche in der Hand, mit vorgeschobener Unterlippe und gesenkten Brauen. Sie sprach, während sie hereinwatschelte, leise vor sich hin, und zwar so, daß ihre Bemerkungen nicht verstanden wurden, aber doch ihre entschiedene Mißbilligung zumAusdruck brachten.

»Es tut mir leid, daß ich so spät komme.« Ellen ließ ihr Plaid von den Schultern gleiten, gab es Scarlett und streichelte ihr die Wange. Bei ihrem Eintritt hellte sich Geralds Gesicht auf. »Ist das Wurm getauft?« erkundigte er sich.

»Ja, und tot, das arme Ding«, sagte Ellen. »Ich fürchtete, Emmie würde auch sterben, aber ich glaube, sie bleibt am Leben.« Die Mädchen hoben ihre erschrockenen, fragenden Gesichter empor, und Gerald schüttelte philosophisch den Kopf: »Nun, es ist besser, das Wurm ist tot, das arme vaterlose ...«

»Es ist schon spät, wir sollten lieber jetzt beten.« Ellen unterbrach ihn so sanft, daß die Unterbrechung unbemerkt vorübergegangen wäre, hätte Scarlett ihre Mutter nicht so gut gekannt. Gern hätte Scarlett gewußt, wer der Vater von Emmie Slatterys Baby war, aber wenn sie die Wahrheit von ihrer Mutter zu hören begehrte, so würde sie sie nie erfahren. Sie hatte Jonas Wilkerson im Verdacht, denn sie hatte ihn oft bei einbrechender Nacht mit Emmie die Landstraße entlanggehen sehen. Jonas war Junggeselle und ein Yankee. Seine Stellung als Sklavenaufseher schloß ihn ein für allemal von jeder Berührung mit der Gesellschaft des Landes aus. In keine auch nur halbwegs angesehene Familie konnte er hineinheiraten, mit niemand konnte er verkehren, außer mit den Slatterys und ähnlichem Gelichter. Da er an Bildung mehrere Stufen höher stand als die Slatterys, hatte er natürlich keine Lust, Emmie zu heiraten, sooft er auch in der Dämmerung mit ihr spazierenging. Scarlett seufzte, denn sie war sehr neugierig. Immer gingen unter den Augen ihrer Mutter Dinge vor sich, die Ellen so wenig bemerkte, als seien sie überhaupt nicht vorhanden. Ellen sah über alles Unschickliche hinweg und verlangte von Scarlett dasselbe, allerdings nur mit kümmerlichem Erfolg.

Ellen war zum Kamin gegangen und hatte aus dem kleinen eingelegten Kästchen ihren Rosenkranz genommen, als Mammy energisch dazwischentrat: »Mrs. Ellen, erst wird zu Abend gegessen, ehe Sie beten.«

»Danke, Mammy, ich habe keinen Hunger.«

»Ich richte Ihnen selbst die Mahlzeit an, und dann essen Sie.« Mammy runzelte vor Entrüstung die Stirn und begab sich durch die Halle in die Küche. »Pork!« rief sie, »sag der Köchin, sie soll das Feuer anblasen, Mrs. Ellen sein da.« Während die Dielen unter ihrem Gewicht erdröhnten, wurde das Selbstgespräch, in dem sie schon zuvor begriffen war, immer lauter, bis man es im Speisezimmer deutlich verstehen konnte: »Ich sagen es immer wieder, es haben keinen Zweck, für das weiße Pack sorgen, das sein die größten Faulpelze und undankbarsten Nichtsnutze, Mrs. Ellen sollen sich nicht todmüde machen für Leute, die Farbigen genug zum Pflegen haben können, wenn sie nur einen Schuß Pulver wert sein, ich haben gesagt ...«

Ihre Stimme verklang. Sie hatte ihre eigene Methode, den Herrschaften ihren Standpunkt klarzumachen. Sie wußte wohl, daß es unter der Würde der Weißen war, zuzuhören, wenn ein Schwarzer vor sich hin sprach. Sie war vor Antworten und Verweisen sicher, wenn sie sich auch noch so laut vernehmen ließ, und doch blieb keiner über ihre Meinung im Zweifel.

Pork kam mit einem Teller, dem Besteck und einer Serviette herein. Ein kleiner farbige Junge folgte ihm auf dem Fuße. Mit der einen Hand knöpfte er hastig seine weiße Leinenjacke zu, in der anderen trug er einen Fliegenwedel aus dünnen Streifen Zeitungspapiers an einem Bambusrohr, das länger war als er selbst. Ellen besaß einen prachtvollen Fliegenwedel aus Pfauenfedern, aber der wurde nur bei ganz besonderen Anlässen gebraucht, und auch dann nur nach langen häuslichen Kämpfen, denn Pork, die Köchin und Mammy waren der hartnäckigen Überzeugung, daß PfauenfedernUnglück brächten.

Ellen setzte sich auf den Stuhl, den Gerald für sie hervorzog, und dann fielen sie vierstimmig über sie her:

»Mutter, an meinem Ballkleid ist die Spitze los. Ich will es doch morgen in Twelve 0aks anziehen. Nähst du sie mir wieder an?«

»Mutter, Scarletts neues Kleid ist viel hübscher als meins, ich sehe in Rosa wie eine Vogelscheuche aus. Kann sie nicht mein rosa Kleid anziehen und ich ihr grünes?«

»Mutter, darf ich morgen für den Ball aufbleiben? Ich bin doch schon dreizehn.«

»Mrs. 0'Hara, sollte man es glauben - seht, ihr Mädchen, erst komme ich! - Cade Calvert war heute früh in Atlanta und sagt - wollt ihr still sein, ich kann ja mein eigenes Wort nicht verstehen! - er sagt, sie seien dort alle in mächtiger Aufregung und redeten von nichts anderem als vom Krieg, und in Charleston heißt es, man würde sich nun nichts mehr von den Yankees gefallen lassen.«

Ellen lächelte müden Mundes in den Tumult hinein und wandte sich zunächst, wie es sich gehörte, an ihren Mann. »Wenn das die Meinung und das Gefühl der netten Leute in Charleston ist, so haben sie sicher recht«, sagte sie. Sie hatte die feste Überzeugung, daß, mit alleiniger Ausnahme von Savannah, die Vornehmsten auf dem ganzen Erdteil in jenem kleinen Seehafen zu finden seien, eine Überzeugung, die von den Leuten aus Charleston selber in hohem Grade geteilt wurde.

»Nein, Carreen, nächstes Jahr, mein Kind, dann darfst du zum Ball aufbleiben und Kleider wie die Großen tragen. Dann wird mein kleiner Rotback sich aber amüsieren. Nicht maulen, du weißt doch, du darfst auf das Gartenfest und bis zum Abendessen aufbleiben, aber Bälle sind erst mit vierzehn Jahren erlaubt.«

»Gib mir dein Kleid, Scarlett. Ich nähe dir nach der Abendandacht die Spitze an.«

»Suellen, dein Ton gefällt mir nicht. Dein rosa Kleid ist wunderhübsch und steht gut zu deinem Teint wie Scarletts zu dem ihren. Aber du darfst morgen meine Granatkette tragen.«

Hinter dem Rücken der Mutter machte Suellen triumphierend eine krause Nase zu Scarlett, die gehofft hatte, selber die Kette zu tragen. Scarlett steckte ihr die Zunge heraus. Suellen konnte mit ihrem Gejammer und ihrer Selbstsucht unerträglich sein, und hätte nicht Ellens Gegenwart Scarlett zurückgehalten, so hätte sie ihre Schwester schon des öfteren geohrfeigt.

»Erzähl mir mehr davon, was Mr. Calvert aus Charleston berichtet hat«, sagte Ellen zu ihrem Mann.

Scarlett wußte wohl, daß ihre Mutter sich für Krieg und Politik gar nicht interessierte. Das waren für sie männliche Angelegenheiten, um die eine Dame sich nicht kümmerte. Aber Gerald hatte Freude daran, seine Ansichten zum besten zu geben, und Ellen war stets darauf bedacht, ihrem Manne eine Freude zu machen.

Während Gerald seine Neuigkeiten heraussprudelte, stellte Mammy ihrer Herrin die Schüssel hin: Gebäck mit goldiger Kruste, gebratene Hühnerbrust und eine dampfende, aufgeplatzte gelbe Batate, von der die geschmolzene Butter herabtroff. Mammy gab dem kleinen Jack einen Puff, und er begann eilends, hinter Ellens Rücken zu wedeln. Mammy stand neben dem Tisch und beobachtete jeden Bissen, der vom Teller zum Munde der Herrin wanderte. Scarlett sah, daß Ellen vor Müdigkeit kaum wußte, was sie aß. Nur Mammys unerbittliche Miene zwang sie dazu. Als die Schüssel leer war und Gerald seinen Vortrag über die leidigen Yankees noch nicht annähernd beendet hatte, stand Ellen auf.

»Wollen wir schon beten?« fragte er.

»Ja, es ist schon spät - wahrhaftig, zehn Uhr. Carreen sollte längst schlafen. Bitte, die Lampe, Pork, und mein Gebetbuch, Mammy.« Auf Mammys heiseres Geflüster stellte Jack seinen Fliegenwedel in die Ecke und räumte die Schüssel weg, während Mammy in der Schublade der Anrichte nach Ellens zerlesenem Gebetbuch suchte. Pork stellte sich auf die Zehen, faßte den Ring an der Kette und zog die Hängelampe langsam herunter, bis das obere Ende des Tisches in Licht getaucht war und die Zimmerdecke im Dunkeln verschwand. Ellen schob ihre Röcke zurecht und ließ sich auf die Knie nieder, legte das offene Gebetbuch auf den Tisch vor sich hin und faltete darüber die Hände. Gerald kniete neben ihr. Scarlett und Suellen nahmen ihre gewohnten Plätze am anderen Ende des Tisches ein und legten ihre faltigen Unterröcke unter den Knien zu einem Polster zusammen, damit ihnen der harte Fußboden nicht so weh täte. Carreen, die klein für ihr Alter war, konnte nicht recht am Tisch knien und ließ sich deshalb vor einem Stuhl nieder, die Ellenbogen auf dem Sitz. So kniete sie gern, denn sie schlief fast immer während der Andacht ein, und wenn sie in dieser Stellung hockte, merkte ihre Mutter nichts davon. Die farbigen Bediensteten kamen in die Halle geschlurft und geraschelt und knieten dann an der Tür. Mammy stöhnte laut auf, als sie sich niederließ, Pork hielt sich gerade wie ein Ladestock, Rosa und Teena breiteten anmutig die bunten Kattunröcke aus. Die Köchin sah hager und gelb unter ihrem schneeweißen Kopftuch hervor, und der ganz verschlafene Jack suchte sich seinen Platz so weit entfernt von Mammys kneifenden Fingern wie nur möglich. Die dunklen Augen der Farbigen glänzten erwartungsvoll, die Andacht mit der weißen Herrschaft war eins der Ereignisse des Tages. Von den alten, schönen Sprüchen der Litanei und ihrer morgenländischen Bildersprache verstanden sie nicht viel, und doch gingen sie ihnen zu Herzen, und während sie singend respondierten: »Herr, erbarme dich unser, Christe, erbarme dich unser«, wiegten sie den 0berkörper andächtig hin und her.

Ellen schloß die Augen und fing an zu beten, ihre Stimme hob und senkte sich beruhigend wie ein Schlummerlied. Die Köpfe senkten sich in den gelben Lichtkreis, als Ellen Gott dankte für die Gesundheit und das Glück ihres Heimes und ihrer Familie und ihrer Farbigen.

Als sie ihre Gebete für alle Bewohner von Tara, für ihren Vater, ihre Mutter, ihre Schwestern, die drei kleinen toten Söhne und »alle die armen Seelen im Fegefeuer« beendet hatte, nahm sie die weißen Perlen in ihre schlanken Finger und begann den Rosenkranz zu beten. Wie ein sanfter Wind kamen die Antworten aus schwarzen und aus weißen Kehlen zurückgesäuselt:

»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«

Trotz ihrem Herzweh und dem Schmerz unvergossener Tränen kam Ruhe und tiefer Friede über Scarlett, wie immer zu dieser Stunde. Ein wenig von der Enttäuschung dieses Nachmittags, von der Angst vor dem kommenden Tag wich von ihr. Nicht die Erhebung des Herzens zu Gott brachte ihr diese Linderung; denn Religion war ihr kaum mehr als Lippendienst. Es war der Anblick ihrer Mutter, wie sie ihr verklärtes Gesicht zum Throne Gottes, seinen Heiligen und Engeln erhob und Segen herabflehte auf die Menschen, die sie liebte, der ihr so naheging. Wenn Ellen im Himmel für sie eintrat, mußte der Himmel sie erhören, dessen war Scarlett gewiß.

Ellen war fertig, und Gerald, der seinen Rosenkranz zur Abendandacht nie finden konnte, begann verstohlen sich die Aves und Paternosters an den Fingern abzuzählen. Bei seinem summenden Psalmodieren konnte Scarlett nicht verhindern, daß ihre Gedanken abschweiften. Sie wußte wohl, sie sollte jetzt ihr Gewissen prüfen. Ellen hatte sie gelehrt, es sei ihre Pflicht, am Ende jedes Tages in ihrem Gewissen gründlich Umschau zu halten, ihre zahlreichen Verfehlungen zu gestehen und Gott um Vergebung und um die Kraft zu bitten, nicht wieder rückfällig zu werden. Scarlett aber prüfte ihr Herz.

Sie ließ den Kopf auf den gefalteten Händen, so daß die Mutter ihr Gesicht nicht sehen konnte, und die Gedanken wanderten betrübt zu Ashley zurück. Wie konnte er nur beschlossen haben, Melanie zu heiraten, wo er in Wirklichkeit doch sie, Scarlett, liebte? Und wenn er wußte, wie sehr sie ihn liebte? Wie konnte er ihr so das Herz brechen?

Da auf einmal fuhr ihr strahlend und hell wie ein Komet ein neuer Gedanke durch den Sinn. »Mein Gott, Ashley hat ja keine Ahnung davon, daß ich ihn liebe!«

So unerwartet kam ihr diese Erleuchtung, daß sie vor Schreck beinahe laut aufgeatmet hätte. Einen langen, atemlosen Augenblick stockten ihre Gedanken wie gelähmt, dann rasten sie weiter.

»Woher sollte er es denn wissen? Ich habe mich ihm gegenüber immer so zimperlich und damenhaft benommen und bin in seiner Gegenwart ein solches Rührmichnichtan gewesen, daß er wahrscheinlich denkt, ich mache mir nichts aus ihm, außer höchstens als Freund. Natürlich, darum hat er nie etwas gesagt! Er hält seine Liebe für hoffnungslos, und darum ...«

Geschwind eilten die Gedanken zurück in jene Zeiten, da sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie so seltsam ansah, da die grauen Augen, die seine Gedanken sonst so vollständig verhüllten, offen und nackt vor ihr gelegen hatten mit einem Blick voller Qual und Verzweiflung.

»Er denkt, ich sei in Brent, Stuart oder Cade verliebt, daher sein enttäuschtes Herz. Und wenn er mich doch nicht haben kann, meint er sicherlich, er könne seiner Familie zu Gefallen ebensogut Melanie heiraten. Wenn er aber wüßte, daß ich ihn liebe ...«

Ihr bewegliches Gemüt schnellte aus tiefster Niedergeschlagenheit empor zu seliger Erregung. Das also war die Erklärung für Ashleys Stillschweigen, für sein seltsames Verhalten. Er wußte nicht! Ihre Eitelkeit kam ihrem Wunsch zu Hilfe, Glaube wurde Sicherheit. Wenn er nur wüßte, daß sie ihn liebte, käme er eilends zu ihr. Sie brauchte nur ...

»Ach!« dachte sie überglücklich und grub ihre Finger in die gesenkte Stirn. »Ich Dummkopf, warum fällt mir das jetzt erst ein! Ich muß mir etwas ausdenken, um es ihn wissen zu lassen. Er heiratet sie sicher nicht, wenn er weiß, daß ich ihn liebe! Wie könnte er denn?«

Sie fuhr zusammen, als sie bemerkte, daß Gerald zu beten aufgehört hatte und der Blick ihrer Mutter auf ihr ruhte. Hastig begann sie ihre Gebete und sprach mechanisch herunter, was der Rosenkranz verlangte, aber mit so viel Ergriffenheit in der Stimme, daß Mammy die Augen öffnete und sie forschend von der Seite ansah. Als sie die Gebete gesprochen hatte und Suellen und dann Carreen mit den ihren folgten, jagten ihre Gedanken immer noch weiter mit der berauschenden neuen Hoffnung. Auch jetzt war es noch nicht zu spät! Allzu oft schon hatte sich die Provinz entrüsten müssen über Entführungen in dem Augenblick, da die eine oder die andere Partei mit einem Dritten schon so gut wie vor dem Altar stand. Und Ashleys Verlobung war noch nicht einmal veröffentlicht. 0 ja, sie hatte reichlich Zeit! Wenn nicht Liebe Ashley an Melanie band, sondern nur ein altes Versprechen, warum sollte es dann nicht möglich sein, daß er sein Wort zurücknahm und sie, Scarlett, heiratete? Das tat er sicher, sobald er nur wußte, daß sie ihn liebte. Sie mußte es ihn auf irgendeine Weise wissen lassen. Wie, das wollte sie schon ersinnen! Und dann ...

Scarlett schreckte jäh aus ihrer Traumseligkeit empor. Sie hatte die Responsorien versäumt, und ihre Mutter sah sie vorwurfsvoll an. Als sie in das Ritual wieder einfiel, schlug sie geschwind die Augen auf und warf einen raschen Blick durch das Zimmer. Die knienden Gestalten, das milde Lampenlicht, der dämmerige Schatten, in dem die Farbigen sich wiegten, sogar die vertrauten Gegenstände, die noch vor einer Stunde ihrem Auge so verhaßt gewesen waren, alles nahm augenblicklich die Farbe ihres bewegten Gemüts an, und das Zimmer wurde wieder schön. Diesen Augenblick, dieses Bild würde sie niemals vergessen!

»Treueste Jungfrau«, betete die Mutter. Die Litanei der Jungfrau begann, und gehorsam respondierte Scarlett: »Bitte für uns«, während Ellen in sanftem Alt die Attribute der Mutter Gottes pries.

Schon als kleines Kind hatte Scarlett bei diesen Worten immer mehr ihre Mutter angebetet als die Jungfrau, und so war es auch jetzt noch. Mochte es auch eine Gotteslästerung sein, Scarlett sah immer durch die geschlossenen Lider hindurch Ellens emporgerichtetes Gesicht und nicht die Heilige Jungfrau, wenn die uralten Worte erklangen: »Heil der Kranken, Sitz der Weisheit, Zuflucht der Sünder, geheimnisvolle Rose« - die Worte waren schön, weil sie Ellens Attribute waren. Aber heute abend hatte die ganze Zeremonie, die leisen Worte, die gemurmelten Antworten, für Scarlett in ihrem eigenen Hochgefühl eine Schönheit, wie sie sie nie zuvor erlebt hatte. Ihr Herz erhob sich zu Gott in aufrichtigem Dank dafür, daß ihren Füßen ein Pfad sich öffnete - ein Pfad aus dem Elend, geradeswegs in Ashleys Arme.

Als das letzte Amen verklungen war, erhoben sie sich alle auf die etwas steifen Füße, Teena und Rosa richteten mit vereinten Kräften Mammy wieder auf. Pork nahm einen langen Lichtstock vom Kamin, entzündete ihn an der Lampe und ging hinaus in die Halle. Der Wendeltreppe gegenüber befand sich ein Anrichteschrank aus Nußbaumholz, der für das Eßzimmer zu groß war, und auf seinem weiten Sims standen mehrere Lampen und eine lange Reihe Leuchter mit Kerzen. Pork zündete ein Lampe und drei Kurzen an und geleitete mit der Würde eines ersten Kammerherrn des königlichen Schlafgemachs, der dem König und der Königin in ihre Gemächer voranleuchtet, die Prozession die Treppe hinauf, die Kerze hoch über dem Kopf. Ellen folgte ihm an Geralds Arm, dann gingen die Mädchen, jedes mit seinem eigenen Leuchter, hinauf. Scarlett ging in ihr Zimmer, stellte die Kerze auf ihre hohe Kommode und suchte in dem dunklen Wandschrank nach dem Ballkleid, an dem etwas zu nähen war. Sie nahm es und schritt dann leise über den Flur. Die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern stand ein wenig offen, und ehe sie klopfen konnte, vernahm sie Ellens Stimme leise, aber streng: »Mr. 0'Hara, du mußt Jonas Wilkerson entlassen.«

Gerald schäumte auf: »Und woher soll ich einen neuen Aufseher bekommen, der mich nicht übers 0hr haut?«

»Er muß sofort entlassen werden, morgen früh. Der große Sam ist ein guter Vorarbeiter, er kann das Amt so lange übernehmen, bis du einen neuen Aufseher anstellst.«

»Ah, so!« klang darauf Geralds Stimme. »Jetzt verstehe ich! Dann hat also der würdige Jonas mit der ...«

»Er muß entlassen werden.«

»Er ist also der Vater von Emmie Slatterys Baby«, dachte Scarlett. »Nun ja, was kann man von einem Yankee und einem Mädchen aus dem weißen Pack anderes erwarten?«

Nach einer behutsamen Pause, in der Geralds Wortschwall Zeit hatte abzuebben, klopfte sie an die Tür und reichte ihrer Mutter das Kleid.

Als sie sich dann ausgezogen und das Licht gelöscht hatte, war ihr Plan für morgen bis in jede Einzelheit fertig. Ein einfacher Plan. Mit der von Gerald ererbten Geradlinigkeit sah sie nur das eine Ziel vor sich und den kürzesten Weg, der dahin führte.

Zuerst wollte sie »stolz« sein, wie Gerald befohlen hatte, sobald sie aber in Twelve 0aks ankamen, wollte sie ihre lustigste, ausgelassenste Miene aufsetzen. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, sie könne wegen Ashley und Melanie traurig sein. Und dann wollte sie jedem Manne dort Augen machen. Das war vielleicht grausam gegen Ashley, aber er würde nur um so leidenschaftlicher nach ihr verlangen. Keinen Mann in heiratsfähigem Alter wollte sie übersehen, von dem alten Rotbart Frank Kennedy, Suellens Verehrer, bis zu dem schüchternen, stillen, fortwährend errötenden Charles Hamilton, Melanies Bruder. Sie sollten sie alle umschwärmen wie Bienen ihren Stock; sicher würde das Ashley von Melanies Seite weg in den Kreis ihrer Bewunderer ziehen. Darauf wollte sie es einrichten, fern von der Menge ein paar Minuten mit ihm allein zu sein. Wenn Ashley nicht den ersten Schritt tat, so mußte sie ihn eben selber tun.

Waren sie dann endlich allein, so war der Eindruck von all den andern Männern noch frisch in seiner Seele; die Tatsache, daß alle sie umwarben, ging ihm nahe, und dann würden seine Augen den bekümmerten, verzweifelten Blick haben. Aber dann wollte sie ihn wieder glücklich machen und ihn fühlen lassen, daß sie, die von allen Geliebte, ihn allen andern Männern auf der Welt vorzog. Und während sie es verschämt und süß gestand, sollte er noch tausenderlei mehr in ihren Augen lesen. Natürlich würde das alles auf die vornehmste Weise geschehen. Sie würde sich nicht im Traum einfallen lassen, ihm offen zu sagen, daß sie ihn liebte - das ging auf keinen Fall. Die Art, wie sie es ihn merken lassen wollte, war eine Nebensache, über die sie sich nicht den Kopf zerbrach. Mit einer solchen Lage war sie schon fertig geworden, und es würde ihr wieder gelingen.

Wie sie da im dämmerigen Mondenschein in ihrem Bett lag, stellte sie sich die ganze Szene vor. Sie sah sein Gesicht, überrascht, in Glück erstrahlen, wenn er begriff, daß sie ihn wirklich liebte. Sie hörte ihn fragen, ob sie seine Frau werden wollte.

Natürlich mußte sie dann erwidern, daß sie überhaupt gar nicht daran denken könne, jemanden zu heiraten, der mit einem anderen Mädchen verlobt sei, aber dann würde er darauf bestehen, und schließlich wollte sie sich überreden lassen. Und dann würden sie beschließen, noch denselben Nachmittag nach Jonesboro durchzugehen und ...

Wahrhaftig, morgen abend um diese Zeit war sie vielleicht schon Frau Ashley Wilkes!

Sie setzte sich im Bett auf, umfaßte ihre Knie und war eine lange, glückliche Weile wirklich Frau Ashley Wilkes - Ashleys Braut! Dann überkam sie ein leiser Schauder. Wenn es nun nicht so gehen würde? Wenn Ashley sie nun nicht entführte? Entschlossen schlug sie sich den Gedanken aus dem Sinn.

»Daran will ich nicht denken«, sagte sie fest, »sonst komme ich aus dem Gleichgewicht. Ich sehe gar keinen Grund dazu, daß es nicht so gehen sollte, wie ich will - wenn er mich liebt. Und ich weiß es, daß er mich liebt!«

Sie hob das Kinn, die grünen Augen funkelten im Mondlicht. Ellen hatt e ihr nie gesagt, daß Begehren und Erlangen zweierlei sei. Das Leben hatte sie noch nicht gelehrt, daß nicht immer der Schnellfüßigste das Rennen gewinnt. Da lag sie im silbrigen Dunkel und faßte neuen Mut, schmiedete Pläne, wie eben eine Sechzehnjährige sie schmiedet, wenn das Leben so schön ist, daß eine Niederlage unmöglich scheint; wenn ein hübsches Kleid und ein schöner Teint Waffen genug sind, das Schicksal zu besiegen.

Es war zehn Uhr in der Frühe. Für einen Apriltag war es sehr warm, heller Sonnenschein strömte durch die blauen Gardinen der breiten Fenster in Scarletts Zimmer hinein. Die cremefarbenen Wände erglühten in seinem Licht, in den Mahagonimöbeln schimmerte es wie roter Wein, der Fußboden spiegelte wie Glas, wo er nicht mit den farbe nfrohen Flickenteppichen belegt war. Schon meldete der georgianische Sommer sich an, vor dessen grimmiger Hitze die Flut des Frühlings widerstrebend zurückebbte. Balsamische Wärme, schwer vom Duft der Blüten und der feuchten Erdschollen, drang in den Raum. Durch das Fenster erblickte Scarlett den prangenden Farbenflor der Narzissen zu beiden Seiten der kiesbestreuten Auffahrt und die goldige Flut gelben Jasmins, der seine Blütenzweige wie einen Reifrock zur Erde spreizte. Spottdrosseln und Häher trugen ihre alte Fehde um den Besitz des Magnolienbaumes unter ihrem Fenster aus. Man hörte ihre zankenden Stimmen, die schrillen, harten der Häher, das sanfte Klagen der Spottdrosseln.

Ein so schöner Morgen rief Scarlett immer ans Fenster, um, die Arme auf das breite Sims gestützt, die Düfte und Laute von Tara einzusaugen. Heute aber hatte sie kein Auge für all die Schönheit, sondern nur den Stoßseufzer: »Gottlob, daß es nicht regnet!« Auf dem Bett lag ihr apfelgrünes Moirekleid mit den maisfarbenen Spitzenvolants, sauber in eine große Pappschachtel verpackt. Es sollte nach Twelve 0aks gebracht und zum Tanz angezogen werden; aber Scarlett zuckte nur die Achseln, als sie es sah. Wenn ihr Plan gelang, so würde sie das Kleid heute abend nicht anziehen. Längst, ehe der Ball anfing, waren sie und Ashley dann schon auf dem Wege nach Jonesboro, um zu heiraten. Die lästige Frage war vielmehr, was sie für das große Gartenessen, das mittags stattfand, anziehen sollte. Welches Kleid brachte ihre Reize am besten zur Geltung und machte sie am unwiderstehlichsten? Seit acht Uhr hatte sie Kleider anprobiert und wieder weggehängt, und nun stand sie mißmutig und unschlüssig in ihrer Spitzenhose, der Batistuntertaille und drei wogenden, spitzenbesetzten Unterröcken da. Alles, was sie schon verworfen hatte, lag auf dem Fußboden, auf Bett und Stühlen um sie her in farbenfrohen Haufen Stoffs und schleifender Bänder.

Das rosa 0rgandykleid mit der langen Schärpe kleidete sie zwar gut, aber sie hatte es erst vorigen Sommer getragen, als Melanie in Twelve 0aks zu Besuch war, und die hatte es sicher nicht vergessen, war vielleicht sogar boshaft genug, sie daran zu erinnern. Von dem schwarzen Bombasinkleid mit den Puffärmeln und dem Stuartkragen hob ihre Haut sich prachtvoll ab, aber es machte sie älter aussehen. Scarlett warf einen ängstlichen Blick in den Spiegel auf ihr sechzehnjähriges Gesicht, als vermutete sie darin Runzeln und hängende Kinnfalten. Auf keinen Fall durfte sie neben Melanies reizender Jugendlichkeit alt und würdig aussehen. D as Musselinkleid mit den lavendelfarbenen Streifen und den breiten Einsätzen von Spitzen und Filet war prachtvoll, aber es paßte nicht zu ihrer Erscheinung. Carreens zartem Profil und unfertigem Ausdruck mußte es vorzüglich stehen, Scarlett selbst kam sich darin wie ein Schulmädchen vor. Das grünschottische Taftkleid mit all seinen rauschenden Falten, deren jede mit grünem Samtband eingefaßt war, war höchst kleidsam und eigentlich ihr liebstes, denn es machte ihre Augen dunkel wie Smaragde. Ein unverkennbarer Fettfleck saß jedoch gerade vorn auf der Taille. Sie konnte ihn natürlich mit einer Brosche zudecken, aber Melanie hatte scharfe Augen! Dann waren noch verschiedene bunte Waschkleider da, in denen Scarlett sich jedoch nicht festlich genug für diese Gelegenheit fühlte, einige Ballkleider und das grüne, geblümte Musselinkleid, das sie gestern getragen hatte. Aber das war ein Nachmittagskleid und für ein Gartenfest nicht passend. Es hatte nur winzige Puffärmel und war am Halse so tief ausgeschnitten wie ein Tanzkleid. Und doch blieb ihr nichts übrig, als es anzuziehen. Schließlich brauchte sie sich ihres Halses, ihrer Arme, ihres Busens nicht zu schämen, wenn es auch nicht ganz passend war, sie schon vormittags zu zeigen.

Als sie dann vor dem Spiegel stand und sich drehte und wendete, fand sie, daß an ihrer Figur wahrlich nichts zu verstecken sei. Ihr Hals war kurz, aber schön gebogen, die Arme lockend und voll. Die Brust, die das Korsett hochschob, war sehr hübsch. Nie hatte sie feine Seidenrüschen ins Taillenfutter zu nähen brauchen wie die meisten Mädchen ihres Alters, um damit ihrer Figur die gewünschte Rundung zu geben. Sie war froh, daß sie Ellens schlanke Hände und Füße geerbt hatte, und wünschte sich Ellens Größe dazu, obwohl sie mit ihrem eigenen kleineren Wuchs durchaus nicht unzufrieden war. »Schade, daß man die Beine nicht zeigen darf«, dachte sie und zog die Unterröcke empor. Da schauten sie unter den Spitzenhöschen hervor, gut geformt und gerundet, beängstigend hübsch. Sogar auf der Töchterschule in Fayetteville hatten die Mädchen zugeben müssen, daß sie hübsche Beine hatte. Und nun erst ihre Taille - in allen drei Provinzen gab es keine schlankere!

Ihre Taille brachte sie wieder auf praktische Gedanken. Das grüne Musselinkleid maß um den Gürtel dreiundvierzig Zentimeter, und Mammy hatte sie für das fünfundvierzig Zentimeter weite Bombasinkleid geschnürt. Mammy mußte sie fester schnüren. Sie öffnete die Tür und rief ungeduldig nach ihr. Sie durfte ungestraft ihre Stimme erheben, denn Ellen war in der Vorratskammer und teilte der Köchin die Vorräte für den Tag zu.

»Einige Leute denken immer, ich kann fliegen«, knurrte Mammy und schlurfte die Treppe hinauf. Keuchend trat sie ein mit dem Gesicht eines Menschen, der auf einen Kampf gefaßt ist und sich darauf freut. In den großen schwarzen Händen trug sie ein Tablett mit dampfenden Speisen, zwei großen Bataten mit Butter darüber, einem Häufchen Buchweizenkuchen, von denen der Sirup herabtroff, und einer großen Scheibe Schinken in einer fetten Sauce. Als Scarlett sah, was Mammy in der Hand trug, wechselte ihr Ausdruck von leichtem Ärger zu Eigensinn. In ihrer Aufregung hatte sie Mammys eherne Regel vergessen, nach der die 0'Haraschen Mädchen vor jeder Gesellschaft daheim so viel essen mußten, daß sie dort keiner Erfrischung mehr bedurften.

»Es hat keinen Zweck, ich esse nicht, du kannst es wieder in die Küche bringen.«

Mammy setzte das Tablett auf den Tisch und stellte sich in Positur. »Du ißt. Ich will es nicht noch einmal erleben, was bei dem letzten Gar tenfest passierte, als ich von Schwarzsauer so krank, daß ich dir kein Essen bringen können, hiervon du mir aufessen jeden Bissen!«

»Fällt mir nicht ein! Komm lieber her und schnüre mich fester, sonst kommen wir zu spät. Da kommt schon der Wagen vorgefahre n.«

Mammy verfiel in schmeichlerische Töne: »Miß Scarlett, sei lieb und nur ein kleines bißchen essen. Miß Carreen und Miß Suellen haben ihrs alles aufgegessen.«

»Das sieht ihnen ähnlich«, sagte Scarlett verächtlich. »Die haben nicht mehr Mut als ein Karnickel. Ich will nicht. Ich weiß noch, wie ich einmal alles gegessen hatte und zu Calverts ging, und da gab es Rahmeis, das sie die ganze Strecke von Savannah herangeholt hatten, und ich konnte nur einen Löffel davon essen. Heute will ich es mir gut gehen lassen und so viel essen, wie ich Lust habe.«

Vor so viel Trotz senkte Mammy entrüstet die Brauen. Was ein junges Mädchen durfte und was nicht, war in Mammys Kopf eingeteilt in Schwarz und Weiß. Eine Mitte gab es da nicht. Suellen und Carreen waren wie Wachs in ihren gewaltigen Händen und hörten ehrfürchtig auf ihre Ermahnungen. Aber Scarlett beizubringen, daß fast alle ihre natürlichen Neigungen und Einfalle nicht damenhaft seien, war immer ein hartes Stück Arbeit gewesen. Mammys Siege über Scarlett waren schwer erkämpft und zeugten von Winkelzügen, die einem weißen Verstand unbekannt waren.

»Wenn es dir einerlei ist, wie Herrschaften über unsere Familie reden, mir nicht einerlei«, murrte sie. »Ich wollen nicht dabeistehen, wenn sie alle auf der Gesellschaft sagen, Miß Scarlett nicht gut erzogen, ich dir immer schon sagen, daß man eine Dame daran erkennen, ob sie wie ein kleines Vögelchen essen, und du sollst mir nicht zu Wilkes gehen und wie ein Ackerknecht essen und dich vollstopfen wie ein Schwein.«

»Mutter ist eine Dame und ißt doch«, gab Scarlett zurück.

»Wenn du verheiratet bist, darfst du auch essen«, entgegnete Mammy. »Als Mrs. Ellen so alt war wie du, sie nie essen, wenn sie bei fremden Leuten war, und auch Tante Pauline und Tante Eulalia nicht, und die haben alle geheiratet; junge Fräuleins, die so viel essen, kriegen nie einen Mann.«

»Das glaube ich nicht. Bei dem Gartenfest, wo dir schlecht wurde und ich vorher nichts gegessen hatte, sagte Ashley Wilkes, ein Mädchen mit einem gesunden Appetit gefalle ihm.«

Mammyschüttelte unheilverkündend den Kopf.

»Was ein Herr sagen und was er denken - gar nicht dasselbe! Und ich haben nicht gemerkt, daß Mr. Ashley umdich anhalten.«

Scarlett wollte ihr scharf erwidern, faßte sich aber. Als Mammy ihre Verstocktheit sah, nahm sie das Tablett wieder auf und änderte mit der geriebenen Sanftmut ihrer Rasse die Taktik. Sie ging zur Tür und seufzte:

»Nun, meinetwegen. Als Cookie das Essen zurechtstellte, ich sagte ihr: du eine Dame an dem erkennen, was sie nicht essen, und ich sagte Cookie: ich nie eine weiße Dame gesehen, die weniger essen als Miß Melly Hamilton das letzte Mal, als sie Mr. Ashley - ich meinen Miß India - besuchen ...«

Scarlett warf ihr einen scharfen, argwöhnischen Blick zu, aber auf Mammys breitem Gesicht stand nur die reine Unschuld geschrieben und ein Bedauern darüber, daß Scarlett weniger Dame sei als Melanie Hamilton.

»Setz dein Tablett hin und schnür mich fester«, sagte Scarlett gereizt. »Nachher will ich versuchen, ein wenig zu essen. Wenn ich jetzt äße, könntest du mich nicht fest genug schnüren.«

Mammyverbarg ihren Triumph und setzte das Tablett wieder hin. »Was will mein süßes Lämmchen anziehen?«

»Dies«, Scarlett zeigte auf die duftige Masse grünen geblümten Musselins.

Sofort war Mammyin Harn isch.

»Nein, das tust du nicht, das passen nicht für den Morgen, vor drei Uhr darfst du den Busen nicht offen tragen, und dieses Kleid haben nicht Kragen noch Ärmel, du kriegen Sommersprossen, und das wollen ich nicht erleben nach all der Buttermilch, die ich dir aufgelegt, um Sommersprossen wegbleichen, die du dir in Savannah am Strand geholt, ich sagen deiner Mutter.«

»Wenn du ihr ein Wort sagst, ehe ich angezogen bin, esse ich keinen Bissen«, sagte Scarlett kühl. »Nachher hat Mutter keine Zeit, mich wied er hinauf zuschicken, damit ich mich noch einmal umziehe.«

Mammy seufzte ergeben, denn nun war sie geschlagen. Von beiden Übeln war es noch das kleinere, daß Scarlett morgens ein Nachmittagskleid trug, als daß sie schlang wie ein Schwein.

»Halt dich fest und ziehe den Atem ein«, befahl sie.

Scarlett gehorchte und klammerte sich an einen Bettpfosten. Mammy zog und zerrte aus Leibeskräften, und als der schmale Umfang der in Fischbein gezwängten Taille immer noch schmäler wurde, bekamen ihre Augen einen stolzen, liebevollen Glanz.

»Kein Mensch haben so eine Taille wie mein süßes Lämmchen«, sagte sie befriedigt. »Jedesmal, wenn ich Miß Suellen enger als fünfzig schnüre, sie beinahe fallen in 0hnmacht.«

»Puh!« Scarlett schnappte nach Luft und brachte kaum die Worte heraus: »Ich bin noch nie in 0hnmacht gefallen.«

»Nun, es schaden gar nichts, wenn du das ab und zu tun«, riet Mammy. »Du manchmal viel zu derb, ich dir schon immer sagen wollen, es macht keinen guten Eindruck, daß du bei Schlangen und Mäusen und dergl eichen nie in 0hnmacht fallen, nicht gerade zu Hause, aber doch wenn du ausgehst, und ich haben dir immer wieder ...«

»Still. Ich bekomme schon einen Mann, du wirst sehen, auch wenn ich nicht quieke und ohnmächtig werde. Du meine Güte, sitzt das aber fest! Nun zieh mir das Kleid an.«

Mammy ließ behutsam die zwölf Meter grünen, geblümten Musselins über die gewaltigen Unterröcke fallen und hakte die enge, tief ausgeschnittene Taille zu.

»Daß du mir aber den Schal um die Schultern behältst, wenn du in die Sonne gehst, und den Hut nicht abnimmst, wenn du heiß bist«, befahl sie. »Sonst kommst du braun nach Hause wie der alte Slattery, aber nun essen, mein Lämmchen, aber nicht zu schnell, es haben keinen Zweck, wenn alles gleich wieder rauskomme n.«

Scarlett setzte sich gehorsam zum Essen und wußte nicht recht, wie etwas in ihren Magen gelangen und ihr dann noch Platz zum Atmen bleiben könnte. Mammy nahm ein großes Handtuch vom Waschtisch, band es Scarlett vorsichtig um den Hals und breitete den weißen Stoff über ihren Schoß. Scarlett fing mit dem Schinken an, weil sie gern Schinken aß, und schluckte ihn mit Mühe hinunter.

»Ach Gott, wäre ich doch erst verheiratet«, seufzte sie bitter, als sie sich mit Widerwillen an die Bataten machte. »Ich habe es satt, ewig dies unnatürliche Wesen und daß ich nie tun darf, was ich will. Ich habe keine Lust mehr, so zu tun, als äße ich nicht mehr als ein Vögelchen, zu gehen, wenn ich lieber liefe, und zu behaupten, mir wäre nach dem Walzer schwindelig, wenn ich doch zwei Tage lang weitertanzen könnte, ohne müde zu werden. Ich habe keine Lust mehr, jedem Schafskopf, der nicht mal so viel Verstand hat wie ich, zu sagen: >Sie sind wirklich fabelhaft<, und immer so zu tun, als wüßte ich nichts, so daß die Männer mir von allem möglichen erzählen können und sich dann noch wichtig vorkommen ... Nun kann ich aber keinen Bissen mehr essen!«

»Nimmvon demheißen Kuchen«, mahnte Mammy unerbittlich.

»Warum muß ein Mädchen immer so albern sein, wenn es einen Mann haben will?«

»Ich mir denken, weil die Männer nicht wissen, was sie wollen, sie wissen nur, was sie sich einbilden, daß sie wollen, und wenn man ihnen ihren eingebildeten Willen tut, spart das einem einen ganzen Haufen Unglück und man nicht alte Jungfer, sie bilden sich ein, sie brauchen dumme kleine Mäuschen mit dem Geschmack wie ein Vögelchen und ohne allen Sinn und Verstand, einem Mann vergeht die Lust, eine Dame zu heiraten, wenn er Verdacht hat, sie sein am Ende verständiger als er.«

»Aber glaubst du nicht, die Männer wundern sich nach der Heirat, wenn sie merken, daß ihre Frauen doch Verstand haben?«

»Dann ist es eben zu spät, dann sind sie schon verheiratet. Außerdem, von ihren Frauen erwarten die Herren, daß sie Verstand haben.«

»Später tu' ich doch, was ich will, und sage ich, was ich will, und wenn die Leute das nicht mögen, ist es mir gleichgültig.«

»Nein, das tust du nicht«, schalt Mammy. »Nicht, solange ich noch atmen, nun ißt du deinen Kuchen, tunk ihn in die Sauce, mein Liebling.«

»Die Mädchen bei den Yankees benehmen sich gar nicht wie die Schäfchen. Voriges Jahr in Saratoga habe ich viele gesehen, die sich ganz so betrugen, als wenn sie richtig ihren Verstand hätten, und das in Gegenwartvon Männern!«

Mammyschnaubte verächtlich.

»Yankeemädchen, jawohl, die werden vielleicht reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen, aber ich nicht gesehen, daß ihnen in Saratoga viele Anträge gemacht werden.«

»Aber Yankees müssen doch auch heiraten«, verteidigte sich Scarlett. »Die wachsen doch nicht einfach wie Gras. Sie müssen doch auch heiraten und Kinder kriegen. Es gibt doch so viele.«

»Die Männer, sie heiraten des Geldes wegen«, sagte Mammy unerschütterlich.

Scarlett tauchte den Kuchen in die Sauce und aß. Vielleicht war doch etwas an dem, was Mammy sagte, denn Ellen sagte dasselbe, nur in zarteren Worten. Die Mütter all ihrer Freundinnen prägten ihren Töchtern die Notwendigkeit ein, vor der Welt hilflose, schmiegsame Geschöpfe mit sanften Rehaugen zu sein. Es gehörte wirklich viel dazu, solche Pose beizubehalten. Vielleicht war sie wirklich zu derb gewesen? Gelegentlich hatte sie Ashley freiheraus die Meinung gesagt. Dies und ihre urwüchsige Freude am Reiten und Laufen hatten ihn ihr womöglich entfremdet und der zarten Melanie in die Arme getrieben. Sollte sie ihre Taktik ändern? Aber wenn Ashley auf solch berechnendes Getue hereinfiel, dann könnte sie ihn nie mehr so achten wie bisher, das fühlte sie deutlich. Ein Mann, der dumm genug war, auf gezierte Einfalt, auf 0hnmächten und Schmeicheleien hereinzufallen, war der Mühe nicht wert.

Aber sie waren wohl alle so. Wenn sie es früher bei Ashley falsch angefangen hatte, so mußte sie es eben nun anders versuchen. Sie wollte ihn haben, und es blieben ihr nur wenige Stunden, ihn zu gewinnen. Wenn er Wert auf eine wahre oder gespielte 0hnmacht legte, dann wollte sie schon in 0hnmacht fallen. Wenn eine Piepsstimme, ein bißchen Koketterie und ein Spatzenhirn ihn anzogen, so wollte sie schon die Naive spielen und noch hohlköpfiger tun als Cathleen Calvert Sollten aber kühnere Maßnah men nötig werden, so wollte sie auch die ergreifen. Heute kam es darauf an!

Es gab niemanden, der Scarlett sagte, daß ihre eigene beängstigend lebensfrische kleine Person anziehender war als jede Maske, die sie sich anlegen konnte. Härte es ihr jemand gesagt, sie hätte sich gefreut, es aber schwerlich geglaubt, und auch die Gesellschaft, der sie angehörte, wäre ungläubig gewesen, denn zu keiner Zeit vorher oder nachher hat weibliche Natürlichkeit so wenig gegolten wie damals.

Als der Wagen sie dann die rote Landstraße entlang zur Wilkesschen Plantage brachte, empfand Scarlett eine fast schuldbewußte Freude, daß weder ihre Mutter noch Mammy mitfuhren. Auf der Gesellschaft würde also niemand sein, der mit unmerklich gerunzelten Brauen oder vorgestülpter Unterlippe in ihre Pläne eingreifen konnte. Zwar würde Suellen natürlich morgen ausplaudern, aber wenn alles so ging, wie Scarlett hoffte, mußte die Aufregung der Familie über ihre Verlobung mit Ashley, oder gar ihre Entführung, den Unwillen bei weitem überwiegen. Ja, sie war froh, daß Ellen zu Hause unabkömmlich war.

Gerald hatte am selben Morgen Jonas Wilkerson entlassen, und Ellen war in Tara geblieben, um vor seinem Weggang die Abrechnungen mit ihm durchzugehen. Scarlett hatte ihrer Mutter in dem kleinen Sch reibzimmer den Abschiedskuß gegeben, wo sie vor dem hohen alten Sekretär mit seinen von Papier überquellenden Fächern saß. Jonas Wilkerson stand neben ihr, den Hut in der Hand. Das bleiche Gesicht mit der schlaffen Haut verhüllte kaum den wütenden Haß, der ihn erfüllte, seitdem er ohne weiteres aus der besten Aufseherstellung in der Provinz hinausgeworfen worden war, und das alles wegen ein bißchen Liebelei. Er hatte Gerald wieder und wieder gesagt, daß Emmie Slatterys Kind ebensogut einen anderen unter ein em Dutzend Männern zum Vater haben könnte - ein Gedanke, den Gerald wohl teilte; aber das hatte die Sachlage in Ellens Augen nicht geändert. Jonas haßte alle Südstaatler. Ihre kühle Höflichkeit, die ihre Verachtung für seinen Stand nur unzulänglich verbarg, war ihm unerträglich. Mehr als alle anderen haßte er Ellen 0'Hara, denn sie war der Inbegriff alles dessen, was ihm in diesem Lande zuwider war.

Mammy war als Frauenaufseherin der Plantage zu Hause geblieben, um Ellen zu helfen, und statt ihrer saß Dilcey auf dem Kutschbock neben Toby. Die Ballkleider der Mädchen lagen in einer langen Pappschachtel quer über ihren Knien. Gerald ritt auf seinem schweren Jagdpferd neben dem Wagen, noch ein bißchen branntweinselig und sehr mit sich zufrieden, daß er so im Handumdrehen mit Wilkersons unerfreulicher Geschichte fertig geworden war. Die Verantwortung hatte er auf Ellen abgeschoben; an ihre Enttäuschung, daß sie auf der Gesellschaft nicht mit ihren Freunden zusammen sein konnte, dachte er nicht. Es war ein schöner Frühlingstag, seine Felder standen prachtvoll, die Vögel sangen, und er fühlte sich so jung und zu tausend Spaßen aufgelegt, daß er unmöglich an anderes denken konnte. Hin und wieder stimmte er »Peggy in der kleinen Chaise« oder andere irische Liedchen an, auch wohl die düstere Klage um Robert Emmet:

»Sie ist fern von dem Land, wo ihr junger Held ruht«. Er war glücklich und freudig erregt bei der Aussicht, den Tag in lauter, geräuschvoller Entrüstung über die Yankees und den Krieg zubringen zu können; er war stolz auf seine drei hübschen Töchter in ihren faltigen Reifröcken unter ihren närrisch kleinen spitzenbesetzten Sonnenschirmen. An seine Unterhaltung mit Scarlett vom Tage zuvor dachte er nicht mehr, sie war seinem Gedächtnis vollkommen entschwunden. Sein einziger Gedanke war, daß Scarlett hübsch war und ihm viel Ehre machte und daß ihre Augen heute so grün wie die Hügel Irlands waren. Dieser Einfall erhöhte sein Selbstgefühl, denn es lag etwas wie ein Vollklang von Poesie darin, und so beehrte er denn seine Mädchen mit einer lauten und nicht ganz reinen Wiedergabe von »Hab' ich das grüne Kleidchen an ...«

Scarlett betrachtete ihn mit jener liebevollen Geringschätzung, die Mütter für ihre kleinen großtuerischen Söhne empfinden, und wußte, daß er bei Sonnenuntergang schwer betrunken sein würde. Bei der Heimkehr im Dunkeln versuchte er sicher, wie gewöhnlich, über jeden Zaun zwischen Twelve 0aks und Tara zu springen, und hoffentlich würde er sich dank besonderer Gnade der Vorsehung und dem gesunden Verstand seines Pferdes auch diesmal wieder nicht den Hals brechen. Die Brücke würde er verschmähen und zu Pferde durch den Fluß schwimmen und dann grölend nach Hause kommen und auf dem Sofa im Büro von Pork zu Bert gebracht werden, der bei solchen Gelegenheiten immer vorn in der Halle bei einer Lampe wachte. Sicher verdarb er sich den neuen grauen Tuchanzug, weswegen er anderntags dann gräßlich fluchen und Ellen lang und breit erzählen würde, wie sein Pferd im Dunkeln von der Brücke heruntergefallen sei - eine grobe Lüge, mit der er niemandem ein X für ein U vormachen konnte, die aber natürlich von allen hingenommen wurde. Er kam sich dann sehr schlau vor.

Pa ist ein goldiger, selbstsüchtiger, leichtsinniger lieber Kerl, dachte Scarlett in aufwallender kindlicher Liebe. So aufgeregt und glücklich war sie heute morgen, daß sie mit Gerald zugleich die ganze Welt liebhatte. Sie war hübsch und wußte es genau. Ehe der Tag verging, war Ashley ihr eigen. Die Sonne schien warm und freundlich, und die Herrlichkeit des georgianischen Frühlings lag ausgebreitet vor ihren Augen. Am Rande der Straße verhüllten Brombeerranken mit zartestem Grün die roten Rinnen, die der Winterregen in den Abhang gerissen hatte, und die nackten Granitblöcke, die aus der roten Erde hervorragten, waren überwachsen von wilden Rosen und übersponnen vom zartesten Blau der Veilchen. Die bewaldeten Hügel über dem Fluß waren von schimmernden weißen Ligusterblüten gekrönt, es sah aus, als läge noch später Schnee zwischen all dem Grün. An den wilden Apfelbäumen waren die Knospen aufgesprungen eine Schwelgerei vom zartesten Weiß bis zum tiefsten Rosenrot, und unter den Bäumen, wo die Sonne auf abgefallenen Tannennadeln spielte, breitete wilder Jelängerjelieber einen bunten Teppich in Rot, 0range und Rosa aus . Ein frischer, schwacher Wohlgeruch von saftigem Grün kam mit dem leichten Wind, die Welt duftete berauschend.

»Wie schön ist es heute! Das werde ich im ganzen Leben nicht vergessen«, dachte Scarlett. »Vielleicht wird es mein Hochzeitstag!« Und klingend ging es ihr durch Herz und Sinn, wie sie und Ashley vielleicht heute nachmittag durch diese Blütenpracht und all dies frische Grün geschwind dahinfliegen würden, vielleicht gar heute nacht bei Mondenschein nach Jonesboro zu einem Pfarrer. Natürlich mußten sie von einem Priester in Atlanta noch einmal getraut werden, aber darüber mochten Ellen und Gerald sich den Kopf zerbrechen. Sie zagte ein wenig bei dem Gedanken, wie Ellen vor Scham erbleichen würde, wenn sie hörte, daß ihre Tochter mit dem Verlobten eines anderen Mädchens durchgegangen sei, aber sie wußte, Ellen würde ihr verzeihen, wenn sie ihr Glück sah. Gerald würde schelten und fluchen, aber trotz all seiner Schwüre, daß er eine Heirat zwischen ihr und Ashley nicht zuließe, würde er sich doch über ein e Verbindung zwischen beiden Familien unsagbar freuen.

»Aber darüber können sie sich noch genug den Kopf zerbrechen, wenn ich erst verheiratet bin«, dachte sie und schob die störenden Gedanken von sich. Im Sonnenschein eines solchen Frühlings, noch dazu, wenn man gerade die Schornsteine von Twelve 0aks auf dem Hügel am anderen Ufer zumVorschein kommen sah, konnte man nur vor Freude erbeben!

»Dort werde ich nun mein ganzes Leben wohnen und noch fünfzigmal und öfter solchen Frühling sehen und meinen Kindern und Enkeln erzählen, wie herrlich dieser Frühling war, so schön, wie sie niemals einen erleben werden.« Bei dieser Vorstellung war sie so glücklich, daß sie in den Schlußrefrain von »Hab' ich das grüne Kleidchen an ...« einstimmte und damit Geralds lauten Beifall errang.

»Ich weiß nicht, warum du heute morgen so vergnügt bist«, sagte Suellen patzig. Es wurmte sie immer noch der Gedanke, daß sie in Scarletts grünseidenem Ballkleid viel besser aussehen würde als seine rechtmäßige Besitzerin. Warum war auch Scarlett immer so selbstsüchtig und verlieh ihre Kleider und Hüte so ungern? Und warum nahm Mutter immer ihre Partei und behauptete, Grün sei nicht Suellens Farbe? »Du weißt so gut wie ich, daß Ashleys Verlobung heute abend verkündet wird, Pa sagte es heute morgen. Und ich weiß doch, daß du schon seit Monaten in ihn verliebt bist.«

»Was du nicht sagst!« Scarlett streckte ihr die Zunge aus und ließ sich 81

nicht aus ihrer glücklichen Stimmung bringen. Was wohl Miß Suellen morgen umdiese Zeit sagen würd e?

»Aber Susi, du weißt doch, daß das nicht wahr ist!« protestierte Carreen verletzt. »Brent ist doch Scarletts Freund!«

Scarlett wandte ihrer jüngeren Schwester lächelnd die grünen Augen zu, verwundert, wie man so reizend sein konnte. Die ganze Familie wußte, daß Carreen ihr dreizehnjähriges Herz an Brent Tarleton verloren hatte, der aber in ihr nichts als Scarletts kleine Schwester sah. Wenn Ellen nicht dabei war, neckten die 0'Haras sie bis zu Tränen damit.

»Liebes, ich mach' mir nicht ein bißchen aus Brent.« Scarlett war so glücklich, daß sie auch einmal großmütig sein konnte. »Und er sich auch nichts aus mir. Weißt du, er wartet nur darauf, daß du erst erwachsen bist!«

Im Widerstreit zwischen Glück und Zweifel wurde Carreens Kindergesicht rosenrot. »0 Scarlett, wirklich?«

»Scarlett, du weißt doch, Mutter sagt, Carreen ist noch viel zu klein, um an Verehrer zu denken, und nun setzt du ihr solche Flausen in den Kopf.«

»Geh du nur und petze, mir macht das nichts aus«, antwortete Scarlett. »Du willst Carreen nur zurückhalten, weil du weißt, daß sie in einem Jahr viel hübscher ist als du.«

»Wollt ihr wohl eure verehrten Schnäbel halten, sonst gibts eins mit der Peitsche«, warnte Gerald die beiden. »Pst, hört mal! Rollen da nicht Räder? Das sind Tarletons oder Fontaines.«

Als sie sich der Kreuzung näherten, wo der Weg aus dem dichtbewaldeten Hügel von Mimosa und Fairhill herunterführte, wurden Hufschlag und Rädergeroll deutlicher, Frauenstimmen schallten herüber, ein lustiges Wortgefecht drang durch den Vorhang der Zweige. Gerald, der voranritt, hielt sein Pferd an und ließ Toby mit dem Wagen halten, wo die beiden Wege sich kreuzten.

»Es sind die Damen Tarleton«, verkündete er seinen Töchtern. Sein blühendes Gesicht strahlte, denn außer Ellen war ihm keine Dame in der Provinz lieber als die rothaarige Mrs. Tarleton. »Und sie selbst fährt. Ja, die Frau hat eine Hand für Pferde! Federleicht und kräftig wie Rohleder und trotzdem zum Küssen hübsch. Schade, daß nicht eine von euch solche Hände hat«, fügte er mit vorwurfsvoll zärtlichem Blick auf seine Töchter hinzu. »Carreen, die Angst vor den armen Viechern hat, und Sues Hände sind schwer wie Bügeleisen, wenn sie einen Zügel anfassen soll, und du, Puß ...«

»Nun, jedenfalls bin ich noch nie abgeworfen worden«, Scarlett war empört. »Und Mrs. Tarleton stürzt auf jeder Jagd.«

»Und bricht sich das Schlüsselbein wie ein Mann«, sagte Gerald. »0 hne 0hnmacht, ohne Getue. Nun aber still, da kommt sie.«

Er hob sich in den Steigbügeln und zog in weitem Bogen den Hut, als der Tarletonsche Wagen, der von Mädchen in bunten Kleidern, mit Sonnenschirmen und wehenden Schleiern überquoll, in Sicht kam, mit Mrs. Tarleton auf dem Bock. Vier Töchter samt ihrer Amme und den langen Pappschachteln mit den Ballkleidern - da war für einen Kutscher kein Platz mehr. Und außerdem gestattete Beatrice Tarleton freiwillig keinem Menschen, sei er schwarz oder weiß, die Zügel zu halten, wenn ihr eigener Arm nicht gerade in einer Schlinge steckte. Zart, feinknochig und von so weißer Haut, als habe ihr flammendes Haar alle Farbe an sich gerissen, war sie bis zum Rande erfüllt von übersprudelnder Gesundheit und unermüdlicher Tatkraft. Acht Kinder hatte sie geboren, rothaarig und lebensstrotzend wie sie selbst, und sie vorzüglich erzogen, indem sie ihnen allen das gleiche liebevolle Gewährenlassen und zugleich die strenge Zucht angedeihen ließ, mit denen sie ihre Füllen aufzog. »Bändige sie, aber brich nicht ihren Willen«, war Mrs. Tarletons Leitspruch.

Sie liebte Pferde und sprach beständig von ihnen. Sie verstand und behandelte sie besser, als alle Männer in der Provinz es konnten. Auf der Koppel wimmelte es von Fohlen bis hinauf zum Parkrasen, wie auch das weitläufige Haus auf dem Hügel zu eng für ihre acht Kinder war. Stets liefen Füllen, Söhne, Töchter und Jagdhunde hinter ihr her, wenn sie über die Plantage ging. Ihren Pferden, namentlich ihrer roten Stute Nellie, traute sie menschlichen Verstand zu, und wenn der Haushalt sie über die Stunde hinaus festhielt, auf die sie ihren täglichen Ritt angesetzt hatte, drückte sie dem ersten besten kleinen farbigen Jungen die Zuckerschale in die Hand und sagte: »Gib Nellie eine Handvoll und sag ihr, ich käme gleich.«

Fast immer war sie im Reitkleid, ob sie ritt oder nicht, jedenfalls war sie immer im Begriff zu reiten und zog deshalb das Reitkleid gleich früh beim Aufstehen an. Jeden Morgen, ob bei Regen oder Sonnenschein, wurde Nellie gesattelt und vor dem Hause auf und ab geführt in Erwartung des Augenblicks, da Mrs. Tarleton ihren Pflichten eine Stunde absparen konn te. Fairhill war eine schwer zu bewirtschaftende Plantage, und deshalb gab es nur selten eine Mußestunde, und Nellie wurde oft stundenlang im Schritt auf und ab geführt, während Beatrice Tarleton ihre Tagesarbeit verrichtete, den Reifrock geistesabwesend über dem Arm tragend, so daß darunter ein langes Stück von den blanken hohen Stiefeln zum Vorschein kam.

Heute war sie in matter schwarzer Seide mit ganz unmodern engem Reifrock. Es sah immer noch aus, als hätte sie ihr Reitkleid an; denn die Taille war ebenso streng geschnitten, und der kleine schwarze Hut mit der langen schwarzen Straußenfeder, der schräg über den warmherzigen, zwinkernden braunen Augen saß, war der Zwillingsbruder des abgetragenen alten Hutes, den sie zur Hetzjagd trug.

Sie schwenkte die Peitsche, als sie Gerald erblickte, und ließ ihre tänzelnden Rotfüchse halten. Die vier Mädchen hinten im Wagen lehnten sich mit so lautem Gruß heraus, daß die Pferde ängstlich stiegen. Einem zufälligen Beobachter mochte es vorkommen, als seien Jahre vergangen und nicht erst zwei Tage, seit Tarletons und 0'Haras einander gesehen hatten. Tarletons waren eine gesellige Familie und hatten ihre Nachbarn gern, besonders die 0'Haraschen Mädels. Das heißt: Suellen und Carreen. Kein Mädchen aus der Provinz, mit Ausnahme vielleicht der spatzenhirnigen Cathleen Calvert, hatte wirklich etwas für Scarlett über.

Im Sommer gab es in der Provinz durchschnittlich einmal wöchentlich einen Ball und ein Gartenfest. Trotzdem fanden die rothaarigen Tarletonmädchen mit ihrer unersättlichen Genußsucht jedes neue Gartenfest und jeden neuen Ball so aufregend, als wäre es der erste in ihrem Leben. Es war ein hübsches, munteres Quartett, welches so eng zusammengedrängt im Wagen saß, daß die Reifröcke mit ihren Rüschen über den Wagen hinaushingen und die Sonnenschirme leise aneinanderstießen über den breiten Florentiner Hüten mit ihren Rosen und hängenden Kinnbändern aus schwarzem Samt. Unter den Hüten waren alle Schattierungen roten Haares vertreten, bei Hetty ein volles reines Rot, bei Camilla ein erdbeerfarbenes Blond, Randas Haare leuchteten kupferbraun und die der kleinen Betsy gelbrot wie Karotten.

»Das ist eine schöne Schar, gnädige Frau«, sagte Gerald galant und brachte sein Pferd neben dem Wagen zum Stehen. »Aber keine ist so s chön wie die Mutter.«

Mrs. Tarleton rollte die rotbraunen Augen und zog in drolliger Würdigung dieses Kompliments die Unterlippe an, und die Mädchen riefen:

»Ma, keine schönen Augen machen, oder wir sagen es Pa!« und »Ich versichere Ihnen, Mr. 0'Hara, wenn ein hübscher Mann auftaucht wie Sie, schnappt sie ihn uns allen weg!«

Scarlett lachte mit den anderen über die lustigen Worte und war doch, wie immer, von der freien Art befremdet, in der die Tarletons mit ihrer Mutter umgingen, ganz als wäre sie ihresgleichen und nicht einen Tag älter als sechzehn. Schon der Gedanke, so etwas zu ihrer eigenen Mutter zu sagen, erschien Scarlett fast wie eine Lästerung. Und doch hatten die Beziehungen der Tarletonschen Töchter zu ihrer Mutter etwas sehr Reizvolles, denn bei allem, was sie an ihr auszusetzen, zu schelten und zu necken fanden, beteten sie sie an. Nicht, daß Scarlett, wie sie sich schleunigst sagte, an Ellens Statt lieber eine Mutter wie Mrs. Tarleton gehabt hätte; aber Spaß mußte es doch machen, so mit seiner Mutter umgehen zu dürfen. Schon der Gedanke war Ellen gegenüber ein Mangel an Ehrfurcht, und sie schämte sich seiner. Von solchen Anfechtungen wurden die Hirne unter den vier Rotschöpfen dort im Wagen gewiß niemals heimgesucht. Wie immer, wenn Scarlett das Gefühl hatte, anders als ihre Nachbarn zu sein, befiel sie eine gereizte Unsicherheit.

So gescheit sie auch war, hatte sie doch wenig Menschenkenntnis; trotzdem begriff sie halb unbewußt, daß die Tarletonschen Mädchen zwar unbändig wie Füllen und wild wie Märzhasen waren, aber als glückliches Erbteil eine unbekümmerte innere Sicherheit besaßen. Von sehen der Mutter wie des Vaters waren sie Nordgeorgianer, nur durch eine Generation von den ersten Bahnbrechern in der Wildnis getrennt. Sie waren ihrer selbst und ihrer Umwelt sicher und wußten aus Instinkt, was sie zu tun hatten. Das galt auch für die Wilkes, doch auf ganz andere Art. Jener innere Zwist, den Scarlett so oft durchkämpfen mußte, da in ihren Adern das Blut der überzüchteten Aristokratin sich mit der gescheiten erdnahen Art des irischen Bauern mischte, blieb ihnen erspart. Scarlett hatte das Bedürfnis, ihre Mutter zu verehren und anzubeten, zugleich aber auch ihr Haar zu zausen und sie zu necken. Es war derselbe Widerstreit der Gefühle, der sie wünschen ließ, vor Männern als zarte Dame von edler Herkunft zu erscheinen, gleichzeitig aber auch ein ausgelassenes Mädchen zu sein, das sich nicht zu gut für ein paar Küsse vorkam.

»Wo steckt denn Ellen heute morgen?« fragte Mrs. Tarleton.

»Sie muß unserem Aufseher Entlastung erteilen und ist zu Hause geblieben, um die Bücher mit ihm durchzugehen. Wo ist denn der Gemahl und die Söhne?«

»Ach, die sind schon vor mehreren Stunden nach Twelve 0aks hinübergeritten, den Punsch zu probieren, vermutlich um festzustellen, ob er stark genug ist. Als ob sie nicht von jetzt bis morgen früh Zeit genug dazu hätten! Ich werde John Wilkes bitten, sie über Nacht dazubehalten, und wenn er sie in den Stall legen muß. Fünf Männer, die des Guten zuviel haben, sind auch mir zuviel. Mit dreien will ich schon fertig werden, aber ...«

Rasch unterbrach Gerald sie und wechselte das Thema. Er spürte genau, wie hinter seinem Rücken die eigenen Töchter kicherten und daran dachten, in welcher Verfassung er von dem Wilkesschen Gartenfest im vorigen Herbst nach Hause gekommen war.

»Warum sitzen Sie denn heute nicht zu Pferde, Mrs. Tarleton? 0hne Nellie sehen Sie mir ganz fremd aus. Sie sind doch der wahre Stentor ...«

»Stentor, du meine Güte!« Mrs. Tarleton äffte sein Irisch nach. »Zentaur meinen Sie wohl! Stentor war ein Mann mit einer Stimme wie ein Messinggong.«

»Stentor oder Zentaur, das ist mir eins«, antwortete Gerald und ließ sich durch seinen Irrtum nicht aus der Fassung bringen. »Im übrigen haben Sie ja eine Stimme wie aus Messing, gnädige Frau, wenn sie die Meute antreiben.«

»Da hast du's, Ma«, sagte Hetty, »ich hab' dir immer gesagt, du kreischst jedesmal wie ein Indianer, wenn du einen Fuchs siehst.«

»Nicht so laut, wie du kreischst, wenn Mammy dir die 0hren wäscht«, gab Mrs. Tarleton zurück. »Und du willst sechzehn Jahre alt sein! Also reiten kann ich heute nicht, weil Nellie in der Frühe gefohlt hat.«

»Wahrhaftig!« Gerald war auf das lebhafteste interessiert, seine irische Leidenschaft für Pferde strahlte ihm aus den Augen, und Scarlett hatte wieder das Gefühl der Bestürzung, als sie ihre Mutter mit Mrs. Tarleton verglich.

Für Ellen fohlten Stuten nicht und kalbten keine Kühe. Kaum daß Hühner Eier legten. Ellen sah über all das vollständig hinweg. Aber Mrs. Tarleton kannte solche Schamhaftigkeiten nicht.

»Eine kleine Stute, nicht wahr?«

»Nein, ein schöner kleiner Hengst mit fast zwei Meter langen Beinen. Sie müssen einmal herüberkommen und ihn sich ansehen, Mr. 0'Hara. Ein echt Tarletonsches Pferd, rot wie Hettys Locken .«

»Sieht Hetty auch sonst furchtbar ähnlich«, sagte Camilla und tauchte dann in einen Wirrwarr von Röcken, Spitzenhosen und wippenden Hüten unter, als Hetty sie zu kneifen begann.

»Meine Fohlen sticht heute morgen der Hafer«, sagte Mrs. Tarleton, »sie haben schon die ganze Zeit über hinten ausgeschlagen, seit wir heute morgen die Neuigkeiten über Ashley und seine kleine Cousine aus Atlanta hörten. Wie heißt sie noch? Melanie? Gott segne das Kind, sie ist gewiß ein süßes kleines Ding, aber ich kann mich weder auf ihren Namen noch auf ihr Gesicht besinnen. Unsere Köchin ist die Frau des Wilkesschen Dieners. Er kam gestern abend und erzählte ihr, daß die Verlobung heute abend verkündet werden soll, und Cooky hat es uns heute morgen berichtet. Die Mädchen sind ganz aufgeregt darüber, ich sehe nicht recht ein, warum. Seit Jahren weiß jeder Mensch, daß Ashley sie heiraten will, das heißt, wenn er nicht eine seiner Cousinen aus Macon zur Frau nehmen würde. Genau wie Honey Wilkes ihren Vetter Charles, Melanies Bruder, einmal heiraten wird. Nun sagen Sie mir, Mr. 0'Hara, ist es etwa ungesetzlich für Wilkes, außerhalb ihrer eigenen Familie zu heiraten? Wenn nämlich ...«

Den Rest der lachend gesprochenen Worte hörte Scarlett nicht. Für einen kurzen Augenblick war es, als habe sich die Sonne hinter eine kühle Wolke geduckt und überließe die Welt einem Dunkel, das alle Dinge ihrer Farbe beraubte. Das frischgrüne Laub sah kränklich aus, der Liguster wurde fahl, der blühende Apfelbaum, der eben noch in so herrlichem Rosa gestrahlt hatte, wurde bleich und trüb. Scarlett grub die Finger in die Wagenpolster, und einen Augenblick schwankte ihr Sonnenschirm. Zu wissen, daß Ashley verlobt war, bedeutete etwas ganz anderes, als die Leute so leichthin darüber sprechen zu hören. Dann aber strömte der Mut ihr machtvoll zurück, die Sonne kam wieder zum Vorschein und übergoß die Landschaft mit neuem Glanz. Sie wußte, daß Ashley sie liebte. Das war gewiß. Und sie lächelte bei dem Gedanken, wie überrascht Mrs. Tarleton sein würde, wenn heute abend von keiner Verlobung die Rede war - wenn es statt dessen zu einer Entführung kam. Dann würde sie gewiß überall erzählen, was für ein gerissener Schlingel Scarlett sei, einfach dabeizusitzen und zuzuhören, wenn über Melanie gesprochen wurde, wo doch die ganze Zeit schon sie und Ashley ... ihr kamen die Grübchen bei ihren eigenen Vorstellungen, und Hetty, die die Wirkung der mütterlichen Worte scharf beobachtet hatte, lehnte sich mit leichtem, ratlosem Stirnrunzeln zurück.

»Was Sie auch sagen mögen, Mr. 0'Hara«, unterstrich Mrs. Tarleton. »Die Heiraterei von Vetter und Cousine ist ganz verkehrt. Schlimm genug, daß Ashley die kleine Hamilton heiratet; daß aber Honey den blassen Charlie Hamilton nehmen will ...«

»Honey bekommt nie einen anderen, wenn sie nicht Charlie heiratet«, erklärte Randa grausam im Vollgefühl ihrer eigenen Beliebtheit. »Außer ihm hat sie nie einen Verehrer gehabt. Und er hat auch nie sehr verliebt getan, obwohl sie verlobt sind. Scarlett, weißt du noch, wie er vori ge Weihnachten hinter dir her war?«

»Nicht boshaft werden, Miß«, sagte die Mutter. »Vettern und Cousinen sollten einander nicht heiraten, nicht einmal Vettern und Cousinen zweiten Grades. Das schwächt den Schlag. Das ist nicht wie bei Pferden. Man kann eine Stute mit ihrem Bruder und einen Hengst mit seiner Tochter paaren und gute Ergebnisse erzielen, wenn man die Rasse kennt; aber bei Menschen geht das nun mal nicht. Edle Rasse bekommt man vielleicht, aber ohne Saft und Kraft.«

»Gnädige Frau, ich nehme Sie beim Wort! Gibt es bessere Leute als Wilkes? Und sie haben immer untereinander geheiratet, seitdem Brian Boni ein Junge war.«

»Und es wird höchste Zeit, daß sie damit aufhören, es fängt an, sich bemerkbar zu machen. 0 nein, nicht so sehr Ashley, der ist ein gut aussehender junger Teufel, obwohl auch er ... Aber sehen Sie sich diese beiden verwaschenen Wilkesschen Mädchen an, die armen Dinger! Nette Mädchen natürlich, aber farblos. Und sehen Sie sich doch die kleine Miß Melanie an. Dünn wie eine Latte, zum Umwehen zart und ohne alles Temperament. Keinen eigenen Einfall im Kopf. >Nein, gnädige Frau, ja, gnädige Frau!< Mehr weiß sie nicht zu sagen. Verstehen Sie, was ich meine? Die Familie braucht neues Blut, gutes, kräftiges Blut, wie meine Rotschöpfe oder wie Ihre Scarlett. Aber mißverstehen Sie mich nicht, Wilkes sind auf ihre Art sehr feine Leute, Sie wissen, wie gern ich sie alle habe, aber, seien Sie aufrichtig, durch Inzucht überzüchtet, stimmt es oder stimmt es nicht? Höchst brauchbar auf trockenem, auf leichtem Geläuf, aber passen Sie auf, was ich sage, ich glaube nicht, daß Wilkes auf schwerem Boden laufen können. Aller Saft und alle Kraft ist aus ihnen herausgezüchtet, glaube ich, und im Notfall sind sie dem Unerwarteten nicht gewachsen. Ein Schlag n ur für gutes Wetter! Durch das Untereinanderheiraten sind sie anders geworden als die übrigen Leute in der Gegend. Immer klimpern sie auf dem Klavier und stecken die Nase in Bücher. Ich glaube wahrhaftig, Ashley zieht das Lesen dem Jagdreiten vor! Ja, das ist meine ehrliche Überzeugung, Mr. 0'Hara! Sehen Sie sich doch nur ihre Knochen an. Viel zu fein. Die brauchten kraftvolle Väter und Mütter ...«

»Ah - hmm«, machte Gerald, dem plötzlich aufging, daß die Unterhaltung, die für ihn höchst interessant und durchaus passend war, auf Ellen ganz anders wirken würde, und er hatte ein schlechtes Gewissen dabei, daß vor den 0hren ihrer Töchter ein so freimütiges Gespräch geführt wurde. Mrs. Tarleton aber war wie gewöhnlich taub für alles andere, wenn es sich um ihr Lieblingsthema handelte: Zuchtfragen, sei es bei Pferden oder Menschen.

»Ich weiß, was ich sage. Ich hatte einen Vetter und eine Cousine, die einander geheiratet haben. Nun, ich gebe Ihnen mein Wort, die Kinder hatten alle richtige Froschaugen, die armen Dinger. Und als meine Familie von mir verlangte, ich sollte meinen Großvetter heiraten, habe ich gebockt wie ein Fohlen. Ich habe gesagt: >Nein, Ma, ich nicht! Dann bekommen ja meine Kinder alle den Spat und werden Rohrer.< Ma fiel natürlich in 0hmmacht, als ich das vom Spat sagte, aber ich blieb fest, und Großmama hielt mir die Stange. Sie verstand eben auch was von Pferdezucht und gab mir recht. Sie ist mir dann behilflich gewesen, mit Mr. Tarleton durchzugehen. Und nun sehen Sie sich meine Kinder an! Groß und gesund und nicht ein kränkliches oder zurückgebliebenes dazwischen, wenn auch Boyd knapp sechs Fuß mißt. Die Wilkes hingegen ...«

»Nicht etwa, daß ich das Thema wechseln möchte, gnädige Frau«, fiel ihr Gerald hastig ins Wort. Er hatte Carreens entgeisterten Blick gesehen, dazu die gespannte Neugier in Suellens Zügen, und fürchtete, sie könnten am Ende Ellen peinliche Fragen stellen, wobei dann herauskommen würde, was für ein unzulänglicher Aufpasser er war. Mit Freuden bemerkte er, daß Puß offenbar an andere Dinge dachte, wie es sich für eine junge Dame schickte.

Hetty Tarleton half ihm aus der Klemme.

»Du lieber Himmel, Ma, laß uns doch weiterfahren«, rief sie ihrer Mutter ungeduldig zu. »Ich brate in der Sonne und höre förmlich, wie mir die Sommersprossen amHalse sprießen.«

»Eine Sekunde, gnädige Frau, ehe Sie weiterfahren«, sagte Gerald. »Haben Sie schon etwas darüber entschieden, ob Sie der Truppe die Pferde verkaufen wollen? Der Krieg kann jeden Tag ausbrechen, und den Jungens ist daran gelegen, daß die Sache in 0rdnung kommt. Für die Truppe aus der Claytonprovinz möchten wir auch Pferde aus Clayton haben. Aber Sie weigern sich immer noch eigensinnig, uns Ihre schönen Tiere zu verkaufen.«

»Vielleicht gibt es ja gar keinen Krieg.« Mrs. Tarleton, deren Geist noch eifrig mit den Heiratssitten der Familie Wilkes beschäftigt war, suchte die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben.

»Aber gnädige Frau, Sie können doch nicht ...«

»Ma«, unterbrach Hetty wieder, »kannst du nicht mit Mr. 0'Hara genausogut in Twelve 0aks über Pferde reden wie hier?«

»Sie treffen den Nagel auf den Kopf, Miß Hetty«, sagte Gerald. »Sehen Sie, ich will Sie nur noch eine Minute aufhalten. Gleich sind wir in Twelve 0aks, und da möchte jeder, jung und alt, über die Pferde angelegenheit Bescheid wissen. Ach, es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, daß eine feine, schöne Frau wie ihre Mutter so geizig mit ihren Pferden ist. Wo ist denn Ihre Vaterlandsliebe geblieben, Mrs. Tarleton? Sind Ihnen denn die Konföderierten gar nichts ?«

»Ma«, schrie die kleine Betsy, »Randa sitzt auf meinem Kleid, und es wird ganz kraus.«

»Gib Randa einen Schubs und sei still. Nun hören Sie, Gerald 0'Hara.« Ihre Augen fingen an, bedenklich zu funkeln. »Kommen Sie mir nicht mit den Konföderierten! Ich denke, die bedeuten mir nicht weniger als Ihnen, denn ich habe vier Jungens bei der Truppe und Sie gar keinen. Aber meine Jungens sorgen für sich selbst, und das können meine Pferde nicht. Wenn ich wüßte, sie würden von den Jungens geritten, die ich kenne, von Gentlemen, die Vollblüter gewohnt sind, ich gäbe sie gern umsonst her.

Nein, keinen Augenblick würde ich mich besinnen. Aber soll ich denn meine schönen Tiere den Urwaldbauern und Kleinfarmern, die nur Maultiere kennen, auf Gnade und Ungnade überlassen? 0 nein, mein Lieber! Ich hätte ja Alpdrücken bei dem Gedanken, daß sie mir wundgeritten und nicht ordentlich gepflegt würden. Meinen Sie, ich lasse ahnungslose Dummköpfe meine im Maul so weichen Lieblinge reiten, ihre Mäuler zersägen und sie schlagen, bis das ganze Temperament zum Teufel ist? Bei dem bloßen Gedanken kommt mir schon jetzt eine Gänsehaut. Nein, Mr. 0'Hara, es ist furchtbar nett von Ihnen, daß Sie meine Pferde haben wollen, aber Sie tun besser daran, in Atlanta ein paar alte Schimmel für Ihre Buschklepper zu kaufen. Die merken den Unterschied gar nicht.«

»Ma, bitte, laß uns weiterfahren!« stimmte jetzt auch Camilla in den ungeduldigen Chor ein. »Du weißt ganz genau, am Schlusse gibst du ihnen deine Lieblinge doch, wenn Pa und die Jungens erst einmal richtig anfangen, davon zu reden, daß die Konföderierten sie wirklich brauchen und so weiter, dann wirst du weinen und sie hergeben!«

Mrs. Tarleton schüttelte lächelnd die Zügel.

»Fällt mir gar nicht ein«, sagte sie und streifte die Pferde leicht mit der Peitsche. Der Wagen rollte geschwind von dannen.

»Eine großartige Frau.« Gerald setzte den Hut wieder auf und ritt zum eigenen Wagen zurück. »Fahr zu, Toby. Wir wollen sie schon mürbe machen und die Pferde doch noch von ihr bekommen. Natürlich hat sie recht. Recht hat sie. Wer kein Gentleman ist, soll die Finger von den Pferden lassen. Für ihn ist die Infanterie der rechte 0rt. Um so bedauerlicher ist es, daß es hier nicht genug Pflanzersöhne gibt, um die Truppe vollzählig zu machen. Was sagtest du eben, Puß?«

»Pa, bitte, reite voran oder hinterher. Du wirbelst so viel Staub auf, daß wir ersticken.« Scarlett hatte das Gefühl, daß sie eine längere Unterhaltung nun nicht mehr aushalten könnte. Das Sprechen lenkte sie von ihren Gedanken ab, und sie wünschte sehr, Gedanken und Gesicht ganz in der Gewalt zu haben, ehe sie nach Twelve 0aks kam. Gerald gab gehorsam seinem Pferde die Sporen und ritt in einer roten Wolke auf und davon, hinter dem Tarletonschen Wagen her, wo er seine Pferdegespräche fortsetzen konnte.

Sie fuhren über den Fluß und den Berg hinauf. Noch ehe Twelve 0aks in Sicht kam, sah Scarlett in den hohen Baumkronen träge eine Rauchwolke hängen und roch das würzige Duftgemisch von brennenden Holzscheiten und gebratenem Schwein und Hammel .

Die Feuerstellen für den Gartenschmaus, auf denen seit dem Abend vorher ein langsames Feuer glomm, glichen langen Trögen voll rosenroter Glut. Darüber wurde das Fleisch am Spieß gedreht, und der Saft tröpfelte zischend auf die glühenden Kohlen. Scarlett wußte, der Duft, den die schwache Brise ihnen entgegenwehte, kam von dem Hain alter Eichen hinter dem großen Haus. Dort auf dem sandigen Abhang, der in den Rosengarten führte, hielt John Wilkes immer sein Gartenessen ab. Es war ein angenehm schattiger Platz, viel schöner als der, den Calverts benutzten. Mrs. Calvert aß diese am Spieß gebratenen Speisen nicht gern und behauptete, der Geruch bliebe tagelang im Hause. Deshalb mußten ihre Gäste immer auf einem flachen, unbeschatteten Platz, eine Viertelmeile vom Hause entfernt, in der Sonne schmoren. John Wilkes aber, im ganzen Staat für seine Gastfreiheit berühmt, verstand ein Gartenfest richtig zu feiern.

Die langen Picknicktische, mit dem feinsten Leinen aus den Wilkesschen Truhen bedeckt, wurden immer im tiefsten Schatten aufgeschlagen, Bänke ohne Lehnen wurden zu beiden Seiten aufgestellt, und für Leute, die nicht gern darauf saßen, gab es auf der Waldwiese Stühle, Hocker und Kissen genug, die aus dem Hause dort hingebracht wurden. Die länglichen Feuerstellen, wo das Fleisch briet und die riesigen eisernen Waschkessel dampften, denen die leckeren Düfte der üblichen Sauce und des vielfältig zusammengekochten Brunswick-Stews entstiegen, waren so weit von den Gästen entfernt, daß der Rauch sie nicht behelligte. Mindestens ein Dutzend Schwarze liefen geschäftig hin und her und reichten die Speisen auf Tabletts herum. Hinter den Scheunen gab es immer eine gleiche Feuerstelle, an der die Dienstboten des Hauses, die Kutscher und Jungfern der Gäste Maiskuchen, Bataten und Schwarzsauer aßen, das Gericht, das dem Herzen so teuer ist, und dazu gab es Wassermelonen, soviel sie begehrten.

Als Scarlett den Duft des knusperigen Schweinebratens spürte, zog sie die Nase begehrlich kraus und hoffte, bis er gar wäre, wieder etwas Appetit zu haben. Im Augenblick war sie noch satt und zudem so fest geschnürt, daß sie immerfort Angst hatte, aufstoßen zu müssen; aber das war nur alten Herren und sehr alten Damen erlaubt.

Vom Winde verweht

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