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Der Textilhandel der Welser-Gesellschaft

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Bereits ein Blick auf das Niederlassungsnetz der Firma „Anton Welser, Konrad Vöhlin und Mitverwandte“ um 1500 lässt die Bedeutung erkennen, die der Handel mit Textilien für sie hatte. Nicht weniger als zehn ihrer 17 Faktoreien lagen innerhalb des Dreiecks zwischen den Handelsmetropolen Augsburg und Nürnberg und der schweizerischen Stadt St. Gallen. Dazu gehörten die Zentren der oberschwäbischen Barchent- und Leinwandproduktion: Memmingen, wo bis zu seinem Tod 1511 der Hauptteilhaber Konrad Vöhlin lebte, Ulm, Kempten, Isny, Biberach und Ravensburg. In Mindelheim, Kaufbeuren und Konstanz war die Welser-Vöhlin-Gesellschaft durch Kommissionäre repräsentiert.13

Zahlreiche Nachrichten über Transporte von Baumwolle, Leinwand und Barchent verdeutlichen das Gewicht dieses Handelszweigs. Im Herbst 1498 wurden zehn Säcke Baumwolle aus Venedig über Augsburg nach Ulm geführt, und im Frühjahr 1499 sorgte der Kaufmann Leonhard Wild für den Transport von 104 Säcken Baumwolle nach Ulm und Kaufbeuren, wofür ihm die Welser-Vöhlin 500 Dukaten bezahlten. In der Faktorei Kempten lagerten um dieselbe Zeit mehrere hundert Stück Leinwand, und auch die Niederlassung in Isny hatte rund 100 Tuche in verschiedenen Farben und Qualitätsstufen auf Lager.14 In Kaufbeuren hatte das Handelshaus die Barchentweberei im Verlagssystem organisiert: sie belieferte die Weber mit Rohstoffen und nahm ihnen die fertigen Tuche ab.15 Wichtige Absatzmärkte für schwäbische Textilien waren die Frankfurter Messen und die österreichische Metropole Wien. Im Frühjahr 1501 wurden sechs Fässer Memminger und Isnyer Leinwand sowie weiße Regentücher nach München gesandt, die der dortige Kommissionär Gilg Meißlin nach Wien spedieren sollte. Im Herbst 1514 rechnete derselbe Kommissionär über die Spedition von 228 Fässern mit schwäbischer Leinwand, Golschen (grober Baumwoll- oder Leinenstoff) und Regentüchern ab, was einer Gesamtmenge von 15.000 bis 20.000 Tuchen entsprechen dürfte. Im Juli 1517 sandte die Memminger Faktorei der Welser fünf Fässer mit oberschwäbischen Tuchen nach München, von wo aus sie wiederum weiter nach Wien transportiert werden sollten.16 Im Jahre 1508 wurde Ulmer und Biberacher Barchent in die Messestadt Frankfurt geschickt. Da der für die Barchentproduktion so essentielle Venedighandel in den folgenden Jahren durch den Krieg Kaiser Maximilians I. gegen die Markusrepublik empfindlich gestört war, wichen die Welser zeitweilig sogar auf eine wesentlich längere Route aus: Im Herbst 1518 wurde eine größere Partie „türkische“ Baumwolle auf dem Seeweg nach Antwerpen transportiert und von dort über Köln nach Frankfurt am Main gebracht.17

Der Baumwoll- und Barchenthandel blieb bis Ende der 1520er-Jahre ein zentrales Geschäftsfeld der Welser. In den ersten Monaten des Jahres 1528 trafen 26 Säcke Baumwolle aus Venedig in Augsburg ein, und die Nürnberger Niederlassung verschickte Ulmer Barchent nach Antwerpen. Bei der Faktorei Memmingen waren zahlreiche Weber verschuldet.18 In den folgenden Jahren gab die mittlerweile von Bartholomäus Welser geleitete Gesellschaft jedoch die meisten schwäbischen Niederlassungen auf, was auf einen Bedeutungsverlust dieses Geschäftszweigs hinweist.

Über die Faktorei St. Gallen fand die Welser-Vöhlin-Gesellschaft auch Zugang zu den Zentren der Schweizer Textilproduktion. In Freiburg im Uechtland konnte sie an die Aktivitäten der Memminger Vöhlin-Gesellschaft anknüpfen, die bereits 1491 mit der Kommune einen Vertrag über die Abnahme der gesamten Tuchproduktion zu einem Fixpreis abgeschlossen hatte. Weiße Freiburger Wolltuche genossen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts einen guten Ruf, doch spätestens seit der Jahrhundertmitte befand sich das Gewerbe im Niedergang, sodass die Übertragung des Gesamtabsatzes an eine große Handelsgesellschaft als Krisensymptom zu werten ist.19 Die Krise des Freiburger Tuchgewerbes lässt sich auch daran ablesen, dass Anton Welser und Konrad Vöhlin mehrfach Preisnachlässe und Mengenbegrenzungen mit der Stadt aushandelten – seit 1498 nahmen sie maximal noch 4.000 Tuche pro Jahr ab – und Bartholomäus Welser den Abnahmevertrag 1524 nicht mehr verlängerte.20 Da die in Freiburg hergestellten Tuche vor allem nach Venedig exportiert und von dort aus in die Levante verschifft wurden, ließen sie sich jedoch eine Zeit lang gut in das Warensortiment und die Handelskreisläufe der Welser-Gesellschaft integrieren.21

Außerdem investierte das Handelshaus seit der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in Produktion und Handel von Stammet, einem Mischgewebe mit einer Kette aus Leinen- oder Hanfgarn und einem Schuss aus Wolle. In Como, wo sie eine eigene Faktorei unterhielten, organisierten die Welser-Vöhlin die Stammetweberei im Verlagssystem.22 1506/07 ist die Spedition einer größeren Partie Stammet über Ulm nach Frankfurt sowie eine weitere Sendung nach München belegt.23 Der Chronist Francesco Muralto berichtet, dass Kriegsvorbereitungen König Maximilians gegen Frankreich 1507 zum Rückzug deutscher Kaufleute aus Como geführt hätten, was besonders im Fall der Welser-Vöhlin mit großen Nachteilen für den Handel verbunden gewesen sei.24 Bereits im Herbst 1508 empfing die Ulmer Niederlassung der Welser-Vöhlin indessen erneut Stammet aus Como.25

Angesichts lokaler Widerstände und wiederholter militärischer Konflikte zwischen den Häusern Habsburg und Valois in Norditalien entschloss sich das Handelshaus einige Jahre später zur Verlagerung der Produktion nach Lugano. Die Bartholomäus-Welser-Gesellschaft ließ dort Anfang der 1520er-Jahre ein Tuchhaus mit eigener Färberei errichten und organisierte die Tuchherstellung als „Mischform von Eigenbetrieb und Verlag“.26 1519 und 1525 sind Stammetlieferungen über Nürnberg nach Frankfurt am Main dokumentiert. Dieses Gewebe konnten die Welser in einer bemerkenswerten farblichen Vielfalt anbieten: Im Jahre 1525 lagerten in Ulm nicht nur schwarzer, brauner und weißer Stammet, sondern auch Stoffe in leuchtenden Farben wie rot, „leibfarben“, „leberfarben“ (rotbraun), gelb, „himmelblau“, „sittichgrün“ und „grasgrün“.27 Parallel zu ihrem Rückzug aus dem Barchentgeschäft gab die Bartholomäus-Welser-Gesellschaft in den folgenden Jahren allerdings auch die Produktion und den Vertrieb von Stammet auf.

Italienische Städte waren für die Welser darüber hinaus die wichtigsten Bezugsorte für hochwertige Samt- und Seidenstoffe. Im Gewölbe der Nürnberger Faktorei lagerten 1499 schwarzer Samt, Seidentuche und Taft („Zendel“). Atlas und Taft wurden 1516 in Venedig eingekauft. Auch in Genua, das in zeitgenössischen Kaufmannshandbüchern als Bezugsort für Seidenstoffe genannt wird,28 deckte sich die Gesellschaft ein: Ende 1514 fertigte der Mailänder Welserfaktor Bernhard Meuting mehrere Kisten Genueser Samt sowie rund 2000 Pfund Seide aus Messina ab. Eine Kiste mit 14 Stück Genueser Samt wurde über Ulm und Köln nach Antwerpen spediert. Neun Jahre später veräußerte die Welserniederlassung an der Schelde Genueser Samt an den Kaufmann Jeronimo Guicciardini, und zwei Jahre später ging in Mailand eine Reklamation ein, weil sich Samtstoffe, die die Antwerpener Faktorei an Lazaro Fiorini verkauft hatte, als zu kurz erwiesen hatten. Hier liegt also der Fall vor, dass italienische Kaufleute in Antwerpen hochwertige italienische Stoffe über ein oberdeutsches Handelshaus bezogen! Ende Februar 1527 rechnete Hans Vöhlin in der Firmenzentrale über eine Partie Damast und Atlas aus Lucca ab. Ein Jahr danach lagerte im Gewölbe der Frankfurter Niederlassung venezianische Seide, und drei Jahre später wurde in Spanien sogar Seide aus „India“ veräußert.29 Um 1540 beteiligte sich die Welser-Gesellschaft in Kooperation mit dem Florentiner Handels- und Bankhaus Salviati und dem französischen Kaufmann Amiel Albertas sogar am Export italienischer Seide in die Levante über den Hafen von Marseille.30

Regelmäßig in den Unterlagen der Handelskompanie erwähnt werden auch sogenanntes Unzgold und Unzsilber – gesponnene Gold- und Silberfäden zur Verzierung der Kleidung von Angehörigen der höheren Stände. Sie gehörten zu den besonders gefragten Exportartikeln der Stadt Mailand.31

Von Köln und Antwerpen aus erschlossen sich die Welser ferner die wichtigsten Bezugsquellen für nordwesteuropäische Textilien.32 Sie handelten mit niederländischen, englischen und nordfranzösischen Tuchen, die in großen Mengen auf den Frankfurter Messen und den Leipziger Märkten umgeschlagen sowie über Nürnberg und Regensburg nach Wien geschickt wurden. Eine Abrechnung von der Frankfurter Fastenmesse 1499 nennt feine hellgraue und blaue Tuche aus Brügge; rote, schwarze, weiße, braune, aschfarbene, „maigrüne“, gelbe und goldfarbene „lindische“ (Londoner) Tuche; ferner feinen schwarzen, roten, grünen, „sattblauen“, weißen und braunen Stoff aus Arras sowie Tuche aus Hondschoote und Rouen. Auf der Fastenmesse des Jahres 1506 boten die Welser-Vöhlin Tuche aus Amsterdam und Burschat, ein Mischgewebe aus Seide und Wolle, feil. Drei Jahre später lagerten in ihren Frankfurter Gewölben Tuche aus London und Mechelen, und 1518 empfing die Nürnberger Niederlassung der Welser eine große Sendung feiner englischer und flämischer Tuche. In den Jahren 1519 und 1528 wurden englische und niederländische Tuche auf der Donau nach Wien transportiert. Auf der Frankfurter Herbstmesse des Jahres 1527 setzte ein gewisser Balthasar Wagner im Auftrag der Welser-Gesellschaft Londoner und Amsterdamer Tuche ab. 1533 kaufte das Augsburger Handelshaus in Antwerpen für seinen italienischen Geschäftspartner Maffeo Bernardo 300 „Cariser“, also englische Kerseys, ein.33 Der Handelsdiener Lucas Rem erwähnt in seinen autobiographischen Aufzeichnungen, dass er zwischen 1503 und 1508 in Lissabon große Mengen flämischer Textilien absetzte.34 Auch Stoffe südfranzösischer Provenienz werden gelegentlich genannt.35

Die Vielfalt an Stoffsorten und -farben deutet darauf hin, dass die Strategie des Handelshauses darauf abzielte, ein breites Sortiment an Textilien unterschiedlicher Herkunft und Qualität auf mitteleuropäischen Märkten anbieten zu können. Angesichts der hohen Fixkosten, die der Betrieb von Niederlassungen in ganz Europa erforderte, setzten die Welser offensichtlich auf Diversifizierung statt auf Spezialisierung. Mit ihrem differenzierten Warenangebot kamen sie aber auch dem Bedürfnis der höheren Schichten entgegen, sich im Medium der Kleidung zu präsentieren und gegenüber anderen Individuen und Gruppen abzugrenzen.

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