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„Und was genau haben Sie dann gegen italienische Restaurants?“ Weit über den Tisch gebeugt zwischen dem Bildschirm auf der einen und dem Telefon auf der anderen Seite schaute Robert ihr unverwandt ins Gesicht.

„Nichts. Ich habe nichts gegen italienische Restaurants.“ Sie hatte aufgehört, sich Notizen zu machen, hielt aber ihren anthrazitgrauen Stift weiter in ihrer Hand und spielte damit. „S. Kottenbeck“ las Robert auch auf ihrem Namensschild. S. Kottenbeck. S...imone. Nein!

„Und warum würden Sie dann nie dahin gehen?“ S...abine. Hm, nein.

„Weil ich immer in italienischen Restaurants das Gefühl habe, ein klein wenig übers Ohr gehauen zu werden. Mir scheinen die Preise immer ein klein wenig zu hoch.“

„Dann haben Sie bestimmt noch nie bei einem richtig guten Italiener gegessen.“ S...tefanie. Nein, bestimmt auch nicht. S...

„So, meinen Sie?“, lächelte sie mit ihren unverwechselbaren Grübchen in den Wangen zurück.

„Ja, aber natürlich. Bei welchem Italiener waren Sie denn bisher essen, Frau – Ess Kottenbeck?“

„Sophie. Sophie Kottenbeck“, korrigierte sie lächelnd. „Nicht hier. Ich – bin nicht von hier.“

„Ach? Tja. Na dann.“ Robert sah ihr tief in die Augen und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich kenne einen wirklich guten Italiener. Wirklich sehr gut. Und ich habe mich dort nie übers Ohr gehauen gefühlt. Und es ist gar nicht einmal weit von hier. Gleich bei mir gegenüber, Sie wissen doch, die Lindenallee gar nicht weit von hier? Eines dieser alten Häuser, mit vielen verspielten Ornamenten“, und Robert zeichnete die Formen mit seinen Händen nach, während Sophie Kottenbeck ihm mit einem Lächeln zuhörte, ein ganz normales, italienisches Restaurant, wie so viele in der Stadt, modern eben, es passte so gar nicht in dieses alte Haus, und Sophie Kottenbeck vergaß ganz ihre Arbeit wie es schien, aber es wäre gemütlich dort, sehr gemütlich, auch auf der Terrasse, die Paolo, der Besitzer, dort im Frühjahr und im Sommer auf der Straße aufbauen würde, „und was das wichtigste ist, das Essen, das ist gut, also, wirklich gut, meine ich, das ist so gut, dass dieser Italiener glatt mein Ruin sein könnte, möchten Sie wirklich nicht einmal mit mir ...“

„Apropos Ruin, Herr Kahlenborn!“, unterbrach Sophie Kottenbeck ihn jetzt geduldig.

Mist! Irgendein Scheiß würde mir passieren, hatte ich es nicht gewusst? Zu nervös, einfach zu nervös.

„Wir sollten jetzt vielleicht nicht darüber reden, ob Sie mit mir in ein wirklich gutes Restaurant essen gehen möchten, dazu sehen Ihre Zahlen wirklich nicht gut genug aus.“ Auch sie lächelte jetzt, während sie die Blätter mit den Zahlenkolonnen durch ihre zarten Finger gleiten ließ und ein spitzbübisches Lächeln durch ihre Züge huschen ließ. „Im Gegenteil. Wir sollten jetzt wirklich weiter darüber sprechen, wie wir Ihren Kontostand wieder verbessern könnten.“

Und dabei hatte doch bis hierhin so gut geklappt. Es war doch fast schon alles klar, als Robert den leichten Hauch einer Rötung auf ihren Wangen gesehen hatte bei seinem Vorschlag, sie beide sollten doch mal ganz allein bei seinem Italiener essen gehen, fast hätte er sich sogar noch dazu verstiegen, sie auch glatt noch dazu einzuladen – und dabei hatte er völlig vergessen, dass sie ja Herr – oder Frau – seines Geldes war. Und dann – passierte ihm so ein Mist!

„Tja“, setzte Robert an, „Sie wissen da doch bestimmt einen Ausweg, nicht wahr? Ich meine, es geht ja einigermaßen regelmäßig Geld ein.“

„Tja, sicherlich.“ Ihr Augenaufschlag nahm jetzt etwas Mitleidiges an. „Aber leider nicht viel. Dafür aber um so mehr ab. Das Verhältnis stimmt nicht ganz. Wirklich nicht!“ Und nun war sie es, die Robert unverwandt in die Augen schaute: „Die Miete geht ja noch, und die anderen regelmäßigen Zahlungen sind auch nicht hoch. Aber Sie heben immer recht viel Bargeld ab.“

Robert hatte bei diesen weichen Zügen nicht mit solch harten Feststellungen gerechnet. Er musste überlegen. Der gestrige Sturm im Kopf hatte zwar nachgelassen, aber klar denken konnte er immer noch nicht.

„Na ja, es gehen aber doch noch andere Zahlungen ein!“

„Hm.“ Sie blätterte durch den Stapel und warf die Stirn in Falten. „Ja, das stimmt. Einmalzahlungen.“

„Die das Saldo aber immer wieder ausgleichen“, beeilte sich Robert hinzuzufügen.

„Kurzfristig!“

„Kurzfristig.“

„Und eben auch nicht regelmäßig.“

„Nein.“

„Tja, Herr Kahlenborn, was machen wir denn da jetzt?“, seufzte sie und hatte schon wieder diesen mitleidigen Blick.

„Ich dachte, Sie wüssten vielleicht einen Rat?“ Robert bemühte sein gewinnendstes Lächeln.

„Ich denke, Sie sollten in der nächsten Zeit dringend etwas an Ihrer Einkommensseite ändern. Meinen Sie, das könnte in den nächsten Wochen der Fall sein?“

„Tja – vielleicht könnte ich da etwas machen?“ Robert dachte angestrengt nach, aber wie sollte ihm nach diesem beschissenen Brief noch etwas einfallen? Trotzdem, er schien genau richtig mit seiner Bemerkung zu liegen, es war wohl genau das, was Frau Kottenbeck hören wollte, denn mit einem langen „hmmm“ blickte sie wieder auf die Zahlenkolonnen. Und allmählich entspannte sich Robert ein wenig, er wusste nicht, ob das Durchsehen der Zahlen so lange nötig war, aber er freute sich, Frau Sophie Kottenbeck so lange still anschauen zu können. Ihre Sommersprossen. Vor allem aber ihre lockigen Haare, die mit einem Haarreif streng aus dem Gesicht gekämmt waren und über Nacken, Schultern und Rücken wieder auseinanderstieben. Robert versank in diesen Anblick, und er hätte sich in diesem Moment nirgendwo anders hin gewünscht, auch wenn es für sie beide bestimmt einen schöneren, ruhigeren Ort hätte geben können, einen Ort, an dem die Leute nicht an ihrem Tisch vorbei liefen, die Türe öffneten, Taschen an ihnen vorbei trugen, sich an Schalter stellten um auf eine Beratung zu warten, sich in die Schlangen einreihten, die schweren Taschen abstellten, immer wieder aufnahmen, mit den Angestellten stritten, diskutierten, Belege durchsahen, Geldscheine zählten, quengelnde Kinder lautstark zurechtwiesen. Das alles wogte um sie herum, aber Robert achtete gar nicht darauf, und in diesem Moment, dem kleinen Moment mit diesem Herrn Robert Kahlenborn als Kunden hatte auch Frau Sophie Kottenbeck dieses ganze teppichgedämpfte Durcheinander in den Geschäftsräumen der Bank vergessen, sah auf die Zahlenkolonnen der Belege vor sich und genoss es, dass Robert sie versonnen anschaute, als wären sie einsam und allein gewesen.

„Tja“, meinte Sophie Kottenbeck nach längerer Zeit. „Tja, vielleicht können wir ja wirklich etwas für Sie tun? Ich werde einmal mit dem Filialleiter sprechen“, meinte sie mit einem Lächeln zu Robert.

Sie stand auf, nahm die Zettel mit und ging leichten Schrittes an den letzten Tisch, wahrscheinlich den des Filialleiters. Sie nahm gekonnt die Ecken der Tische und warf hin und wieder die nie zu bändigenden Haare in den Rücken. Robert liebte genau diesen Augenblick, wenn sie den Kopf leicht in den Nacken warf, wenn dann die Haare in den Rücken fielen und für einen kurzen Moment der Hals ganz frei anzusehen war, wie oft hatte er es sich schon jedes Mal, wenn er hier in der Bank war, vorgestellt, sie dort zu küssen? Leider war sie in diesem Moment dem Filialleiter näher, der sie mit gierigen Blicken verschlang. Zu ihm beugte sie sich jetzt hinunter und legte ihm die Zettel mit den Zahlenkolonnen in die speckigen Hände. Dieser Anblick tat weh. Robert verdrehte die Augen, kniff sie zu und beschloss, sie erst wieder aufzumachen, wenn er merken sollte, dass sie wieder vor ihm auf dem Stuhl sitzen würde.

Ob er sie geifernd anguckte? Dieses Sch...

„Geht es Ihnen nicht gut?“

„Nein, nein, alles in Ordnung, manchmal sind nur meine Augen so müde.“ Er hatte den Moment tatsächlich verpasst, die Augen rechtzeitig wieder zu öffnen. Robert bemerkte einen sorgenvollen Ausdruck in ihrem Gesicht.

„Also, ich habe noch einmal mit unserem Filialleiter gesprochen. Da Sie ja sagen, dass sich in den nächsten Wochen ihre Lage deutlich verändern würde, stellen wir die Überprüfung Ihres Kontos noch einmal zurück.“

„Danke!“

„Das heißt aber, dass wir uns in den nächsten zwei oder drei Monaten noch einmal sprechen werden, wenn sich Ihre Lage dann nicht geändert haben sollte“, mahnte Sophie Kottenbeck ernst. Trotzdem waren da die Grübchen in den Wangen.

„Oh? Jetzt weiß ich aber wirklich nicht mehr, ob ich mich tatsächlich noch um eine Veränderung meiner Lage bemühen soll, wenn ...“ Ein mahnender Blick ließ Robert abbrechen. „Na gut. Sie haben mich überzeugt“, lächelte er. „Und?“

„Wie bitte?“

„Und?“

„Was und?“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf.

„Würden Sie sich jetzt von mir einladen lassen zu diesem wirklich guten Italiener?“

Und wieder begann sich dieses Rot ganz zart auf den Wangen abzuzeichnen, das Robert genauso liebte wie ihren Nacken, während sie kein weiteres Wort verlor, die Zettel zusammenklaubte, aufstand und Robert lächelnd die Hand reichte.

Draußen vor der Türe hingen schwer die Abgase der Autos und schweren Lastwagen, die über die beiden großen Hauptstraßen rasten, und von den Baumaschinen, die auf der anderen Seite des großen aber hässlichen Platzes eines dieser nichtssagenden Gebäude abrissen, die den Platz einschlossen. Trotzdem holte Robert tief Luft. Das drohende Unheil war zunächst einmal abgewendet. Trotzdem fühlte er sich nicht besonders. Denn als nächstes müsste er sich wieder einmal um ein paar Einmalzahlungen seines Vaters kümmern. Morgen. Oder Übermorgen. Ihm war wieder schwindlig. Seit dem Brief mit der Absage war ihm immer wieder mal schwindlig. Er sah in den Himmel, Regenwolken türmten sich am Horizont auf. Er würde jetzt erst mal wieder nach Hause gehen, später zur Uni fahren, Max abholen und mit ihm zu „Annes Ecke“ zu gehen. Jetzt hatte er ja wieder ein bisschen Kredit.

Schuld und Lüge

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